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Kapitalistische Intimität

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17.10.2001
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Kapitalistische Intimität

.Anmerkung: Auf Grund der Kritiken wurde der Text mehrfach geändert, die Rewrites findet Ihr im Verlauf des Threads, das bisher letzte auf Seite 2.


Wenn ich ihm einen blase, tue ich das nicht nur aus Lust, weder meiner noch seiner. Wenn ich ihm einen blase, tue ich das aus Notwendigkeit. In der heutigen Zeit dreht sich alles ums Geschäft, und wir sind mit Absicht ein kapitalistisches Paar. Wir machen uns da nichts vor. Auch ein Orgasmus ist eine Art von Währung. Und der angebliche Wert der Liebe hält uns nicht zum Narren. Jeder, der die Aspekte der Romantik vorsichtig und objektiv betrachtet, muss zu dem Ergebnis kommen, dass der Wert einer Beziehung steigt und fällt, dass „Geben“ nur ein anderes Wort für Angebot und „Begehren“ ein anderes Wort für Nachfrage ist. Die Sprache der Wirtschaft, mit ihrem straffen, auf den Punkt genauen Jargon, wurde mit zunehmender Erkenntnis immer mehr Teil unseres Lebens, bis sich ihr alle Aspekte unseres gemeinsamen Zusammenlebens anpassten. Ja, ich werde zum Y wenn er zum X wird, gekreuzt schlafen wir in unserem Bett, unserem Diagramm, unsere Ehe als Graph, der Moment des Entzückens als Erfüllung des perfekten Gleichgewichts. Heute werde ich von meinen Nachbarinnen beneidet, denn ich führe eine äußerst produktive und effiziente Ehe.

Doch lassen sie mich Ihnen berichten, dass auch mein Glaube an kapitalistische Intimität einst auf der Kippe stand, dass auch ich einst der Apostasie ins Gesicht starrte, dass meine Vorstellungskraft, sowie bestimmte marxistische Ketzer und Romantiker, mir während meiner Jugend und Unschuld anhand diverser Gesinnungswandel den Kopf verdrehten und austricksten. Wie oft trauerte ich der reinen, autonomen Liebe nach, die ich als Kind erfahren hatte, Zärtlichkeiten, die des Gebens willen gegeben und des Nehmens willen genommen wurden. Kindliche Illusionen vergisst man nicht so schnell, Mythen und Märchen haben eine starke Anziehungskraft. Doch langsam erlangte ich die Erkenntnis, dass „Liebe“ und „Zins“ im Prinzip ein und die selbe Sache sind. Jegliche Differenzierung zwischen den beiden ist nichts als reine Illusion. Im Übrigen eine Lektion, die mich meine Eltern gelehrt hatten.

Während meines zweiten Jahres in Harvard fanden meine Eltern heraus, dass ich heimlich von Betriebswirtschaft zu Wirtschaftspolitik gewechselt hatte. Nun, Wirtschaftspolitik ist im Grunde genommen nichts anderes als reine Theorie – Theorien über Marx und über Keynes, Theorien der Linken und der Rechten, Theorien die kondensieren und verdampfen wie Schwaden in Äther, die flüstern und heulen wie weitgereiste Winde. Aber Schwaden kann man nicht essen und Wind nicht verkaufen, und als meinen Eltern bewusst wurde, dass ich Theorien studierte, die keinerlei broterwerbsfördernde Qualitäten besaßen, durchtrennten sie sofort und ohne jegliche Benachrichtigung durch einen Telefonanruf oder wenigstens eine Email die uns verbindende finanzielle Nabelschnur und ich stand alleine da, empört und unfähig, meine Studiengebühren zu zahlen, ganz zu schweigen von Miete und allem anderem. Heute sehe ich, wie sehr meine Eltern damals Recht hatten und bin ihnen für ihre Reaktion äußerst dankbar. Aber zurück zum Anfang: warum hatte ich überhaupt mein Hauptfach gewechselt? Ich wusste, Sie würden diese Frage stellen! Er hieß Sebastian und war einer von diesen unkonventionellen Künstlertypen, Sie wissen schon. Er meinte, Betriebswirtschaft sei etwas für die materialistisch Veranlagten und geistig Verkümmerten, für emotionale Geizhälse und politische Philister. Sebastian nannte mich Pfenniglecker, Markthure, beschuldigte mich, den Tempel des Mammon zu huldigen. Gleichzeitig sagte Sebastian, das er mich liebte, und immer lieben würde, ganz gleich was ich auch tun würde, und verbrachte Stunden damit, meinen Körper zu entdecken. Für Sebastian oder für den Idealismus, mit der er seine Gehirnwäsche an mir vollzog, wechselte ich mein Hauptfach. Kurze Zeit später war mein Konto zur finanziellen Wüste ausgetrocknet, und ich konnte es mir nicht mehr leisten, ihn ins Le Couteau d’Or einzuladen oder ihn mit schicken Designerschals zu überraschen. Nach einer Weile konnte ich nicht mal mehr mit ihm ins Kino gehen, später musste ich sogar meinen Wagen verkaufen und mir Geld für Lebensmittel und öffentliche Verkehrsmittel bei ihm leihen. Um Haaresbreite wurde ich aus meinem Apartment herausgeworfen. Und er ließ mich fallen, machte Schluss mit mir trotz der ganzen sirupsüßen Reden über Geist, bedingungslose Liebe, Unabhängigkeit von materialistischen Normen und Werten.

„Du verlässt mich, weil ich kein Geld habe“, sagte ich zu ihm.

„Da hast du verdammt recht“, antwortete er. Wir sprachen nie wieder ein Wort miteinander

[Beitrag editiert von: Rabenschwarz am 28.02.2002 um 19:44]

 

Die Geschichte stimmt mich traurig.
Diese Art von Desillusionierung muss einen das Leben sinnlos erscheinen lassen. Wenn selbst die Liebe sich nicht mehr den Gesetzen des Marktes entziehen kann...

Zum Glück schwingt da, z.B. schon im Titel, eine leise Ironie mit, wenn ich mich nicht täusche.

[Beitrag editiert von: markus am 11.02.2002 um 22:49]

 

Kris,

du bist genial! Kann ich Dich, wenn in meiner schriftstellerischen Laufbahn der Rubel erst mal rollt, als Lektorin einstellen? ;)

Genau das wollte ich, Überarbeitung folgt im Laufe der Nacht/des Morgens...jetzt muss ich so langsam mein abendliches Date anpeilen :)

Thanks a bunch!!
San

 

Korrigierte Version


Wenn ich ihm einen blase, tue ich das nicht nur aus Lust, weder für ihn noch für mich. Wenn ich ihm einen blase, tue ich das aus Notwendigkeit. In der heutigen Zeit dreht sich alles ums Geschäft, und wir sind mit Absicht ein kapitalistisches Paar. Wir machen uns da nichts vor. Auch ein Orgasmus ist eine Art von Währung. Und der angebliche Wert der Liebe hält uns nicht zum Narren. Jeder, der die Aspekte der Romantik vorsichtig und objektiv betrachtet, muss zu dem Ergebnis kommen, dass der Wert einer Beziehung steigt und fällt, dass „Geben“ nur ein anderes Wort für Angebot und „Begehren“ ein anderes Wort für Nachfrage ist. Die Sprache der Wirtschaft, mit ihrem straffen, auf den Punkt genauen Jargon, wurde mit zunehmender Erkenntnis immer mehr Teil unseres Lebens, bis sich ihr alle Aspekte unseres gemeinsamen Zusammenlebens anpassten. Ja, ich werde zum Y wenn er zum X wird, gekreuzt schlafen wir in unserem Bett, unserem Diagramm, unsere Ehe als Graph, der Moment des Entzückens als Erfüllung des perfekten Gleichgewichts. Heute werde ich von meinen Nachbarinnen beneidet, denn ich führe eine äußerst produktive und effiziente Ehe.

Doch lassen sie mich Ihnen berichten, dass auch ich nicht gleich an kapitalistische Intimität glaubte, dass auch ich einst der Apostasie ins Gesicht starrte, dass meine Vorstellungskraft, bestimmte marxistische Ketzer und die ach so idealistischen Romantiker mir während meiner Jugend und Unschuld den Kopf verdrehten und mir den ein oder anderen Gesinnungswandel bescherten. Wie oft trauerte ich der reinen, autonomen Liebe nach, die ich als Kind erfahren hatte, Zärtlichkeiten, die des Gebens willen gegeben und des Nehmens willen genommen wurden. Kindliche Illusionen vergisst man nicht so schnell, Mythen und Märchen haben eine starke Anziehungskraft. Doch langsam erlangte ich die Erkenntnis, dass „Liebe“ und „Zins“ im Prinzip ein und die selbe Sache sind. Jegliche Differenzierung zwischen den beiden ist nichts als reine Illusion. Im übrigen eine Lektion, die mich meine Eltern gelehrt haben.

Während meines zweiten Jahres in Harvard fanden meine Eltern heraus, dass ich heimlich von Betriebswirtschaft zu Wirtschaftspolitik gewechselt hatte. Nun, Wirtschaftspolitik ist im Grunde genommen nichts anderes als reine Theorie – Theorien über Marx und über Keynes, Theorien der Linken und der Rechten, Theorien die kondensieren und verdampfen wie Schwaden in Äther, die flüstern und heulen wie weitgereiste Winde. Aber Schwaden kann man nicht essen und Wind nicht verkaufen, und als meinen Eltern bewusst wurde, dass ich Theorien studierte, die keinerlei broterwerbsfördernde Qualitäten besaßen, durchtrennten sie sofort und ohne jegliche Benachrichtigung durch einen Telefonanruf oder wenigstens eine Email die uns verbindende finanzielle Nabelschnur und ich stand alleine da, empört, und unfähig, meine Studiengebühren zu zahlen, ganz zu schweigen von Miete und allem anderem. Heute sehe ich, wie sehr meine Eltern damals Recht hatten und bin ihnen für ihre Reaktion äußerst dankbar.

Aber zurück zu meiner Studienzeit: warum hatte ich überhaupt mein Hauptfach gewechselt? Ich wusste, Sie würden diese Frage stellen! Er hieß Sebastian und war einer von diesen unkonventionellen Künstlertypen, Sie wissen schon. Er meinte, Betriebswirtschaft sei etwas für die materialistisch Veranlagten und geistig Verkümmerten, für emotionale Geizhälse und politische Philister. Sebastian nannte mich Pfenniglecker und Markthure, beschuldigte mich, den Mammon zu huldigen. Gleichzeitig sagte Sebastian, dass er mich liebte, und immer lieben würde, ganz gleich was ich auch tun würde, und verbrachte Stunden damit, meinen Körper zu entdecken. Für Sebastian oder für den Idealismus, mit dem er seine Gehirnwäsche an mir vollzog, wechselte ich mein Hauptfach. Kurze Zeit später war mein Konto zur finanziellen Wüste ausgetrocknet, und ich konnte es mir nicht mehr leisten, ihn ins ‚Le Couteau d’Or’ einzuladen oder ihn mit hübschen bunten Schals zu überraschen. Nach einer Weile konnte ich nicht mal mehr mit ihm ins Kino gehen, später musste ich sogar meinen Wagen verkaufen und mir Geld für Lebensmittel und öffentliche Verkehrsmittel bei ihm leihen. Um Haaresbreite wurde ich aus meinem Apartment herausgeworfen. Und er ließ mich fallen, machte Schluss mit mir trotz der ganzen sirupsüßen Reden über Geist, bedingungslose Liebe, Unabhängigkeit von materialistischen Normen und Werten.

„Du verlässt mich, weil ich kein Geld habe“, sagte ich zu ihm.

„Da hast du verdammt recht“, antwortete er.

Wir sprachen nie wieder ein Wort miteinander.

[Beitrag editiert von: Rabenschwarz am 16.02.2002 um 04:25]

 

Hallo,

tja, that's life, würd' ich sagen.
Die verbesserte Version ist sehr gut geschrieben und ich erkenne dein Problem mit den Wertevorstellungen.
By the way: You're gunning down the romance. Denn trotz aller Habgier und Grausamkeit in dieser Welt, glaube ich noch an die "wahre Liebe".

Bye,
masterplan (der kommunistische Romatiker himself)

 

@masterplan,

wo steht, dass bzw dass ich nicht an sie glaube?

Majakowskij spiegelt meine Ansichten am besten wieder:

He who does not forget his first love will never experience his last.

Übrigens Teil einer Geschichte von mir, Sonia und Bertolt.

Danke für's Lesen und Kommentieren.

And last but not least: nice profile ;)

San

 

Hallo Rabenschwarz!

Hat mir sehr gut gefallen, Deine Geschichte. Ja, solche Typen gibt es immer und überall - beiderlei Geschlechts. Alles nur Schein, auf Wienerisch "groß red´n und nix dahinta".

Kristin hat hier ganze Arbeit geleistet mit ihrer Kritik und es ist fein, daß Du den Weg gewählt hast, die Geschichte ein zweites Mal zu posten, so kann man die Veränderungen mitverfolgen.

Möchte fast sagen, das ist ein Muster-Thread für perfekte Geschichtenbearbeitung!

Aber einen Fehler hab ich noch gefunden:
"Gleichzeitig sagte Sebastian, dass er mich liebte,..."

Alles liebe
Susi :)

 

Ein starkes stück - im besten Sinne. Mich würd mal interesieren, wie du auf die Idee gekommen bist.
Ansonsten: Durchaus reif, veröffentlicht zu werden.
1. Der Einstieg erregt (?) zwar Interesse, erscheint mir aber etwas "herausgerissen."
2. Hat "Harvard" irgendeine höhere Bedeutung, die ich nicht erkannt habe? Mag zwar subjektiv sein, aber wenn du statt dessen das allgemeinere "Universität" nehmen würdest, wäre die Geschichte einen Ticken "universaler".
3. Müsste es nicht heißen,an der Stelle

Für Sebastian oder für den Idealismus, mit der er seine Gehirnwäsche an mir vollzog
DEM Idealismus?
So, das war´s schon. Nochmals ein dickes Lob! :D

 

Hallo San,

Ich habe jetzt nur die überarbeitete Version gelesen, und die finde ganz schön gut. Der trockene Stil passt ziemlich gut zur Thematik der zerstörten Illusionen.
Nur das mit Harvard ist mir auch ins Auge gegangen. Vor allem weil jemand der in Harvard studiert (egal was) sich auf jeden Fall nicht viele Sorgen machen muss wie er später einmal Geld verdient - und schon gar nicht wenn er/sie VWL studiert.
Trotzdem ziemlich gut, wie gesagt. Werde mir jetzt gleich mal ein paar andere Werke von Dir reinziehen.

 

Susi & Para...danke :)

13en...thanks for commenting. Bin noch am Nachdenken, was die Sache mit Harvard betrifft...gefällt mir auch noch nicht so richtig.

Hab' Deinen Eintrag auf meiner site gesehen...to answer your question...kommt drauf an, in welcher Sprache ich gerade fitter bin ;)

 

Gleichzeitig sagte Sebastian, das er mich liebte, und immer lieben würde, ganz gleich was ich auch tun würde, und verbrachte Stunden damit, meinen Körper zu entdecken.

"Dass" wurde schon angesprochen. Aber versuche, einen würdelosen Stil zu benutzen (z.B. statt "würde laufen" immer "liefe"). 2 sind echt aua. Das erste kann man durch "werde" ersetzen, das zweite durch "täte" oder "gleich was passierte" o.ä..

Zu Beginn steht ein kleines "sie" mit einem großen "Ihnen", beide groß.
Empört passt gut.
Da waren noch ein paar Kleinigkeiten, ein Absatz vor "zurück zum Anfang" (o.ä. aus irgendeinem Grund funzt das untere Fenster nicht mehr, kanns jetzt nicht checken). Kristins Kritik, die Erwartungshaltung betreffend, stimme ich zu. Es böte sich an, den Bogen zu spannen,eine art Moral, warum diese Erfahrung ihr Herz zum Krämer machte o.ä., auch ich war da leicht enttäuscht. Irgendetwas Zynisches z.B. mit sinkendem Grenznutzen oder Bewertungsparametern bei der G.u.V.-Rechnung, wäre ein schöner Schluss, damit das Entstehen dieser Einstellung für den Leser nachvollziehbarer wird. Nur so ein Gefühl. Gute story.

Ach ja, "Recht haben" schreibst Du einmal richtig und einmal falsch. :D

[Beitrag editiert von: Alpha O'Droma am 19.02.2002 um 19:15]

 

Hallo Rabenschwarz- san,
zu der Frage, wie das mit der oralen Befriedigung ist, schlage ich vor, "ich tue es nicht _zu_ seiner oder meiner Lust." Aber du hast ja eine gute Lösung gefunden. Ein guter Einstieg.
Schade, insgesamt verschenkst du eine schöne Möglichkeit, die von Brecht abgeschaut werden kann: derbe, öbszöne Sprache mit der Fachsprache der Börse oder der Konzernbilanzierung zu mischen. Und worin besteht das Geschäft der Ehe?
Im zweiten Teil schwingt etwas Selbstmitleid mit. Auch das ist schade. Wie stehst dieses Ich zu den damaligen Ereignissen? Sie kann es klarer bewerten und distanzierter. "ich habe ihn zum Essen eingeladen." Reut sie das Geld oder hat sie da was gelernt oder heisst es etwa, "ich hab alles gegeben" und er hat sich nicht angestrengt, unsere Beziehung zu retten? " Trägt sie ihm die mangelnde Liebe nach oder die vorgetäuschte Liebe? Materialismus aus enttäuschter Liebe? Das bedeutet, wenn nur der richtige käme, gelingt die romantische Liebe doch? Moment. Das ist keine konsequente Erzählhaltung oder der Widerspruch kann in der Heldin, schärfer rausgearbeitet werden. Sonst sind die Trauben sauer, weil sie zu hoch hängen ;- ).
Aber: gut geschrieben.
ciao anacrion

 

Hi Rabenschwarz.

Deine Geschichte ist wirklich gut. Du hast in einer ungwöhnlichen Art und Weise das Dilemma vieler Beziehungen wieder gegeben. Dabei ist es dir gelungen, alles mit einem Gewissen Abstand zu schreiben und trotzdem unglaublich einfühlsam zu sein. Ein bißchen erinnert mich die Dekradierung der Romantik in Beziehungen an Max Frisch´s "Mein Name Sei Gantenbein" und das meine ich durchaus als Kompliment. Respekt! Leider finde ich auch, daß der Einleitungssatz ein wenig wie, pardon, Bauernfängerei wirkt.

So long

SignoreSalami

 

Aufgrund der Kritik von Kristin, Alpha und anacrion hat der Text einen einen weiteren, letzten Absatz erhalten; auch die vielen, von anderen Kritikern genannten Einzelheiten habe ich überdacht und geändert. Danke nochmal! Hier also die nächste Version:

Wenn ich ihm einen blase, tue ich das nicht nur aus Lust, weder für ihn noch für mich. Wenn ich ihm einen blase, tue ich das aus Notwendigkeit. In der heutigen Zeit dreht sich alles ums Geschäft, und wir sind mit Absicht ein kapitalistisches Paar. Wir machen uns da nichts vor. Auch ein Orgasmus ist eine Art von Währung. Und der angebliche Wert der Liebe hält uns nicht zum Narren. Jeder, der die Aspekte der Romantik vorsichtig und objektiv betrachtet, muss zu dem Ergebnis kommen, dass der Wert einer Beziehung steigt und fällt, dass „Geben“ nur ein anderes Wort für Angebot und „Begehren“ ein anderes Wort für Nachfrage ist. Die Sprache der Wirtschaft, mit ihrem straffen, auf den Punkt genauen Jargon, wurde mit zunehmender Erkenntnis immer mehr Teil unseres Lebens, bis sich ihr alle Aspekte unseres gemeinsamen Zusammenlebens anpassten. Ja, ich werde zum Y wenn er zum X wird, gekreuzt schlafen wir in unserem Bett, unserem Diagramm, unsere Ehe als Graph, der Moment des Entzückens als Erfüllung des perfekten Gleichgewichts. Heute werde ich von meinen Nachbarinnen beneidet, denn ich führe eine äußerst produktive und effiziente Ehe.

Doch lassen Sie mich Ihnen berichten, dass auch ich nicht gleich an kapitalistische Intimität glaubte, dass auch ich einst der Apostasie ins Gesicht starrte, dass meine Vorstellungskraft, bestimmte marxistische Ketzer und die ach so idealistischen Romantiker mir während meiner Jugend und Unschuld den Kopf verdrehten und mir den ein oder anderen Gesinnungswandel bescherten. Wie oft trauerte ich der reinen, autonomen Liebe nach, die ich als Kind erfahren hatte, Zärtlichkeiten, die des Gebens willen gegeben und des Nehmens willen genommen wurden. Kindliche Illusionen vergisst man nicht so schnell, Mythen und Märchen haben eine starke Anziehungskraft. Doch langsam erlangte ich die Erkenntnis, dass „Liebe“ und „Zins“ im Prinzip ein und die selbe Sache sind. Jegliche Differenzierung zwischen den beiden ist nichts als reine Illusion. Im übrigen eine Lektion, die mich meine Eltern gelehrt haben.

Während meines zweiten Jahres am College fanden meine Eltern heraus, dass ich heimlich von Betriebswirtschaft zu Wirtschaftspolitik gewechselt hatte. Nun, Wirtschaftspolitik ist im Grunde genommen nichts anderes als reine Theorie – Theorien über Marx und über Keynes, Theorien der Linken und der Rechten, Theorien die kondensieren und verdampfen wie Schwaden in Äther, die flüstern und heulen wie weitgereiste Winde. Aber Schwaden kann man nicht essen und Wind nicht verkaufen, und als meinen Eltern bewusst wurde, dass ich Theorien studierte, die keinerlei broterwerbsfördernde Qualitäten besaßen, durchtrennten sie sofort und ohne jegliche Benachrichtigung durch einen Telefonanruf oder wenigstens eine Email die uns verbindende finanzielle Nabelschnur und ich stand alleine da, empört, und unfähig, meine Studiengebühren zu zahlen, ganz zu schweigen von Miete und allem anderem. Heute sehe ich, wie sehr meine Eltern damals Recht hatten und bin ihnen für ihre Reaktion äußerst dankbar.

Aber zurück zu meiner Studienzeit: warum hatte ich überhaupt mein Hauptfach gewechselt? Ich wusste, Sie würden diese Frage stellen! Er hieß Sebastian und war einer von diesen unkonventionellen Künstlertypen, Sie wissen schon. Er meinte, Betriebswirtschaft sei etwas für die materialistisch Veranlagten und geistig Verkümmerten, für emotionale Geizhälse und politische Philister. Sebastian nannte mich Pfenniglecker und Markthure, beschuldigte mich, den Mammon zu huldigen. Gleichzeitig sagte Sebastian, dass er mich liebte, und immer lieben werde, ganz gleich was auch passierte, und verbrachte Stunden damit, meinen Körper zu entdecken. Für Sebastian oder für den Idealismus, mit der er seine Gehirnwäsche an mir vollzog, wechselte ich mein Hauptfach. Kurze Zeit später war mein Konto zur finanziellen Wüste ausgetrocknet, und ich konnte es mir nicht mehr leisten, ihn ins ‚Le Couteau d’Or’ einzuladen oder ihn mit hübschen bunten Schals zu überraschen. Nach einer Weile konnte ich nicht mal mehr mit ihm ins Kino gehen, später musste ich sogar meinen Wagen verkaufen und mir Geld für Lebensmittel und öffentliche Verkehrsmittel bei ihm leihen. Um Haaresbreite wurde ich aus meinem Apartment herausgeworfen. Und er ließ mich fallen, machte Schluss mit mir trotz der ganzen sirupsüßen Reden über Geist, bedingungslose Liebe, Unabhängigkeit von materialistischen Normen und Werten.

„Du verlässt mich, weil ich kein Geld habe“, sagte ich zu ihm.

„Da hast du verdammt Recht“, antwortete er. Wir sprachen nie wieder ein Wort miteinander.

Wie Sie also sehen, hat mich die Erkenntnis, wie unrentabel Romantik und Hingabe doch sind, in die richtige, einzig effiziente Richtung gelenkt. Nicht dass ich diesen Weg eingeschlagen hätte, um erneuter Enttäuschung aus dem Weg zu gehen; nein, ich habe wie gesagt das Bewusstsein wirtschaftlichen Denkens erlangt, belege durch kalkuliertes Handeln meinen eigenen Wert. Die Ehe mit meinem Mann ist die Dividende dieser Erkenntnisse, unsere gemeinschaftliche Produktivität ist jederzeit überschaubar wie die, natürlich positive, Steigung eines linearen Graphen. Ich bedauere jene Menschen, denen noch immer die Illusion der Verzückung im Gesicht steht, wann immer sie von Glück, Träumen, Liebe und Unabhängigkeit schwafeln, nicht, in keinem einzigen Moment. Gleichzeitig sind sie mir von keinerlei Nutzen. Sie existieren, wie Sebastian, in negativen Quadranten des einen Graphen, der unser aller Leben darstellt. Wir haben weder Schnittpunkte noch decken wir gleiche Teile des Diagramms ab. Sie existieren, das ist aber auch schon alles.

[Beitrag editiert von: Rabenschwarz am 01.03.2002 um 18:04]

 

Hm...
Also deine Geschichte war - soweit das möglich ist - perfekt.
Der zusätzliche Abschnitt stört mich persönlich. Meiner Meinung nach ist gerade der Dialog am Schluss das geniale Ende. Du musst da nichts mehr draufsetzen. Du kannst da nichts mehr toppen.
Oh mein Gott, warum hast du das getan?
Verzweifelt (?),
Paranova

 

OH MEIN GOTT! WARUM HAST DU DAS GETAN?

Mein Deutschlehrer pflegte "leicht melodramatisch" in roter, undeutlicher Schrift ins Klausurheft zu schreiben, falls ähnliche Passagen wie diese auftauchten.

Ich finde es schade, dass hier soviel über die Form geredet wurde, während das wirklich Interessante, der Inhalt nämlich, der Gedanke, der zu dieser Geschichte führte, die Konsequenzen, die Kritik nicht diskutiert wurde.

Dabei gäbe es doch so viel dazu zu sagen...

[Beitrag editiert von: Kritiker am 07.03.2002 um 20:28]

 

JA, genau!

Da zieht eine solch überaus provokante und durchdachte Story (keine Ironie!) wie diese einen ganzen Rattenschwanz an Beiträgen nach sich, aber (fast) alle, alle beziehen sich darin nur auf die schnöde Form, anstatt auf dessen Inhalt. Zu anstrengend, oder was?


Na, schön! Dann muss ich halt mal wieder ran! :cool:

IMO liegt ein solches Thema wie dieses nicht erst seit gestern "in der Luft" unserer Gesellschaft. Rabenschwarz bediente sich lediglich (besonders in den ersten Zeilen) recht radikaler, und damit auch um so provokativer, sprachlicher wie darstellender Mittel. Dafür spricht aber, dass somit wohl auch noch der Allerletzte die Aussage der Erzählung erfassen wird.

Vor ein paar Wochen las ich in "Die Woche" einen hierzu interessanten Beitrag über Ehescheidungen. Verschiedene Eheberater sprachen darin über die Diskrepanz der Erwartungen der Ehepartner über den Ausgang einer Scheidung kurz nach dieser (Wochen) und einige Monate später. Zunächst heißt es von ihnen, dass Entscheidungen über Geld bzw. Sachwerte keine so große Rolle spielen. Erfahrungsgemäß wird diese Sache aber um so wichtiger, je länger die Scheidung zurückliegt.

Das Entscheidende dabei (und jetzt kommt meine soziologische Theorie):
Geld ist messbar versus Liebe ist nicht messbar !
Das ist die Crux in jeder Beziehung! Das Gewissen sagt zu dir: "Wie stehst du vor anderen da, wenn du keine messbaren Werte vorzuweisen hast? Liebe? Damit machst du dich lächerlich! Keiner kennt deine Liebe! Aber jeder kennt dein Geld! Man kann es auf den Kontoauszügen an Hand von Zahlen ablesen. Diese Werte sind das einzige, was du anderen unmissverständlich belegen kannst. Sie sind übertragbar. Liebe ist das nicht. Liebe ist eine vollkommen private Angelegenheit. Du kannst deine Liebe nicht jemand anderem auf sein Konto überweisen. Und später, nachdem sie dich wieder verlassen hat, bleiben dir nur deine Erinnerungen. Aber du kannst sie nicht auf irgendeiner Bank abheben und gegen irgendetwas anderes eintauschen. Ihr Wert ist gegenwärtig und ausschließlich privat. Sie hat keinen Tauschwert. Sie ist eher wie eine Droge. Aber gut, Geld ist das ja auch."

Für mich nahm dieses gesellschaftliche Problem, weiter gefasst, bereits zu Beginn der Neuzeit bzw. der Aufklärung seinen Anfang. Mit Descartes, Galilei, Newton und Laplace begann das Abendland alle Dinge zu objektivieren. Es gab kein einzelnes Ganzes mehr, sondern nur noch voneinander unabhängige Teile. Und dann begannen als Folge dieser Revolution die Menschen in dieser Zeit mit einem Male alles messen zu wollen. Was jetzt nicht messbar war, existierte höchstens noch als nicht ernstzunehmende "Spinnerei". Die Menschen glaubten, damit endlich ihren Aberglauben ablegen zu können und damit unabhängiger zu werden. Leider veränderte sich damit auch die Mentalität der Leute, aus welchem später die Industrialisierung, Kapitalismus und Marxismus hervorgingen.

Sicher, es gab in dieser Zeit dann auch die Gegenbewegung der Romantik. Gemäß dem Gesetz, dass jeder Organismus stets seine dualistische Balance anstrebt. Und zwar um so heftiger, je größer das Ungleichgewicht herrscht.

Deshalb als kleiner Trost: Alles fließt! So, wie es jetzt zu sein scheint, wird es nicht bleiben (vor allem nicht in diesem, jetzigen Wassermann-Zeitalter). Gut möglich, dass Sans Geschichte in hundert oder zweihundert Jahren nur noch Unverständnis auslösen könnte und gerade mal Erinnerungen aus vergangenen Zeiten wachruft (gelesen in Lehrbüchern).

 

Nun nehme ich mir diesen deinen Text vor, lese ihn durch und stelle fest, dass ich keinen einzigen Grund für negative Kritik habe. Tatsache ist, dass diese Geschichte nach meinem Ermessen perfekt geschrieben ist, sprachlich, inhaltlich ein Meisterstück. Ich habe an einigen Stellen lachen können, satirisch, sarkastisch, gesellschaftskritisch.

Nun, ich habe Kristins Kritik gesehen und wusste, ohne sie zu lesen, dass ein Baustein darin sein würde, den auch ich kritisiere.
Die Geschichte macht einen imensen Bruch. Der Leser erwartet, freut sich geradezu darauf wieder in die Gegenwart zu gelangen, in der die Geschichte abgeschlossen wird. Mir ist der Mund offen stehengeblieben als ich nach unten scrollte und das Ende des Textes sehen musste. Ich empfehle dir dringend darüber nachzudenken, ob du den Rahmen doch schließt. Diese Geschichte wäre es auf jeden Fall wert, mehr daraus zu machen.

:thumbsup:

liebe Grüße
der sonst so mäkelnde
Frederik

P.S. ich hieße nicht Frederik, wenn ich nicht noch einen kleinen Fehler gefunden hätte :eek3:

Zitat:
und verdampfen wie Schwaden in Äther

Ich bin mir nicht sicher ob du "das Äther" oder "den Äther" meinst. Im zweiteren Falle müsste es dann "im" statt "in" heißen.

 

Hallo Rabenschwarz,

das meiste wurde wohl schon gesagt ...

Die Idee gefällt mir wesentlich besser als die Umsetzung - so abgebrüht, wie sich die Protagonistin im ersten Teil anhört, denke ich das etwas mehr Härte und Distanz und weniger Bitterkeit und Selbstmitleid sich im zweiten Teil der Geschichte besser machen würden. So wie es jetzt ist, nimmt der zweite Teil dem ersten die Glaubwürdigkeit - und zurück bleibt das Bild einer verbitterten und nicht einer abgebrühten und überzeugend "belehrten" Frau. Gedankenwäsche nicht wrklich erfolgreich, so kommt es bei mir an.

Besser würde es mir gefallen (wobei es das ja nicht wirklich muss ;)), wenn auch im zweiten Teil eine distanzierte, wirtschaftlcieh Analyse, des vorherigen "Fehlverhaltens" dargelegt würde - und die "Arme" nicht in ihr altes, falsches Weltbild zurückfällt. Das hört sich plötzlich wieder so jung an, wie sie damals war - und gar kein bißchen mehr abgeklärt.

Auch mir fehlt der Bogen zurück zum Beginn - irgendweine schöne Gleichung oder Auflösung im fachlich passenden Jargon ...

Gruß
Kay

 
Zuletzt bearbeitet:

@Kay und Fred,

Danke fürs Lesen und Kommentieren.

Eins verstehe ich nicht...die dritte Version spannt doch den Bogen zum Anfang? Greift das Jargon wieder auf, differenziert erneut zwischen Protagonisten und 'den anderen'?

Wie Sie also sehen, hat mich die Erkenntnis, wie unrentabel Romantik und Hingabe doch sind, in die richtige, einzig effiziente Richtung gelenkt. Nicht dass ich diesen Weg eingeschlagen hätte, um erneuter Enttäuschung aus dem Weg zu gehen; nein, ich habe wie gesagt das Bewusstsein wirtschaftlichen Denkens erlangt, belege durch kalkuliertes Handeln meinen eigenen Wert. Die Ehe mit meinem Mann ist die Dividende dieser Erkenntnisse, unsere gemeinschaftliche Produktivität ist jederzeit überschaubar wie die, natürlich positive, Steigung eines linearen Graphen. Ich bedauere jene Menschen, denen noch immer die Illusion der Verzückung im Gesicht steht, wann immer sie von Glück, Träumen, Liebe und Unabhängigkeit schwafeln, nicht, in keinem einzigen Moment. Gleichzeitig sind sie mir von keinerlei Nutzen. Sie existieren, wie Sebastian, in negativen Quadranten des einen Graphen, der unser aller Leben darstellt. Wir haben weder Schnittpunkte noch decken wir gleiche Teile des Diagramms ab. Sie existieren, das ist aber auch schon alles.
Wenn das kein 'Bogen' ist, dann muss ich weit nem Jahrzehnt was Falsches unter dem Begriff verstanden haben. Oder meint ihr, dass der Bogen anders aussehen sollte?

Wäre lieb, wenn Ihr das aufklären könntet. Ich habe mich zwar schon ewig nicht mehr mit der Geschichte befasst, aber weiß genau, dass ich den letzten Abschnitt aufgrund der Kritiken von Kris und Alpha schrieb.

Kay...über deine weiteren Anmerkungen werde ich nachdenken, jedoch nicht sofort. Habe aber eine gedankliche Notiz gemacht, dass ich, wenn ich das nächste Mal alte Sachen überarbeiten, hier was steht, das ich u. U. berücksichtigen sollte. Danke nochmal.

San

 

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