Kerim
Pure Euphorie.
Nasal eingenommen entfaltet Kokain seine Wirkung nach etwa drei Minuten und die bleibt, je nach Dosis, ca. fünfzehn bis dreissig Minuten.
Die neuronale Rückaufnahme von Noraadrenalin aus dem synaptischen Spalt wird gehemmt. Die Folgen sind Überaktivität, Rededrang, sexuelle Erregung, Enthemmung, pure Euphorie. Es gibt einem das Gefühl gesteigerter körperlicher und geistiger Fähigkeiten.
Und, nicht zuletzt, erhöht es die Kontaktfreudigkeit um ein vielfaches.
Ich hatte die letzten zwei Stunden damit verbracht gekonnt nichts zu tun. Manchmal starrte ich minutenlang auf meine Zigarre, schaute ihr gespannt zu wie sie abbrannte. Dann nahm ich wieder einen Zug, oeffnete denn Mund nur einen kleinen Spalt weit, um dem Rauch dabei zuzusehen, wie er leise und langsam entschwand und das Lokal in dichten Nebel hüllte. Wir sassen zu dritt an diesem Tisch, und bisher hatten wir kaum miteinander geredet. Warum auch, schliesslich waren wir nur durch eine Reihe von Unglücken hier gelandet. Die Tanzfläche war komplett leer, aus den Lautsprechern floss mittelmässige englische Rockmusik in unsere Gehörgänge und der Raum wurde nur von vereinzeltem dumpfem Kerzenlicht und den Lampen an der Bar erhellt.
Und dann, dann lernten wir Kerim kennen.
Ich hatte ihn bereits gesehen, als ich gedankenlos durch die getönten Scheiben nach draussen gestarrt hatte. Er irrte umher, als ob er nach etwasem, oder nach jemandem, suchte. Wie ich später merkte suchte er uns. Nicht speziell nach uns dreien, aber nach einer Gruppe, wie wir eine waren. Kerim - er hatte eindeutig zu viel gekokst und wahrscheinlich noch weitaus mehr getrunken - betrat also nach einiger Zeit das Lokal, trat ein in die stickige Luft der Langeweile, wohl mit der festen Absicht sie auf immer zu vertreiben. Ohne Umtriebe setzte er sich auf den winzigen runden Hocker an unserem Tisch, mir direkt gegenüber.
Kerim.
Seine Haare waren gefangen in einer klebrigen Masse Haargel, seine verdreckte, eckige Brille liess ihn weitaus intelligenter scheinen als er eigentlich war. Wenn er seinen riesigen Mund zu einem Lächeln aufriss, meinte man das Ende der Welt zu sehen. Der Eindruck wurde durch seine fürchterlich anmutenden Zähne nur noch verstärkt. Tückisch schielten sie unter den Lippen hervor, um sich dann beim Lachen ganz zu entblössen; sie schienen, gelblich und seltsam geformt, nur darauf zu warten, ihre Arbeit zu tun. Zwischen der Nase und den glänzenden, verrissenen Lippen breitete sich auf kleinen schwarzen Stoppeln etwas klebriges in alle Richtungen aus. Durch seine zusammengekniffenen Augen starrte er einen mit seltsamem Blick an.
Kerim lebt in Zürich und Bayern. Er handelt mir Autos und Kokain.
„Weissbier“ rief er.
„Weissbier!“.
„Bayern!“
Weissbier, Bayern, Bayern, Weissbier.
Hin und wieder schleppte er sich durch den Nebel, in dem das Lokal lag, hin zur Bar. Einige Minuten irrte er durch das Labyrinth unbesetzter Barhocker um dann ohne Weissbier zurückzukehren.
Bayern.
Weissbier.
Hin und wieder zeigte er allem und jedem seinen krummen Mittelfinder, der mich in seiner Art an den des dürren und von Heimweh geplagten Ausserirdischen E.T erinnerte. Kurz gesagt; Kerim nervte. Als er uns in einem panisch anmutenden Anfall verliess, er rannte einfach ohne ein Wort zu sagen davon, hatte ich ihn bereits drei mal heldenhaft verprügelt. Aber nur in meinen Gedanken.
Dennoch hatte er den Abend gerettet.