Was ist neu

Kondorkinder

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22.10.2004
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Kondorkinder

An dem Tag, als ich mich in Chanet verliebte, erschien der Kolibri.
Er weckte mich mit dem Schwirren seiner Flügel auf meiner Brust.
»Lass mich schlafen«, sagte ich, weil ich ihn für einen Traum hielt, und wollte ihn mit einer Handbewegung beiseite fegen. Er schlüpfte zwischen meinen Fingern hindurch, ein gefiederter Windhauch, und lachte leise.
»Ich werde jetzt bei dir bleiben«, antwortete er fröhlich, während er sich neben mir auf meinem Kissen niederließ. Ich wandte den Kopf und schaute ihn an. Er war schwarz, bis auf seine Kehle, die grün schimmerte.
»Wer bist du?«, murmelte ich schlaftrunken.
»Nenn mich Pillpintu«, antwortete der Kolibri.
»Pillpintu ist Quechua und heißt Schmetterling. Du bist kein Schmetterling.«
Pillpintu lachte erneut.
»Eines Tages wirst du’s verstehen.«
»Woher kommst du?«
Der Kolibri machte eine Bewegung mit seinem langen spitzen Schnabel, die irgendwo in die Nähe meines Herzens deutete.
»Was spürst du dort?«, fragte er.
Ich schloss für einen Moment die Augen. In mir wirbelte und flatterte es. Tausend kleine Wesen in mir balgten sich um die Fetzen meines Traumes. Ich machte die Augen wieder auf.
»Schmetterlinge«, sagte ich zu Pillpintu. Sein Lachen war keine Überraschung.
»Nein - Kolibris!«

***

Meine Reise durch Peru hatte mich nach Arequipa geführt, der Weißen Stadt am Fuße schneebedeckter Vulkane. Hier kam ich zur Ruhe, nachdem ich das Land wie im Fieber durchreist hatte, über den glatten Asphalt der Panamericana und den heißen Staub der Hochlandstraßen, von den traurigen Wolken der Küstenwüste bis an die smaragdgrünen Ostabhänge der Anden, wo die Luft vor Hitze und Schönheit flirrt.
Ich wohnte bei Amparo, einer Freundin von hier. Unsere Wege hatten sich irgendwo im Norden inmitten steiniger Trampelpfade und dorniger Pflanzen gekreuzt, und wir hatten auf Anhieb verstanden, dass es nicht das letzte Mal sein durfte.
»Wir machen gerade ein Projekt, Naturschutz in der Reserva Salinas«, sagte Amparo zur Begrüßung, als wir auf ihrer Dachterrasse in die unvermeidliche Sonne von Arequipa blinzelten. »Bleib doch ein bisschen und mach mit.«
Ich ließ sie erzählen, während sich unter den wärmenden Strahlen die Verkrampfung der letzten zwanzig Stunden Busfahrt löste.
»Klingt gut», sagte ich.
Amparo strahlte. »Wir treffen uns morgen. Ich mach dir eine Wegskizze, damit du allein hinkommen kannst.«
Am nächsten Tag fand ich, Zettel in der Hand, die mittagsglühende Straße zum Büro des Projekts. Etwa zehn Meter vor mir lief ein Junge - kurzes schwarzes Haar, dunkelblaues Hemd. Ich folgte ihm schweigend.
Amparo wartete an der Ecke und lachte, als sie uns gemeinsam kommen sah.
»Malinka, das ist Chanet. Er macht auch bei unserem Projekt mit.«
Chanet hauchte mir das obligatorische Begrüßungsküsschen auf die Wange. Wir tauschten ein unbefangenes Lächeln, ich musterte ihn – die braunen Augen unter fast zu dichten Wimpern, die dunklen Hände, leicht unsicher in den Hosentaschen vergraben. Und ich ahnte noch nicht, dass in diesem Moment etwas begann. Meine Reise durch Peru hatte mich hierher geführt – zu Chanet.

***

Nur wenige Stunden von Arequipa liegt das Tal der Wunder. Von weit oben sucht sich der Colca-Fluss seinen Weg in den tief eingeschnittenen Canyon.
Hier herrschen alte Mächte. Die Menschen im Tal wissen es. Die rauen Antlitze der Berge haben Augen, die alles wissen, was um sie vorgeht.
»Sie ist eine Gringa«, sagt Mismi. Er ist ein apu, ein Berggott der Höhen. Sein Vulkan ragt hoch auf aus den wilden, den vergessenen Zonen des Tals. Er ist der Herr jener Dörfer: Tuti, Sibayo, Callalli. Verzauberte Namen aus dünner Luft.
»Das spielt keine Rolle«, entgegnet Sabancaya, der Vulkan aus der Mitte des Tals. Asche umwölkt sein Haupt.
Die apus betrachten das Mädchen, das zu ihren Füßen spaziert, in die Tracht des Tals gekleidet. Eine Fremde, von Freundschaft in Arequipa gehalten, von Neugier ins Tal gelockt.
Mismi hebt die Augenbrauen. »Ich habe Zweifel. Sie kommt von weit her. Eine Fremde kann man nicht an diese Erde binden. Diese Wette ist nichts wert.«
»O doch, es ist möglich, wir brauchen nur ihr Herz.« Sabancaya lacht. »Und das bekommen wir leichter, als du meinst, Bruder.«
Wieder blicken sie hinab. Diesmal auf den Jungen, der ohne Tracht auf dem Dorfplatz steht, die Hände in den Hosentaschen vergraben.
»Wir bräuchten nur diesen Jungen, Bruder, ein Kind deiner Erde.«
Mismi schweigt. Nur ein leichtes Grollen ist zu hören.
»Ich fürchte um den Jungen«, sagt Mismi. »Er ist mein Patenkind. Wie kann ich ihn verraten?«
»Es ist kein Verrat«, antwortet Sabancaya..
»Er wird leiden.«
»Sie werden beide leiden. Daran ist nichts zu ändern. Es sind Menschen. Komm, lass dich ein auf das Spiel. Lass dir zeigen, dass es funktioniert.«
»Ein albernes Spiel«, murmelt Mismi. »Doch, wie du willst. So sei es.«
Die apus fallen in Schweigen. Es bedarf keiner Worte, um ihre Boten loszuschicken.
Ein Kondor zieht seine Kreise über dem Tal. Schwarz und weiß leuchten seine Federn.
Ein Kolibri schwirrt gen Boden. Sein Flügelschlag ist wie das Schwirren von Charango-Saiten.
Im Dorf – in Chivay – beginnt das Fest. In bunten Trachten tanzen die Menschen Wititi. Der Tanz der Liebe, so sagt man. Die ledigen Frauen suchen ihren Wititi, den maskierten Mann in bestickten Röcken, der sie im Kreis wirbeln wird. Wenn die Nacht vorbei ist, sind sie nicht mehr ledig, und in drei Monaten wird ihr Bauch sich wölben, wenn die Carnavales beginnen. So sagt man.
Das fremde Mädchen tanzt unter den Dorbewohnern. Sie hat ihre Tracht, lässt ihren Rock wirbeln, zieht Blicke auf sich.
Der Junge aus dem Tal steht an der Seite, er ist nur zum Schauen gekommen, doch er trägt den Rhythmus des Tanzes im Blut.
Die Bahnen der Vögel treffen sich.
»Jetzt«, sagt der Kondor, und der Kolibri nickt.
Blicke treffen sich: die Gringa und der Junge. Erkennen, Lachen. Er kommt an ihre Seite. Die Musik hat nicht ausgesetzt.
»Es hat begonnen«, sagt der Kondor, der Bote des Mismi.
Und der Kolibri lacht.

***

Ich war ahnungslos bis zu dem Tag, als Pillpintu erschien. Er wusste besser als ich, dass ich von Chanet geträumt hatte, aber ich wollte ihm nicht glauben, als er mir sagte, was es bedeutete.
»Ich habe mich nicht verliebt«, beharrte ich. »Ich will mich auch gar nicht verlieben.«
»Danach fragt niemand«, sagte Pillpintu mit seiner unermüdlichen Fröhlichkeit.
»Der Wititi ist gefährlich, hat dir das niemand gesagt? Du hast dich an ihn verloren, als ihr getanzt habt. So einfach ist das. Solang die Musik spielt, regiert der Wille der apus, nicht der der Menschen.«
»Ich kenne ihn gar nicht richtig. Wie kann ich mich da verlieben?«
Pillpintu schwirrte um meinen Kopf herum, so ähnlich wie im Innern meine Gedanken schwirrten.
»Du willst ihn kennen lernen?«, fragte er listig. »Nichts leichter als das: Fahr nach Sibayo.«

Sibayo war das Dorf von Chanet, und er hatte mich bereits eingeladen, mit dem schiefen Lächeln eines erschrockenen kleinen Jungen. Einfach so, kurz nach dem Fest in Chivay. Der Tanz hatte uns zu Komplizen gemacht gegenüber dem Rest der Gruppe, bei den Treffen saßen, arbeiteten wir öfter zusammen als vorher.
Und dann diese Einladung, fast beiläufig, aber nachdrücklich.
»Zu Neujahr ist Fiesta in Sibayo. Wenn du willst, kommst du.«
Seit diesen Worten kämpfte ich mit mir. Zu Neujahr allein in ein abgelegenes Andendorf? Zu diesem Jungen, den ich kaum kannte? Was bedeutete das?
Ich war so lange unschlüssig, bis Pillpintu erschien.
»Fahr nach Sibayo.«
»Ich habe Angst zu fahren«, flüsterte ich und fühlte Pillpintus Brüder, die in meiner Brust mit ihren winzigen Flügeln schlugen.
»Was hast du zu verlieren?« Und Kolibrilachen – wie die glasklaren Perlen eines Andenbaches.
Wenn ich die Augen schloss, sah ich Chanets scheues Lächeln.
»Du musst fahren«, sagte Pillpintu nur.
Ich biss mir auf die Lippen. Aber es war schon entschieden.

Es war sehr warm an dem Tag, als ich aus dem Kleinbus stieg, der mich nach Sibayo gebracht hatte. Die Sonne lugte fast trotzig durch eine graue Wolkendecke. Ich fragte zweimal auf der Straße nach Chanet, dann hatte ich sein Haus gefunden. Hinter einer groben Steinmauer lugte ein Dach aus Stroh auf. Ich klopfte vorsichtig gegen die Blechtür.
»So wird er dich kaum hören«, bemerkte Pillpintu altklug.
Vielleicht wollte ich ja gerade das.
Ein kleines Mädchen kam über die Straße gelaufen und stieß die Tür auf, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
»Das ist sein Schwesterchen«, wisperte Pillpintu.
Ich sprach die Kleine an. Furchtlos schaute sie zu mir hoch.
»Soll ich ihn holen?«
»Bitte.«
Dann steckte Chanet den Kopf aus der Tür. Er war nicht der, den ich aus Arequipa kannte. Etwas an ihm war anders, vielleicht, dass ich ihn hier in seinem Zuhause antraf, dass er den Boden seiner Wurzeln unter den Füßen hatte, den man ihm weggerissen hatte, sobald er in Arequipa war.
»Hallo«, sagte ich, und er schaute auf seine Schuhe:
»Ich dachte, du würdest nicht mehr kommen.«

***

Mismi hat den Kondor geschickt, den König der Anden, der sein Patenkind beschützt. Und Sabancaya hat den Kolibri gesandt, hat ihn hervorgerufen aus der Schar seiner Brüder. Denn es ist nicht wahr, dass Liebe Schmetterlinge im Bauch bedeutet.
Liebe ist ein Schwarm Kolibris in der Seele.
Über Sibayo geht ein kalter Regen nieder, und der Kondor sucht Zuflucht an den Flanken seines Herren.
»Wenn sie fortgeht, trägt sie dieses Dorf im Herzen«, sagt er zu Mismi. »Und es wird auch seinetwegen sein.«
»Unsere Macht kann auch versagen. Ich hatte gehofft, sie wäre enttäuscht.« Mismi blickt hinab nach Sibayo, an den braunen Ufern des Colca-Flusses. Verlassene Ruinen aus Stein. Einfache Häuser. Dächer aus Blech und aus Stroh. In einem dieser Häuser sitzt das fremde Mädchen, in warme Decken gehüllt, eine Tasse dampfenden Tees umfassend. Und an ihrer Seite der Junge, den Mismi in diesen Höhen hat aufwachsen sehen.
»Sie reden«, sagt der Kondor. »Sie entdeckt ihn. Seine Stimme ist zärtlich, wenn er von seiner Erde spricht. Das berührt sie.«
»Und ich hatte den Regen geschickt, damit sie nicht tanzen können …«, murmelt Mismi.
»Unsere Macht ist am größten im Tanz.«
»Es ist zu spät«, antwortet der Kondor. »Eure Macht hat gewirkt, und nun ist nichts mehr davon nötig.«
»Ich will mein Kind nicht an eine Fremde geben«, grollt der apu.
»Wer will das schon!« Und der Kondor schüttelt sein Gefieder, dass feine Regentropfen in alle Richtungen stieben. »Aber du hast so viele deiner Kinder fortgehen sehen, Mismi. Und viele davon haben dich vergessen, das weißt du.«
»Dieser Junge wird mich nicht vergessen«, sagt Mismi heftig. »Dieser Junge ist so sehr mit seiner Erde verwachsen, dass er mich nicht vergessen kann. Du hast ihn gesehen, oder nicht? Er ist in Arequipa, und sie verspotten ihn, weil er aus dem Hochtal kommt. Wo die Wilden leben, das denken sie doch dort unten. Kondor nennen sie ihn. Und hat er mich einmal verleugnet? Er wird mich nicht vergessen. Ihn kann ich nicht fort geben.«
»Eben«, erwidert der Kondor sanft. »Er ist ein Kind deiner Erde. Ein besonderes. Und dieses Mädchen liebt ihn dafür.«
Mismi grollt erneut, und Asche mischt sich in die Regenwolken.
»Was soll ich tun?«, sagt der apu zu seinem Kondor.
»Ich weiß nur, was ich tun werde, Mismi. Ich mag dieses Mädchen. Sie ist von weit her gekommen, und sie ist ehrlich. Ich werde meine Flügel auch über sie breiten.«
»Du schützt nur mein Patenkind!«, schnaubt Mismi. »Keine Fremde wirst du beschützen!«
»Dann«, sagt der Kondor flügelzuckend, »nimm sie an als dein Patenkind.«
In der eisigen Nachtluft hört der Regen auf, und der Kondor schwingt sich hinauf in den dunklen Himmel.
Mismi schweigt.

***

Zu Neujahr tanzten wir, zwischen den Regenpausen und im Regen selbst. Wir waren nicht viele auf der Plaza von Sibayo. Ich tanzte in der Gruppe von Chanet, in der Bewegung selbst lernte ich die Schritte, die mir in Chivay niemand gezeigt hatte. Chanet wirbelte neben und vor mir in seiner Tracht, die glitzernd bestickten Röcke, das weite Hemd mit den über den Schultern verknoteten llijllas, bunten gewebten Tüchern, und natürlich die montera, jener Hut mit den Fransen, den der Wititi-Tänzer trägt und der sein Gesicht verdeckt. In der Tracht wirkte er größer und fremder, aber selbst mit montera im Gewimmel der anderen Tänzer erkannte ich ihn immer. Niemand tanzte wie er.
Der Abend, wenn der Regen eingesetzt hatte, war die Zeit trockener Decken und heißen Tees. Chanet, bibbernd vor Kälte, leistete mir Gesellschaft, zauberte scheinbar aus dem Nichts immer noch eine weitere Decke hervor, die ich mir um die Schultern legen musste.
»Ich hab doch schon, nimm du auch eine«, sagte ich irgendwann.
»Ach was, es geht schon.«
Wir saßen nebeneinander auf meinem Bett, er zeigte mir Fotos, erzählte. Ich sah ihn mit anderen Augen. Da war ein kleiner Junge, den sie in die große Stadt geschickt hatten, der sich selbst aufgemacht hatte und fast an ihr zerbrach.
»All der Lärm, all die Leute, die Autos, weißt du«, und er schaute dabei auf den Boden und lächelte dieses schüchterne, traurige Lächeln, »das war schon ein Schock. Am Anfang hab ich nicht leicht Freunde gefunden.«
Ich begriff, er musste erwachsen sein und stark, um bestehen zu können. Viele kommen aus der Sierra hinunter in die Städte. Nicht alle schaffen es. Er schon, das wusste ich.
»Jetzt kennst du ihn«, wisperte Pillpintu an meinem Ohr, später, als Chanet gegangen war und ich mich in meinen Schlafsack kuschelte.
»Besser als vorher«, flüsterte ich unwillig zurück, und mein Kolibri lachte.

***

»Du warst einverstanden, Mismi«, sagt Sabancaya zornbebend. »Warum betrügst du jetzt?«
»Ich betrüge nicht. Aber ich kann es nicht zulassen.«
Mismi hat seine Aschewolken ausgestoßen und bis nach Arequipa geblasen. Wie feiner grauer Staub legen sie sich in die Seele des Mädchens: Angst. Zweifel. Traurigkeit.
»Ich ersticke ihre Worte im Keim, wenn sie ihn sieht. Ich verwirre ihre Gedanken. Ich lasse sie zweifeln an ihm. Die Zeit ist auf meiner Seite. Ich werde ihn an keine Fremde geben.«
»Sie ist keine Fremde mehr«, widerspricht Sabancaya.
»Ihr Abschied ist nah«, sagt Mismi nur.
Auf seinen Flanken schlägt der Kondor zornig mit den Flügeln.

***

»Und ich glaube doch, dass er eine Freundin hat«, sagte ich zu Pillpintu.
Das Lachen meines Kolibris war seltener geworden. Er schwirrte um mich herum, seine Flügelspitzen streiften meine Wangen.
»Und wenn«, flüsterte er, »wo war sie in Sibayo? Warum hat er sie nie erwähnt?«
Ich zuckte die Achseln. In meinem Inneren spürte ich die Schnäbel von Pillpintus Brüdern: spitz und schmerzhaft.
Bei den Gruppentreffen saß ich neben Chanet. Es war eine stillschweigende Tradition, etwas, das sich immer ergab. Amparo zog mich manchmal damit auf, beim Sternebaden auf ihrer Dachterrasse, aber sie schien nichts Ernstes zu vermuten, und ich sagte nichts dazu.
Chanet lächelte mich an, wenn ich kam. Für das Leuchten in diesen braunen Augen hätte ich sterben mögen, und Pillpintus Flügelschläge beschleunigten sich.
»Wir müssen einen Artikel schreiben, über deinen Besuch in Sibayo«, sagte Chanet zu mir. »Du als Besucherin und ich als Einheimischer. Das wäre doch spannend.«
Er hatte viele solcher Ideen. Gemeinsame Projekte. Noch einmal nach Sibayo zu fahren, zum Beispiel. Oder irgendwo anders hin, in die Umgebung Arequipas, Wandern gehen. Und immer wieder zerstob in mir alles, was ich hätte sagen wollen, war wie weggeblasen. Ich hätte mich ohrfeigen können. Pillpintu peitschte mich mit seinen Flügelspitzen. Es tat nicht sehr weh, aber es war deutlich.
»Frag doch, meine Güte, frag ihn doch«, tschilpte er. »Frag ihn zumindest nach seiner Freundin.«
Röte schoss mir ins Gesicht. »Ich kann nicht!«
»Sei nicht albern!«, zischte Pillpintu. »Du hast nicht ewig Zeit!«
Er hatte Recht: Die Tage zerronnen wie Sand zwischen meinen Fingern. Das Projekt neigte sich dem Ende zu. Bald würde ich keinen Vorwand mehr haben, um länger zu bleiben.
»Und du, hast du schon ein Geschenk?«, fragte ich ihn einen Tag vor St. Valentin.
Er schaute mich von der Seite an, grinste leicht.
»Was willst du, dass ich dir schenke?«
»Nein, deiner Freundin.«
»Ach.« Wieder das Lächeln und der Blick auf seine Schuhe. »Ich hab doch keine Freundin.«
»Victoria!«, trällerte Pillpintu in mein Ohr. Ich konnte mein Grinsen kaum unterdrücken.

***
»Hör auf, sie zu hassen«, bittet der Kondor.
»Ich hasse sie nicht. Ich werde ihr nur diesen Jungen nicht geben.«
»Du hast es versprochen.«
»Wie soll es gehen, hast du daran gedacht? Sie geht fort. Sie wird ihn verlassen.«
»Sie kommt wieder«, sagt der Kondor. »Sie hat auch keine Wahl. Ihr Herz hat in dieser Erde hier Wurzeln geschlagen. Sie muss wiederkommen.«
»Dieses Mädchen hat Pläne, und mein Patensohn hat seine«, entgegnet der apu. »Es gibt keine Zukunft.«
»Es gibt sie. Ihr habt sie gemeinsam geschaffen. Ihr habt die Macht, ihr seid apus.«
»Das Band ist lose … Noch kann man es lösen«, flüstert Mismi.
Der Kondor schüttelt den Kopf. Denn er hat gesehen, wie unten in Arequipa das Mädchen weint. Um des Sibayinos willen weint sie. Und Tränen binden. Das ist ein Gesetz.
»Es ist zu spät«, sagt der Kondor.
Und Mismi weint Tränen aus Schwefel.

***
An meinem letzten Abend in Arequipa kamen alle zu Amparo und mir nach Hause. Auch Chanet. Wir kochten gemeinsam, lachten, eine Gruppe fröhlicher Freunde, nur Chanet hielt sich, fast verlegen, abseits. Er war spät gekommen.
Mir blieb ein Monat Peru. Ich würde ins Colca-Tal gehen, das mich vom ersten Moment an fasziniert hatte – das Tal kleiner Dörfer, in die Windungen des Colca-Flusses geschmiegt, unzählige Grüntöne leuchtend unter dem Andenhimmel, das Tal der Wunder. Hier wollte ich noch eine Weile bleiben. In Chivay würde ich wohnen, wo ich das erste Mal mit Chanet getanzt hatte.
Es war spät, ich schluckte meine Abschiedstränen zwischen Umarmungen und guten Wünschen hinunter. Als ich das Gartentor schloss, stand Chanet neben mir.
»Ich werd auch gehen.«
»Aber du bist gerade erst gekommen.«
Das stimmte. Er mochte kaum zwanzig Minuten im Haus sein.
Er schaute mich aufmerksam an, drei Schritte trennten uns, und ich hatte den Schlüssel des Gartentors in der Hand, die Macht, ihn hier zu behalten oder gehen zu lassen.
»Weißt du«, sagte er schließlich, »die anderen denken, ich wäre mit dir zusammen.«
»O mein Gott«, hauchte Pillpintu an meinem Ohr. Ich ignorierte ihn. In der Dunkelheit konnte man nicht sehen, ob ich rot wurde. Dabei fand ich seine Idee lächerlich, ich hatte mich niemandem anvertraut, nicht einmal Amparo.
»Warum sollten sie das denken?«
»Sie denken es, ich kenne sie«, antwortete Chanet lakonisch und sah sehr unbehaglich, sehr verloren aus. »Oder warum meinst du, dass sie uns alleine gelassen haben?«
Da erst fiel mir auf, dass er als einziger geblieben war.
»Jetzt, jetzt musst du es ihm aber sagen«, flüsterte Pillpintu zwischen dem unermüdlichen Schwirren seiner Schwingen.
Ich schaute auf den Schlüssel in meiner Hand.
»Bleib doch noch einen Moment, es wollten ja noch ein paar Leute kommen …«, murmelte ich unschlüssig.
Amparo steckte den Kopf aus der Tür.
»Ich wollte heiße Schokolade machen! Bleibst du noch, Chanet?«
Er sah mich unergründlich an. »Na gut.«
»Du bist so feige«, zischte Pillpintu, während wir langsam zurück ins Haus gingen. Meine Hände zitterten wie seine Flügel.

***

»Es ist vorbei«, sagt Mismi triumphierend.
Der Kondor schüttelt den Kopf.
»Das ist nicht gerecht. Glaubst du im Ernst, dass sie so nicht leiden?«
Der apu schweigt. Er weiß, in einem dunklen Haus in Arequipa sitzt das Mädchen auf seiner Bettkante und starrt ins Leere. Er weiß, er hat ihr den Mut genommen, im entscheidenden Moment das richtige zu sagen.
»Es ist noch Zeit«, drängt der Kondor. »Hilf ihr.«
Mismi weiß, was es bedeutet, einem Menschenkind Hilfe zu geben.
»Sie würde mein Patenkind.«
»Es ist höchste Zeit.«
Mismi ringt mit sich. Dann seufzt er.
Er muss ihr den Mut geben, den er ihr bislang verwehrt hat: Feuer aus seinem Innersten.
»Ein Funke. Ein einziger Funke, Kondor.«
Der Kondor trägt ihn auf seinen Federn, ein goldenes Leuchten in der blauen Nacht des Tals. Einen Funken Mut: mehr wird sie nicht brauchen.

***

»Es ist vorbei«, sagte Pillpintu traurig, und seine Flügel hängen schlaff herunter. »Du hast nichts gesagt. Wie konntest du nur?«
Ich antwortete nicht. Um mich herum war Kälte und Leere. So fühlte es sich an, wenn die Zeit abgelaufen war. Mein Kopf tat weh. Gedankenlos drehte ich mein Handy zwischen den Fingern.
»Vorbei«, wiederholte Pillpintu trostlos.
Da begann ich zu schreiben. Es war ohne Stil, fand ich: Worte auf einem Handydisplay. Aber mir blieb nichts weiter. Mein nächstes Wiedersehen mit Chanet würde der endgültige Abschied sein. Ich hatte nichts zu verlieren.
»Du hattest die ganze Zeit nichts zu verlieren«, schimpfte der Kolibri.
Mutlos starrte ich auf den Satz auf meinem Display. Ich habe Gefühle für dich, so sehr, dass ich für dich zurückkommen würde …
»Ich kann das nicht abschicken.«
»Sei nicht feige.«
Ich schloss die Augen, dachte an dieses Lächeln. In mir wurde es warm.
Nachricht übermittelt.
Das Kitzeln von Federn an meinem Kinn: »Na, siehst du«, flüsterte Pillpintu erleichtert.

***

»Sie ist in Chivay«, sagt der Kondor.
»Ich will nichts mehr für sie tun«, antwortet Mismi trotzig und hüllt sich in seine Nebel wie in graue Seidentücher.
»Es ist zu spät … sie hat von dir erfahren.«
»Verräter«, grollt der apu.
Wenn ein Kondor lächeln kann, dann tut er es jetzt.
»Ihr eigenes Herz hat es ihr gesagt … Sie ist auf dem Weg, Mismi. Sie kommt die Straße herauf und sie wird mit dir sprechen.«
Mismi schweigt, aber die Wolken zerstieben. Sein Weiß strahlt hinein in das tiefe Blau des Andenhimmels.
»Was kann sie schon zu sagen haben …«
»Sie ist jetzt dein Patenkind«, wispert der Kondor.
Und dort, in einer Biegung der Straße, im warmen Staub, steht das Mädchen. Weit ist sie gelaufen, immer bergan. Den Mismi kann sie nicht sehen, er ist zu weit fort. Aber sie weiß, wo sie ihn zu suchen hat. Sie formt ihre Worte auf Quechua, behutsam, ein zartes Gewebe aus bunten Fäden. Über ihrem Herz schwebt ein Kolibri; er hat ihr verraten, wessen Erlaubnis sie braucht.
»Jatun apu Mismi«, flüstert das Mädchen in der Ferne. »Ich liebe einen Jungen deiner Erde. Ich verspreche dir, ich werde alles tun, um ihn glücklich zu machen. Schenke ihn mir, jatun apu. Ich liebe ihn wirklich. Sag mir, was du verlangst, und ich werde es dir geben.«
Mismi schweigt, und sie blickt zu Boden.
»Er sagt mir nichts, er schreibt nicht«, flüstert sie, ehe sie sich bückt. Mit der Sorgfalt eines kleinen Kindes lässt sie einen Keks auf einem Stein zurück, schiebt ihn zurecht.
»Mehr habe ich nicht mit mir gebracht, jatun apu.«
»Hast du das gesehen?«, murmelt Mismi zu seinem Kondor. »Ihr Kolibri weint.«

***

Ich war ohne Neuigkeiten von Chanet, bis auf eine kurze Mail, mit der er meine Nachricht beantwortete. Er sei nichts wert, schrieb er mir. Nur ein armer andino. Keine gute Partie. Und mehr solcher Dinge, die niemanden kümmerten. Woran war ich mit ihm? Ich wusste es immer weniger, je öfter ich seine Worte las.
Mit seinem apu zu reden war Pillpintus Idee gewesen. Ich hatte es versucht, aber ich war ohne Hoffnung. Meine Zeit verrann gnadenlos. Und wie sollte ich einen apu beeindrucken, mit meinem fehlerhaften Quechua und einem zerbröselten Keks?
»Warte ab«, meinte Pillpintu. »Die apus nehmen sich ihre Zeit.«
»Genau das, was ich nicht habe.«
Mismi nahm sich drei Tage, dann weckten mich wirbelnde Flügelspitzen in meinem Gesicht.
»Das Handy, das Handy!«, wisperte Pillpintu aufgeregt.
Ich angelte danach, Licht und Worte auf meinem Display: HOLA AMIGA
»Chanet hat geschrieben!«, rief ich aus und setzte mich mit einem Satz im Bett auf.
Pillpintu kam in den Falten meiner Decke zu sitzen.
»Nun ja«, antwortete er und legte den Kopf schief. »Schreib halt zurück.«
Ich schnippte mit dem Zeigefinger gegen seinen Bauch, sodass er wie ein zeternder Spatz rückwärts purzelte, und dann beugte ich mich über mein Handy.
»Danke, apu Mismi«, flüsterte ich, ehe ich die Tasten drückte.
Und so begann unser Dialog.
Chanet brauchte Hilfe in der Uni, es ging ihm nicht gut, wir schrieben uns Aufmunterungen, Blödeleien, Dinge ohne Bedeutung. Aber ich war glücklich. Pillpintus Lachen kehrte zurück.
»Ich komme am Montag nach Arequipa«, schrieb ich Chanet.
»Um wie viel Uhr kommst du? Ich hole dich ab«, war die Antwort.
Pillpintu piekste mich sacht mit seinem Schnabel in die Wange.
»Meint er das ernst?«

***

»Er schläft!«, sagt der Kondor erschrocken.
Mismi stößt kleine Aschewolken aus. Sie haben den Geist des Jungen umhüllt, ihn eingelullt. Er liegt zusammengerollt auf seinem Bett.
»Ich weiß«, sagt der apu ruhig.
»Warum hast du das getan?« Der Kondor reckt seinen Kopf. Am Busbahnhof, inmitten der Menschen, sieht er das Mädchen. Suchend blickt sie um sich, der Kolibri schwirrt über ihren Kopf.
»Ich bin noch immer ein apu. Die Dinge liefen schlecht.«
»Das sehe ich anders, Herr …«
Der Kolibri flüstert dem Mädchen Gewissheit zu: Sie sind alleine inmitten von Fremden.
»Hätte er sie nur abholen können …«, beginnt der Kondor.
»Er hätte Dummheiten gemacht«, zischt Mismi, »Dummheiten mit seinem Herzen. Es gehört mir, ich verfüge darüber.«
Der Kondor blickt ihn scharf an. Und erschrickt.
»Was hast du getan, mein Herr?«

***

Es war der Tag meines endgültigen Abschieds. Am Abend würde ich nach Lima fahren, am Tag darauf nach Hause fliegen.
Wir gingen Eis essen, nur Mädchen, die Freundinnen aus dem Projekt, mit denen ich Flugzettel verteilt und kurze Reden über die Wichtigkeit der Tiere im Nationalpark gehalten hatte.
»Hat Chanet dich angerufen, er wollte deine Handynummer haben«, fragte Mercedes, und hakte sich bei mir ein.
»Er hat mir geschrieben.«
»Hat er dir etwas von Amparo gesagt?«
»Von Amparo? Wieso?«
Mercedes kicherte und beugte sich leicht zu mir.
»Weißt du das nicht … Chanet ist doch ganz verliebt in Amparo!«
Ich musste stehen bleiben, als Pillpintus Brüder synchron ihre Schnäbel in meine Seele rammten. Seine Flügel schwirrten an meinem Ohr.
»Geh weiter … geh weiter«, raunte er und fuhr mit den Federspitzen über meine Augen, als ob er die Tränen damit zurück in mein Inneres drängen könnte. Ich schluckte, atmete ein, setzte mich wieder in Bewegung.
»Ach ja?«, sagte ich mit gezwungenem Lächeln zu Mercedes. »Nein, davon hat er mir nichts erzählt.«


***

»War es nicht so, dass er nicht leiden sollte?«
Mismi schweigt. Das Schweigen eines apus ist immens, ist von einer Größe, vor der man verstummen muss. Nur der Kondor verstummt nicht.
»Dieses Mädchen liebt ihn nicht! Sie mag ihn kaum! Warum sie, Mismi? Warum hast du das getan?«
»Irgendwohin«, murmelt der apu, »musste ich es geben, sein Herz.«
»Das ist nicht gerecht, Mismi. Sie ist der gringuita so nah. Warum bist du so grausam?«
»Nun ist es geschehen«, sagt Mismi, und Felsbrocken lösen sich von seinen Flanken und stürzen zu Tal: die Art eines apus, mit den Schultern zu zucken. Schweigend stößt sich der Kondor ab. In der kalten Luft der Höhe zieht er seine Kreise.

***

Amparo. Amparo. Amparo, die fast schon eine Schwester für mich war. Amparo, die mir mit einem Lächeln erzählt hatte, von Chanet halte sie nicht besonders viel.
Ich brachte es nicht übers Herz, mit ihr zu reden. Meine Tränen schob ich auf den bevorstehenden Abschied. Sie sah mich mitfühlend über meinen geöffneten Koffer hinweg an.
Bis es klingelte.
»Das ist er», surrte Pillpintu an meinem Ohr. Seit Mercedes’ Enthüllung hatte er sich schweigend zwischen meinen Brüsten zusammengekauert, kein Flügelschwirren mehr, keine Ratschläge, nur ein kleines, ganz schwaches Pochen, sein Herz an meinem. Aber jetzt schienen seine Lebensgeister zurückzukehren. Er schlüpfte aus meinem Kragen.
»Sei nicht albern«, antwortete ich, und im selben Moment rief Amparo von unten meinen Namen.
Chanet stand im Türrahmen, er begrüßte mich mit einer scheuen Winkbewegung. Es war über einen Monat her, dass wir uns zuletzt gesehen hatten.
»Hallo, Mali …«
Ich wischte mir mit dem Handrücken übers Gesicht.
»Ich mag keine Abschiede«, murmelte ich entschuldigend.
Chanet lächelte schief. Vielleicht wusste er besser als ich, wer wirklich an meinen Tränen schuld war.
»Ich hab dir was mitgebracht, zum Abschied.« Er drückte mir eine Tüte in die Hand. Vorsichtig linste ich hinein und musste sofort wieder aufsteigende Tränen unterdrücken. Eine blaue Hutwölbung, gelbe Fransen …
»Chanet, das ist nicht dein Ernst … deine montera
»Nimm sie halt.« Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Amparo war in den Tiefen der Wohnung verschwunden, und der Moment gehörte uns allein.
»Du hättest mir das sagen sollen, das mit Amparo«, sagte ich leise, meine Finger umklammerten die Tüte mit der montera.
Chanet zuckte die Achseln. Er starrte auf seine Füße, wie damals in Sibayo.
»Es ist so unglaublich groß, weißt du, so riesig … Nicht einmal ein Gott könnte auf diese Weise lieben, verstehst du … Wenn Amparo einmal fort ginge, so wie du heute, dann müsste ich sterben.«
Es klang resigniert. Wir wussten also beide um Amparos Ablehnung.
»Nun ja«, setzte Chanet leise hinzu, »keiner kann seinem Herzen befehlen.«
Ich versuchte zu nicken. Aber Chanet verschwamm vor meinen Augen. Er beugte sich vor, hauchte mir das Abschiedsküsschen auf die Wange, der Kreis hat sich geschlossen.
»Leb wohl, Mali, pass auf dich auf und komm bald wieder.«
An meiner Schulter weinte Pillpintu. Ich spüre Kolibritränen auf meiner Haut kitzeln. Die Tüte feucht von meinen Händen.
Vor mir stand Chanet, wandte sich um, er ging, und über seiner Schulter – ich sah es undeutlich, die Welt war verschwommen – schwirrte ein Kolibri.


***

»Und nun?«, sagt der Kondor. »Das soll es gewesen sein?«
Mismi schweigt. Schweigt, bis das Dröhnen des Flugzeugs, in dem Malinka ihrer Heimat zureist, über den Weiten eines fremden Ozeans verklungen ist.
Dann erst spricht er.
»Seine montera, nun ja. Das ist kein kleines Geschenk.«
Und er lacht, ein gewaltiges Lachen aus Schwefelwolken, dass der Kondor erschrocken zurückweicht.
»Gar nicht so dumm«, sagt Mismi.


Und dort, über dem Meer
in einem blauen Nest mit Fransen
schlüpft
ein kleiner Kolibri.

 

Hi Malinche,

Denn es ist nicht wahr, dass Liebe Schmetterlinge im Bauch bedeutet.
Liebe ist ein Schwarm Kolibris in der Seele.

Du hast hier eine sehr schöne Geschichte geschrieben! Obwohl sie nicht meinen Lieblingsgenres angehört, habe ich sie gern gelesen, was bei der Länge ja schon etwas heißen will. :) Meiner Meinung nach gibt es nichts zu kritisieren; Sprache, Metaphorik, Inhalt, Form, Alles ist top. Ich vermute mal, dass deine Geschichte weiterhin einen gewissen Realitätsbezug hat, der "weltliche" Teil der Handlung ist nicht zufällig einem tatsächlichen Aufenthalt in Peru entliehen? ;)

Liebe Grüße,
tobiii

 

Hallo tobiii und Thamus,

das freut mich wirklich, dass euch die Geschichte soweit gefallen hat. Ist nach langer Schreibpause wieder meine erste und ich hatte schon ein wenig Angst, dass sie mit den ganzen Peru-Sachen vielleicht unverständlich wird.

Ich war tatsächlich gerade acht Monate in Peru, und die Schauplätze gibt es alle wirklich ... sogar der Regen in Sibayo ist real.

Danke fürs Lesen und viele Grüße,
ciao
Malinche

 

Hallo Dragonwoman,
danke für deinen Kommentar - schön, dass es dir gefallen hat. :)

 

Liebe Malinche!

Schon als Du die Geschichte gepostet hast, hab ich sie ausgedruckt und mich drauf gefreut, aber bisher nicht die Zeit gefunden, da sie doch relativ lang ist. Jetzt hab ich sie endlich gelesen und die Vorfreude war nicht umsonst! Wirklich eine sehr schöne Geschichte, die Du da "mitgebracht" hast! :)

Ein paar kleine Anmerkungen kommen noch, aber wirklich kritisieren will ich eigentlich nur, daß Pillpintu "Feige Sau" zischt - ich finde das nicht ganz passend, es fällt irgendwie aus der sonst so schönen Geschichte heraus.

ich hatte schon ein wenig Angst, dass sie mit den ganzen Peru-Sachen vielleicht unverständlich wird.
Nein, ich finde, gerade das gibt ihr auch sehr viel Glaubwürdigkeit und zeigt, daß die Autorin nicht irgendwas zusammenschreibt, ohne jemals dagewesen zu sein. Ich hab jedenfalls nicht nur eine Geschichte gelesen, sondern auch ein Stück des Lebens in Peru gesehen, das man als Tourist gar nicht so miterleben könnte. Eigentlich ist es ja eine doppelte Liebesgeschichte: die zwischen Chanet und Malinka, und die zu dem Land und seinen Menschen.

Ganz besonders gefallen hat mir aber die Szene gleich zu Beginn:

»Pillpintu ist Quechua und heißt Schmetterling. Du bist kein Schmetterling.«
Pillpintu lachte erneut.
»Eines Tages wirst du’s verstehen.«
»Woher kommst du?«
Der Kolibri machte eine Bewegung mit seinem langen spitzen Schnabel, die irgendwo in die Nähe meines Herzens deutete.
»Was spürst du dort?«, fragte er.
Ich schloss für einen Moment die Augen. In mir wirbelte und flatterte es. Tausend kleine Wesen in mir balgten sich um die Fetzen meines Traumes. Ich machte die Augen wieder auf.
»Schmetterlinge«, sagte ich zu Pillpintu. Sein Lachen war keine Überraschung.
»Nein - Kolibris!«
Die Vorstellung mit den Kolibris ist wirklich süß (ich verwende die Bezeichnung nur ungern, aber sie trifft es ;)).

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Liebe Malinche!

Beim nochmaligen Lesen hab ich mir gedacht, daß Du vielleicht auch noch ein bisschen mehr von dem Projekt einbauen könntest, wodurch Du gleichzeitig noch ein paar Blicke in die Natur werfen könntest. – Aber das ist nur ein Vorschlag, und ich hab auch nicht sehr drüber nachgedacht, wie das in die Geschichte passen würde, er entspringt glaub ich mehr dem Wunsch, selbst da drüben gewesen zu sein. ;)

So, jetzt noch zu den versprochenen Anmerkungen:

»Ich wohnte bei Amparo, einer Freundin von hier.«
– »von hier« könntest Du eigentlich streichen, weil man das spätestens zwei Sätze weiter, wenn von »ihrer Dachterrasse« die Rede ist, mitbekommt.

»Sein Vulkan ragt hoch auf in den wilden, den vergessenen Zonen des Tals.«
– entweder »ragt hoch auf aus den wilden, …« oder »ragt hoch aus den wilden, den vergessenen Zonen des Tals auf«

»Die apus betrachten das Mädchen, das zu ihren Füßen spaziert, in die Tracht des Tals gekleidet.«
– ich wäre da eher für »in der Tracht des Tals gekleidet«

»Diese Wette ist nichts wert..«
»»Es ist kein Verrat«, antwortet Sabancaya..
– entweder einen Punkt, oder drei und mit Leertaste

»Komm, lass dich doch ein auf das Spiel. Lass dir doch zeigen, dass es funktioniert.«
»Ein albernes Spiel«, murmelt Mismi. »Doch, wie du willst. So sei es.««
– drei »doch«

»Die ledigen Frauen suchen ihren Wititi, den maskierten Mann in bestickten Röcken, der sie im Kreis wirbeln wird. Wenn die Nacht vorbei ist, sind sie nicht mehr ledig. Wenn die Carnavales beginnen, in drei Monaten, wird sich ihr Bauch wölben.«
– da bist Du ein bisschen mit der Ein- und Mehrzahl durcheinandergekommen

»Solang die Musik spielt, regiert der Wille der apus, nicht der Menschen.«
– vor die Menschen gehört meiner Meinung nach ein zweites »der«

»dass er den Boden seiner Wurzeln unter den Füßen hatte, den man ihm weg gerissen hatte, sobald er in Arequipa war.«
– zusammen: »weggerissen« – allerdings frag ich mich, wer dieser »man« ist, der ihm den Boden unter den Füßen wegreißt; fände z. B. schöner: »den er vermisste, sobald …«

»Um des Sibayinos willen weint sie.«
– »des« würde ich streichen

»Hier wollte ich noch eine Weile sein.«
– vielleicht »bleiben« statt »sein«?

»ich schluckte meine Abschiedstränen zwischen Umarmungen und guten Wünschen herunter.«
hinunter

»Er weiß, er hat ihr den Mut genommen, im entscheidenden Moment das richtige zu sagen.«
– das Richtige

»Ein Funken Mut: mehr wird sie nicht brauchen.«
– Einen Funken Mut

»Sie kommt die Straße hinauf und sie wird mit dir sprechen.«
herauf

»Den Mismi kann sie nicht sehen, er ist zu weit.«
– zu weit …? Da fehlt ein »weg« oder »entfernt«.

»Der Kolibri flüstert dem Mädchen Gewissheit zu: sie sind alleine inmitten von Fremden.«
– vollständiger Satz nach dem Doppelpunkt, daher groß weiter: Sie sind …


Das wars schon, wenn ich nicht vor Begeisterung die Hälfte übersehen habe. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl!

Vielen Dank für Deine Kritik und Deine hilfreichen Anmerkungen! Dass Du Dir die Geschichte ausgedruckt und Dich sogar drauf gefreut hast, ist für mich ein besonders großes Lob.

Und wenn die Geschichte bei Dir als doppelte Liebesgeschichte ankommt: super. Es war mir beim Schreiben eigentlich gar nicht so bewusst – aber Du bringst es auf den Punkt.

Pillpintus feige Sau habe ich abgemildert und die meisten Deiner Anmerkungen übernommen, mit ein paar Ausnahmen:

»Ich wohnte bei Amparo, einer Freundin von hier.«
– »von hier« könntest Du eigentlich streichen, weil man das spätestens zwei Sätze weiter, wenn von »ihrer Dachterrasse« die Rede ist, mitbekommt.
- Du hast im Prinzip Recht, aber da ja noch mal ein paar Sätze kommen, die sich darum drehen, dass sie sich im Norden treffen, ist mir das „von hier“ die sicherere Alternative.

»Die apus betrachten das Mädchen, das zu ihren Füßen spaziert, in die Tracht des Tals gekleidet.«
– ich wäre da eher für »in der Tracht des Tals gekleidet«

Es geht beides, ich habe es erst einmal so gelassen, weil das „die“ grad für mich stimmiger klingt.


»Die ledigen Frauen suchen ihren Wititi, den maskierten Mann in bestickten Röcken, der sie im Kreis wirbeln wird. Wenn die Nacht vorbei ist, sind sie nicht mehr ledig. Wenn die Carnavales beginnen, in drei Monaten, wird sich ihr Bauch wölben.«
– da bist Du ein bisschen mit der Ein- und Mehrzahl durcheinandergekommen

Wo? Das nennt man Betriebsblindheit ... Aber ich habe den Satz umgestellt, weil da zweimal „Wenn“ am Anfang war. Vielleicht ist es jetzt eindeutiger. Oder meinst Du, der Wititi sollte auch in der Mehrzahl stehen? Wär das dann aber nicht verwirrend?


»dass er den Boden seiner Wurzeln unter den Füßen hatte, den man ihm weg gerissen hatte, sobald er in Arequipa war.«
– zusammen: »weggerissen« – allerdings frag ich mich, wer dieser »man« ist, der ihm den
Boden unter den Füßen wegreißt; fände z. B. schöner: »den er vermisste, sobald …«

Das mit dem „man“ versteh ich, aber das mit dem Vermissen träfe nicht ganz das, was ich ausdrücken will, also dieses Schmerzhafte, fast Gewaltsame. Ich überlege aber noch, ob mir eine gute Alternative zu dem „man“ einfällt.

»Um des Sibayinos willen weint sie.«
– »des« würde ich streichen

Streichen? Dann ergibt der Satz aber keinen Sinn mehr. Ich kann ja auch nicht sagen „Um Berliner willen weint sie“.

Und herrje, die ganzen herunter- und hinunter- Sachen – acht Monate Spanisch gehen wohl doch nicht spurlos an einem vorbei. :)

Vielen Dank noch mal für die Mühe, die Du Dir gemacht hast, und ich freue mich sehr, dass Dir die Geschichte gefällt!

Liebe Grüße aus dem sonnigen Berlin,

Malinche

 

Xello Sabrinacha! (Prepare to the Totalverriss!)

Natürlich ist das flüssig geschrieben und ... ein ganz ein bisschen wenig sehr kitschig. Weil das Leben manchmal wirklich eine Televnovela ist, kann ich dir das verzeihen, aber genau hier liegt der Schwachpunkt der Geschichte (die natürlich ansonsten sehr stark ist). Der Text wirkt zu lebensnah. Vom Aufbau her könntest du den Text meiner Meinung nach ein bisschen straffen (nicht zu viel!). Klar, die Handlung (ähm, welche? :D) braucht Zeit, sich zu entwickeln, aber stellenweise kam mir das "soll ich?" "soll er?" "liebt er mich wirklich?" etc. sehr telenovelamässig vor. Mich beschleicht das Gefühl, dass du dich im Text nicht richtig entfalten konntest, weil du immer die Realität im Hinterkopf hattest. Davon solltest du dich lösen, und dich mehr auf die Geschichte konzentrieren, was wirklich nötig ist und was nicht.
Irgendwie fehlt ein bisschen Energie in deiner Geschichte. Mangelnde Handlung? Hmm, schwierig zu erklären. Vielleicht vermisse ich auch einfach ein noch stärkeres fantastisches Element, wie man es sonst bei dir gewöhnt ist ...

Ansonsten kann ich dir leider keinen Totalverriss geben, wie du es gewünscht hast, denn die Idee, den Kolibri und die Götter einzubauen, fand ich toll. Du schaffst es mit einer wunderbaren Natürlichkeit, die mythische Andenwelt mit der modernen zu verbinden. Genau so, wie es die lateinamerikanischen Schriftsteller tun. Die Kolibri-Metapher fand ich sehr schön, du hast dieses Motiv geschickt in die Geschichte eingebaut. Ok, bei den Schmetterlingen kratzt du für meinen Geschmack hart an den Klippen des Kitschs vorbei.

Im Dorf – in Chivay – beginnt das Fest.
Wieso nocht einfach "Im Dorf Chivay"? Oder "In Chivay"?

Ich wohnte bei Amparo, einer Freundin von hier.
Sánchez? :D

»Ich kann das nicht abschicken.«
»Sei nicht feige.«
Ich schloss die Augen, dachte an dieses Lächeln. In mir wurde es warm.
Nachricht übermittelt.
Das Kitzeln von Federn an meinem Kinn: »Na, siehst du«, flüsterte Pillpintu erleichtert.
Ein Glück, dass am Anfang nicht Aulitec spricht ...
Ansonsten bloss ein dickes phephe für diese Szene.

Ha, jetzt habe ich doch etwas gefunden, das mich gestört hat. Den Namen Malinka assoziiere ich nicht unbedingt mit einer Gringa. Ich weiss, dass du den Namen nicht zufällig gewählt hast, aber ich fände es schön, wenn der Name deiner Prota mehr gringo klingen würde. Dies aber nur so am Rande.

Liebe Grüsse und schreib bald wieder was (ich sch.. sende dir noch den Pergamottenjäger),
sirwencita

 

xello sirwencita,

my name is che sabrinacha. you killed my story. prepare to ... äh ...

Danke für den Totalverriss (oh Mann, du wirst es nie lernen, was?). ;)
Freut mich, wenn dir die Geschichte im Großen und Ganzen gefallen hast. Um die Handlung zu straffen, brauche ich noch ein bisschen Abstand und vielleicht konkrete Tipps ...
Und hast du Vorschläge für einen Gringo-Namen? Wobei ih mich ungern von Malinka trennen würde.
Das Dorf Chivay wird auch noch komprimiert, aber nicht heute.
ich will den pergamottenjäger! ;)

lg
sabrinacha

- in frankreich & irgendwie in eile, deshalb nur so kurz -

 

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