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Konsumtempel

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11.08.2006
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Konsumtempel

Konsumtempel

Der heutigen Mensch ist anfällig für Konsum. Ich habe mich diesem Konsumierungsgetümmel heute einmal freiwillig gestellt, indem ich sicherheitshalber ohne Brille in den Einkaufstempel gestapft bin. Dieser Satz beinhaltet zwei versteckte Aussagen. Zum einen diese, dass ich vorhatte meiner persönlichen Ernährungsberaterin heute einmal Folge zu leisten, indem ich mir einen Überkonsum an Obst liefern wollte, zum anderen, dass ich ohne Brille nicht viel sehe. Der Vorteil besteht darin, dass man weder die Ökonachbarin neben sich entdeckt, die missmutig den Fettgehalt auf der Käsepackung beäugt, die man gerade liebevoll in der Hand hält, noch dass man sieht, wie die alte Oma von gegenüber die Tomaten alle durchweg in die Hand nimmt und einen skeptischen Quetschgriff unterzieht um die Frische des Obstobjektes zu testen. Ferner sieht man auch nicht wie teuer alles geworden ist. Nun, nach einigen kritischen Blicken stelle ich im Käseregal fest: Es gibt Dinge die liegen nahe am Rand des Unverständnisses. So sehe ich eine hübsche Käseverpackung. Rücke etwas näher heran und lese die Namen. Da lächelt mich „Himmel“ neben „Hölle“ an und in der Mitte steht „Julia“. Ich frage mich was „Julia“ zwischen „Himmel“ und „Hölle“ will und wie der Käsehersteller wohl mit Vornamen heißt. Dann frage ich mich, ob ich wohl „Wonne“ beim Vernaschen von „Julia“ empfinde und beschließe letztlich das Käseregal zu verlassen. Ich beschließe stumpf mir einen Pfefferminztee zu gönnen. Für den Normalsterblichen mag sich der Gedanke auftun: Jo, allet klar. Ab ins Teeregal. Pfefferminztee – neben Kamilletee, ab in Korb, ab nach Hause. Nicht aber im Konsumtempel meines Vertrauens. Hier tut sich erstmal ein Fünf-Meter-Regal feinster Teesorten auf. Ich beschließe meine Begeisterung im Zaum zu halten und schwanke mit dem Leid eines Kurzsichtigen durch die einzelnen Teesorten. Nicht dass es eh schon schlimm genug ist eine Teepackung an der Form zu erkennen. Jetzt muss man auch noch jede einzelne Teesorte genau beäugen. Ich frage mich was die alte Oma von nebenan davon hält. Ich brauche bestimmt eine Stunde um festzustellen, dass „Himmlische Verführung“ „Erdbeerrausch“ und „Bananengetümmel“ alles Hagebuttenteeextrakte mit ein wenig Geschmacksverstärker sind und mein rustikaler Pfefferminztee rabiat in die letzte Ecke verdrängt wurde. Ich finde das nicht gerecht und beschließe diesen Sommer zu Ehren dieser Teesorte in meinem Kräuterbeet einen Strauch eben dieser Sorte anzupflanzen. Ich werde jeden Abend mit ihm sprechen und ihn streicheln. Diese Frechheit der heutigen Gesellschaft darf man nicht unterstützen beschließe ich und kaufe gleich eine Familienpackung Pfefferminztee. Nun noch Saft. Saft ist ein dringendes Muss für den Plan, den meine Ernährungsberaterin mir liebevoll zusammengestellt hat. Ich schlendere in das Saftregal und bin begeistert von der Tatsache, dass Multivitamin-, Orangen- und Apfelsaft immer noch ihren Namen verteidigt haben. Als pragmatischer Mensch greife ich eher unbewusst zum Multivitaminsaft und suche auch ein wenig, bis ich den gewünschten 100% Fruchtanteil erwische. Mein Blick heftet sich an eine neue Konsumsünde. Wellnesssaft?! Ich frage mich stumpf, ob man durch diesen Saft die Cellulite wegschwemmen kann. Ich glaube nicht an solch Wundersäfte, freue mich aber für die Hersteller, dass es immer noch gutgläubige oder auch naive Menschen auf der Welt gibt. Begeistert bin ich über die Tatsache, dass man auf die Idee kommen kann eine Artischocke in dem Saft mitzuverarbeiten. Ich erinnere mich an einen versehentlichen Genuss dieses Gemüseobjektes auf einer Pizza und bin begeistert, dass ich den Ekel noch heute dafür empfinden kann. Der Gedanke, dass man eine Artischocke ja auch irgendwie loswerden muss, lässt sich sehr gut damit verarbeiten, dass sie in einem Saft bestimmt geschmacklich kaum bemerkt werden wird. Der Konsument ist froh und die Artischocke auch. Ich gehe zur Kasse für heute hat mir der Ausflug in den Konsumtempel genug Freude geliefert. Eine Fernsehzeitung muss noch mit. Eine junge Dame, die vermutlich vierzig Jahre auf dem Buckel, aber durch das Computerprogramm eine ordentliche virtuelle Liftingbehandlung bekommen hat, darf sich mindestens zehn Jahre jünger erscheinen lassen. Ferner hat sie ein nettes Zahnputzlächeln und animiert den Käufer nicht mehr an das Fernsehprogramm in sondern an die Frau auf der Zeitung zu denken. Ich bin begeistert und beschließe diese junge Dame an meine Wand zu pinnen. Stolz betrachte ich nocheinmal meinen Einkauf und stelle fest, dass ich eine wirkliche Leistung vollbracht habe, indem ich ohne Brille in einem Konsumtempel von heute zwei Äpfel, einen Multivitaminsaft und eine Packung Pfefferminztee sowie eine Fernsehzeitung erfolgreich in den Einkaufskorb befördert habe.

 

hallo Esme,

der Text ist sehr vergnüglich zu lesen, man schmunzelt dabei, auch wenn er keine echten Neuheiten verbreitet. Muss er aber auch nicht.

Aber:
Ich denke, dein Text ist keine Kurzgeschichte, sondern eine Art Essay, eine Kolumne für die Zeitunbg, heute würde man sagen: ein Blogeintrag.

Beste Grüße vom Platoniker

 

Ja, das ist ein nett zu lesender Text. Er bringt nichts umwerfend Neues, aber man freut sich ja schon über Bekanntes. Ein bisschen hat mich die fehlende Interpunktion gestört, sie erschwert das Lesen. An zwei, drei Stellen (z. B. ... darf sich mindestens zehn Jahre jünger erscheinen lassen) hast du beim Überarbeiten wohl die Augen zugemacht. Aber trotzdem, ich habe den Text mit Schmunzeln gelesen. Wobei er meiner Ansicht nach falsch eingeordnet ist, er gehört nicht in die Kurzgeschichte.

Viele liebe Grüße
Estrel

 

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