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Karl und die Kleinstadtidylle

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27.08.2001
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Karl und die Kleinstadtidylle

Karl und die Kleinstadtidylle

Karl hat sich vor fünf Jahren ein Reiheneigenheim gekauft. Er erzählt mir gerade davon. Im Garten. Als er die Rosen gießt. Natürlich nicht bar, wie er mir anvertraut.
Im Geist buchstabiere ich gerade „Reiheneigenheim“ und entscheide mich dafür, es neben „Eigenheimzulage“ zum Unwort Nr. 1 zu erheben.
„Mußte ich auf die Hacke nehmen. Klar.“
Ich bin so fasziniert von der Perfektion seines Gartens, daß mir, aus den Gedanken gerissen, nur ein „Klar.“ als Antwort einfällt. Alles ist so sauber, rein und aufgeräumt. Schon hat man vergessen, daß man auf Pflanzen, Gräser – Natur eben blickt.
Karl, ganz der typische Mann - glaubt man „Brigitte“ - bemerkt meine geistige Abwesenheit nicht und redet weiter.
„Muß ja immer weiter gehen. Geld muß ja rein.“
Er hat einen kleinen Komposthaufen in der Ecke des Gartens, alles ist geschnitten, gestutzt und gestylt. Rechteckige Beete und Wege mit Obi Platten durch 10qm Wiese gelegt. Daneben eine 300 Liter Teichandeutung in der Goldfische ihrem Dasein fristen.
„Wir müssen schon rechnen. Ist nicht leicht.“
Das Geld hat ihn gekauft, schieß es wie eine Erkenntnis durch meinen Kopf. Und der Besitz, der lächerliche, unbedeutende, lachhafte Besitz des kleinen Mannes, dessen Wert erst durch die Relation des gewerkschaftlich austarierten Stundenlohnes definiert wird. Dieses bißchen eigene Tomaten, Bier auf der Terasse und Nagel in die eigene Wand klopfen, hat ihn tatsächlich gekauft.
„Die Teichpumpe machen wir nicht immer an, kostet ja einen Haufen Energie.“
Ich stelle mir vor, wie die Fische im Sommer röcheln und nach Luft japsen.
„Ja und die Fische? Die brauchen doch Sauerstoff!“
„Kriegen die doch! Haste schon mal im See eine Pumpe gesehen!?“

Karl arbeitet im Schichtbetrieb bei Höchst. Seit 25 Jahren. Er hat mir mal erklärt, was er macht. Irgendwas mit Kunstoffen und Qualitätsprüfung. Klang so, als bräuchte man einen Doktor für. Etliche Dinge in seinem Garten sind von Höchst: Der VA Stahl für den Grill zum Beispiel. In der Firma gleich geschweißt und zusammengebaut. Die Teichfolie, die Bohlen für die Terasse, die Beetumrandungen aus Beton. Weiß der Geier, wie er das alles durch das Kontrolltor geschleift hat, aber mittlerweile kenne ich so viele Höchst - Geschichten, daß mir einer erzählen könnte, er habe 2000 Tonnen Rohmetall durch den Torposten gebracht und ich würde es glauben.
Dann ist da noch seine Frau Katrin. Sie arbeitet halbtags als Putzkraft. Die beiden kämpfen sich so durchs Leben und den Alltag. Wolf Maahn fällt mir ein mit seinem Song „Kleine Helden“, wo er genau diesen Kampf der Kleinen besingt. Ihren Sohn Michael kann man nicht dazuzählen. Der kämpft weniger. Geht zwar zur Schule, macht demnächst seinen Realschulabschluss, aber ansonsten interessiert ihn naturgemäß alles einen feuchten Kehrricht. Außer Handies, Mädchen und funkferngesteuerten Autos natürlich. Michael ist nämlich 15 und damit in einer Phase wo Bundesliga Sammelaufkleber in etwa den gleichen Stellenwert wie die demnächst beginnende Berufsausbildung haben. Meistens sieht man ihn vor dem Fernseher, wo er sich Serien und sämtlichen anderen Schmodder reinzieht. Derart auf die Aufnahme von Informationen gepolt und das ständige Konsumieren, ist seine Sprache zu einem wirren Kauderwelsch diverser Laute mutiert, die in schneller und undeutlicher Wortfolge hintereinandergehangen werden. 150 bpm sozusagen. Technogeschwindigkeit.

Während ich mich wundere, wie man in dieser durchdesignten und von Architekten rationaldurchdachten Idylle auch nur halbwegs glücklich sein kann (denn sein Haus ist ein Niedrigenergiehaus für 2 Personen plus ein Kind), fordert mich Karl auf, mit ins Wohnzimmer zu kommen. Mitten drin im vorgefertigten und standardisierten Bauelement „Wohnen“, setzte ich mich gegenüber der Planwand „Wohnzimmeranbauschrank“ auf die Couch. In dieser ganzen Siedlung steht wahrscheinlich genau da an dieser Seite in jeder Wohnung der Schrank.

„Ich mache uns einen Kaffee!“
Er ist sicherlich stolz darauf, es zu etwas gebracht zu haben. Nicht nur das Haus, auch sein Auto und die Einrichtung und überhaupt das alles läuft. Er quasi das Schiff am Laufen hält.
Mit Katrin seiner Frau kann er indessen darüber nicht so gut reden. Die ist meistens still, sitzt auf der Couch und guckt Glücksrad oder andere Shows, die so nach des Tages Müh im Programm für die arbeitende Bevölkerung laufen.
Meist redet Sie nicht. Ihre Mundbewegungen beschränken sich auf das Saugen an der Zigarette. Eingefallen sind ihre Gesichtszüge. Ungesund braun. Ein zynischer Satz aus der Verwandschaft, war, das man das davon hätte, immer Nivea Gesichtscreme zu nehmen. Vielleicht ist es auch das viele Nikotin, daß sich mittlerweile sogar im Gesicht absetzt. Oder aber einfach ihr Leben, aber dann müßte Karl genauso aussehen.
Katrin liebt die Gleichförmigkeit, die Routine. Es gibt ihr wohl Sicherheit. Seit 15 Jahren spielt Sie ein und dasselbe Computerspiel. Täglich. Ich wage mir nicht vorzustellen, wie sich diese Form der Gehirnwäsche auswirkt. Ich glaube vielleicht wie 20 Jahre Shit rauchen oder so.
Karl indessen erscheint mir, gerade auch mit seiner Neigung zum Garten wie der einzig lebende Pol in einer toten Welt. Alles ist zum Stillstand gekommen. Kaum neue Impulse. Alles geht seinen geraden und geplanten Gang, „weil es ja weitergehen muß“.

„Willst Du Milch dazu?“
„Ähh...hm..ja gerne, danke Dir!“

Ein Leben so klar und durchdacht angelegt wie der Teich im Garten samt seinen Bewohnern darinnen. In aller Beengtheit und Beschränktheit. Was für die Fische der Teichrand, ist für Karl die Gartengrenze mittels Holzpallisade.

Ich muß hier raus, denke ich mir. Es wird zu eng. Mir bleibt langsam aber sicher die Luft weg. Wie den Fischen da draußen.. Es ist andererseits aber wie eine Sucht, wie ein böser Zwang alles aufzusaugen hier drinnen. Nichts zu verpassen. Der Reporter in mir erwacht wieder, drückt das Gefühl herunter, registriert und interpretiert.

Im Gedenken an alte Zeiten hat er sich im einzig verbliebenen freien Raum des Hauses eine Bar eingerichtet. Karl war nämlich mal ganz anders unterwegs. Da hätte er einen Lebensentwurf wie diesen schlichtweg abgelehnt.
In Erinnerung an Hardy und seine Kneipe also, in der damals schon die Welt viel schöner war als die Welt, hat er heute einige Spielautomaten, eine sich an der Decke drehende Kristallkugel, die das Licht in den ganzen Raum zurückwirft, und eine Mini Stereoanlage mit 2x 20 Watt, für nur 399 DM ein Schnäppchen bei Wal Mart gekauft und eingebaut. Eine selbstgebaute Theke ist auch darinnen. Mit einer zurechtgesägten Küchenarbeitsplatte drauf. Hier oben im Männer El Dorado kann er „sein wie er ist“.
Ich reise desorientiert in meiner Gedankenwelt umher, und frage mich wer er ist, was er will, wohin er geht, währenddessen er diese Frage so einfach und klar mit „Hardys Bar“ beantworten würde.

Ich muß hier wirklich raus. Es kotzt mich richtig an.

Aber ich tue ihm ja Unrecht. Er ist ein wirklich netter Kerl, der im Grunde nur seinen Frieden gefunden hat. Einen Frieden, der mir ob seiner Tellerrandposition schal ankommen mag, aber in dem er scheinbar glücklich lebt. Mißtrauisch beäuge ich die Szenerie, suche nach Dissonanzen im alltäglichen Theater, daß sich mir durch Telefonate und Gespräche offenbart, aber werde schlicht nicht fündig, was mich noch mißtrauischer werden lässt.

So werden Sie weiter leben. Ohne sich nach dem Morgen zu fragen oder dem Sinn. Sie werden aufstehen, arbeiten gehen und abends nach Hause kommen. Am Wochenende etwas Braten und ab viertel nach acht bißchen Wetten Dass mit Thomas Gottschalk. Sie werden älter, der Bub geht aus m Haus und dann kommt die Rente.
Wenn sie das alles hinter sich haben, schaut der eine den anderen an und fragt: „War es gut?“, erhält die Antwort: „Ja. Es war gut!“ und sie legen sich ruhig und zufrieden zum Sterben hin. Am Waldrand. Auf der neuausgebauten Friedhofserweiterungsfläche. 4 qm für jeden und 25 Jahre.

Nach dem Kaffee stehe ich hier auf der Straße und atme einmal tief durch. Karl hat mich verabschiedet und mir noch einen schönen Tag gewünscht. Wiederkommen sollte ich noch einmal; wäre schön. Etwas verunsichert und keinen Deut weiter als vorher, beschließe ich meine nunmehr sehr starke innere Unruhe zu nutzen und alles wenigstens einmal auftzuschreiben.

Vielleicht sind Sie weiter als ich, der einen Abend seines Lebens darauf verwandte sich über Dinge Gedanken zu machen, die er nicht ändern wird und deren Suche er vor 20 Jahren hätte aufgeben sollen, um Sie gegen die Zufriedenheit des Kleinbürgertums und seiner Beschaulichkeit zu tauschen. Genau das war immer mein Graus.

Aber heute, das war ein Blick in den Spiegel und das Erschrecken der darin gesehenen Grimasse. Zerrbild eines bis eben unerforschten Ichs. Grund der Unruhe. Nicht Karl ist schrecklich. Er hat mir ermöglicht, einen Blick in mich herein zu werfen.

Ich bilde mir ein zu sehen, wie Karl von hinten an mich herantritt, mir auf die Schulter klopft und mich anlächelt. Sein neuer Gartenkumpel.

Meine Haare an den Armen stehen ab.

 

Wenn dich die ganze Idylle ankotzt, warum wanderst du dann nicht einfach aus? :aua:

Ausserdem, so ist eben der Lauf der Zeit, dagegen kommst du auch mit dieser Geschichte nicht an. :p

Zwar ist diese Geschichte wiederum etwas zu typisch für den Alltag gewesen, die zudem auch noch einen Querverweis auf die Donald-Geschichten aus den Micky-Maus - Klassikern macht; dennoch im Bereich des Verdaubaren liegt.

Gruß, Hendek

 

Hallo Hendek!
Danke für Deine Kritik.
Es geht weniger um "dagegen ankommen"als um Schildern.

"...Lauf der Zeit."
Ist der zwangsläufig?
Und bei allen Gleich?
Ist das nicht etwas "platt"?
Auswandern?

...???

??????????????????
Verdaubar???????
Micky Maus und Donald??????
Oh mann....

Frank

[Beitrag editiert von: Frank am 29.01.2002 um 13:19]

 

Sehr fein geschrieben, Frank!

Wenn ich Dich richtig verstehe, geht es Dir also nicht um´s Kritisieren, sondern vielmehr darum, den Beginn eines Umdenkprozesses bei Deinem Protagonisten zu schildern?
Irgendwie ausgelöst durch Karl, den er nun als seinen wahren Freund erkennt?

Wenn Du das meintest, ist Dir die Geschichte in meinen Augen gelungen! ;)

Alles liebe
Susi

 

Danke Susi!
einer der mich versteht - heul.
Karl ist das Spiegelbild des Protagonisten. Seiner Ablehnung. Seines "so nicht sein Wollens" gepaart mit dem Erkennen - "Es ist ein Teil von mir", "ich kann mich nicht ausschließen".
Gegen was entwickelt man die größte Abneigung? Was bekämpft man in der Außenwelt?
Sich selbst.
Danke Susi.
Liebe Grüße
Frank

 

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