Was ist neu

Katzenfutter

Mitglied
Beitritt
06.05.2005
Beiträge
27

Katzenfutter

Ich höre das Surren der Belüftungsanlage. Das gleichbleibende Rauschen des sich drehenden Rotors versetzt mich in eine angenehme Ruhe. Entspannt sitze ich in meinem Zimmer und erfinde eine Melodie. Sie gefällt mir. Viele Menschen können im Kopf Musik hören, und ich frage mich, wie die einzelnen Instrumente im Gehirn gespeichert sind. Ich kann die Frage nicht beantworten. In regelmäßigen Abständen wird die Belüftungsanlage lauter, so wie jetzt. Das kräftigere Rauschen löst in mir ein angenehmes Kribbeln aus. Dann stockt der Rotor, bleibt stehen und dreht normal weiter. Ich schaue durch das Fenster vor mir, und sehe das Licht eines Hauses, umgeben vom Halbdunkel der Dämmerung. Die Melodie passt zu diesem Bild, sie ist das Licht des Hauses. Sie strahlt, sie tritt aus den begleitenden Rhythmen und Bässen hervor, und lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, so wie das Licht in der Dämmerung. Etwas fehlt meiner Melodie, ja – es ist die Begleitung. Sie muss zur Dämmerung passen. Ich lasse das Halbdunkel auf mich wirken und verfalle in eine kurze Denkstarre. Mein Gehirn geht, das vermute ich zu mindestens, im Unbewussten alle möglichen Instrumente durch, spielt sie in von mir bevorzugter Art, und meldet das gefundene. Ich erwache aus der Denkstarre und habe das Gefühl einer genialen Eingebung. Leichte Euphorie macht sich in mir breit. Es passt, ja es passt. Ich habe die Begleitung gefunden. Das muss unbedingt aufgenommen werden, denke ich, und beschließe, den Keller aufzusuchen. Ich gehe durch die offene Tür meines Zimmers, die Treppe hinunter in das Erdgeschoss, durch die stille Diele an dem großen Spiegel vorbei. Vor der Kellertür denke ich an den Geruch, der mich gleich umgeben wird.

Ich öffne die Tür, der mir bekannte Katzenfuttermief zieht in meine Nase. Ich gehe die kalten, harten Stufen der engen Treppe hinunter und befinde mich im ersten Kellerraum. Er ist klein und fensterlos. Die schlechte Beleuchtung nimmt den kühlen Betonwänden etwas von ihrer eisigen Ausstrahlung. Links neben mir steht eine Packung mit Trockenfutter auf einem wackeligen Holzschemel. Der Karton ist rot und mit einem großen Katzengesicht bedruckt. Ich gucke die verträumt blickende Katze an und stelle mir vor, wie sie meine Melodie singt. Das Gejaule in meinem Kopf hört sich schrecklich an, aber gleichzeitig auch mystisch. Es sind die menschlichen Tonwechsel, die eine Katzenstimme geisterhaft erklingen lässt. Die Töne verhallen leise. Der blutrote Hintergrund der Verpackung scheint sich, zu mindestens in meiner Wahrnehmung, mit dem Katzenbild zu vermischen, ineinander zu verlaufen, wie zwei Aquarellfarben. Ein leichter Schauer durchfährt meinen Körper. Die rote Farbe erinnert mich an etwas. Hatte ich es nicht verdrängt? Der grausame Fund, den ich machte... Ein Mord? Ich will nicht daran denken.
Ich erinnere mich, dass ich alleine bin. Unbehagen macht sich in meinem Magen breit. Ich löse meinen Blick von der Packung und gehe in den zweiten Raum, in den Musikraum.

In der Mitte stehen Schlagzeug und E-Gitarre, auf einem beinahe quadratischen Perserteppich. Links neben mir ist ein unsortiertes Regal. Papiere quellen aus den Schubladen hinaus, unwichtige Dinge lagern in den Fächern. Auf dem Boden liegen Notenblätter von Liedern, die ich lange nicht mehr gespielt habe. Es ist kalt. Ich drehe die Heizung auf, die unter einem großen Fenster hängt. Ich schaue hinaus und sehe im Lichtkegel der nach außen tretenden Zimmerbeleuchtung unseren schmalen Rasen. Er mündet, wenige Meter vom Fenster entfernt, in einen Wald mit Bäumen, die ich nur schemenhaft erkenne. Es macht mir Angst, dass ich von Außen gut beobachtet werden kann, während meine Sicht nach draußen eingeschränkt ist. Waldtiere könnten mir zuschauen. Ach, das ist mir egal. Aber Personen, die im Wald stehen, bei der Finsternis. Was ist mit denen? Ich will es mir nicht vorstellen. Ich greife zum Rollo, wie ich zur Fernbedienung greife, wenn ein Film unerträglich wird. Das Rollo ist die Lösung. Es bedeckt die Scheibe und behindert den Lichtaustausch. Ich sehe niemanden, und niemand sieht mich. Ich ziehe an der Schnur. Das Rollo bewegt sich nicht. Ich ziehe kräftiger, doch der Widerstand bleibt. Wenn ich jetzt ein an die Scheibe gepresstes Gesicht sehe, eine leichenblasse Fratze mit starren Augen, oder eine grinsende Maske mit grausigen Zügen, hinter denen sich ein Mörder verbirgt, was dann? Ich will die Frage nicht beantworten. Tatenlos stehe ich vor dem Fenster und höre dem Glucksen der Heizung zu. Mach was, sage ich zu mir. Jetzt mach was. Mit voller Kraft ziehe ich an der Schnur. Das Rollo gibt nach, rollt sich knatternd aus und bedeckt die Scheibe. Ich setzte mich auf einen kleinen Drehhocker, dessen bewegliche, eiserne Innereien im unangenehm hohen Ton quietschen, und greife zur Gitarre. Sie stößt gegen das Gestell der Basstrommel, das Fell beginnt zu vibrieren. Ich lege die Gitarre auf meinen Schoß und spiel einen Akkord. Die Stahlsaiten geben ein schräges Tongewirr von sich. Sie sind verstimmt. Ich mustere die Saitenaufhängung und die verstaubten Pickups. Mir fallen die beiden Aufkleber auf, die ich vor Jahren auf das schwarz lackierte Gitarrenholz geklebt hatte. Der grüne Palmensticker aus Stoff passt nicht zum dunklen Hintergrund. Der Totenkopf daneben passt gut. Der Totenkopf mit den großen, eckigen Augen. Er grinst mich an. Warum grinst der so? Mein Herzschlag beschleunigt sich. Ich kenne das Grinsen. In meiner Kindheit bin ich ihm oft begegnet, jeden Tag. Der alte Sofasitzer im Wohnzimmer grinst genauso. Er sitzt und sitzt, ohne sich zu Bewegen, seit zwanzig Jahren an der gleichen Stelle. Die Tonhände zum Gebet gefaltet, starrt das Gesicht der Harlekinspuppe mich spottend an, erst recht in meiner Erinnerung. Der alte Spötter. Ich stelle mir seine braunen Glasaugen vor. Blut tritt aus ihnen hinaus.

Ich drehe mich auf dem Hocker und suche das Stimmgerät. In meinem Rücken spüre ich das Rollo, das die Finsternis verdeckt. Was ist dahinter? Verdammt, wo ist das Stimmgerät. Was ist dahinter? Irgendetwas stimmt nicht. Ich habe Angst. Ich denke an die grausamen Morde, an die Schädel, die ich im Wald gefunden habe. Schädel von Menschen. Als Kind habe ich sie gesehen, im Wald und in meinen Alpträumen. Sie grinsten, sie bluteten, bis ich schweißgebadet aufwachte. Ich stehe auf und gehe langsam zur Tür. Ich blicke nach hinten und sehe das Rollo. Es hängt bewegungslos vor dem Fenster. Ich blicke nach vorne. Im Regal sehe ich das Stimmgerät. Ich versuche mich an die Melodie zu erinnern, sie fällt mir nicht ein. Ich konzentriere mich, höre das Glucksen der Heizung. Die Melodie ist vielleicht für immer verschwunden. Leichter Katzenfuttermief zieht in meine Nase. Ich höre nichts unberuhigendes.
RATSCH. Ich zucke zusammen, mein Puls rast. Der Krach kam von hinten. Es war laut, schnalzend, wie eine sich aufrollende Walze, wie ein riesiger Reisverschluss. Ich drehe mich um. Durch das Fensterglas sehe ich die Dunkelheit. Das Rollo hat sich aufgerollt. Panisch renne ich zur Tür, befinde mich im ersten Kellerraum. Ich sehe die Katzenfutterpackung, auf dem Boden. Die Katze blickt nicht verträumt. Ich sehe sie nicht mehr. Ich sehe einen Katzenschädel, verschwommen im blutroten Hintergrund der Verpackung. Mir wird übel. Meine Beine werden schwach. Die Unterschenkel zittern, können mich kaum noch tragen. Der Magen ist flau, sendet einen Brechreiz an mein Gehirn. Auf einem Schlag erschlaffen die Muskeln, ich falle auf die Knie. Was ist mit mir los? Ich kann mich kaum halten, lege mich auf den Boden. Alles ist verschwommen. Was ist mit mir los? Was ist passiert?

»Hast du die Schädel gefunden?«
»Wer spricht da?«
»Hast du sie gefunden?«
»Ja.«
»Wo?«
»Im Wald, im Garten. Aber wieso...«
»Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ein Mord?«
»Ich glaube ja. Niemand wollte mit mir reden.«
»Siehst du was?«
»Was soll das?«
»Siehst du was?«
»Nein.«
»Hörst du was?«
»Ja.«
»Was?«
»Wer spricht da?«
»Was hörst du?«
»Verdammt, wer spricht da?«
»Du weißt es.«
»Ich weiß es nicht.«
»Höre zu und du weißt es.«
»Aber...«
»Was hörst du?«
»Ich höre...«
»Sag es!«
»Jemand pfeift meine Melodie.«

 

Tag!

Ich weiß nicht ob ich heute einfach nur an Hirnverstopfung leide oder ob deine Geschichte wirklich so ... seltsam ist, aber ich habe keinen blassen Schimmer um was es da geht. Bitte klär mich auf, vorher will ich keine Kritik loslassen ;-)

Gruß
Mike

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Mike,

du hast Recht, meine Geschichte ist seltsam, so sollte sie auch sein. Ich hoffe nur, dass sie nicht zu seltsam ist.
Deswegen interessiert es mich, wie sie auf den Leser wirkt, ob sie zu verwirrend ist, ob ein roter Faden zu erkennen ist, ob so etwas wie Horror oder Grusel aufkommt.
Es ist die erste Geschichte, die ich hier veröffentlicht, und die zweite, die ich überhaupt fertiggestellt habe. Daher bin ich ein Neuling im Gebiet des Schreibens, und offen für jede Kritik.

Kurz zum Inhalt:
[Inhaltsangabe gelöscht]

Gruß,
Larvalis

 

Ah ja, nach deinen Erklärungen versteh ich den Text so langsam.

Allerdings... wäre die Geschichte in einer Kurzgeschichtensammlung oder einer Zeitschrift oder wo auch immer, dann hätte ich niemanden, der sie mir erklären könnte. So gesehen muss ich sagen, daß mir die Geschichte nicht sonderlich gefallen hat, ganz einfach deshalb weil alles viel zu verworren und ohne Zusammenhang ist. Einen roten Faden konnte ich nicht entdecken, außer dass der Prot. leicht paranoid ist.

Außerdem: müsste der Prot. dann nicht öfter solche Flashbacks haben? Die Katzenfutterpackung steht da ja sicher nicht erst seit gestern.

Wenn ich deine erklärenden Worte außer Acht lasse bleibt (für mich) nur eine ziemliche fade Beschreibung des Alltags einer Person. Er geht zum Gitarrespielen in den Keller ... wird ohnmächtig und sonst passiert nicht viel. Nicht besonders spannend oder gruselig.

Wenn du deine Erklärung jetzt noch in eine packende, weniger verworrene Geschichte umsetzen könntest, könnte ich dir eine detailiertere Kritik liefern. So musst du dich mit meinem wenig hilfreichen Bla Bla zufriedengeben ;-)

Gruß
Mike

 

Hallo Larvalis,

vom Stilistischen her finde ich die Geschichte ziemlich gut geschrieben, weiter so.

Inhaltlich muss ich mich leider meinem Vorredner anschließen. Der Leser versteht nicht wirklich worum es bei deiner Geschichte geht und leider besteht alles aus sehr seltsamen Zusammenhängen. Da ich nur "Laie" bin, kann ich aber mit Sicherheit behaupten, dass der wirkliche Sinn der Geschichte, den du in deinem Statement beschrieben hast, nicht rüber gekommen ist. Versuche doch einfach noch mehr Details miteinfließen zu lassen, so dass der Leser versteht, worum es in der Geschichte geht.

Gruß
FunkerGirl

 

Hallo FunkerGirl,

Danke für das Kompliment. Es freut mich, dass dir die Geschichte zumindest stilistisch gefallen hat.
So langsam fällt mir auf, dass ich der sprachlichen Umsetzung und einigen Effekten mehr Aufmerksamkeit gewidmet habe, als dem Plot selbst. Daher kommt der Plot wohl nicht so rüber, wie ich es mir gedacht habe, und die Spannung geht flöten.
Na ja, beim nächsten mal werde ich versuchen, das zu verbessern.

@Mike1978:
Deine Kritik war sehrwohl hilfreich ;-)

Bis dahin ist Kritik zu dieser Geschichte natürlich weiterhin willkommen!

Gruß,
Larvalis

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Vielleicht,

vielen Dank für deinen netten Kommentar. Ich freu mich, dass du dir meine Geschichte mal zu Gemüte geführt hast. Das mit den Absätzen stimmt schon, da überlege ich mal, wo man noch einen setzen könnte.
E. A. Poe habe ich zuvor relativ viel gelesen, vielleicht kommt daher die leichte Ähnlichkeit, wobei stilistisch schon ein großer Unterschied besteht.
Ich finde es schön, dass du einen Sinn für solche Geschichten hast, die keinen sofort einleuchtenden Sinn haben, die mit verwirrenden, wiederkehrenden Elementen bestückt sind. Das ist echt nicht jedermanns Geschmack (meiner auch nicht immer). Es kommt wahrscheinlich auch auf die Stimmung an, in der man liest.
Vom Gefühl her hatte ich einen dieser verwirrenden Psycho/Horror-Filme vor Augen, als ich das schrieb.
In gewisser Weise habe ich auch methodisch geschrieben, das hast du treffend erkannt. Nur ob das jetzt ein Vor- oder Nachteil ist, ob es in diesem Fall zu methodisch war... :hmm: ist wohl auch Geschmackssache.

Gruß,
Larvalis

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom