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- 24.04.2003
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Knut, Bernd und Chaos auf dem Wohnzimmertisch
"Ach guck mal, der süße Knut ist im Fernsehen."
"Bernd, schalt um Himmels Willen diesen scheiß Eisbären weg."
"Du bist total unemotional, Alter. Bauen wir noch einen?"
Ich besah mir das Chaos, das wir in den letzten zwei Stunden auf dem Wohnzimmertisch zustande gebracht hatten und entdeckte zwischen leeren Chipstüten, Miranda Orangenlimonade Flaschen und Bernds roten Ohrwärmern den vermeintlich letzten kümmerlichen Rest unseres Vorrats.
"Hömma, meinste nicht, wir sollten mal nen Gang zurück schalten, sonst ist gleich nichts mehr da."
Augenblicklich sprang Bernd vom Stuhl auf und griff nach dem Plastiktütchen.
"Wie", entfuhr es ihm entsetzt. - "Wo ist das denn alles abgeblieben?"
"Ja, wir haben da wohl ganz gut zugeschlagen."
"Aber, aber ... du verarschst mich, ja?"
Mit meinem Kopfschütteln starb etwas in Bernd. Eine einsame Träne kullerte über seine Wange.
"Sag mal, heulst du jetzt?"
"Quatsch, ich hab nur Zigarettenqualm ins Auge gekriegt. Also ..."
"Was ... also?"
"Wer fährt?"
"Wohin?"
"Nochmal über die Grenze."
"Sag mal, spinnst du? Ich bin hackedicht."
"Na und, im Auto muss man doch sowieso nur Hebel betätigen, und Pedale drücken, und an diesem Steuerrad da drehen, und ..."
"Vergiss es, Alter."
"Dann fahre ich!"
"Bernd, du hast keinen Lappen mehr, schon vergessen?"
Zahnräder nahmen ihre Arbeit auf. Es dauerte einige Sekunden, bis die Energiesparlampe in Bernds Kopf mäßig zu glimmen begann.
"Die Bahn! Wir fahren mit der Bundesbahn!"
"Boah, jetzt versau hier doch nicht die ganze Stimmung. Das reicht schon noch."
Ein hektischer Blick auf die Armbanduhr.
"Also, wir müssen rationieren. Es ist jetzt viertel nach Acht und nen paar Gequetschte. Hast du sone Küchenwaage da?"
"Nee, ich hab ja nicht mal ..."
"Wir schätzen! Was meinst du ... 2,5 Gramm?"
"Ich hab da jetzt echt keinen Bock ..."
"Jetzt nimm das scheiß Gras in die Wichsgriffel und nenn´ mir sein verdammtes Gewicht, Jesus im Himmel!"
"Bitte, wenn du dann ..."
"Vorsichtig, ganz langsam. Ach Mensch, jetzt pass doch auf, da ist schon der erste Krümel aufm Teppich ... nu sei doch vorsichtig."
"Ja ja, 2,5 Gramm wird wohl stimmen."
Bernds Augen wurden zu ernsten Schlitzen.
"Bist du dir da auch sicher?"
"Klar Mann, klar bin ich mir da sicher. Jetzt bleib ma locker. Ich hab eh gelogen. Das andere Zeug liegt unter der Fernsehzeitung."
"Alter, sag das doch gleich. Oder wolltest du mich etwa verarschen?"
"Nein."
"Gut. Ich bau´ dann mal. Ach Mensch, wie sieht denn der Tisch aus!"
"Dreh ihn halt bei mir im Schlafzimmer."
Nach kurzer Suche fand er das kleine Pappschild, auf dem Bernd_afk stand und steckte es sich an den Pulli.
"Okay, bis gleich."
Nachdem Bernd den Raum verlassen, ich mich dem Fernseher zugewandt, und eine weitere Zigarette in Brand gesteckt hatte, musste ich tatsächlich zugeben, dass dieser Knut irgendwie niedlich war.
Das nach Futter schnüffelnde Stupsnäschen, die dunklen Kulleräuglein, diese kleinen Bärenpfötchen, die so verspielt nach den toten Forellen ...
"SCHEIßE!"
Panisch fuhr ich hoch.
"Was ist passiert Bernd?"
Stille.
Dann: "Nichts, ich manage das schon."
Kurze Zeit später hörte ich sich öffnende Schubladen aus dem Flur.
"Was machst du da?"
Bernd stand in der Tür, einen Schraubenzieher mahnend in die Luft streckend.
"Hast du auch kleine Kreuzdinger hier?"
"Was wird das?"
"Du und dein bescheuerter Röhrenmonitor. Da macht man nur kurz das Fenster auf, und schon ..."
"Bernd, ich kann dir grad nicht ganz folgen."
"Alles in die Lüftungsschlitze."
Es folgte Fassungslosigkeit, gepaart mit der Erinnerung an den Praktiker Baumarkt. Wer braucht schon einen kleinen Kreuzschlitz? Immerhin kostete der eine Werkzeugkasten 2 Euro weniger.
Diese Szene aus naher Vergangenheit erklärte ich Bernd in aller Ausführlichkeit, dessen Mimik zunehmend trauriger wurde. Anschließend fragte er mich etwas wegen Gemeinschaftskeller und dem Aufbrechen von Vorhängeschlössern, worauf ich auf den Umstand verwies, keine Zange zu besitzen, was Bernd mit der Möglichkeit kommentierte, sich bei einem Nachbarn eine auszuleihen. Daraufhin machte ich ihm verständlich, dass es relativ auffällig sei, sich bei einem Nachbarn eine Zange auszuleihen, um mit dieser dann das Vorhängeschloss seines Werkzeugkellers aufzubrechen. Bernd dachte einige Minuten lang nach und griff die Diskussion mit der Feststellung wieder auf, dass Leih-Nachbar und Vorhängeschloss-Nachbar ja nicht die selben Nachbarn zu sein bräuchten, woraufhin ich wiederrum mit dem Argument konterte, dass es sich generell um eine scheiß Idee von Bernds Seite aus handele und er gefälligst mit der Bahn nach Venlo fahren solle.
Dann musste Bernd lachen und gab zu, diese Verarschung nicht länger aufrecht erhalten zu können, und dass das Zeug überhaupt nicht in den Monitor gefallen sei.
Anschließend verbrachten wir noch einen lustigen Abend. Nur über Knut wurde nichts mehr berichtet.