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Kind?
Kind ?
Ich schiebe ganz vorsichtig den Schlüssel in das Schloss.
Leise sein. In diesem Haus habe ich gut 20 Jahre gewohnt, somit
weiß ich genau auf welche Stelle der Stufe ich treten muss, um lautlos hinauf zu schleichen.
Die zweite Stufe überspringe ich.
Heute will ich kurz zu meinen Eltern. Sie wohnen im zweiten Stock, meine Oma im ersten.
Und an genau dieser Oma will ich vorbei schleichen.
Ich höre sie reden. Wie jeden Nachmittag sitzt sie mit ihrem Besuch am Kaffeetisch.
Ihr Besuch, das ist Herta, keine wirkliche Freundin, eher eine Nervensäge oder olle Hippe, wie Oma immer sagt. Die beiden verbindet eine Zweckfeindschaft, das ist zumindest meine
Meinung. Sie sind beide Witwen, knapp 90 Jahre alt. Da hat man nicht mehr so die Möglichkeit auf Freunde zurückzugreifen. Die meisten sind bereits verstorben.
So klingelt Herta jeden Tag pünktlich um halb vier und das ist auch der Startschuss zum rumzanken. Herta isst keinen Kuchen, sagt sie zumindest immer, da sie auf ihre Linie achten muss. Meine Oma liebt Kuchen, aber nur mit Schlagsahne! Herta hat eine beachtliche Menge
Haarspray im Haar, es sieht aus wie eine weiße Haube, aber wenn man genau hinsieht, bemerkt man, dass es sich um zusammengeklebte Haare handelt. Meine Oma hat Naturlocken, ich mag besonders die widerspenstige die ihr von der Stirn absteht und an der sie immer rumzupft. Sie sieht immer etwas zerzaust aus. Und das liebe ich.
Die erste Treppe habe ich geschafft. Jetzt noch 5 Stufen bis zur ersten Etage.
Ich muss mich konzentrieren und die richtigen Stellen auf dem Läufer treffen.
Heute habe ich wirklich keine Zeit, nur schnell was holen oben und dann wieder weg.
Ich lausche. Ah, heute lesen sie wieder einmal im Telefonbuch.
„Der Erich wohnt doch nicht auf der Laupendaler! Die haben ihr Häuschen am Berg.“
„Welchem Berg?“
„Da wo die vom Friseur wohnt. Die Dings.“
„Welche Dings?“
„Ach das weißt du doch genau Herta! Jetzt tu nicht so!“
„Nee, weiß ich nicht!“
„Ich guck jetzt mal nach der Straße. Wie heißt die noch mal?“
„Wer?“
„Na die Dings aus dem Salon!“
Oh nein, heute will ich solche Gespräche nicht. Auf gar keinen Fall! Ich muss dann immer sagen wer wo wohnt und wer jetzt im Recht ist. Keine Zeit. Also langsam weiter.
Wie gut das Herta fast taub ist und auch Oma schlecht hört. Sie hört anscheinend nur noch das, was sie auch hören will. Ich liebe meine Oma, aber sie ist so zeitraubend.
Wenn ich ihr in die Hände falle, ist der Abend gelaufen.
Ich stehe im Flur. Von da aus kommt man in die Küche, ins Bad und ins Wohnzimmer.
Die Türen Richtung Küche und Bad sind zu.
Die Wohnzimmertür ist wie immer nur angelehnt. Man könnte ja sonst etwas verpassen.
Ich höre leises Plaudern. Man hat sich wohl auf eine Straße geeinigt.
Warum halte ich eigentlich die Luft an? Mein atmen wird sie wohl kaum hören.
Mein schlechtes Gewissen drängelt sich nach vorne. Mir ist klar, dass sie auf mich wartet.
Manchmal steht sie schon am Fenster, wenn ich die Straße hinauf komme.
Sie strahlt dann über das ganze Gesicht und klopft wild gegen die Scheibe. Früher fand ich das immer peinlich. Jetzt winke ich lächelnd zurück. Es fühlt sich gut an, wenn man so liebevoll empfangen wird. Ein wundervolles, warmes Gefühl.
Aber heute habe ich noch etwas vor und deshalb setzte ich den Fuß auf die erste Stufe des letzten Treppenabschnitts. Die Treppe gibt keinen Laut von sich, ich triumphiere innerlich.
Ich weiß also noch wie es geht! Ha, ich hab’s geschafft. Ich bin dran vorbei!
„Kind? Bist du das? Warum schleichst du denn rum?“
Unglaublich! Sie hat mich tatsächlich gehört!
„ Ja, ich bin’s, aber ich habe heute echt keine Zeit.“
„Ach nu komm mal eben rein. Du musst mal eben was für uns klären.
Du kennst doch die Blonde. Die, die bei meiner Friseurin arbeitet.
Wo wohnt die?“