Kleines Haus am Rande
Kleines Haus am Rande (Thema des Monats August)
die diese Welt einhüllen.
Glaube an Morgen
Und daran, daß sich Menschen berühr’n.
Es war dunkel, tief schwarze Nacht und kein einziger Stern war am Himmel zu sehen. Nur der glimme Schein von einigen Straßenlaternen erzeugte einen schwachen Eindruck von Licht. Ganz entfernt, fast wie eine weitere Laterne, hing der Mond am Himmel, ohne das Wissen um seinen Standort erschien er erstickt im Nebel dieser Welt, kurz davor für immer zu verschwinden. Als letzte Boten seines Seins, schickte er sein schönstes und wärmstes Licht auf die Erde herab.
In diesem Licht stand das kleine Haus am Ende der Straße, unbeleuchtet und scheinbar unbewohnt. Der Giebel hing ein Stück zu weit über das Haus heraus; die linke Seite war mit Kletterrosen so verhängt, daß man annehmen mußte, die Wand dahinter sei schief. Eine einladende Haustür aus schwerem Holz bat inmitten kleiner Fenster zum Eintreten ein. Louisa war in einem der oberen Zimmer und schaute auf die Straße hinaus. Niemand schien sich dort gerade zu bewegen, niemand war unterwegs. Die Straßenlaterne zwei Häuser weiter fing an zu flackern und erlosch, damit lag ihr Haus nun in vollkommener Dunkelheit, was sie nicht sehr betrübte, da ihre Augen sich schon längst an die Nacht gewöhnt hatten und sie so den Schatten, der sich von der zum Wald führenden Seite der Straße näherte erspähen konnte. Wie immer versuchte die Gestalt sich am Wegesrand an Büschen und Bäumen entlang zu schleichen, um möglichst lange unerkannt zu bleiben und – vielleicht - gar nicht gesehen zu werden. Es war ein Mann, dachte Louisa, so wie er sich bewegte, beschwingte aber kraftvolle Schritte. Jede Nacht kam er zu ihrem Haus, legte einen Strauß Waldblumen auf eine Stelle in ihrem Garten und verharrte noch ein paar Momente. Sie wußte nicht, ob er sie irgendwann bemerkt hatte, wie sie immer da stand und am nächsten Morgen die Blumen aufhob, um sie bei sich in eine Vase zu stellen. Sie hatte schon vor einiger Zeit festgestellt, daß sie nicht einschlafen konnte, ohne ihren „Schatten“ gesehen zu haben, ohne zu wissen, daß auch morgen wieder ein Strauß Blumen da liegen würde. Manchmal, gerade im Sommer, stand sie bis tief in die Nacht am Fenster und wartete auf ihn. Wenn er dann kam, sah sie in beruhigt sein Ritual begehen und dann leise und nahezu unerkannt wieder verschwinden.
Früher einmal, es muß so drei oder vier Jahre hergewesen sein, kurz nachdem sie eingezogen war und sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie daran gedacht, nachts draußen auf ihn zu warten und ihn anzusprechen. Sie wollte damals unbedingt wissen, was das sollte, warum er jede Nacht kam. Doch dann hatte sie sich doch nicht getraut. Sein tägliches Auftauchen hatte sie mit seiner Bestimmtheit eingeschüchtert und anfangs hatte sie Angst, er könnte ein Psychopath sein und ihr wie ein Wahnsinniger etwas antun. So fing es an, sie hatte herausfinden wollen, wie oft er in der Woche kommt, dann wie viele Wochen hintereinander, ob auch im Winter und dann war es um sie geschehen. Louisa war dem Rhythmus seiner Zeit verfallen. Ihr Tag endete erst, wenn sie ihn gesehen hatte, er war ihre Gutenachtgeschichte, ihr Kuß zum Einschlafen, ihr Traum in jeder Nacht.
Louisa ging ins Bett, der Tag war lang und es war mal wieder besonders spät, es waren die Herbsttage, in denen kam er immer erst sehr spät, da die Nacht noch immer auf sich warten ließ bis sie ihre schwarzen Schatten vollends über die Welt schickte. Sie schlief ruhig, wie immer oder wie seit erst drei oder vier Jahren.
Auch der folgende Tag war wie immer um diese Jahreszeit, leicht verschlafen setzte sie sich an ihren Schreibtisch und schrieb. Sie schrieb über den Wandel der Welt und die neuen Rhythmen der Zeit, über den einen und anderen Philosophen und über die Geschichten des Lebens, die über verschlungene Wege zu immer neuen Enden führten. Sie hatte das Gefühl, daß sie kreativer, geistesanwesender und allumfassender in ihren Gedanken geworden war, seitdem sie in das kleine Häuschen eingezogen war, auch ihr Verleger hatte dies bemerkt und nur Scherzhaft gesagt, daß es wohl ein besonderes Haus sein müßte, was einen klugen Kopf noch klüger machen konnte. Louisa hatte darüber nur lächeln können und mußte dann sofort an ihre Nächte denken, in denen sie am Fenster nachdachte, bis er kam. Sie hatte wegen ihm die schönsten Sonnenuntergänge gesehen, fantastische Sternenhimmel und Weltuntergangs-Stürme. Er war ihre wahre Quelle, er war das romantische Element, daß allem einen andern Glanz gab und welches ihrem Leben so viel zu geben schien. Aber vor allem war ihr Glaube an eine andere Welt wieder gekehrt, eine Welt in der alles ideal sein konnte, in der zu Gut nicht auch zwingend Böse gehörte und aus dieser Welt schöpfte sie ihre berechtigten Ansprüche an eine gute Welt in der sie leben konnte und die sie in ihren Geschichten so eindrucksvoll beschrieb.
Und in dieser Nacht stand sie wieder am Fenster und wartete bis das Sonnenlicht sich aus den Baumwipfeln verabschiedete und auch der Himmel in den kühlen Farben einer sternenklaren Nacht eingehüllt war. Er kam, wie immer und wie in den folgenden Nächten bis zu jener Nacht, viele Jahre später. Ihr Haus war immer noch das letzte in der Straße und sie stand noch immer jede Nacht am Fenster und wartete auf ihn. Dann, in jener Stunde, kurz nach Sonnenuntergang klopfte es an ihre Tür, sie hatte wohl ein Auto auf der Straße gehört, aber nicht weiter darauf geachtet, sondern in Gedanken versunken in Richtung Wald geschaut. Als sie die Tür öffnete trat ihr ein förmlich gekleideter Mann entgegen und überreichte ihr einen alten, gelblichen Briefumschlag auf dem ihr Name in verschnörkelter Schrift stand – Louisa. Der Mann neigte seinen Oberkörper leicht nach vorne und drückte sein aufrichtiges Beileid zu ihrem Verlust aus, dann ging er wieder. Louisa war verwirrt, wieder in ihrem Lieblingszimmer im Obergeschoß öffnete sie den Umschlag und laß den Brief, der von einer anderen Welt erzählte, in der einst ein Mann nicht daran glauben konnte, daß die Welt vor ihm alles sein sollte, er fragte sich, ob es noch andere Dinge außer den fröhlichen Gesichtern um ihn herum gab oder was passieren würde, wenn man nicht mehr aufhören wollte zu weinen oder nicht jeder freundlich wäre, aber all dies war in seiner Welt ungewöhnlich und eigentlich auch nicht zu finden. So ist er los gezogen und an einem besonderen Ort fand er eine Tür in ein anderes Reich. Als er sie durchschritt sah er alles, was er sehen wollte, Kriege zwischen Menschen, Verschmutzungen von Natur und Mensch einerlei und die schlimmsten Dinge, die er sich vorstellen konnte. Er wollte schnell wieder umkehren, doch die Tür war verschwunden. In tiefster Verzweiflung baute er an die Stelle der Tür in seine Welt ein Haus und wartete dort auf das erneute Erscheinen der Tür. Doch sie erschien nicht, auch nicht nach Jahren und so zog er durch die Welt und hoffte sie irgendwo anders zufinden. Viele Jahre später kam er zurück, ohne sie gefunden zuhaben. In seinem Haus wohnten andere Menschen, mit Kindern, später welche mit einem Hund und wieder andere mit einem großen Kater und nach ihnen so viele andere. Der Mann konnte nicht mehr zurück, weder in seine Welt noch in sein Haus. Er lebte all die Zeit in einer kleinen Höhle tief im Wald, wo er nur Tiere um sich hatte und die reinen und unverfälschten Farben der Natur. Er hat sie alle gesehen, in glänzenden Sonnenuntergängen, in tiefen dunkeln Nächten und in den unglaublichsten Stürmen. Und er ging jeden Tag zu der Stelle, an der er aus der Tür herausgetreten war. Wie zum Gebet legte er immer einen Strauß Blumen nieder, möge sie nur wieder kommen und ihn zurück in seine Welt führen und später wollte er nichts sehnlicher, als nach Hause zurück zukehren, um allen dort zu sagen, daß sie niemals seinem Weg folgen sollten. Nach einem Absatz standen in zittriger Schrift ein paar weitere Zeilen, in denen er erklärte, daß er spüren würde, daß er nicht mehr lange leben würde und sie wahrscheinlich die einzige war, die ihn aus diesem Haus je beobachtet hatte und sie mußte sein Werk fortsetzten. Derer Bewohner des Hauses, daß seinen Glauben an seine ideale Welt in sich trug, mußte dafür sorgen, daß die Tür, sollte sie irgendwann erscheinen, bewacht war, daß niemand aus seiner Welt den gleichen Fehler wie er begehen konnte. Louisa verstand, sie mußte nun jede Nacht einen Strauß Blumen in den Garten legen und sie mußte auf die Tür warten um sie für immer zu versperren. Und wenn nicht sie, dann würde sie für einen neuen Wächter sorgen.
Louisa legte den Brief beiseite und schaute wieder in die Nacht hinaus, sie fühlte sich ein wenig mehr allein in dieser Welt und doch, war sie glücklich, der Glaube an diese Welt in der es Gutes gibt, ohne daß es getrübt war, bestärkte sie in ihrer Zuversicht, daß sie ihre Aufgabe erfüllen würde. Sie würde warten und dabei die Hoffnung in ihre eigene Welt weiter tragen.