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Keine Ahnung!
Ich hasse Fehler, hasse Spontanität, hasse Unerwartetes, hasse fremde Gebiete, in die ich zum ersten Mal vordringe. Keine Disco, keine Dates und erst recht keine Blind-Dates. Am liebsten verlasse ich mich auf die verschiedenen Fähigkeiten, die ich habe, stehe auf den Gebieten, die ich bereits kenne und lass das Fernglas in der Tasche, will gar nicht wissen, was andere für Spaß haben, wenn sie in diese fremden Gebiete eindringen. Vielleicht habe ich deswegen so wenige Liebschaften. Vielleicht bin ich penibel und verbohrt und vielleicht habe ich auch einen Sprung an der Schüssel. Es ist mir egal, denn ich kam mit meiner Art bisher ganz gut durchs Leben. Es ist schön, wenn man das Gefühl besitzt, vorbereitet zu sein. Ich besitze es.
Ob, Britta sagt, das ich verrückt bin, ob Kalle mich auslacht, ob Theo mich beschimpft, ob Gäste mich anschnauzen, weil ich sie bitte Folien über ihre Füße zu stülpen damit kein Dreck auf den Teppich kommt. Mich kümmert es nicht. Denn sie wissen anscheinend gar nichts von all den Vorteilen, die der vorbereitete Mensch mit sich trägt.
Jeder Tag ist fest geplant, schon strukturiert bis ins kleinste Detail. Jede Stunde ist in meinem Terminplaner notiert, der vorgesehene Verlauf niedergeschrieben, ja, selbst der Schlaf ist als zeitliche Phase der Nacht eingeteilt, denn ich hasse es, wenn es nicht so läuft, wie ich es will. Irgendwie überkommt mich dann ein bedrängendes Gefühl der Hilflosigkeit. Als würde alles außer Kontrolle geraten. Deswegen versuche ich alles schon vor den Geschehnissen selbst zu bestimmen, versuche vorrausschauend in die Zukunft zu blicken um schließlich jeder Situation gewachsen zu sein. Von der Arbeit bis zur Heimfahrt, von der Heimfahrt bis zur Freizeit. Das Spülen, das Putzen, das Essen und auch das Trinken. Ich weiß, wann was geschieht, weiß, was ich zu tun habe, besitze eine Routine, die anderen Menschen fehlt... bisher hatte ich immer eine Verhaltensweise zu entgegnen, konnte immer eine Methode zur Lösung abrufen und besaß zahlreiche Varianten des Vorgehens. Probleme kenne ich nicht...
Leider gerate ich jetzt an meine Grenzen:
Sie ist verschlossen. Einfach so. Als hätte jemand von außen Sicherheitsschlösser angebracht, doch schon allein der Gedanke daran, das sich jemand von außen an der Tür meines Appartements zu schaffen macht, ist verrückt. Andererseits habe ich in den dreißig Jahren meines Lebens schon viel erlebt. Warum sollte es nicht auch ein paar verrückte Jugendliche geben, die Lust auf irgendeinen dämlichen Streich haben, sich einige Bretter schnappen und die Tür von Herrn Krause zunageln. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir noch nicht einmal ein, welches Gesetz denn dagegen sprechen würde, die Tür eines fremden Appartements zu verriegeln. Würde es unter Freiheitsberaubung oder vielleicht unter Sachbeschädigung fallen? Na, ist ja nicht so wichtig, das System der deutschen Justiz war noch nie sehr klar strukturiert und bevor ich mich schon mit der Zukunft befasse, sollte ich mir doch erst einmal die viel entscheidendere Frage der Gegenwart stellen: "Wie komm ich hier raus?"
Schon allein bei dem Gedanken daran, dass ich mich gerade gefragt habe, wie ich meiner eigenen Wohnung entkommen könnte, wird mir ein wenig schlecht - Ich wusste, das auf den Straßen, in den Gassen und in der U - Bahn Acht gefragt ist, aber nicht in meiner eigenen Residenz. Dort wo ich lebe. Wo soll man sich denn noch sicher fühlen, wenn man nicht einmal mehr zuhause sicher sein kann.....
Noch eine Stunde. Noch eine verflixte Stunde. Dann muss ich vor dem Schreibtisch sitzen und im gleichmäßigen Zehnfingerrythmus auf die Tasten des Laptops drücken. Immer wieder bedrängte Blicke auf die Uhr. Meine Augen folgen dem Sekundenzeiger, der sich unaufhaltsam weiter im Kreis dreht. Ohne Pause. Die gleiche Bahn und erneut die gleiche Bahn. Wohl oder übel kann ich es wohl vergessen, noch zur rechten Zeit auf der Arbeit zu erscheinen, doch das ist jetzt auch erst mal egal. Ich muss hier raus. Ich brauche eine Lösung, eine Variante, eine Möglichkeit.
Im sechsten Stock aus den Fenstern zu klettern, wäre ein wenig wagemütig und würde bei meinen sportlichen Künsten zweifellos mit mindestens einem Knochenbruch, viel wahrscheinlicher aber mit dem Tod enden. Selbst die Lianen, die sich von der Dachrinne bis zum Boden an der Backsteinwand entlang schlängeln, können mich nicht überzeugen. Außerdem glaube ich nicht, das eine Pflanze einen achtzig Kilo schweren Mann aushält. Nein...
Ich greife den Hörer, überlege einen Augenblick, dann lege ich ihn wieder auf...
Wen sollte ich anrufen?
Freunde!
Welche Freunde?
Ich habe keine! Die haben mich alle verlassen!
Die Polizei?
Was soll ich denen denn sagen?
Ich bin in meiner Wohnung eingesperrt! Bitte helfen sie mir!
Die lachen mich aus!
Ich bin wohl zu...wie soll man sagen...zu...zu...einsam um jemanden zu haben,den ich anrufen könnte.
Ich schlucke, hole tief Luft und empfinde ein mir bisher fremdes drückendes Gefühl in meinem Magen. Als wäre dort nur noch ein Vakuum, völlige Leere. Es drückt, es presst. Oh......ich, ich... ich stehe. Ich stehe allein. Ohne Wissen.
Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr. Aber doch muss ich, denn egal, was ich tue. Ich drehe mich im Kreis. Keine Kraft, keine Wahl, keine Möglichkeit. Egal welchen Schritt ich gehe, egal, was ich anpacke und was ich versuche; ich komme nicht von der Stelle. Wie befangen in meinem eigenen Gefängnis...
Tränen, das sind Tränen. Zum ersten Mal in meinem Leben beginne ich zu weinen.