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Klärende Metapher

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13.11.2002
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Klärende Metapher

Mal angenommen:
Ich betrete eine Skoda-Vertretung, eines jener Häuser, die neben Wienerwald einen Hahn im Wappen tragen, und erkundige mich festen Auftretens nach dem kleinsten verfügbaren Modell.
»Ich hätte gern diesen Skoda Minima da«, sage ich mit so fester Stimme, dass jedem Automobilverkäufer, Kleinstwagen hin oder her, die warme Hand der Provisionsfee an die Schwellkörper fährt.
Wäre jener Berater in Kord, der sich gerade vor mir aufbaut, einer von den Guten, hätte er bereits den Kaufvertrag in der Hand; er müsste nicht mal seinen Balztanz vollführen, jenes speziell hier angebrachtes Gegockele, dass mir klarmachen will, ein Wagen dieser Klasse wäre eine Aufwertung meiner Person, Hahn am Grill oder nicht.
Er ist einer von jenen, die »zum Bleistift« sagen, also komplexe Klientel, wie ich mir denke. Und eigentlich will ich nicht über den Kerl nachdenken: Ich will einen kleinen Flitzer usbekischer oder kroatischer Herkunft, um meintet Willen auch aus einer winzigen Manufraktur verschwiegener Süd-Bottokuden, Hauptsache schlicht und billig. Wo auch immer Skodas vom Band fallen.
Der Wagen, den ich erwählt habe, ist kaum größer als Puff Daddys linker Nike-Sneaker, wenn er mal welche trägt, und eigentlich kommt man auch hier nur mit dem Schuhanzieher rein, aber er ist billig, sehr sehr billig, wie ich bereits erwähnte. Also genau richtig für anspruchsloses Entertainment wie in der City über Verkehrsberuhigungs-Hubbel fahren und Bad Boys Blue von Kassette zu hören.
Der Verkäufer hat die Hand bereits am Holster; er könnte jetzt einfach »ziehen« und mich über den Haufen schießen, Lamm, das ich bin. Die Nummer wäre schneller über die Bühne als der Stuhlgang eines gesunden Mittzwanzigers, und ich bin willig wie nur was.
Seine Brauen sagen: Keine Rabatte, und meine Oberlippe zittert das Lied von WILL ICH AUCH NICHT WO MUSS ICH UNTERSCHREIBEN?
Sein Oberkörper im lavendelfarbenen Halbarmhemd ruckt leicht nach vorn, als er sagt:
»Kommen Sie mit.«
Ich sauge Neuwagenduftschwangere Luft ein und hauche:
»Wie?«, aber er ergreift meine Jacke und zerrt mich in eine Ecke des Salons, der von der Fußleiste bis zu den Deckenstrahlern mit Silberplatten verkleidet ist.
Dort steht ein Ferrari, und er ist augenscheinlich komplett verchromt. Panthergleiche Erhabenheit auf 28-Zoll-Reifen, in die einer von diesen Künstlern, die begnadet, aber zu doof sind, eine Milchtüte aufzuschneiden, Motive der Antike graviert hat, darunter Juda Ben Hur (hier in Szene-Frakturschrift »Ben Bitch«, aber trotzdem erkennbar) mit der knotigen Hand am Schaltknauf.
Der Preis ist auf ein Tablett geschrieben und hat mehr Nullen, als das Auge zu erfassen bereit ist.
Ein kleiner gelber Post-It-Zettel klebt daneben.
PREIS NOCH NICHT FERTIG, BIN ZU TISCH.
DER DEKORATEUR

Ich lehne mich hinein, nur mal so »aus Scheiß«, und der Duft von Babyziegenleder, dessen Trägertiere mit exakt sechs Wochen in destilliertem Rosenwasser ertränkt werden, um die Spannkraft der Haut zu erhalten, schlägt mir entgegen. Die Sitzbezüge schimmern rein weiß, und auf der Ablage liegt ein Stück Büttenpapier:

Altes Haus!
Ich wusste, dass dieser Tag kommt; schön, ich bin nun geraume Zeit verblichen, aber ich- wir alle - ahnten, dass eines Tages DER EINE erscheint, den Wagen zu erwerben. Heute, Freund. Heute.
Ein Mann wie Du, erdig und hart, der keine Kosten scheut (das letzte Hemd hat ohnehin keine Taschen, Si?),
einsteigt und den Gang einlegt, einer Zukunft entgegen, die so strahlend und rasant wie dieses Meisterstück ist; Der Gral unter den Automobilen.
Rückseitig findest du eine Telefonnummer; wähle sie, wann immer es dir behagt. Andrea Boccelli kommt dann und füllt Wischwasser nach.

Dein Freund & Bruder
Enzo Ferrari


»Trinken Sie?« frage ich den Verkäufer.
»Also entweder den oder gar nichts«, antwortet er, dreht sich um und geht.


Undenkbar an sich, aber ähnliches passierte mir soeben.
Schön, ganz so war es nicht, aber im Prinzip war das unerfreuliche Gespräch heute Morgen gleichen Inhalts.

Tankstelle, Levringhäuser Straße, Acht Uhr.
Ich betrat die Tanke und erwarb bei einem müde aussehenden Mann in Hoppla-jetzt-komm-ich-gelbem Shell-Poloshirt eine Schachtel Lucky Strike. Sein Hemd harmonierte mit seinem Gesicht, als hätte man einen Sauerbraten auf ein Podest aus Legosteinen gestellt, dachte ich, sage aber nichts.
Ein zügiger Blick auf die BILD:
BOHLEN ZÜNGELT FREMD-ESTEFANIA IM ACHTEN(!!!!!) MONAT
Darunter:
Bohlen:»Bleibt mal locker, ich war voll wie ne Natter und die kam so an, die Perle«
Also alles in Ordnung. Gut.
Ich musste zur Arbeit. Ein Griff südlich des Schritts, unbewusste Geste, tausendmal gebracht, zeigte mir, dass ich heute keine Beule im Schritt hatte. Feuerzeug vergessen.
Ich spähte über die Schulter des Sauerbratens und erblickte eine massive Front Streichholzschachteln, anderswo Zündhölzer genannt, und mein Puls floßt dahin, langsam, wummernd, ruhig.
»Und ich brauche noch Streichhölzer, bitte.«
Übergangslösung, bis ich im Büro einträfe, wo eilfertige Mitarbeiter wie artistisch ihr Zippo schnacken ließen, sobald ich die Schachtel zückte.
Ein erneuter Griff an meine Hose.
Ich hätte mir die entschuldigende Taschenklopfgeste, die diesen Wunsch unterstreichen sollte, auch verkneifen können, aber was soll’s, heut galts. Sollte der Kerl doch denken, dass ich verdammt zu dumm bin, mein unterstützendes Nikotin-Equipment mit zu führen; mochte er doch darüber nachsinnen, wie unperfekt der Mensch doch ist, eilend bis zum Tode, kopflos in seiner Unschuld. Ich brauchte Feuer.
Sein Gesicht war leer, als er sagte:
»Haben wir nicht. Feuerzeug.«
»Hönnse«, konterte ich, »da sind doch geschätzte 6.000 Schachteln.«
Was er dann sagte, erhellt meinen Horizont für immer.
Die Antwort auf die Frage, wer Kennedy wirklich erschoss?
Die strittige Illuminaten-Debatte und was Kerry falsch gemacht hat?
Wie lange Darth Vader auf dem Bidet braucht?
Pillepalle.
Was er dann sagte, war die Wiege aller Antworten, the Craddle of Answers in the House of Man with the yellow Gasstation-Shirt, oh yes.
»Die sind nicht für hier.«
Dann langt seine Hand, schwielig von Jahrzehnten an der Zapfsäule, nach schräg links und knallt ein Einwegfeuerzeug auf den Tresen; darauf war nicht mal die echte Diddl-Maus zu sehen, sondern so ein imitiertes Bärchen-Tier mit Sonnenblume, allerdings tückisch in sehr ähnlichen Farben wie das Diddlmaus-Universum.
»Einsvierzig.«


Mit dem Rauchen verhält es sich übrigens wie mit Pointen:
Es geht auch mal ohne, wenn’s sein muss.

 

Erste!

Hi Jack,

tja, das wahre Leben halt. :D Hat mir gut gefallen. Keine großen Schenkelklopfer, aber ich mag auch diese Art ruhigen Humor, der einen zum Schmunzeln bringt. Eigentlich sogar lieber.

Mehr kann ich dazu gar nicht sagen, außer dass die Service-Wüste Deutschland manchmal wirklich erbarmungslos zuschlägt.

Textkram (ich finde immer was :mad: ):

jenes speziell hier angebrachtes Gegockele
angebrachte

um meintet Willen
um meinetwillen

verschwiegener Süd-Bottokuden
Was, bitte, sind Bottokuden? :hmm:

Ich sauge Neuwagenduftschwangere Luft ein
neuwagen… (klein)

Der Preis ist auf ein Tablett geschrieben und hat mehr Nullen, als das Auge zu erfassen bereit ist.
Das gefällt mir richtig gut. Also nicht der Sinn dahinter, aber der … ach, du weißt schon.

ich bin nun geraume Zeit verblichen, aber ich- wir alle - ahnten,
Spendier dem ersten Gedankenstrich doch auch noch ein Leerzeichen davor.

Ein Mann wie Du, erdig und hart, der keine Kosten scheut (das letzte Hemd hat ohnehin keine Taschen, Si?),
du (heutzutage auch in Briefen und so);
danach hast du einen festen Zeilenumbruch drin

Tankstelle, Levringhäuser Straße, Acht Uhr.
acht (klein)

aber was soll’s, heut galts.
galt’s (wie auch schon bei dem soll’s)

Diddl-Maus zu sehen, sondern so ein imitiertes Bärchen-Tier mit Sonnenblume, allerdings tückisch in sehr ähnlichen Farben wie das Diddlmaus-Universum.
Was’n nu? „Diddl-Maus“ mit oder ohne Bindestrich?

»Einsvierzig.«
Ganz schön billig inklusive Kippen. ;)


Ach so: der Titel. Ich hätte eine andere Geschichte erwartet. Um eine klärende Metapher geht es doch eigentlich nicht, oder? Ich finde den Titel irreführend.

So, genug gemeckert. Wie eingangs gesagt: Hat mir gut gefallen. :)

 

Moin Jack,

Ja, war ganz nett zu lesen.
Keine großen Pointen und Lacher zwar, aber dennoch unterhaltsam alles in allem. Aber (ein brutaler Satz für den ich mich jetzt schon entschuldige - wenn du schwache Nerven hast, jetzt die Augen zumachen) das kannst du weit besser (so, vorbei - Augen wieder auf).
Eigentlich sinds gar zwei Geschichten, wobei in beiden leider recht wenig passiert. Aber dein Stil ist gewohnt cool lässig und so darum hats trotzdem irgendwie Spaß gemacht.

eines jener Häuser, die neben Wienerwald einen Hahn im Wappen tragen
Neben dem Wienerwald eines jener Häuser, die einen Hahn im Wappen tragen.
Sonst klingts doof.
Er ist einer von jenen, die »zum Bleistift« sagen, also komplexe Klientel, wie ich mir denke.
komplexes
um meintet Willen auch aus einer winzigen Manufraktur verschwiegener Süd-Bottokuden
meinet
Panthergleiche Erhabenheit auf 28-Zoll-Reifen, in die einer von diesen Künstlern, die begnadet, aber zu doof sind, eine Milchtüte aufzuschneiden, Motive der Antike graviert hat, darunter Juda Ben Hur (hier in Szene-Frakturschrift »Ben Bitch«, aber trotzdem erkennbar) mit der knotigen Hand am Schaltknauf.
Wenn du diesen Satz (ja, es ist nur einer) dreimal am Stück laut liest, wirst du merken, daß... naja, du wirst es dann selbst merken ;)
Ein Griff südlich des Schritts, unbewusste Geste, tausendmal gebracht, zeigte mir, dass ich heute keine Beule im Schritt hatte.
Wiederholung.
Mit dem Rauchen verhält es sich übrigens wie mit Pointen:
Es geht auch mal ohne, wenn?s sein muss.
Mit manchen Pointe verhält es sich wie mit dem Rauchen: Besser wärs ohne.
Echt, diesen Absatz hättest du dir schenken können. Oder mir. Je nachdem.

 

Einspruch:

Er ist einer von jenen, die »zum Bleistift« sagen, also komplexe Klientel, wie ich mir denke.
komplexes

"komplexe" ist richtig, es heißt die Klientel :klug:

Bin ja schon wieder ruhig...

 

Vielen Dank- ich wollt mich nur mal auskotzen...das war zwar Sonntag, und ich musste nicht zur Arbeit, und die Kippen hatte ich vorher gekauft-aber das ist wahr, alles...also die 2.te Hälfte...Wollts eigentlich in den Jammerthread hauen...Soll ich?


ACHJA.Fehler werden korriek..korri...


verbessert.

 

Hallo Herr Torrance!

Ja, das war ja irgendwie merkwürdig... zwei Geschichten in einer und keine Schokolade?
Nun, die Fehler haben meine Vorredner schon angesprochen, also bleibt mir nur noch konstruktive Kritik zu üben - naja, Kritik eben.
Diese Autokaufgeschichte war mir zu doof, bei Skoda aber eher wahrscheinlich.
Die Tankstelle war hingegen - wie sagt man? - große Baustelle. Das fand ich wunderprimstens.

Wollts eigentlich in den Jammerthread hauen...Soll ich?
Ach weißte, was soll ich dazu sagen? Nö!

Gruß

 

Gehört das nicht eher zu Satire? Da würde es mir wirklich gut gefallen, denn Satire übt ja humoristische kritik, wie es hier getan wird. Außerdem zu flashbak: Hä, wunderprimstens gibts doch gar nicht? ;-)

 

@Tserk

Hä, wunderprimstens gibts doch gar nicht?
Doch. Du musst in Word (vorausgesetzt du schreibst damit) nur diese Wort markieren, rechte Maustaste und "Hinzufügen zum Wörterbuch" auswählen - schon gibt's das.

 

Moin Jack!

Eine tolle Geschichte, die einen dazu nötigt sie mindestens zweimal am Stück zu lesen! Dein Humor (der mir übrigens wärmstens empfohlen wurde) begleitet die Geschichte wirklich auf brilliante Art und Weise. Es hat großen Spaß gemacht deine KG zu lesen.


Und kurz zu katzano: OK, beim Titel hatte ich auch erst etwas anderes erwartet, aber nachträglich muss man doch sagen, dass er wie die Faust aufs Auge passt. Die scheinbar "sinnfreie" Autokaufgeschichte, wird durch die wahre Begebenheit geklärt! :)

Gruß, Zensur83

 

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