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Karma Police
Nicht umdrehen, nicht...
Es ist Sommer.
Ich laufe. Um mein Leben oder was noch davon übrig ist. Man hat es auf mich abgesehn. Sie sind hinter mir her. Die...nicht umdrehen, bloß nicht umdrehen! Was zum Teufel wollt ihr denn noch, will ich rufen. Kann nicht...keine...Luft. Ich kann euch nichts mehr geben, will ich rufen, alles, alles habt ihr mir genommen! Alles! Und trotzdem jagt ihr mich.
Ist es denn nie genug?
Ich fühle sie in meinem Rücken, sie sind schon ganz nah. Bald...
Ich will sie nicht sehen. Aber wenn ich meine Augen schließe, werde ich fallen. Fallen ist der Tod. Klack klack die Schritte auf dem Asphalt. Nicht umdrehen, bloß nicht umdrehen! Sie kriegen mich auch so.
Die Straßen werden schmaler. Die Stadt wird enger. Die Schlinge zieht sich langsam zu. Entsetzlich langsam.
Ein Zaun. Nicht hoch, noch nicht hoch genug. Springen, linke Hand in die Maschen gekrallt, rechte Hand daneben. Einatmen, ausatmen. Zu rasch. Wenn das so weiter geht, kollabiert mein Herz. Vielleicht das bessere Ende.
Mein Fuß, zerrt da was an meinem Fuß? Nur der Wind, sicher nur der Wind, oder...
Schnell hochgezogen, ein Ruck, ein Sprung. Schon vorbei. Schon über den Zaun hinweg. Aber was ist mit...Nicht umdrehn, bloß nicht umdrehn! Wohin? Weg, um die Ecke und die große Straße runter. Inmitten all der Menschen werden sie es nicht wagen. Aber was ist, wenn...Hilfe! Hört mich denn niemand, habe ich überhaupt geschrien? Und ist es die Welt, die dort vorbeirast? Sollte das eben die Welt gewesen sein?
Da sind: Menschen, die zur Seite springen, erschrockene Gesichter. Gefangene des Augenblicks. Schreie, Lachen, Reden, Flüstern, Stille.
Stille?
Sehe: Ein Kind, die Augen groß, der Zeigefinger streng auf mich gerichtet, nein, nein, auf sie gerichtet, die Verfolger. Einen alten Mann, er zieht an seiner Pfeiffe und lächelt. Mit den Rauchringen weht sein Lächeln langsam davon.
Sie und ich, es gibt nur noch sie und mich. Die Schritte. Klack klack. Immer näher, immer näher! Ich muss weiterlaufen, einfach weiterlaufen. Früher oder später werden sie mich vergessen, ja, vergessen, ewig können sie mich nicht verfolgen. Bestimmt haben sie noch andere, wichtigere Aufträge. Ich bin ein kleiner Fisch, nur ein kleiner F...warum überhaupt ich?
Ich fühle sie. Links rechts überall. Sie beobachten mich! Dort im Fenster! Und da drüben! Wie soll ich denn laufen, wenn ihre Blicke wie Gewichte an mir kleben. Ich kann so nicht, ich kann so nicht, ich muss!
Laufen...nur noch ein bisschen, nur ein Stückchen noch. Die Blicke, die Blicke. Auf was warten sie denn? Ist das ein Spiel? Spielen sie mit mir? War das ein Lachen? Oder...nur...mein...Keuchen. Einatmen, ausatmen. Nicht so hastig. Ruhig bleiben. Ruhig bleiben! Scheiße scheiße scheiße!
Überall! In jedem gottverdammten Fenster, zwischen Blumen und Gardinen sitzen sie, tarnen sich als Fensterbilder. Aus parkenden Autos und Schaufenstern starren sie mich an. Einer gleicht dem andern. Eine Art Uniform, es muss eine Art Uniform sein. Und ihre Gesichter, will sie gar nicht sehen, will die Augen schließen, aber dann werde ich fallen. Fallen ist der Tod. Ich laufe, laufe immer weiter, immer rascher, immer und immer...
Unwirkliche Geräusche. Ein Presslufthammer donnert irgendwo. Oder nur mein Herz? Mein Gott, ich halte das nicht länger aus. Nicht umdrehen, bloß nicht umdrehen!
Sie kommen immer näher. Klack klack die Schritte auf dem Asphalt. Dort vorne ein Cafe. Sie werden mir nicht folgen, bestimmt werden sie mir nicht folgen. Es ist schon ganz nah. Ganz nah. Klack klack. Fühle Hände, die sich nach mir strecken. Stürze auf das Cafe zu und werfe mich in die Tür. Schwingt auf. Hastig zwischen den Tischen hindurch, wohin wohin wohin, Panik, irgendjemand ruft etwas. Eine Warnung, eine Drohung?
Die Beine zittern. Stolpern. Bloß nicht fallen. Fallen ist der Tod. Ein Stuhl kippt um. Metall auf Stein, Lärm auf Stille. Alles starrt mich an. Blicke voller Hass. Sie sitzen regungslos, in den Händen blitzen blanke Gabelspitzen. Der erste erhebt sich. Panik. Ich laufe los. Raus hier, einfach weg. Ganz hinten sind die Toiletten. Ein Fluchtweg, ein Fluchtweg ist alles, was ich brauche, ein kleines Fenster, nur eine Ritze, ich bin ein kleiner Fisch, nur ein kleiner F...
Jemand betritt das Cafe. Ein kühler Hauch begleitet ihn. Klack klack. Nicht umdrehn, bloß nicht umdrehn! Die Hand auf der Türklinke. Ein kalter Schauer. Drinnen. Lehne meinen Rücken an die Tür und stöhne. Waschbecken, weiße Kacheln an den Wänden, Neonlampen blenden mich. Die Schritte sind verstummt. Ein flüchtiges Lächeln. Abstoßen und Vorwärtstaumeln. Ein schneller Blick zur Seite. Erstarren. Sie sind auch hier, haben hier die ganze Zeit gewartet. Woher haben sie gewusst...Mein Gott! Es gibt kein Entrinnen. Weglaufen wäre sinnlos. Ich gebe mich ja schon geschlagen, seht her, ich gebe auf, aber bitte, bitte...
Die Augen geschlossen, erwarte ich das Unvermeidliche. Warte, warte. Nichts geschieht. Aus dem Cafe dringt gedämpftes Stimmenraunen. Kein Anzeichen von Gefahr. Ich blicke auf. Ihre Augen sind immer noch auf mich gerichtet. Einer von ihnen steht mir gegenüber. Angesicht zu Angesicht. Sein Ausdruck verrät nichts. Er greift nicht an, er ist nur ein...Wächter. Was zum Teufel wollt ihr denn noch, will ich rufen. Ich kann euch nichts mehr geben, will ich rufen, alles, alles habt ihr mir genommen! Und trotzdem jagt ihr mich wie...Warum gerade mich? Ich flehe euch an! Warum? Ist es nicht genug? Ist es denn nie genug?
Keine Regung. Nur etwas wie ein Flackern, dort in seinen Augen...ist das...kann das etwa...Furcht? Unmöglich. Und wenn schon, das Spiel ist aus, sie haben gewonnen. Worauf wartet ihr denn? Fangt schon an. Wozu diese unsinnige Qual? Beginne zu schluchzen. Im selben Moment öffnet der andere seinen Mund. Ich warte auf Worte. Warte. Es ist eigenartig. Wieso kann er nicht auch zu mir sprechen? Sehen kann er mich schließlich. Und zwar...durch ihn durch. Durch...den Spiegel. Wie sollte ihn denn der verdammte Spiegel am Sprechen hindern? Ist es vielleicht so, dass...? Aber warum hat er dann...
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