Was ist neu

Kopf über Herz

Mitglied
Beitritt
03.03.2020
Beiträge
36

Kopf über Herz

Jemand geht durch den strömenden Regen. Ohne Schirm. Könnte man meinen, aber der Schirm folgt in einigem Abstand.
Schirm: Da vorne geht sie. Ohne mich. Warum? Sie wird ja nass. Wird sicher krank. Es ist so kalt.
Frau: Es ist so kalt und jetzt werde ich auch noch nass, ohne ihn, aber es geht nicht anders, es muss so sein, ich kann mich nicht für immer auf ihn verlassen, er wird nicht immer für mich da sein, wenn ich ihn brauche. Ich sollte schneller gehen.
S: Jetzt geht sie schneller. Warum? Wo will sie hin?
F: Aber was soll ich machen ohne ihn, wo will ich hin, soll ich mich an den Straßenrand stellen, den Daumen ausstrecken, hoffen, dass irgendwer … Nein. Ich kann nicht immer nur auf andere hoffen, mich immer von irgendwem abhängig machen und ich kann auch nicht immer vor allem wegrennen, ich muss auch mal – stillstehen.
S: Jetzt bleibt sie stehen, steht still, warum, und warum verfolge ich sie überhaupt, sie muss auch mal eigene Erfahrungen machen, auf sich selbst gestellt sein, auch mal alleine durch den nassen, kalten Regen laufen und krank werden und daraus lernen.
Und auch ich muss lernen. Auch mal wegzusehen. Mal nicht da zu sein.
F: Jetzt fühle ich mich unbeobachtet. Bin mal einfach nur da, für mich, und es ist schwerer, als ich dachte. Warum rast mein Herz so? Wovor habe ich Angst? Vor dem Leben an sich, dem Unkontrollierbaren, dem Ausgeliefertsein. Ich muss mich ablenken, ich werde sonst wahnsinnig, ich muss, ich muss …
S: Ich muss etwas tun, ganz eindeutig, ich kann nicht tatenlos zusehen, wie sie auf die Straße rennt, mit geschlossenen Augen, mit dem Kopf im Nacken und dem offenen Mund …
F: … und mit ausgestreckten Armen und ich drehe mich im Kreis und ich atme den Regen und …
S: Sie weiß nicht, was sie tut! Sie braucht mich, schreit um Hilfe – stumm!
F: Taub! Blind! Will nichts hören, will nichts sehen, nichts wissen. Weil ich spüre, dass ich genau das jetzt brauch.
S: Ich spür doch, dass sie mich braucht, gerade jetzt, mehr als jemals zuvor, ich bin da, halte durch!
F: Durcheinander. Reifenquietschen. Felgenkreiseln, um mich rum, in mir drin, immer enger, gerat ins Wanken, unentschieden, welche Seite – Kopf. Oder …

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom