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Kopflos

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21.08.2006
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Kopflos

Zwischen Tag und Nacht legt sich die Dämmerung; in einer Sanduhr fällt ein letztes Korn.
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Drei Meter über dem grauen Velours erstreckt sich das pastellene Deckenkonstrukt: darin eingelassene Strahler schimmern gedämmt durch die matte, düstere Luft. Wenige Staubfasern winseln lautlos, vom künstlichen Lichtschein als organische Zeugen dieser späten Stunde in Szene gesetzt. Die illuminierten Punkte in der Decke wirken wie invertierte Löcher in einem cremefarbenen Käse. An den Wänden ringsum – Bilder: Portraitaufnahmen ohne Portrait. Ein kontraststarkes Arrangement von Ölfarben zeigt Umrisse von blassen Körpern, von immer demselben Körper. Schwarz über Rot; ein sattes Hemd springt unter einem dunklen Nadelstreifenoberteil hervor. Um den käsigen Kragen zwängt sich eine gestreifte Krawattenschlaufe – ein Sündenfall, dem das Fruchtige und Saftige abhanden gekommen ist. Seltsam verkürzt, wirken diese Abbildungen leblos. Eine wie die andere, in immer dieselben Kleider gehüllt, erstreckt sich die erahnte, menschenähnliche Form über eine Leinwand; ohne Extremitäten. Dort, wo Arme, Beine oder Kopf zu denken wären, knickt das Leinen um und entflieht, ungesehen von etwaigen Betrachtern, auf die Rückseite gewendet – unmerkliche Ausdünstungen von Farbe treten in Interaktion mit der dahinter liegenden Wand.
Auf jeder fensterlosen Seite eifern drei identische Repliken um die Symmetrie zu einem fatalen Fixpunkt in der Raummitte, dort also, wo der Untergrund sich einst voll sog und verfärbte. Ein mehlig madiger Geruch geht von dieser Stelle aus – blutige Tropfen hatten sich sukzessive zu der Kreisform zusammengezogen. Ohne Eigenbewegung hängt loten an einem silbernen Faden eine entstellte Fratze, ein Schädel mit Haut und Haaren, wie andernorts eine Diskokugel unter der Decke hängt, die in ihren vielen spiegelnden Reflexen Kinderaugen zum Funkeln bringt.
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Die Lider des toten Hauptes senkten sich über trübe Linsen. Ein nächster Augenaufschlag ließ diese Imagination aus dem adulten Bewusstsein weichen; er fühlte sich zu sammeln, sich
zu schütteln und wollte einen klaren Gedanken fassen, so es ihm das Leben noch erlaubte. Ein Straßenpolizist fand den Kopf eines ihm noch unbekannten Autofahrers auf dem Asphalt liegen, drei Meter entfernt von der eigentlichen Unfallstelle. Bei einem Verkehrsunglück war dieser tragischerweise vom Torso abgetrennt worden.

Alexander Bernhard Trust (im Juni 2006)

 

Hi Sajonara,

die Formatierung ist saumäßig anstrengend. Bitte entferne doch die manuellen Zeilenumbrüche.

MfG, sim

 

Anstrengend? Darf ich fragen, mit was für einer Bildschirmauflösung Du surfst? Das ist eine Formatierung, wie sie sonst auf eine Buchseite passt. Im Übrigen ist das, jedenfalls nach Ergebnissen in der Textverständnisforschung auch am effektivsten für's Auge. Ich kann gerne die Zeilenumbrüche entfernen, aber ich denke nicht, dass man damit jemandem einen Gefallen tut. Das hab ich bei der letzten Geschichte gemerkt, da gehen Sätze über die ganze Bildschirmzeile, und das ist für's Auge anstrengender. ;) Gesagt, getan, machen wir's anstrengender.

 

XP Standardauflösung bei einem 17 Zoll Flat.
Eben keine Buchseite. Da möchte das Auge bis zum Rand lesen, nicht immer mitten in der Zeile abbrechen. ;)


Danke und einen lieben Gruß, sim

 

Ehm, das Auge ist nicht autonom. Unsere Lesegewohnheiten sind kulturell bedingt. Bis zum "Zeilenende" zu lesen ist üblich. Am Rand stehen meist keine wichtigen Informationen mehr. ;)

 

So, jetzt versuche ich noch einmal auf die Geschichte einzugehen.
Kontruktive Kritik fällt mir dabei schwer, ddenn es ist einer der Geschichten, die in mir das Gefühl hinterlässt, zu dumm zu sein.
Ich verstehe nicht, warum die Geschichte geschrieben wurde, welche Fragen sie stellt, welche Gedanken zu anregen soll oder welches Ziel sie hat.
Und so, wie sie geschrieben ist, kann ich mir auch nur schwer vorstellen, dass sie der Unterhaltung dienen soll, denn dazu fand ich persönlich sie einfach zu langweilig.
Im ersten Absatz wird relativ breit eine Szenerie beschrieben, die an eine Disko erinnern könnte, aber dazu gibt es zu wenig Menschen und zu viele Gemälde.
Die Art der Gemälde könnte an Webcambilder erinnern, bei denen Menchen sich ihren Torso mit eregiertem Schwanz und feuchter Muschi zeigen, nie aber das Gesicht. Verschiebung der Schamgrenze, man möchte in der Lust das Gesicht nicht verlieren, also wir das zum Gegenstand der Scham.
Dann hätte ich aber erzälerisch schnellere Schnitte erwartet. Auch fügt sich der abgeschleuderte Kopf nicht in das Bild ein, selbst, wenn ich "Verkehrsunfall" mal in diese Richtung interpretiere. Der würde eher zur Diskoszenerie passen.
Vielleicht gibt es auch gar keine Intention außer der, sich darüber zu amüsieren, dass dumme Leute wie ich sich noch bemühen, einen Sinn in dem Ganzen zu finden.
Nein, ich bin ratlos und bleibe dumm.

Lieben Gruß, sim

 

Puh... wo fang ich an, wo hör ich auf. Also: Die Geschichte ist ein surrealistisches Experiment gewesen. Wenn man den ersten und letzten Absatz liest, der ja eine Klammer bildet, wird man den mittleren vielleicht zu interpretieren wissen.

@beide: Ob Tautologie oder nicht, es hat seinen Sinn, es ist nämlich wörtlich übernommen aus einem Lied von Xavier Naidoo. Sprich... zu Beginn "hört" man, ohne dass darauf hingewiesen wird, Radio. Am Ende, wird ein Kopf von einem Streifenpolizisten aufgelesen. Der mittlere Teil sind abstrakte Gedanken, die in dem Kopf, während er durch die Luft segelte, gespukt haben könnten. Die Geschichte geht um Tod, aber auch um Freundschaft. Letzteres ist weniger für den Leser wichtig, als für mich persönlich. Aber daher das Surrealistische, um diesen Aspekt zu verschleiern.

In der Mitte des Raumes hängt ein Schädel, ein lebendiger? Das Blut war dort herabgetropft. Warum aber nur der Schädel? Wenn sich jemand erhängt hat, wo bleibt dann der Körper. Es hat sich aber niemand erhängt, vielmehr erklärt ja der Fund des Straßenpolizisten im letzten Absatz, warum und wieso. Jedenfalls kann der surrealistische Teil nicht mit herkömmlichen Mitteln interpretiert werden. Ich finde nicht, dass "adult" eine zu abgehobene Vokabel ist. Im Englischen ein ganz normales Wort, und in mind. drei Disziplinen, die ich in meinem Magisterstudium habe, eines, dass mir alle Nase lang begegnet. An der Wand hängen Bilder, nur mit Torsos?! Wenn man den Schädel und die Torsos wieder zusammenführt... zudem erhält man ja den Hinweis, dass sich die Glieder nach hinten auf die Leinwand stülpen. Insgesamt könnte also auf sehr surreale Weise der Unfallhergang rekonstruiert werden. Es gibt drei undurchlässige Seiten des Raumes, mit Bildern. Prinzipiell sitzt der Fahrer in einem Auto auch nur immer in die Richtung der Windschutzscheibe. Falls ihr Vorschläge habt, die diese Aspekte besser herausstellen könnten, her damit. Wenn man nun weiß, dass der mittlere Teil surreal ist, braucht man auch keine Scham haben, Portraitaufnahmen ohne Portrait zuzulassen. ;) Die Diskokugel und die Kinderaugen sind eine Reminiszenz, ein versteckter Hinweis auf den Aspekt der Freundschaft, die vielleicht den Schreiberling und den Fahrer miteinander verbanden. Aber wie gesagt, das ist ein Gedanke, der sollte nicht zwingend erkannt werden. Ich sprech's bloß an, weil Du, lea, die Diskokugel erwähntest. Der Kragen ist deshalb käsig, weil Leichen käsig und bleich sind. Also, es sind Anspielungen auf den Tod. Es ist nicht mehr fruchtig und saftig, sprich es fließt kein Blut mehr darin.

@Sim: Du bist nicht dumm. ;) Und es ehrt mich, dass du wenigstens versucht, dir deinen Reim drauf zu bilden.

@Lea: Prinzipiell finde ich Tautologien in formalen Texten unnötig, in Literatur jedoch manchmal durchaus reizvoll.

Lieben Gruß und schon ein Mal vielen Dank.

 

Sayonara Gleichlautender mit J,

Surrealität ist ein zweischneidiges Schwert. Sie bietet viele Möglichkeiten für den, der sie nutzt, von der Option, _alles_ möglich zu machen bis zu der, _nichts_ erklärlich zu halten. Dabei kann sie unterhaltsam sein (Der Schaum der Tage von Boris Vian hat mich extrem unterhalten) oder Abstand generieren und halten (die meisten surrealen Maler wirken so auf mich).

Du hast also eine surreale Wortsammlung vorgebracht und lieferst auf Nachfrage ein paar Ansätze, wie sie zu hören ist, was ich per se nicht ideal finde, sollte sich das doch aus den sortierten Buchstaben ergeben.
Sofern es nötig ist, weil die Malerei mit den Vokalen und Konsonanten kein präsentes Bild schafft. Oder generiert.

Ich erlese aus Deiner Sammlung starke Worte, die Dir - so vermute ich - Wert haben, in ihrem Klang, Kontext, in der Art sie zu gruppieren. Es ist nicht unüberlegt, das erlese ich ebenfalls, vermutlich sogar weitergedacht als die meisten Leser aller Vorlieben Dir folgen wollen.
Ob da das Problem liegt wenn es eines gibt, liegt mehr an Deiner Erwartungshaltung, erreichst Du das an Rückmeldung, was Du suchtest als Du geschrieben, als Du gepostet hast ?

Ich kann Deine Motivation nachvollziehen, vielleicht verstehen, zumindest einen Zugang finden, zur Motivation, nicht zum Text. Solche Wortklumpen mit Satzzeichen fliessen mir auch aus den Fingerspitzen, ohne weiter zu kommen als aus mir heraus, sie stehen im Weg für Konkreteres, ein wenig Konkreteres, oder zumindest bebilderteres, geschichtigeres. Bei mir der nicht Du ist und daher anders ticken dürfte.

Was bleibt als (mein) Fazit ? Es liegt in den Worten, es liegt in den Reaktionen, schreiben kannst Du, Du schreibst, Du erhältst Rückmeldung. Wenn es in dieser Form genügend und wohlgeformt ist für Dich wirst Du erhalten was Du wünscht. Wenn nicht hast Du mit jeder neuen VÖ die Option etwas zu ändern.

Grüße,
Curreal Seltsem

 

Vielen Dank für die Reflexionen. Ja, ich habe bislang eben zwei surreale Experimente gewagt, und das, wo ich nicht so viel Surreales selbst kenne. Ich habe nicht vor, es als Mittel zum Zweck einzusetzen, um "alles" möglich zu machen. Aber manchmal drückt auch das Surreale etwas aus. In einem Romanmanuskript habe ich über einige Kapitel hinweg die Reflexionen und Handlungen geschehen lassen, um sie hernach als "Traum" zu entlarven. Und dennoch hat der Traum etwas beim Leser hinterlassen, und die dann folgenden Elemente oder Kapitel, haben weitere Kreise gezogen und das Bild von Figuren und Handlungen vervollständigt.

Man kann nicht jedes und alles surreal darstellen. Zumindest glaube ich nicht, dass das geht. Aber manche Dinge eben doch. Für mich ist auch negative Beurteilung von Vorteil. Weil ich damit quasi Empirie betreibe und feststelle, wie die Welt tickt. Jede Geschichte ist somit immer auch ein Anzeiger, ein Anzeiger für mich, da ich genau weiß, was Sache ist, wie der Puls der Zeit darauf reagiert.

 

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