Kinderfantasien
Kinderfantasien
Was machen die beiden schon wieder, fragte sich Martha als sie ihre 5 jährige Tochter und ihren 7 jährigen Sohn zusammen neben der Scheune stehen sah. Sie hatten sich der Scheune zugewandt und schienen miteinander zu tuscheln. Martha wischte sich die fettigen Finger –sie hatte den Braten für das Mittagessen vorbereitet- an der Schürze ab und ging über den Hof. Sie schlängelte sich zwischen den am Boden nach Körnern pickenden Hühner durch. Die Sonne brannte erbarmungslos von oben herab.
Als sie näher kam konnte sie das Geflüster ihrer Kinder verstehen.
„Bist du dir ganz sicher?“, fragte Marie ihren großen Bruder.
„Aber natürlich! Sie sind da drin.“, antwortete er aufgeregt.
„Und was machen sie?“
„Fressen! Sie haben ja Hunger und jetzt fressen sie!“
„Ach so...“
Martha war verwirrt. So hatte sie ihre Kinder noch nie sprechen hören. Es klang alles ein wenig geheimnisvoll und sie konnte sich außerdem absolut nicht vorstellen, was die beiden meinen.
„Hey Kinder! Was macht ihr da.“
Langsam drehten sie sich um. Sie waren nicht im Mindesten erschrocken, doch sahen sie ihre Mutter mit großen Augen an. Marie sprach als erste: „Wir beobachten die Monster!“
„Die Monster? So, so!“
„Ja, sie fressen da drin.“, schaltete sich Sebastian ein.
„Na dann will ich mir das mal ansehen.“ Erschrocken fuhr Marie zusammen. „Das kannst du nicht! Du darfst da nicht rein!“ Der besorgte Blick ihrer Tochter machte Martha Angst. Nie zuvor hatte die Kleine sie so angesehen.
„Aber nein! Mir passiert schon nichts! Es gibt keine Monster!“
„Du solltest sie lieber nicht reizen. Das mögen sie überhaupt nicht.“ Warum konnte Sebastian nicht einfach sein vorlautes Mundwerk halten, dachte Martha. Sie bedachte ihn mit einem boshafteren Blick als sie eigentlich wollte. Die Kinder hatte ihr doch schließlich nichts getan. Sie nahm ihre Sprösslinge in den Arm und holte ihre Gesichte näher an das ihrige.
„Hört mir zu! Ihr gebt eurer Mommy Rückendeckung wenn sie da hinein geht, okay?“ Die beiden nickten verhalten. Zufrieden stand Martha auf und ging zum Eingang der Scheune. Marie und Sebastian folgten ihr schüchtern.
„Passt gut auf mich auf!“, sagte Martha und lächelte. Dann betrat sie die Scheune.
Ihnen war es sehr stickig und es stank bestialisch. Eigentlich war Martha an den Geruch von Kuhdung gewöhnt, doch das hier war schlimmer. So sollte Heu überhaupt nicht riechen können, sagte sie sich. Es musste an der Hitze liegen, oder irgendetwas war hier schon ziemlich lange Tot und wurde gerade aufgefressen.
Martha schob diesen Gedanken beiseite suchte mit den Augen die Scheune ab. Licht gab es genug, da es, in sich zum Boden hin auflösenden Streifen, durch die Risse und Spalten zwischen den Balken drang. Kleine Staubteilchen hingen schwer in der Luft. Sie leuchteten wie ferne Sterne, nur bei Tag. Martha pustete. Der Staub geriet in Bewegung und aus den Lichtstrahlen. Nichts glänzendes haftete ihnen nun noch an. Es war eben doch nur Dreck.
Als sie die Suche gerade beenden wollte bemerkte sie einen süßlichen Geruch, der hier nicht hingehörte. Aus dem hinteren Teil der Scheune drang ein Poltern. Verunsichert spähte Martha nach draußen und sah sich nach den Kinder um. Die hockten am Boden und kritzelten mit ihren Fingern irgendetwas in den sandigen Boden. Sie lächelte verlegen und verschwand wieder drinnen bevor sie jemand sah.
Du musste jetzt etwas unternehmen! Sei kein Feigling, mahnte sie sich. Immer noch unentschlossen setzte Martha einen Fuß vor den anderen. Zögernd näherte sie sich dem hinteren Teil der Scheune. Dort, wo noch das ältere Heu lag. Doch anstatt auf braun gewordene Gräser zu treffen, erblickte sie ein Horrorszenario.
Die Haufen waren weder Gelb noch braun. Sie waren blutgetränkt. Lange Fäden hingen von den Halmen, rote Fleischklumpen klebten an den Wänden. Wage waren blutige Gedärme zu erkennen, die überall auf dem Boden verstreut waren. Von der Decke tropfte es wie bei einem leichten Nieselregen. In der Mitte des Massaker lag eine größere unförmige Masse. Martha konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber es sah aus wie eine aufgeschlitzte Kuh.
Erst war sie sich nicht wirklich sicher, was sie da überhaupt sah. Genauso gut hätte das hier auch eine Grillparty seien können. Feine Blutstropfen benetzten ihr Gesicht. Ein Barbecue im hinteren Teil meiner Scheune, he he. Sie lächelte. Dann schrie sie wie am Spieß und rannte davon.
Draußen rief sie nach ihrem Mann. „Harald! Harald HARALD!!!“ Sie stürmte über den Hof wobei die Hühner aufgeschreckt mit den Flügeln schlugen und dabei weiße und braune Federn durch die Luft wirbelten. Martha sprang ihrem Mann auf der Veranda in die Arme, der sie verwirrt aufnahm. Sie heulte.
Die Kinder standen Hand in Hand neben der Scheune mit starren Blick geradeaus.
„Wir hatten sie gewarnt“, sagte Sebastian mit monotoner Stimme.
„Ja haben wir!“, antwortete seine Schwester sofort im gleichen Tonfall.
„Sie hätte lieber nicht dort hinein gehen sollen, zu den Monstern!“
„Nein, das hätte sie lieber nicht tun sollen.“
„Die Monster werden wiederkommen. Immer wieder.“
„Ja!“
Der Vorfall wiederholte sich noch einige Male. Manchmal waren es Kühe, manchmal fehlten mehrere Hühner. Harald beruhigte seine Frau immer damit, dass wohl nur ein entlaufener Hund hier herumstreunt. Auf die Frage, warum er immer ihre Farm angriff, kam sie nicht. Marie und Sebastian hingegen warnten weiter ihre Eltern und sprachen von düsteren Visionen und Monstern. Martha wurde dadurch immer verrückter und schrie die Kinder an. Harald musste seine Frau dann immer zurückreißen und auf sie einreden. Doch auch ihm war die ganze Sache nicht geheuer. Er spürte seinen gesunden Menschenverstand auch so langsam schwinden. Die deutlichsten Anzeichen dafür waren, dass er des öfteren die Hühner nackt fütterte, bisweilen die Farm verließ und nach ca. 30 Meter stehen blieb, sich am Kopf kratze und verwirrt zurückkehrte. Nach einem Angriff hatte er auch schon einmal das Bedürfnis verspürt, dass ausgeweidete Tier in der Badewanne im Haus zu waschen.
Die Krone des ganzem setze ihm eine direkte Begegnung am Abend vor Maries 6. Geburtstag auf.
Der Hund bellte. Es war ein noch nicht ganz ausgewachsener Schäferhund. Er bellte laut und zerrte an seiner Kette. Die Familie war gerade beim Abendbrot. Jeder von ihnen hatte sofort das Bild eines weiteren toten Tieres vor Augen als sie den Hund hörten. Martha blieb wie angewurzelt am Herd stehen. Harald ließ seinen Löffel in den leeren Teller fallen. Das hohle Geräusch hallte durch das Haus.
Er schnaufte und stand auf. Entschlossen ging er zu einem Schrank, holte sein Gewehr heraus, lief zur Tür, schnappte sich seine Jacke und verschwand nach draußen in die Dunkelheit.
„Ihr beiden bleibt sitzen.“, sagte Martha. „Rührt euch nicht vom Fleck!“ Ihre Stimme zitterte stark. Sie war kurz davor zusammen zubrechen. Dennoch wankte sie zur Tür und hinaus.
Draußen war Harald soeben dabei den Hund loszubinden. Der Mond schien hell, sodass man eine ausreichende Sicht hatte. Der Hund war kaum noch zu halten. Just in dem Moment, als er seiner Fesseln entledigt war, sprintete er los. Laut bellend rannte er in das weite Feld und verschwand zwischen den hohen Weizenstängeln. Harald zielte mit dem Gewehr auf die blauweiße Wand aus Weizen, die ihm keinen Einblick gewährte. Er verfluchte sich dafür, keine Kerze oder Fackel mitgenommen zu haben.
Martha stand inzwischen auf der Veranda. Sie rieb sich mit beiden Händen die Oberarme. Es war kalt. Sie hauchte weiße Dunstwölkchen in die Nacht.
Das Bellen des Hundes wandelte sich in ein Knurren und schließlich zu einem Winseln. Es raschelte und dann knackte es. Dieses Geräusch projizierte Martha sofort das Bild einer aufgeschlitzten Kuh mit verstreutem Inhalt in den Kopf. Sie würgte.
Wieder raschelte es. Diesmal lauter und näher. Dann kam es von mehreren Stellen und auf einmal schien sich das ganze Feld zu bewegen.
„Martha! Rein mit dir und den Kindern!“, schrie Harald kurz bevor er blind in den Weizen schoss und dann selbst begann zum Haus zurück zu rennen.
Der Krach des Schusses löste Martha aus ihrer Starre. Sie drehte sich um und sah ihre beiden Kinder im Türrahmen.
„Sie werden kommen!“, sagte Sebastian so, dass es seiner Mutter eiskalt den Rücken hinunter lief.
„Schon Morgen!“, fügte Marie hinzu.
„Wir können nichts gegen sie tun!
„Nichts!“
Fassungslos starrte Martha sie an.
„Kommt schon!“ Harald nahm die Kleine auf und trug sie hinein. Martha tat das gleiche mit Sebastian. Sie trugen ihr Kinder in den ersten Stock und legten sie ins Bett.
„Schlaft! Schlaft ruhig! Hier kann euch nichts geschehen.“, sagte Harald und deckte die beiden zu. Seine Frau stand am Fuß von Maries Bett und war unfähig irgendetwas zu unternehmen.
Harald zog die Gardienen zu und verließ mit Martha im Schlepptau das Zimmer.
Niemand im Haus schlief in dieser Nacht. Martha und Harald hatten unten auf Stühlen Wache gehalten. Erst als die Sonne ihre ersten Strahlen zeigte, nickten die beiden ein.
Sebastian und Marie lagen mit offnen Augen in ihren Betten. Sie sahen sich an.
„Sie kommen“, flüsterte Sebastian. Marie nickte. Sebastian stand auf und zog die Gardienen beiseite. Das morgendliche Licht flute langsam den Raum. Er hielt seiner kleinen Schwester die Hand hin. Sie nahm sie und stand ebenfalls auf.
„Sind sie schon da?“, fragte sie.
„In diesem Moment!“
Von unten hörte man ein Krachen. Die Schreie ihrer Eltern hallten nach oben. Ihre Mutter kreischte, dann rumpelte es. Stille.
Schlurfende Schritte kamen die Treppe herauf. Es waren viele.
„Alles Gute zum Geburtstag, Schwester!“
„Danke!“
„Ich wünsche dir ein schönes Leben danach!“
„Ich dir auch, Bruder!“
Hand in Hand standen sie in ihrem Zimmer mit den Blick auf den glühenden Sonnenaufgang während die Monster kamen.