Was ist neu

Keine Wiederkehr

Mitglied
Beitritt
18.12.2009
Beiträge
2
Zuletzt bearbeitet:

Keine Wiederkehr

Das Baby rührt sich nicht, es scheint eingeschlafen zu sein. Die Frau, die den Kinderwagen durch die Kälte schiebt, schaut es an. In ihrem Gesicht ist ein Lächeln erkennbar, doch ihr Blick ist gequält und leer. Glücklich scheint sie nicht.
Der Wind streift die Haare der jungen Mutter. Er lässt die Ästchen einer grossen Linde baumeln, als wolle er sie in den Schlaf wiegen. Unter der Macht des gewaltigen Baumes steht ein kleines, altes Haus. Die Frau hebt ihren Kopf und schaut hoch zur Krone. Sie zählt. Dreizehn Raben. Das Krächzen ist unüberhörbar - beängstigend. Sonst ist alles ruhig, unheimlich ruhig.

Als sie beim Haus angelangt ist, öffnet sie die Tür, tritt ein, das Baby auf ihrem Arm, ein Plüschhäschen in der Hand, und verschwindet gleich darauf im Schlafzimmer. Sachte legt sie den Säugling in seine Wiege, das Plüschtier neben seinen Kopf. Sie schaut auf die Uhr. Ach du liebe Zeit! Schon zehn vor fünf, es wird langsam Zeit, meinem Kleinen die Milch heiss zu machen, er wird bestimmt bald aufwachen. In der Küche füllt sie eine Pfanne mit Wasser und stellt sie auf eine Herdplatte. Auch die Flasche mit dem Milchpulver steht schon bereit. Geduldig wartet die Mutter bis das Wasser köchelt.

Das Telefon klingelt. „Hallo Schatz, wie geht es dir?“, tönt es besorgt vom anderen Ende der Leitung. – „Gut, danke.“, antwortet sie freundlich, aber knapp. Sie versteht nicht, weshalb ihr Mann sie in den letzten Tagen ständig anruft und nach ihrem Wohlbefinden fragt. „Und“, fährt er angespannt weiter, „wie geht es dem Kleinen?“ – „Er schläft, es ist alles in Ordnung.“, erwidert sie. Jetzt wird es still; ihr Gegenüber sagt nichts mehr. Zehn Sekunden vergehen, zwanzig Sekunden, eine halbe Minute. „Ich komme so schnell wie möglich nach Hause.“, meint er jetzt mit zittriger Stimme. „Bis dann, ich liebe dich.“

Ohne weiter zu überlegen, füllt sie das Wasser in die Flasche, schliesst sie und schüttelt sie nochmals kräftig durch. Dann geht sie wieder hoch ins Schlafzimmer, um des Kleinen Hunger zu stillen. Liebevoll hebt sie ihn aus seinem Bettchen, nimmt ihn zu sich und gibt ihm die Milch. Doch wie so oft in letzter Zeit möchte das Baby nicht trinken. Mein kleiner Sonnenschein, denkt die Mutter, es wäre wirklich wichtig, dass du ein bisschen mehr trinkst. Sie ist aber nicht besorgt, ihr Kleiner trinkt nun seit längerer Zeit nicht mehr so richtig. Das ist nur eine Phase, sagt sie sich.
Sie steht auf und trägt den Säugling ins Wohnzimmer, wo sie ihn auf eine Decke legt. Auch der Plüschhase ist dabei. Er ist immer dabei. Er war ein Geschenk zur Geburt. Überall liegt Spielzeug – Rasseln, Klötzchen und vieles mehr. Nirgends lauert eine Gefahr für den Kleinen, nirgends könnte er sich verletzen. Alles ist abgesichert oder weggestellt.
Das Baby ist schon wieder eingeschlafen. Die Mutter setzt sich aufs Sofa und nimmt eine Broschüre zur Hand: „Plötzlicher Kindstod“. Sie blättert. Vorwärts und wieder zurück, liest ein paar Zeilen, wird nachdenklich. Schrecklich, denkt sie, was es in dieser Welt alles gibt. Doch meinem kleinen Schatz wird so etwas nie widerfahren. Ich passe immer auf ihn auf.

„Hallo! Da bin ich.“, tönt es vom Hausflur her. Der Vater und Ehemann konnte, trotz viel Arbeit, eine Stunde früher Feierabend machen. Sein Tag war anstrengend; der junge Polizist, erst 26 Jahre alt, ist erschöpft. Er zieht seine Schuhe aus, nimmt die Dienstmütze vom Kopf, hängt sie an die Garderobe und betritt das Wohnzimmer. Das Baby und sein Häschen noch immer auf der Decke liegend, seine Frau auf dem Sofa. Auch sie ist eingeschlafen, die Broschüre auf ihrem Bauch. Es geht ihr nicht gut, ihr Mann weiss es.
Seine Miene verändert sich schlagartig. Sie wird düster - sehr düster. In seinen grünbraunen Augen ist keine Hoffnung mehr, nur Trauer - endlose Trauer. Er seufzt. Tief. Was soll ich nur machen? Was um alles in der Welt soll ich nur machen? Wann wird sie es endlich einsehen? Tränen kommen hoch, fliessen langsam über seine noch von der Kälte geröteten Wangen. Er sieht keinen Weg mehr. Keinen Ausweg. Sonst ist er immer so selbstbewusst und entschlossen, jetzt ist er ganz klein. Ein kleines Wesen in einem grossen Raum. Alle Türen sind geschlossen. Er ist gefangen. Doch er kann so nicht mehr leben. Es macht ihn kaputt.
Er läuft ein paar Schritte vorwärts, bis zu der Decke, und fällt auf die Knie. Die Tränen fliessen weiter. Den Vater schüttelt es vor Kummer, vor Angst. Einzelne Tränenperlen fallen auf das Gesicht des Säuglings, kullern jetzt dessen Wange hinunter, doch der Kleine rührt sich nicht. Er spürt sie nicht.
Ich kann ihr das Baby nicht nehmen. Sie wird es nicht verstehen, nicht verkraften. Sie braucht es. Und ich brauche sie. Ich kann es nicht! Der Vater beugt sich zu seinem Sohn vor, küsst ihn auf die Stirn; sie ist ganz kalt. Der Schmerz ist unbeschreiblich. Er legt seinen Kopf, so sanft es ihm möglich ist, auf die winzige Brust, doch alles bebt. Im Innern des Vaters tausend Schreie, im Innern des Säuglings kein Herzschlag. Der Plüschhase lebt weiter.

 

Hallo sabrina,

herzlich willkommen hier!

„Plötzlicher Kindstod“ ist ein schreckliches Schicksal für die Eltern und manchmal reagieren Elternteile sehr unterschiedlich darauf. Oft fällt der Rest der Familie auseinander. Das hast du in deiner Geschichte gut beschrieben.

„Hallo! Bin wieder da.“, tönt es vom Hausflur her. Jetzt ist die Familie komplett. Der Vater und Ehemann ist zurück von der Arbeit.
= „Jetzt ist die Familie komplett.“, würde ich streichen, ist zu makaber.
Den Rest finde ich gelungen. Der Vater hat durch seine anstrengende Arbeit wesentlich mehr Abstand zu dem Unglück. Etwas davon spürt man noch in diesem „Hallo!“, kurz darauf holt ihn die häusliche Tragödie ein: Seine Miene verändert sich von einer Sekunde auf die andere. Sie wird düster

Leider hast du es manchmal etwas übertrieben und bist ins Kitschige gerutscht.
Ein Beispiel:

>Er läuft ein paar Schritte vorwärts, bis zu der Decke, und fällt auf die Knie. Die Tränen fliessen weiter, weiter und weiter. Den jungen Vater schüttelt es vor Kummer, vor Angst. Einzelne Tränenperlen fallen auf das Gesicht des Säuglings, kullern jetzt dessen Wange hinunter, doch der Kleine rührt sich nicht. Keine Bewegung. Nichts. Er schläft weiter. <

Das Hervorgehobene ist pures und ideenloses „auf die Tränendrüse drücken“. Das hat dieses Thema nicht verdient.
Ich meine, diese Variante geht viel mehr zu Herzen:
„Er läuft ein paar Schritte vorwärts, bis zu der Decke, fällt auf die Knie, beugt sich über seinen Sohn und weint.
Seine Tränen fallen auf das Gesicht des Säuglings, kullern dessen Wange hinunter; doch der Kleine spürt sie nicht.“

= So kommt der schönste, wichtigste und treffendste Satz von dir - Einzelne Tränenperlen fallen auf das Gesicht des Säuglings, kullern jetzt dessen Wange hinunter, doch der Kleine rührt sich nicht. – viel mehr zur Geltung.

+++

Auch kann einiges gekürzt werden.

>Es ist ruhig. Das Baby rührt sich nicht, es scheint eingeschlafen zu sein. Die Frau, die den Kinderwagen durch die Kälte schiebt, schaut es an. Ihr Blick ist liebevoll, aber doch gequält. Herzlich, aber doch so kalt und leer. In ihrem Gesicht ist ein Lächeln erkennbar, doch glücklich scheint sie nicht.<

„Es ist ruhig.“ = Logisch, wenn das Baby zu schlafen scheint. Oder was ist ruhig?
„Ihr Blick ist liebevoll, aber doch gequält. Herzlich, aber doch so kalt und leer. In ihrem Gesicht ist ein Lächeln erkennbar, doch glücklich scheint sie nicht.“
= Dieses Gesicht kann der Leser, der für diese Textstelle ungefähr 2-3 Sekunden braucht und dann ja sofort weiter liest, sich unmöglich vorstellen. Bilder sollten sich wie ein Blitz sofort und unmissverständlich dem Leser offenbaren.
Zugegeben, solche Bilder gelingen einem Schreiber selten. Aber hier hatte ich das Gefühl von zerrinnenden Stunden, bis ich da was zusammen hatte.
Also auch hier: kürzen! Weniger ist mehr!
„In ihrem Gesicht ist ein Lächeln, doch ihr Blick ist kalt und leer. Glücklich scheint sie nicht.“
Aus diesem Satz erfahre ich alles, was ich an dieser Stelle von der Frau wissen muss. Sie lächelt, aber der Blick (bedenke: die Augen sind die Fenster zur Seele!) ist leer. Also ist sie nicht wirklich glücklich, sondert tut aus irgendeinem Grund nur so. Entweder um andere oder sich selbst zu täuschen. (bedenke: die Mimik ist das Instrument der Lüge!)

Viel Spaß hier!

Gruß

Asterix

 

Hallo sabrina!

Da will man sagen: Die arme Familie. Aber leider gibts das eben und das, was du schreibst, ist wohl auch etwas, das durchaus so vorkommen kann.

Mir hats gefallen, bis auf zwei Dinge: Eimal, das hat Asterix schon angemerkt, übertreibst du stellenweise. Knapper formulieren triffts eher, das kommt beim Leser schon richtig an. "Das Kind rührt sich nicht, der Vater küsst die kalte Stirn und weint." Das trifft. "Der Vater weint und heult und tränt." ... ist zuviel.

Dann: Die Zweiteilung der Geschichte in der Form, wie du sie hast. 50:50 Text für Mutter und Vater ist nicht gut. Mach 70:30 oder so draus. Das Gewicht sollte eindeutig bei der Mutter oder bei dem Vater liegen, die Geschichte hätte dann, nach meinem Empfinden, klarere Linien.

Bis bald und willkommen hier,

yours

 

Lieber "Asterix" und "yours truly"

Ich möchte mich noch bedanken für das konstuktive Feedback. =)

Wie ihr sehen könnt, habe ich die kritisierten Punkte geändert (allerdings nicht alles, da mir gewisse Teile wirklich so gefielen, wie sie waren) und die Geschichte nochmals überarbeitet.

Doch wie schon gesagt, ich bin sehr froh über die Rückmeldung, da ich mich so eigentlich nur steigern kann :)

Gruss

sabrinaN

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom