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Keep Smiling
“Wagen 21 bereit machen zum Ausrücken! Wagen 21! Erdinger Straße,
Richtung Markt Schwaben, zwischen Harthofen und Reithofen, ..”
Mehr musste ich vorerst nicht hören. Sofort rannte ich zum Feuerwehrwagen und sprang hinein, die Worte der Durchsage immer im Ohr. Sie war doch noch in genau dieser Richtung unterwegs gewesen.
Ich erkannte den Wagen sofort, obwohl es unaufhörlich schneite. Mein Blick auf das Kennzeichen des kleinen, grauen VW Polo bestätigte meinen schrecklichen Verdacht.
Mit Tränen in den Augen starrte ich auf das Wrack. Niemand beachtete mich, denn alle waren sofort mit ihrer Arbeit beschäftigt. Ich wollte mich vorwärts bewegen, einen der Polizisten fragen was passiert war, meinen Kollegen helfen. Doch keines meiner Beine bewegte sich vorwärts, so sehr ich es auch wollte.
Ich wusste zwar noch nicht was passiert war, aber mein Gefühl sagte mir das Schlimmste.
Lange stand ich nur da und ließ die Tränen laufen.
Erst als ich den Rettungshubschrauber abheben sah, regte sich etwas in mir, sofort war ich hellwach und rannte auf den Polizeibus zu, der etwas abseits geparkt war.
“Wie geht es ihr? Ist sie sehr schlimm verletzt?”, in meiner Verzweiflung schrie ich den Polizisten regelrecht an, doch der stellte mich mit einem einfachen Satz ruhig:
“Ich kann Ihnen im Moment keine Auskunft geben!“, er hatte mich also nicht einmal angesehen, wie ich in meiner Uniform neben ihm stand.
Später fiel mir der Mann auf, der dort saß und befragt wurde. Sein Arm war zwar dick eingebunden, aber ansonsten schien er keine weiteren körperlichen Schäden zu haben.
Doch wie ging es ihr?
Wieder wandte ich mich an den Beamten, doch auch diesmal war er zu keiner vernünftigen Aussage bereit. Lediglich den Namen des Krankenhauses, in das sie eingeliefert wurde, bekam ich notiert. Den Rest solle ich von meinem Hauptmann in Erfahrung bringen.
Also machte ich mich gleich wieder auf den Weg zur Unfallstelle. Inzwischen war ein Abschleppwagen informiert worden, der den zerstörten Polo auflud.
Ich wollte wissen was passiert war, konnte diese Ungewissheit keine weitere Sekunde ertragen.
Ich setzte mich auf einen der harten Plastikstühle, die im Wartezimmer der Intensivstation aufgestellt waren, den warmen Kaffeebecher in meiner Hand fest umklammernd, als wäre er im Moment mein letzte Halt.
Bis auf eine älteren Dame, die in eine Diätzeitschrift vertieft war, war der grell erleuchtete Raum leer.
Worauf sie wohl wartete?
Ich war sofort ins Krankenhaus gefahren, hatte es nicht mal für nötig gehalten mich umzuziehen. Doch auch an der Rezeption konnte man mir keine Auskunft über ihren momentanen Zustand erteilen. Ich solle warten, ein spezielles Ärzteteam kümmere sich um ihre schweren Verletzungen. Außerdem sei man zu keiner Auskunft bereit, da erst ein Familienmitglied um Erlaubnis gebeten werden müsse.
Ich weiß nicht wie lange ich dort saß und es schien mir endlos viel Zeit zu vergehen, bis sich ihr Bruder neben mich setzte und wir Zugang zur Informationsquelle hatten. Doch trotz seiner Gegenwart fühlte ich den Kloß in meinem Hals, der mir fast die Luft nahm. Die Verzweiflung und die Leere in mir raubten mir den Verstand, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es war nicht annähernd so wie damals, als ich bei der Beerdigung meiner Nachbarin dabei war, es war viel, viel schlimmer. Ein Gefühl, das mich innerlich zerbersten ließ.
Es vergingen Stunden um Stunden und kein Arzt ließ sich blicken. Jedes Mal wenn ein weißer Kittel auf dem Gang vorbeihuschte sprangen wir auf, merkten aber schnell, dass es nicht der ersehnte Doktor war.
“Herr Ilze?”, “Ja?”
Ich musste eingeschlafen sein, denn ich schreckte hoch, als ich die Stimmen hörte.
Ein junger Mann stand im Türrahmen des Wartezimmers. Ich merkte wie sich Ben neben mir regte und dann aufstand. Ich nahm sofort einen Hoffnungsschimmer in seinen Augen war.
“Wir haben soeben auch Ihre Eltern erreicht. Sie werden schnellst möglich einen Rückflug buchen und bald hier sein.”, mein Herz klopfte mir bis zum Hals und Schweißperlen traten mir auf die Stirn.
“Nun, Sie wissen sicher was passiert ist, Ihre Schwester hat bei dem Unfall schwerste innere Verletzungen davongetragen. Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, aber nun muss sie mit eigenen Kräften durchkommen. Wenn Sie wollen, können Sie zu ihr.”
“Vielen Dank.”
Er streckte mir seine Hand entgegen um mich hochzuziehen, dann folgte wir dem Arzt den Gang hinunter.
Es dauerte nur wenige Minuten wir in langen weißen Besucherkitteln vor der großen Tür zum Zimmer standen. Durch die kleinen, runden Fenster sah ich sie, wie sie blass und schwach in dem Gitterbett lag. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Ben das Wasser in die Augen stieg. Überall um sie herum waren Maschinen und zahlreiche Schläuche verbanden sie mit den verschiedensten medizinischen Instrumenten. Ich konnte es kaum ertragen mit anzusehen, wie hilflos sie war.
Fast im selben Moment zogen wir uns beide einen Stuhl heran. Im ganzen Raum roch es nach Desinfektionsmittel und Gummi. Das Licht war gedämmt, damit es sie nicht blendete.
Mit tränenverschleierten Augen blickte ich auf ihren Körper. Wie schön sie trotz Kopfverband und etlichen Schrammen doch war. Dann nahm ich vorsichtig, um keine der Kanülen zu berühren, ihre Hand und sah in ihre matten, grünen Augen.
“Valerie. Warum? Wir lieben dich doch. Du bist doch meine beste Freundin. Bitte, du musst kämpfen, versprich es mir. Wir brauchen dich doch. Hörst du? Verdammt, wir brauchen dich Valerie!”
“Schwesterherz, bitte. Tu uns das nicht an. Du musst dich durchbeißen! Ich weiß du schaffst das, du bist doch stark! Wir helfen dir. Zusammen haben wir doch immer alles hingekriegt. Bitte lass uns nicht im Stich..” Seine Tränen erstickten die letzten Worte.
Mit schwachem, glasigem Blick sah sie erst ihn, dann mich an.
Sie lächelte, “Hey, keep smiling!” Dann schloss sie die Augen.
Der schrille Dauerton der Maschine ließ mich hoffnungslos zurück. Das Letzte was ich sah, war die horizontale Linie auf dem Monitor, dann wurde um mich herum alles schwarz.