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Konstruktive Pläne nach durchwanderten Mondlandschaften
„Du, Erwin ...“
„Hm, was ist denn?“
„...wollte dich nur mal kurz was fragen ...“
„Ja, gut, mach aber schnell, ich bin gerade beim Einschlafen!“
„Wieso schläfst du denn schon am Vormittag und was machst du dann in der Nacht?“
„Nachts arbeite ich“, meinte Erwin kurz angebunden und sichtlich genervt von der Fragerei.
Nun doch neugierig geworden, was er denn des Nachts so treibt, bohrte Rainer weiter: „Und warum schläfst du nicht in der Nacht?“
„Also wirklich, du bist eine echte Nervensäge! Aber weil du es bist, sag ich es dir: Ich arbeite meine Gedanken aus!“
„Gedanken ausarbeiten? Kann ich mir nicht vorstellen, wie das gehen soll, erklär' mir das doch bitte ...“
Noch etwas aggressiver reagierend, da er schlicht und einfach müde war, antwortete der wesentlich ältere Erwin seinem jungen Freund: „Mensch, Rainer, das Gedankenausarbeiten ist eine komplizierte Angelegenheit, das kann ich dir jetzt nicht in zwei Minuten erklären, das braucht Zeit - sehr viel Zeit!“
„Aber Erwin, du bist doch mein bester Freund, und wenn ich ein Problem habe, dann kann ich immer zu dir kommen, hast du mir erst gestern gesagt. Und nun habe ich ein Problem und du hast keine Zeit für mich!“
„‘tschuldige, war nicht so gemeint, aber die Sache mit dem Gedankenausarbeiten ist sehr kompliziert und wie gesagt, ich muss erst einmal eine Mütze voll Schlaf bekommen, und dann kann ich es dir erklären!“
„Ist ja gut, dann nerve ich dich nicht weiter und frage nachher noch mal, wenn du deine Mütze verpennt hast.“
Dann wurde es still. Erwin war prompt eingeschlafen und fing an zu schnarchen.
„Du, Erwin“, ging es wieder los.
„Chhhhuuuu ...“, ließ Erwin verlauten und drehte sich auf die andere Seite. Was Rainer ihn gefragt hatte, bekam er nicht mit, so sehr war er mit dem „Sägen“ im Schlaf beschäftigt. Ein wenig unwillig zupfte ihn Rainer am Ärmel, weil ihn der Gedanke nicht los ließ, was es denn nun mit dem Gedankenausarbeiten auf sich hatte. Zwar kratzte er sich seinen wirren Blondschopf, um besser nachdenken zu können, was aber leider auch zu keinem nennenswerten Ergebnis führte.
Eine beleidigte Miene ziehend, schaut Rainer unschlüssig auf Erwin, der seine Sägegeräusche im Schlaf noch vertiefte und nun offensichtlich dazu überging, einen ganzen Wald abzuholzen, zumindest hörte es sich so an; und weil er es nicht aushalten konnte, da einerseits die ohrenbetäubenden Geräusche schlimmer waren als eine ganze Horde vorbeifahrender Motorradfahrer, andererseits auch die überaus brennende Frage nach diesem Gedankenausarbeiten in seinem Kopf herumschwirrte, gab er Erwin einen kräftigen Klaps auf den Allerwertesten, um ihn aus seinen Sägewerksarbeiten zu befreien. Das Holz war sicherlich schon längst zu Sägespänen verarbeitet, so laut wie Erwin sich gebärdete. Rainer war sich sicher, er hatte den Wald im Traum zu einer Mondlandschaft umgewandelt, aber nun solle er endlich dazu übergeben, ihm seine auf den Lippen brennende Frage zu beantworten, was es denn nun mit dem Gedankenausarbeiten auf sich hatte.
Mit einem lauten „Aua“ fuhr Erwin aus seinem Schlaf hoch und schaute sich verblüfft um. Offensichtlich war er erstaunt, in einem Zimmer zu liegen und seinen Freund Rainer vor sich zu haben. Er faselte irgendwas von „Also los ...“ oder so ähnlich, was er sicherlich geträumt hatte.
Rainer packte nun die Gelegenheit beim Schopf und fragte: „Hey, Erwin, ging das Gedankenausarbeiten glatt?“
„Was ist los?“, brummelte dieser.
„Na, du weißt doch noch, was wir vorhin geredet hatten - die Sache mit den Gedankenausarbeiten ...“
„Ach die ... ja, weißt du, das hatte ich schon wieder vergessen. Im Traum hatte ich schwer schuften müssen - ganze Wälder abgeholzt - und da kam ich nicht dazu, mir über das Gedankenausarbeiten Gedanken zu machen. Und wenn ich in der Nacht schon arbeite, dann kann ich nicht vormittags auch noch an der Sache weitermachen, das ist schließlich Nachtschicht-, und jetzt ist Tagschicht-Arbeit!“
„Ach so, dann kannst du das Gedankenausarbeiten nur in der Nacht machen und wenn du vormittags einschläfst, dann funktioniert das nicht. Kannst du nicht mehr daran anknüpfen, an das, was du in der Nacht gemacht hast?“
„Natürlich kann ich das, aber ich muss meine ganzen Gedankenausarbeitungs-Pläne noch einmal von vorne beginnen. Hast du eine Ahnung, wie lange das dauert?!“
„Wie lange denn?“, bohrte Rainer weiter.
„Das kann ich so nicht sagen. Kommt darauf an, wieviel Zeit ich dafür habe.“
„Ja, gut! Und wenn du mit dem Ausarbeiten fertig bist, kannst du das Ergebnis dann für irgendetwas gebrauchen?“
„Klar, kann ich es gebrauchen, was denkst du denn! Gedankenausarbeiten ist konstruktive Arbeit, die immer ein Resultat zur Folge hat; und wenn du mich jetzt nicht geweckt hättest, könnte ich dir sagen, wie es ausgegangen wäre.“
„Ach so ist das! Dann probiere ich das jetzt auch!“, sagte Rainer begeistert, und legte sich auch auf die Couch, um seine Gedankenausarbeitungspläne in die Tat umzusetzen; schloss die Augen und versuchte es genauso zu machen wie Erwin, in diesen unendlichen Wald einzutauchen, in dem es so furchtbar viel Arbeit gab. Gedankenausarbeiten nannte sich das wohl, so hatte es Erwin schließlich erzählt und das wollte er nun auch probieren: Eintauchen in den Wald der Gedanken, um das Ergebnis dann konstruktiv beim Aufwachen bestätigt zu bekommen.
Er wälzte sich hin und her. Das Einschlafen wollte ihm einfach nicht gelingen und er ärgerte sich darüber. „Ich glaube, das geht nicht. Gedankenausarbeiten ist wohl doch eine Nachtschichtarbeit, so wie du es gesagt hast, und deshalb versuche ich es lieber am Abend noch einmal. Und wenn ich dann am Morgen aufwache, werde ich dir erzählen, was ich im Wald der Träume alles geleistet habe. Sicherlich kann ich dir dann auch von meinen Erlebnissen erzählen, die von durchwanderten Mondlandschaften nur so wimmeln und vielleicht schaffen wir es einmal gemeinsam, im Land der Träume die Gedanken auszuarbeiten, um dann am Morgen konstruktive Pläne zu schmieden, wäre das nicht toll?“