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Kikki

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28.12.2004
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Kikki

Kikki (Thema des Monats August)

Kikki

Sommer 1961, Europa.
„Kann ich hereinkommen, Professor.“
Gerald wartete gespannt. Er hatte so manche Geschichte über den Mann gehört, vor dessen Tür er nun stand. Ein grosser Zoologe sei er, klug, geschickt und erfahren, aber auch abenteuerlustig und mutig. Ausserdem sei er, so zumindest die Gerüchte, ein ziemlich schräger Vogel.
„Natürlich, treten Sie nur ein.“
Die Türe schwang auf und fauliger Gestank strömte entgegen. Gerald hustete angewidert, aber da fiel sein Blick auch schon auf das prächtige Büro des Professors. Unzählige Bilder von Krokodilen, Zebras und anderen Geschöpfen hingen an der Wand, Vogelskelette baumelten von der Decke und Terrarien standen neben Käfigen für Mäuse, Hamster und Ratten. Zwei Stangen, auf denen Spatzen sassen und piepsten, führten quer durchs Zimmer. Und darunter, mitten im lebendigen Durcheinander, da kauerte der Professor, die Augen interessiert auf Gerald gerichtet. Er war kleingewachsen und machte einen etwas zerzausten Eindruck. „Sie müssen Gerald Watterson sein, stimmt's?“
Gerald nickte, noch immer ganz fasziniert. „Ist das – ist das eine echte Vampirfledermaus?“, wollte er wissen und der Professor folgte seinem Blick. Ein schwarzes Lebewesen hatte sich an ein Gitter gekrallt.
„In der Tat, ja. Ein sehr seltenes Exemplar. Mein Forschungsteam hat einige Vampirfledermäuse von der letzten Südamerikaexpedition mitgenommen.“
„Unglaublich“, murmelte Gerald und schwenkte seinen Blick über die weiteren Käfige. Der Professor liess ihm etwas Zeit sich umzusehen und bemerkte dabei: „Entschuldigen Sie die Unordnung, Mr Watterson.“ Er wies auf den krümelbedeckten Tisch. „Ich war gerade beim Essen, als Sie kamen.“
Gerald zeigte keine Reaktion, sondern schritt mit glänzenden Augen weiter von Tier zu Tier. Manchmal hielt er ein und starrte irgendwelche Käfer, Eidechsen oder Meerschweinchen an, dann wieder musterte er die Gemälde oder eines der Skelette. Der Professor beobachtete ihn bei allem mit wachsender Ungeduld und fragte schliesslich: „Weshalb also wollten Sie mich sprechen?“
Keine Reaktion.
„Mr Watterson?“, fragte er lauter. Seine Stimme krächzte unangenehm, so dass Gerald zusammenfuhr und ein erschrockenes Quieken von sich gab. „Entschuldigung, wenn ich Sie störe“, erklärte der Professor. „Es ist nur so: Im Brutschrank liegen einige gereifte Eier und ich will das Schlüpfen der Kleinen auf keinen Fall verpassen. Ich wäre also froh, wenn Sie sich etwas beeilen würden.“
„Oh, klar, äh - ja, natürlich.“ Gerald beugte sich schuldbewusst vor und wagte es nicht, dem Professor in die Augen zu sehen. Dieser wiederholte: „Weshalb also wollten Sie mich sprechen? Sie kommen aus London, oder?“
„Ja, genau“, stammelte Gerald, „ich, äh ... Nun, Sie sind eine Berühmtheit in meiner Heimat, wie Sie sicher wissen. Der vielleicht grösste Zoologe der Gegenwart und gleichzeitig ein engagierter Kämpfer für die Umwelt. Sie arbeiteten sogar mit Rachel Carson zusammen, wie ich gehört habe.“
„So ist es. Ich begleitete sie im Frühling durch die USA, ein wirklich lehrreicher Ausflug. Nächstes Jahr wird ihr Buch erscheinen.“
Gerald nickte klug. Man las zur Zeit ständig von den Nachforschungen der Biologin. Sie verglich angeblich den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft mit dem Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Juden – in beiden Fällen wurden schliesslich die selben Chemikalien eingesetzt.
„Also, weshalb sind Sie gekommen?“, wurde Geralds Gedankengänge durch den dritten Anlauf des Professors unterbrochen.
„Na ja, also“, begann Gerald zögerlich, „ich gehöre zu Ihren grössten Bewunderern, aber ...“
„Aber was?“
„Aber erreicht haben Sie bisher, ehrlich gesagt, nicht viel. Keine Regierung hat Ihre Forderungen jemals ernst genommen und die gewöhnlichen Leute nehmen unsere Umwelt nach wie vor kaum war. Die ökologische Bewegung ist natürlich noch jung, aber sie muss trotzdem pragmatischer arbeiten und endlich konkrete Projekte realisieren, wenn sie wachsen will. Ich bin Gründungsmitglied einer Organisation mit genau diesem Ziel: Sie nennt sich World Wildlife Fund, WWF. – Ist das hier ein echtes Tapirskelett?“, fügte Gerald begeistert an.
„Ja, natürlich.“ Der Professor piekte einige Krümel vom Tisch, schluckte sie herunter und meinte nach kurzem Überlegen: „Ihre Idee ist sehr lobenswert. Ich werde Ihnen mit allen Mitteln helfen, sofern meine Unterstützung der Grund für Ihr Kommen sein sollte. Ist es so?“
„Unter anderem, ja“, nickte Gerald, „allerdings haben wir uns vor allem bei einem speziellen Problem Ihre Beihilfe erhofft.“
„Und bei welchem?“
„Nun, Professor, wir sind noch auf der Suche nach einem geeigneten Symbol für die Organisation, einem Wappentier sozusagen und keiner kennt sich in der Tierwelt besser aus als Sie, darum ...“
„Ich soll ein geeignetes Tier für ihr Logo finden?“
„Genau“, bestätigte Gerald. „Verstehen Sie, wir wollen ein schönes Tier, das die Leute mögen und das zugleich vom Aussterben bedroht ist.“
Der Professor schritt nachdenklich vor eines seiner Terrarien. „Eine interessante Aufgabe, Gerald. Eine sehr intere... Seebären vielleicht? Oder ein Delphin?“
„Daran haben wir auch gedacht, aber wir hofften auf ein weniger bekanntes, aber dafür aussergewöhnliches Tier.“
„Ja, verstehe. Sie wollen etwas Neues.“
Auch Gerald begann nun unter den Spatzenstangen hindurch zu schlendern und die Bilder an den Wänden zu studieren. Giraffen waren zu schmal, Kühe zu langweilig, Krokodile zu furchteinflössend, genauso wie Adler – erst letztes Jahr hatten die Greifvögel im Alpenraum mehrere Kinder getötet – Spatzen wirkten hingen zu alltäglich, Bären waren zu braun, Ka... Bären? Gerald hielt ein und betrachtete das bauschige, schwarz-weisse Tier auf der Fotografie neben dem Eingang zum Labor. Es wirkte etwas plump und melancholisch, aber zugleich endlos liebenswert.
„Ist das ein – ein Bär?“, erkundigte sich Gerald beim Professor. Der trat zu ihm.
„Ja, klar. Ein Panda. Hübsche Tiere nicht? Denken Sie, ein Panda wäre geeignet?“
„Könnte sein. Er ist schwarz-weiss gefärbt, das würde Druckkosten sparen. – Sind diese Pandas gefährlich?“
Der Professor schüttelte den Kopf: „Sie sind natürlich gross und kräftig, aber ungeschickt. Ein Panda würde niemals einen von uns erwischen.“
Hoffentlich nicht. Ein kinderfressendes WWF-Wappentier wäre keine besonders gute Werbung für ihre Anliegen. Gerald studierte die Fotografie genauer. Zu sehen war ein tapsiger Panda, der an einer Bambusstange knabberte. Unspektakulär, aber herrlich verspielt, fast kindlich.
„Besitzen Sie noch mehr Bilder von Pandas?“
„Selbstverständlich“, bestätigte der Professor und wollte sich gerade aufmachen um einige Fotos zu suchen, als eine dritte Stimme echote: „Selbstverständlich.“
Gerald zuckte zusammen und beäugte misstrauisch die Labortüre. „Wer war das?“
„Wer war das“, wiederholte die Stimme. Der Professor erklärte belustigt: „Das ist Kikki. Ich hab ihr in den letzten Wochen das Sprechen gelehrt und seither wiederholt sie ständig, was sie zu hören bekommt.“
„Was sie zu hören bekommt!“, kreischte Kikki und schien langsam in Form zu kommen.
„Folgen Sie mir, ich zeig Ihnen die kleine Kikki.“ Der Professor öffnete die Türe zum Labor und Gerald folgte ihm. In sich spürte er Begeisterung aufkommen. Ein sprechendes Tier. Davon hatte er noch nie gehört. Die Begeisterung wuchs beim Anblick des Labors sofort um ein Vielfaches.
Ein riesiger Saal hatte sich vor ihm eröffnet und unzählige Lebewesen tummelten sich in den Gehegen. Krächzen, Piepsen und Brüllen vermischte sich zu schallendem Lärm.
„Ich zeig Ihnen die Kleine! Die kleine Kikki! Kikki!“, übertönte eine hohe Stimme die anderen Geräusche und lenkte Geralds Blick auf ein besonders grosses Gehege. Darin lebte nur ein einzelnes, dunkel gefärbtes Tier, dass sich ans Gatter krallte. Es zitterte am ganzen Leib.
„Kikki“, erklärte der Professor stolz. „So nenne ich übrigens die Hälfte meiner Tiere. Der Name gefällt mir einfach.“
„Kikki!“, schrie Kikki. „Kikki gefällt mir einfach!“
Gerald trat näher ans Gatter und betrachtete das Wesen fasziniert. „Um was für eine Spezies handelt es sich? Ist das ein Affe?“
„Ja, ein Primate. Die genaue Bezeichnung lautet Homo sapiens – weiser Mensch. So weise sind sie allerdings auch wieder nicht. – Das hier ist im Übrigen ein frisch gefangenes Weibchen aus Kenia.“ Der Professor breitete seine Flügel aus und flatterte auf eine der Stangen über dem Käfig. Dort verjagte er einen Spatz und warf einige Nüsschen in den Käfig. Kikki sprang sofort los, um sie aufzuknabbern.
„Menschen sind sehr selten“, erklärte der Professor derweil. „In Afrika gilt Menschenzunge als Delikatesse, weshalb sie gejagt werden und kurz vor der Ausrottung stehen. Jammerschade, denn interessant als Forschungsobjekt sind Sie. Ausserdem: Abgesehen von der Zunge ist ihr Fleisch absolut wertlos. Niemand würde es freiwillig essen. Man verfüttert es in Fischfarmen.“
„In Fischfarmen!“, plapperte Kikki nach, während der Professor wieder neben Gerald landete und fortfuhr: „Sehen Sie, dass Kikki nur auf zwei Beinen steht? Ausserdem ist ihr Körper kaum behaart, anders als bei gewöhnlichen Primaten. Hier im Norden frieren Menschen deshalb ständig.“
Gerald nickte und konnte dabei seine Augen nicht von dem Geschöpf reissen. Diese ästhetischen Rundungen, die glatte Haut, das bemitleidenswerte Schlottern der Glieder, ... „Was meinen Sie, Herr Professor, würde sich so ein Menschenweibchen nicht eignen als Symbol für den WWF?“
Der Professor stellte den Kopf schief und meinte: „Ja, der Vorschlag gefällt mir! Die nackte Haut steht symbolisch für die Wehrlosigkeit der Tiere und ihren Bedarf nach Schutz. Klingt gut. Fast schon perfekt!“
„Für mich auch. Ich werde gleich mit dem Zeichnen einiger Skizzen beginnen.“
„In dem Fall darf ich Sie jetzt alleine lassen?“ Der Professor wies auf eine Uhr über dem Halleneingang. „Meine Frau wird sicher wütend, wenn ich dieses Jahr das Schlüpfen unserer Jungen schon wieder verpasse.“
Gerald nickte. „Klar! Wie sollen die Kinder denn heissen?“
„Weiss ich nicht. Vielleicht Kikki“, erwiderte der Professor und flog davon, während Gerald seinen Papageienschnabel in Tinte tauchte und zu zeichnen begann.

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Am 11. September 1961 wurde der WWF in London gegründet. Bis heute hat die Stiftung über 11’000 Projekte realisiert und hierfür rund 4 Milliarden Euro Spenden gesammelt. Das von Gerald Watterson kreierte Symbol – ein kauerndes Menschenweibchen – wird auf der ganzen Welt mit dem Schutz einer bedrohten Umwelt identifiziert.

 

Hallo Sorontur,

ich bin hin- und hergerissen. Deine Geschichte gefällt mir gut. Sie ist herrlich absurd und die Vertauschung der Rollen wird erst am Schluss offenbar. Die Idee, die Kraft eines Symbols an diesem Beispiel zu zeigen hat mir auch sehr gut gefallen.

Das Negative für mich ist, dass es absolut keine SF ist. Es ist total undenkbar, dass Papageien wie Du sie hier beschreibst eine technische Zivilisation entwickeln, die auch noch so große Parallelen zu unserer aufweist. Oviraptoren - meinetwegen. Auch größere Laufvögel, wie es sie im Pliozän oder Eozän wohl gab - warum nicht. Aber niemals Papageien.

Fazit: Gute Geschichte, aber unter SF deplatziert.

Grüße,
Naut

 

Die Geschichte ist nicht mehr als ein klassischer Rollentausch, der dem Leser bis zum Schluss vorenthalten wird und dann als Pointe "verkauft" wird.

Mit SF hat das nicht viel zu tun.

Auch das Thema des Monats wurde hier verfehlt. Die beschriebene Alternativwelt ist eine reine Spiegelwelt, und nicht, wie von der Vorgabe verlangt, eine, in der ein geschichtliches Ereignis anders verlief und eine andere Entwicklung verursachte. Eine völlig andere - und, wie Naut schon sagte, völlig unglaubwürdige - Evolution zählt meiner Meinung nach nicht dazu.

Ich schlage vor, die Geschichte zu verschieben - entweder nach Seltsam oder nach Sonstige. Schick mir einfach eine PM, dann kümmere ich mich darum.

 

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