Kommt herein, Theaterstück!
"Ficken!! Aus, aus, na so ne Scheiße, i maan i derzarr des net!", tönte der junge Mann
im eleganten Anzug, an dem wohl allein für das Jackett der Monatslohn eines Durchschnitts-
hacklers draufgehen würde.
Auch sonst wollte sein Ton nicht recht zu dem Bild passen, dass der frisch gebackene
Regisseur abgab.
Die zurückgegelten, braunen Schmalzlocken, die habsburgisch anmutenden Gesichts-
züge mit dem schmalen Mund und den stechend blauen Augen ließen auf einen gehobenen
Lebens- und Bildungsstandard schließen. Auch die körperliche Fülle machte das aristokratische Gesamtporträt kaputt.
Wie man sich täuschen kann.
"Steh auf, du kotzst mich an! Schleich dich, heast, du krepierst, als ob du das auch ein
zweites Mal könntest! Checkst es net? Du stirbst!! Du wirst gemeuchelt, abg'stochen, da
muss man doch zumindest etwas in deinem G'sicht erkennen!!"
Gut, ab da kann ich diese Geschichte ohne Dialoge erzählen, es sollte bloß ein Eindruck
von der Hauptperson gewonnen werden, seine Ausdrucksweise plastisch geschildert
werden.
Trotz dem rüpelhaftem Auftreten war es nicht zu übersehen, dass er, Wolfgang, ein überaus
intelligenter Mensch und gestandener Kunstkenner war.
Das Leben hatte es gut gemeint mit ihm, er war Kind aus reichem Hause, das andere könnt ihr ja daraus schon ableiten. Privatschule, behütet, von den anderen Kindern gehänselt, grob nach Außen, um vom verletzlichen und verletzten Inneren abzulenken.
Seine Mutter hatte ihn als Kind immer mit ins Theater genommen, die Umkleide hinter dem großen Vorhang war seine Kinderstube. Mich wundert es, dass er trotz allem weder homosexuell noch drogenabhängig, oder gar beides war. Man kennt ja Theaterschauspieler, und jetzt soll kein Schwein sagen, das sei ein Vorurteil von mir!
Nein, er war normal. So normal, wie er eben unter den gegebenen Umständen sein konnte. Mit dem Feenstab aus der Requisitensammlung hatte er nur einmal gespielt, mangels Plastikschwert, das war wirklich auch das einzige Mal.
Da er schon vieles sehen durfte, was für sensible Menschenhirne nie bekömmlich ist, hatte er ein ausgezeichnetes Auge bekommen, was gut und was schlecht war.
Seine Schauspieler waren schlecht, und wie!
Den Stadlober Robert hätte er gern als Hauptfigur, der konnte gut leiden! Dieser Hans vor ihm erweckte ja nicht mal Mitleid, höchstens Freude, dass er nach dem Tod von der Bühne verschwindet.
Wie oft hatte er den Gedanken schon gehabt. Wie oft hatte er gelitten, weil es seine Schauspieler nicht konnten.
Per Handwink ließ er die Mimen wissen, sie sollten weitermachen, obwohl ihm ganz klar war, dass auch dieses, sein drittes Stück, wegen ihnen in der Luft zerrissen werden würde.
Journalisten, dieses miese Pack, nur weil er aus reichem Hause stammt, seine Mutter mit der halben Theaterwelt geschlafen hatte, hielten sie ihn für einen Versager. Einen Propfen, der nur durch seine Abstammung und sein Geld das Privileg hatte, die Puppen spielen zu lassen. Aber mit seinem Auge hätte der es auch so geschafft. Das war ihm klar.
Vorhang auf, und der Hauptdarsteller war noch immer dabei, den Abgang zu üben.
Wie der bloß hinfiel! Wie der dreinschaute! Höchstens wie ein Mannequin, dem man die Puderdose gestohlen hatte, nicht wie ein echter Mann, dem man das Leben aus dem Körper schoss.
Dutzende, ja Dutzende Kerle hatte er diese Szene proben lassen, und der da war ja noch der Beste. Und doch so schlecht, Scheiße!
Es gibt immer einen Ausweg, wenn es auch die Hintertüre sein muss. Seine Mama hatte ihm das beigebracht, darauf baute er auf. Da machte es ihm nichts aus, von guten Eltern zu sein.
Warum auch?
Es kostete ihn zwei Anrufe, zuerst bei einem Freund, der Ausländer war, dann bei dem Ausländer, der der Freund vom Freund war. Alles klar?
Eine Woche später, gute zwei Tage vor der Erstaufführung, saß er Viteszlaw, dem neuen Star seines Bühnenstückes, gegenüber.
Man erkannte, dass der nicht aus gehobenen Verhältnissen stammte, um es mal mild auszudrücken. Sein Ganzes schrie förmlich danach, als Ostler erkannt zu werden. An sich kein Problem.
Einer Patrone und zweihundert Euro später war er auf dem Weg nach Hause, mit dem tollen Gewissen, die Aufführung würde ein Knaller werden. Einfach toll, unübertroffen. Sowas hatte man sicher noch nie gesehen, und Viteszlaw war der Schlüssel für alles. Wie einfach das Leben doch sein kann, wenn man sich erst mal der Einfachkeit seines Problems bewusst wird.
Da saß er nun, gab mit dem Zeigefinger diskret das Zeichen, den Vorhang auseinander
zu schieben. Die neue Garde steht ja mehr darauf, den Zuschauer durch plötzliches Auftauchen der Schauspieler oder durch sonstige billige Effekte zu intrigieren. Das hatte er nicht nötig, nicht dieses Mal. Nie wieder würde er es nötig haben, das war klar.
Wie durchschnittlich das Stück war, es lohnt sich eigentlich nicht für mich, es weiter in die Geschichte einzubauen. Sagen wir, jeder von uns hätte so etwas auf die Beine stellen können, wenn er diese Voraussetzungen, Herkunft sage ich nochmal, gehabt hätte.
Nun gut. Aber darauf kam es nicht an.
Wie gut wusste er, dass sein Stück am nächsten Tag die größten Schlagzeilen machen würde. Nein, da täuscht ihr euch, er war keiner von diesen Spinnern, die ihren Müll für Kunst hielten. Ihr wisst auch, die größte künstlerische Leistung schafft es heutzutage vielleicht, in New York oder London bemerkt zu werden, aber nicht in Wien. Und vor allem nicht von der Kronen Zeitung oder dem Kurier, eben den Blättern, die täglich gekauft UND gelesen werden.
Vergesst die Heute oder Österreich, da könnten du oder ich auch schreiben.
Und wie sehr er sich das gewünscht hatte! Titelblatt, Breitseite, ein Porträt. Sein schweres Leben, wie er es doch geschafft hat. Ein echter Star, einer von uns eben.
Es war nicht schön, wie sicher er sich war, dass es ihm mit diesem Stück gelingen sollte. Und noch hässlicher war es, dass er Recht behielt. Zum Teil.
Ein Schuss. Viele Zuschauer zuckten leicht in ihren Sitzen, bis zum zweiten Schuss hatten sie sich beruhigt, beim dritten Schuss zuckten nur die potentiellen Mörder unter Ihnen, sozusagen Verzugsschmerzen vom Zuschauen.
Auf einmal fiel der Vorhang. Warum nur? Was sollte die Scheiße? Wer hatte was von Vorhang zuziehen gesagt?
So kannte man ihn gar nicht, wie er zur Bühne sprintete, wirkte er wie eine Gazelle. Nun, eine Gazelle, die zuvor etwas übertrieben hatte beim Wasserloch.
Obwohl er wusste, was dahinter geschah, zog er den Vorhang auf. Der liebe Hans lag da, dahingerafft, der Schuss hatte gut gesessen. So überzeugend würde er nie wieder sterben, der Nette. Was red ich da, sterben kann man ja so und so nur einmal.
Um von einer Kugel getötet zu werden, muss man normalerweise ein besonderes Pech haben. Es gibt so viele Stellen, denen ein wenig Blei zwar den Garaus machen würde, dem Körper insgesamt würde dies kaum schaden. Eher psychisch, so halt Angst davor, nochmal geknallt zu werden.
Den Namen mag ich nicht, Hans, aber nun gut, selber ausgesucht, Pech gehabt. Der Hans, dessen Namen ich eben nicht mag, wurde von der Kugel in den Solarplexus getroffen.
Die Schlauen unter euch wissen, welche Stelle das ist, die weniger klugen erkundigen sich bitte bei den soeben erwähnten.
Sie wissen auch, dass alleine ein Faustschlag auf diese Stelle, wenn er blöd kommt, gut töten kann. Von einer Kugel ganz zu schweigen. Die hatte der Hans ja abgekriegt, Name hin oder her, deswegen lasse ich ihn bestimmt nicht sterben. Er starb, weil es so vorgesehen war, im Szenario. Nur diesmal würde weder Hans, noch der, den er spielte, wieder aufstehen.
Dumm gelaufen, die Rettung und die Polizei waren innerhalb von Minuten da, also da hat Wien echt Lob verdient aufgrund der Infrastruktur.
Kann man den Künstlern, die sonst von keinem hier bemerkt werden, gut helfen, wenn sie sich wehtun, weil sie sich zu sehr bemühen, bemerkt zu werden.
Doch wenn sich Ostler einmischen, kann nicht mal die schnellste Rettung was tun. Streng genommen hatte eben die Patrizia den Hans, Scheiß-Name nochmal, gemeuchelt. Eine, zwei Kugeln Schall und Rauch, die dritte in den Plexus, keine weiteren Fragen. Aus zwei Metern Entfernung, hundert Zeugen. Gut, vielleicht achtzig, wenn wir mal für die Ehre unseres Regisseurs lügen wollen.
Blöd, dass die Patrizia das nicht wollte. Die hatte an sich ganz gern mit dem Hans hinter der Bühne gevögelt, anstatt zu üben. Der tat auch ganz brav so, als ob er nicht wüsste, dass sie erst sechzehn ist. Verriet natürlich auch nicht, dass er 24 war, sah ja noch viel jünger aus, höchstens dreiundzwanzig.
Jetzt passte ja eigentlich alles, denn unsere Hauptperson steckte der Polizei, dass die beiden eine Affäre am Laufen hatten. Dass sie dem Hans gedroht hatte, ihn bei Ihren Eltern zu verpfeifen, die ihn sicher angezeigt hätten. Nur falls er sie jemals betrügen sollte.
Verführung Minderjähriger, jetzt soll hier keiner lachen! Tat der Hans ja auch nicht.
Und dass der Hans ein Video hatte, auf dem die Patrizia einem Statisten, einem Irgendjemand halt, ordentlich einen runterholte, steckte er den Herren in der Uniform auch gleich. So Schockbeichte, die Polizisten wunderte es gar nicht, dass er Ihnen so viel zu erzählen hatte. Manchmal sind sie halt doch die dummen Bullen, muss man sagen.
Nun stimmte das mit dem Video natürlich nicht, aber das war laut Aussage auf dem Hans seinem Handy. Dem Handy, das im Schließfach von der Patrizia gefunden wurde, bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert. So viel Wut gegen die Technik traut man den Jungen ja gar nicht zu, nun gut, sie war es ja auch nicht. Aber für die Polizei war der Fall ja schon gelöst, wer wagte hier eigentlich an der Schuld des Mädchens zu zweifeln?
Dramatik pur. Ein Sex-Skandal, eine Tragödie, ein echter Tod dort, wo ein falscher sein sollte.
Kein Schwein fragte sich, wie die echte Kugel zwischen die Platzpatronen geraten war. Woher die Schauspielerin die echte Kugel hatte. Warum sie ihn vor hundert, nun gut, achtzig, wenn wir lügen, Leuten erschießen sollte.
Nein, die Geschichte war einfach zu gut, so wie sie war.
In den nächsten Tagen wurde das Theater an der Josefstadt so belagert, wie noch nie zuvor. Und da muss man unserem Regisseur mal ein großes Lob aussprechen, wie der in seine Rolle hineinwuchs. Wie athletisch der auch war, denn er schaffte es tatsächlich, auch den schnellsten Kameramann noch zu erwischen, bevor er Reißaus nehmen konnte.
Glaubt ihr jetzt, er geilte sich am Glanz der Kameraobjektive aus nächster Nähe auf? Weit gefehlt. Das war doch bloß eine Strategie, um die Möglichkeit auszuschließen, selber im Zuge der Untersuchungen in Verdacht zu geraten. Wenn man der Öffenltichkeit nur oft genug eintrichterte, wer diesen "tragischen, für uns alle unfassbaren und alles verändernden" Vorfall herbeigeführt hatte, wollte die ja auch nix anderes glauben.
Nun, wenn ich ein netter Schreibertyp wäre, würde in meiner Geschichte jetzt aus dem Nichts ein Superdetektiv auftauchen, der an der allgemeinen Meinung von Anfang an gezweifelt hatte. Nur darauf wartete, den richtigen Mörder zu schnappen, im Namen der Gerechtigkeit. Dem die Patrizia am Ende des letzten Kapitels, als Draufschlag, auch noch in die Arme fällt, so rein aus Dankbarkeit und beidseitiger Sympathie.
Ihr habt aber schon gemerkt, schon die Patrizia tauchte aus dem Nichts in der Geschichte aus. Und ich kann nicht einfach so noch eine beliebige Person in ein und derselben Handlung aus der Luft greifen. Eine genügt.
So wurde die Arme also eingebuchtet.
Viteszlaw verbrachte eine Nacht in Wien, wo er auf Koks und Nutten so viel ausgab, dass er glatt sich glatt noch einmal für einen Mord anheuern lassen musste. Vorher lag er aber noch kurz im Hanosch-Spital, da er von den Türstehern ein wenig malträtiert wurde, als er ohne zu bezahlen aus dem "White Dog" wegrennen wollte. Hatte ja nichts mit Fremdenhass zu tun, die hätten auch euch als Österreicher in die Nieren getreten, so ist das halt.
Jetzt, warum spielt der Mensch eine Rolle? JA, ER HAT DIE ECHTE PATRONE IN DIE PISTOLE GETAN! War euch ja klar. Warum hat das der Oberfuzzi nicht selber gemacht? Der hatte ja auch unbegrenzt Zutritt zu den Requisiten als Regisseur?!
Glaubensfrage. Die Hände wollte er sich nicht schmutzig machen.
Viteszlav war, ist, drogenabhängig. Dem hätte seine Story niemand abgekauft, mal abgesehen davon, dass er sich auch an kaum etwas richtig erinnern konnte, ihr kennt die Junkies vielleicht ja in dem Punkt.
Na gut, keine gute Erklärung. Eine bessere?
Unser Theaterchef hatte seine Familie ausgeforscht, den Rest mit der Erpressung, im Fall dass er redet, könnt ihr euch auch selber ausmalen.
Ok. Hier mache ich der Story einen Schluss. Wie und ob es mit unserem Herrn Regisseur weitergeht, verrate ich euch bald. Auch seinen Namen dürft ihr wissen. In der nächsten Geschichte, die, ich wette, einmal kommen wird.