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Kleine Geschichte der Hoffnung

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23.02.2025
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Anmerkungen zum Text

Der Titel lautet eigentlich "Eine Adventsgeschichte"

Kleine Geschichte der Hoffnung

Es ist diese wunderschöne Jahreszeit, die wir Advent nennen. Der Herbst ist noch nicht ganz vorbei und der Winter noch nicht ganz da. Es ist eine Zeit des Übergangs. Und es sind die Übergänge, die uns Menschen die meisten Sorgen bereiten, uns rastlos machen und nach etwas Größeren Ausschau halten lassen. Jetzt, wo die Tage kurz und die Nächte lang sind, wo das Laub von den Bäumen fast verschwunden ist und der Himmel verdeckt ist von schwarzen, Unheil verkündenden Wolken, jetzt findet eine der wunderschönsten Geschichten statt, die nur der Zauber des Advent erzählen kann.

Ich bin unterwegs auf meinem Lieblingsweg. Er führt erst vorbei am schauerlichen Friedhof, hindurch durch unwegsames Dickicht und öffnet dann den Blick auf das Ufer des großen Flusses. Große, starke Weiden wachsen entlang des Ufers und schützen die sanfte Brandung vor allzu vielen neugierigen Blicken. Manchmal huschen Eichhörnchen in Eile über die Steine, die entlang des Ufers aufgebaut worden sind.

Ich kenne diesen Weg. Dort, wo ein umgestürzter Baum liegt und mir eine stille, ungestörte Rastmöglichkeit bietet, dort ist mein Platz. Beinahe jeden Tag komme ich an diese Stelle, die mir den unermesslichen Schmerz nimmt und mir Trost spendet. Ich spüre, dass hier höhere Mächte walten. Ich fühle die Wärme und Präsenz von etwas, das unseren Blicken verborgen bleibt.

Auch heute schleiche ich durch das Dickicht und komme schließlich zu meinem Lieblingsplatz. Der Baumstamm ist feucht von den tagelangen Regenfällen, doch ich bin gut gerüstet und habe eine wunderbare Sitzgelegenheit mitgebracht, die er mir damals geschenkt hatte.

Der Wind geht leise durch die Bäume, bewegt die Wipfel und spielt mit dem Wasser, das sich dann kräuselnd an den Steinen aufreibt. In Gedanken folge ich dem Rascheln, dem Duft der feuchten Erde und dem sanften Wiegen der Bäume. Sie scheinen Geschichten zu erzählen, Geschichten von lang vergangen Zeiten. Jeder Duft, jedes Geräusch eine Geschichte.

Ich mag diese Jahreszeit, ich bin geboren zu dieser Jahreszeit und jedes Jahr fühle ich mich innig verbunden mit ihr. Und besonders auf diesen Tag habe ich mich am meisten gefreut. Es ist der erste Advent. In all dem Dunkel und der beginnenden Kälte entsteht jetzt Licht. Erst eins, und Woche für Woche kommen weitere hinzu bis zum Abend des ewigen Lichts, das den Menschen die Hoffnung und den Glauben zurückgibt. Ich liebe es, wenn an vielen kleinen und vereinzelten Stellen das warme Licht der Kerzen erscheint.

Wenn ich von meinem Ausflug zurück bin, will ich gleich eine Kerze anzünden. Ich hatte einen schönen Adventskranz gebastelt und ihn in der Mitte des Wohnzimmertisches platziert. Doch eine Kerze, groß und schön, die habe ich schon ins Fenster gestellt. Diese eine Kerze, sie ist mir die wichtigste.

Etwas reißt mich aus den Gedanken und ich schaue auf. Mit einem Mal habe ich das Gefühl nicht mehr allein, ja, allein gelassen zu sein. Ein Gefühl, dass ich so schmerzhaft kennen lernen musste und das ein Begleiter für das ganze Leben wird.

Ich schaue mich um, sehe aber niemanden. Ich drehe mich um, da ich das Gefühl habe, jemand stünde hinter mir und umarme mich sanft. Dort ist niemand. Nur das Rascheln vernehme ich weiterhin. Der Wind scheint kleine Spielchen in den Bäumen zu spielen. So blicke ich auf die beiden Bäume, die mir gegenüber stehen. Es sind zwei noch recht junge Kirschbäume. Sie stehen so dicht beieinander, dass die Kronen ineinander übergehen und ich nicht sagen kann, welche Äste und Zweige zu welchem Baum gehören. Sie scheinen regelrecht miteinander verwachsen und stehen da wie ein Liebespaar, das sich Halt und Schutz gibt, und doch jeder für sich ist. Ich beobachte, wie ein Eichhörnchen den einen Baum hinauf hüpft und in der Krone Platz nimmt.

Vertieft in die Beobachtung des Eichhörnchens verschwimmen Äste und Zweige vor meinen Augen und ich tauche ein in eine Erinnerung. Ein See. Wir beide. Hand in Hand. Es war ein Frühlingstag. Die Farben erwachten erst und die Geräusche waren noch zart. Das seichte Wasser strandete leicht und sie blieben stehen. Dicht an dicht, regelrecht miteinander verwachsen, einander Halt und Schutz gebend und doch jeder für sich. Ein tiefes Gefühl von Wärme und Geborgenheit durchflutet mich. Der kostbare Augenblick des wahren Glücks ist gegenwärtig. Das Gefühl vom unendlichen Aufgehobensein, vom Einssein, von Liebe und Mitgefühl.

Mit einem geschickten Satz springt das Eichhörnchen in die andere Baumkrone und ich habe die Botschaft verstanden. Es gibt keine Trennung. Es gibt nur Liebe. Und sie überdauert. Und jedes Jahr, zu dieser wundervollen Zeit, wird das Versprechen erneuert. Wir müssen die Botschaften nur verstehen, die unsere Seelen ganz zart berühren.

Ich kehre nach Hause zurück, entzünde ein Licht und weiß, alles ist gut, so wie es ist.

 

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