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Klaras Pläne

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26.11.2007
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Klaras Pläne

Ihr Blick war stur nach vorn gerichtet. Ihre Augen ruhten bewegungslos in den Höhlen. Das krampfhafte Brennen hinter den Augäpfeln ließ sich nicht verleugnen. Ihr Magen verkrampfte sich und sie wünschte, schreien, heulen und sich übergeben zu können. In ihrem Mund sammelte sich ein bitterer Geschmack, welcher der Bitterkeit von Endiviensalat gleichkam. Ihr Kopf fühlte sich an, als hätte ihn jemand mit einer Luftpumpe aufgeblasen. Schwammig und mit Watte gefüllt konnte sie nicht denken und doch kreisten Gedanken um die Aufgeblasenheit, die sich in wenigen Wochen nicht in ihrem Kopf sondern eher an ihrem anschwellenden Unterleib zeigen würde. In dunkler Verzweiflung verließ sie die Praxis ihrer Frauenärzten. Diagnose: Schwanger!
Sie eilte durch die Schermbecker Mittelstraße, schaute trübe geradeaus. Ein neuer Schwall frischer Tränen sammelte sich hemmungslos in ihren Augen, formatierte sich zu einem gewaltigen Strom, der alsbald seinen Weg aus den Felswänden finden würde, um ohrenbetäubend ins Tal zu stürzen.
Im Laufschritt überquerte sie den Parkplatz des Rathauses. Am Mühlenteich hoffte sie allein flennend über ihr Schicksal hadern zu können. Das Gesicht in den Händen vergrabend kauerte Klara auf einer Parkbank. Ihr Körper wurde von schluchzenden Heulkrämpfen geschüttelt. Wie sollte sie mit einem eigenen Kind fertig werden? Sie steckte voller Pläne für die Zukunft. Sie sah sich in Frankreich, wo sie gleich nach dem Abi für ein Jahr als Au pair bei einer Gastfamilie leben sollte, während sie auf einen freien Studienplatz wartete. Wie konnte sie überhaupt mit einem Balg am Rockzipfel an ein Studium denken?
„Tot!“, dachte sie unvermittelt und sah mit teilnahmsloser Mine auf den Teich. Konnte die Lösung so einfach sein? Thomas hatte sich von ihr getrennt, kaum das sie zwei Wochen ein Paar waren. Er turtelte bereits mit der nächsten Braut, während sie sich mit den Folgen eines undichten Kondoms quälen musste. Das Leben war so ungerecht!
Versteinert senkte sie ihren Kopf, blickte zu Boden und fiel beinahe ins Bodenlose. Ihr Wunsch, als erfolgreiche Jungarchitektin am Stadtbild mitarbeiten zu können, neue Akzente zu setzen und architektonische Meisterleistungen zu vollbringen, ja die gesamte Architektur neu zu definieren und revolutionieren waren dahin. Dieses „Etwas“ in ihr musste weg. Nichts, aber auch gar nichts durfte sich ihr in den Weg stellen und als lästiger Anhang an einen zweiwöchigen Fehltritt mit diesem Kerl erinnern.
„Du darfst nicht bei mir bleiben!“, murmelte sie monoton vor sich hin und freundete sich mit dem Gedanken einer Abtreibung an. Es gab sicher zahlreiche Frauen, die diesen Eingriff machen ließen. Warum also nicht auch sie?!
„Hallo Klara, so eine Überraschung!“ Klara blickte verschrocken auf. Vor ihr stand Tante Helga, ihre ehemalige Sonntagsschullehrerin. Sie mühte sich ein Lächeln ab und erwiderte den Gruß.
„Du siehst aus, als sei jemand gestorben.“ Tante Helga setzte sich wie selbstverständlich zu ihr auf die Bank. „Ärger in der Liebe oder in der Schule?“
„Tot!“, wiederholte Klara ihre Gedanken und Sturzbäche ungebremster Tränen rannen über ihr blasses Gesicht. „Ich bin schwanger, und wenn ES nicht stirbt, dann sterbe ich.“ Klara schluchzte verzweifelt und ließ sich von Tante Helga schweigsam in den Arm nehmen. Diese wartete geduldig, bis das Jammern und Anklagen abebbte.
Mit ruhiger Stimme sprach dann Tante Helga, als würde sie eher ihren eigenen Gedanken nachgehen: „Das Erstrebenswerte ist eine Definition von dem, was wir uns in jungen Jahren für unsere Zukunft ausmalten. Oftmals gilt es nur, seinen Standpunkt ein wenig zu verändern und sich neu auszurichten. Ein neues Leben beginnt, ohne das wir das alte weggeben müssten. Wir können uns darauf einlassen oder aber uns blind abwenden. Doch wie sollten wir wachsen, wenn wir uns neuen Herausforderungen nicht stellen? Es gibt immer zahlreiche Möglichkeiten. Wir sollten nur kreativ sein und dankbar die Prüfungen auf uns nehmen. Und – Hilfe annehmen ist keine schlechte Eigenschaft.“
„Aber all meine Pläne...“, jammerte Klara weinerlich.
„Sei kreativ, mein Kind. Finde Lösungen, gehe neue Wege! Du bist niemals ganz allein. Auch wenn du das für einen Moment denkst, so steht doch jedem von uns ein Engel zur Seite. Hast du denn das nicht bei mir in der Sonntagsschule gelernt?“
Klara trocknete sich die Augen und erblickte ein kleines Gänseblümchen auf der gegenüberliegenden Wiese, das verspielt im Wind lächelte und wippte. „Doch!“ Sie atmete schwer auf. „Das habe ich. Aber wie finde ich diesen Engel?“
Zärtlich streichelte Tante Helga ihrem Schützling über die Wange. „Das hast du doch schon, Klara. Du nennst ihn „Mama“, schon dein Leben lang!“

 

Liebe AnSza!
Was willst Du bloß mit Deiner Geschichte sagen??? Ist es wirklich nur die platte, pädagogisch überfrachtete Botschaft vom Mutterherzen, das alles versteht? Oder ist die Tante aus der Sonntagsschule mit ihrer Problemlösungskompetenz eine bitterböse, ironische, sarkastische, oder Was-auch-immer-Spitze, und ich habe es bloß nicht gemerkt?
Was mache ich mit den "sich hemmungslos formatierenden Tränen, die aus den Felswänden stürzen?
Ich weiß es einfach nicht!
LG,
Jutta

 

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