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Kalter Kuss
„Und wer sind die da neben dir?“ Ich blicke in Leas unschuldig fragende Augen und muss sofort wieder wegsehen.
Sie ahnt nicht, dass sie auf eine Mine getreten ist, die in mir grad explodiert.
Ausgerechnet das Foto. Unter all den unzähligen fischt sie grad dies heraus und katapultiert mich in meine Vergangenheit.
Eigentlich ein ganz harmloses Foto, es zeigt mich an einem runden Tisch sitzend und neben mir zwei Männer. Den Hintergrund verschwommen in rot.
„Ach, das warn Arbeitskollegen, damals aus dem Autohaus“, erwidere ich rasch, aus Furcht, mich durch mein Schweigen zu verraten.
Ich Idiot, wieso hab ich dieses Foto nicht vernichtet?
"Und wo ist das aufgenommen worden?"
Lea hält das verdammte Ding immer noch in der Hand.
"In irgend nem Lokal, weiß nicht mehr wie das hieß", lüge ich, und ein Ring spannt sich um meine Brust.
Klar weiß ich noch genau wo es war, wie könnte ich diesen Ort je vergessen?
Tom, mein bester Freund - lebt nicht mehr. 'Tom, du ausgebuffter Arsch, wenn du das hier mitbekommst, weiß ich, du verstehst mich. Sie soll nie erfahren, womit ich mein Geld verdient hab, mit dem ich diese kackteure Loft hier bezahlte.'
Sie legt das Foto endlich beiseite, aber der Druck um meine Brust ist stärker geworden.
'Du hast mich damals gewarnt, Tom. Hätt ich dir bloß geglaubt, aber ich wusste ja alles besser. Hielt mich für unbesiegbar'.
Und mit genau diesem Siegerblick saß ich dort an dem Tisch, wenn sie kamen und uns betrachteten, mit ihren Blicken auszogen und manchmal verlangten, dass wir unser T-Shirt abstreiften und die Muskeln spielen ließen.
Ich war ein geiler Typ. Und cool. Bis zu dem Tag als die erste kam, die mir die Sehnsucht hinterließ.
Wie eine Krankheit, die hinterlistig zwischen die Laken kriecht und sich ausbreitet. Sie kam nie wieder.
Und ich wurde wieder cool. Aber nicht gesund.
Am Anfang war ich heiß darauf, jede innig zu küssen, wenn sie es erwiderte. Mit jedem Speichel, den ich in ihren Mündern vergrub, floss ein Stück Seele von mir mit, höhlte mich aus, schleichend und unerbittlich.
Aber das spürte ich damals nicht. Als ich anfing mir vor jedem Date eine Nase reinzuziehen, da war es schon zu spät. Da war ich nur noch cool, ein Profi, und keine hätte sagen können, ich sei oberflächlich oder unnahbar gewesen.
Als ich keinen Speichel mehr hatte und nur noch die küssen konnte, die mich an den Geruch der Liebe erinnerten, wurden meine Hände taub und mein Körper gefühllos.
Und wieder hätte keine behaupten können, ich sei nicht gut gewesen. Sie formten sich in meine Arme und bezahlten gerne bevor sie gingen.
Doch mit jeder weiteren wuchs meine Furcht - meine Furcht, an ihrem warmen Körper zu erfrieren.
Wenn Lea nachts neben mir im Bett liegt, zittere ich vor Kälte und vergrabe meinen Schmerz in der Finsternis.
Doch im Morgengrauen spuckt die Finsternis ihn wieder aus.