Klaus
Bis auf das „Klaus“ selbst. Es war eine Art Ruhepol im so oft zitierten Großstadtmeer. Eine kleine und bescheidene Bar mitten im Gewimmel aus Menschen und Fahrzeugen jeglicher Art.
War draußen noch Lärm, waren die einzigen Geräusche, die man hörte, sobald man eingetreten war, der sanfte Klang eines Pianos und das leise Gemurmel der wenigen Gäste, die hier Platz fanden. 15 Menschen insgesamt. Jeweils zwei an fünf kleinen Tischen an der Fensterfront des „Klaus“. Fünf weitere konnten sich an die Bar setzen und ein Schwätzchen mit dem Barkeeper oder miteinander halten. Je nach Bedarf.
Ganz abgesehen von der Ruhe waren auch die Preise im „Klaus“ absolut annehmbar, das neben allen nur erdenklichen Kaffeesorten auch Kuchen und Kekse verkaufte, ebenso wie Kakao, als Getränk für die Jüngeren.
Das „Klaus“ war ein Traum von einer Bar und für viele ein Ruheort.
Bis das gute Image des „Klaus“ sich verbreitete.
So ist es nun einmal: Gibt es etwas Gutes, spricht sich das herum. Gibt es etwas sehr Gutes, spricht sich das umso schneller herum. Und geht es um etwas wie das „Klaus“ weiß in nicht allzu langer Zeit jeder davon, den es interessiert. So stieg der Besucherandrang auf ebenjene Bar immer weiter an. Bald sah sich der Besitzer des „Klaus“ gezwungen an jeden der fünf Zweiertische einen dritten Stuhl zu stellen, um die erhöhte Besucherzahl irgendwie auffangen zu können. Denn es entstanden bereits meterlange Schlangen vor der Bar. Zudem musste er einen weiteren Kellner einstellen, denn sein Personal kam mit der Situation nicht mehr zurecht.
Bald darauf kam ein Geschäftsmann in das „Klaus“.
„Hören Sie“, sagte er zum Besitzer. „Ich bin alt und habe viel Geld und eine Frau, die vierzig Jahre jünger ist als ich. Doch ich will noch mehr Geld und eine neue Ehefrau. Ich werde Ihre Bar kaufen und eine Kette in deren Stil eröffnen.“
Doch der Besitzer des „Klaus“ wollte nicht verkaufen. Er mochte das „Klaus“. Die kleine bescheidene Bar mitten im Großstadtsumpf und das ebenso bescheidene Leben, das er hier durch sie finanzieren und führen konnte.
„Nein“, sagte er also.
So ging das Leben weiter. Bis die Überlastung des „Klaus“ wieder zu groß wurde.
Der Besitzer schob also die Barhocker zusammen und stellte noch drei hinzu, sodass acht Leute an der Bar Platz hatten, und schob zudem die Tische ein Stück von den Fenstern weg, sodass er an der vierten Seite der kleinen Tische ebenfalls noch einen Stuhl platzieren konnte. Das Fassungsvermögen der Bar stieg nun auf 28 Personen. Ein weiterer Kellner musste her.
Doch es dauerte nicht lange, da zeigte sich, dass auch das nicht genug war. Die Schlangen vor der Bar wurden länger und länger.
Doch der Platz in der Bar konnte nicht vergrößert werden.
So dachte sich der Besitzer ein kompliziertes Reservierungssystem aus.
Das nicht funktionierte.
Anschließend probierte er es mit einem unkomplizierten Reservierungssystem.
Doch auch das fruchtete nicht.
Zu diesem Zeitpunkt waren die früheren Stammgäste längst verschwunden. Keine der Personen, die die frühere Ruhe dieser Bar so sehr geliebt hatten, wollte den weiteren Verlauf, den das Schicksal des „Klaus“ nahm, miterleben, denn auch wenn es im Innern immer noch ruhig war, war es nicht mehr so wie früher. Es war nicht mehr so geräumig und die Kellner bedienten hektisch und verloren kaum mal ein freundliches Wort. Denn sie mussten die Schlange vor der Bar kurz halten.
Und es kam der Zeitpunkt, da empfahl ein Bekannter des Besitzers ihm: „Vergrößere deine Bar! Ich habe gehört, dass die Chefin des Friseursalons nebenan bald zu einer mickrigen Rente in Pension geht und den Salon verkauft, um ihren Kindern nicht nur Schulden hinterlassen zu müssen. Das ist die Chance für dich. Ich sage dir: Vergrößere deine Bar! Die Schlange verschwindet und du verdienst mehr.“
Doch der Besitzer des „Klaus“ wollte nicht vergrößern. Das „Klaus“ sollte bleiben, was es war. Die kleine Bar in der Großstadtwüste.
Der Besitzer hatte nicht erkannt, dass es schon längst nicht mehr so wie früher war. Er sah nur die dreizehn Besucher, die jetzt zusätzlich Platz fanden. Er hatte nicht gemerkt, dass die bekannten Gesichter verschwunden waren. Hatte nicht registriert, dass immer weniger Gäste englisch sprachen. Hatte nicht beachtet, dass gegenüber ein kleiner Souvenirshop geöffnet hatte, der „Klaus“-Tassen verkaufte. Ihm war zu keinem Zeitpunkt aufgefallen, dass die Zahl der Tischgespräche abgenommen hatte.
Das einzige, was der Besitzer mitbekam, war die Ruhe, die hier noch immer vorherrschte und die sanften Klänge des Pianos. Und das gefiel ihm.
Dabei hatte die Großstadttundra schon seit langem Einzug erhalten.
In die kleine Kaffeebar mitten in Louisville.