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Kopflos

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30.09.2005
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Kopflos

Jemand bohrt seinen Schädel an. Da ist er sicher. Fräst sich immer weiter vor. Weiter. Bis zum Ende. Darüber hinaus. Es hört nicht auf. Das Brennen. Das Zischen. Das schrille Kreischen der Bohrmaschine.
Sein Handy. Sein Handy? Der Nebel lichtet sich. Der Vibrationsalarm. Direkt neben seinem Kopf.
Er zwingt sich die Augen zu öffnen. Schwarze Punkte tanzen mit roten Kreiseln. Das Licht sticht durch die Pupillen bis in seinen Hinterkopf. Der Schnaps von gestern Abend schwappt von einer Gehirnhälfte in die andere und brandet schmerzhaft an die Schädeldecke.
Das Handy brummt noch immer. Hört das denn gar nie auf?
„Wer stört?“.
„Hauptkommissar Frei?“
„Nein, der örtliche Dackelzuchtverein.... Natürlich Frei hier.“
Sein Gehirn hämmert in bizarrem Rhythmus, als versuche es sein knöchernes Gefängnis zu sprengen.
„Tut mir schrecklich Leid, dass sich sie stören muss an ihrem freien Tag, aber...“
„Wer ist da?“
„Kommissar Nöthen.“
„Hä?“
„Der Neue. Seit Montag. Sie wissen doch...“
„Ach so, du. Was is' ?“
„Also, wie gesagt, es tut mir schrecklich leid, dass ich sie störe...“
„Ja, ja schon gut, worum geht's?“
„... aber ich glaube wir brauchen sie heute. Etwas ... ist ... Sehen sie es sich doch bitte selbst an. Rosenstraße 4. Bitte schnell.“
Während der letzten Sätze ist Kommissar Ernst Frei bereits dabei seine Hose anzuziehen. Was soll die blöde Geheimnistuerei? Sehen sie es sich doch bitte selbst an. Am Arsch lecken konnten sie ihn.
Er blickt auf seine Frau. Sie schläft noch. Wenn er wieder zurück ist wohl immer noch. Dabei wird sie schnarchen und wahrscheinlich auch ein paar mal furzen.
„Bin gleich da,“ krächzt er in sein Handy und legt schnell auf, bevor ihm seine Stimme ganz den Dienst versagt.

Mein Gott, das muss ja übel sein. Überall zuckende Blaulichter, die ihre beschissenen Strahlen direkt in sein Gehirn abfeuern.
Er steigt aus dem Wagen, geht in Richtung Hauseingang. Überall plärren Funkgeräte unverständliche Wortfetzen. Irgendetwas stinkt. Hinter einem der Kastenwägen sitzt ein junger Uniformierter. Gerade mal zwanzig Jahre alt und kotzt sich die Seele aus dem Leib.
Besser gesagt: er ist schon fertig. Jetzt sitzt er in einem See aus brauner Flüssigkeit durchmengt mit Stücken des schlecht zerkauten Frühstücksbrötchens.
Grüne Gallefäden triefen aus Mund und Nase.
Der Anblick. Der Gestank. Das entsetzliche Wimmern dieses Hundes. Alles fordert seinen Tribut.
Kommissar Frei's eigener Magen beginnt zu zucken. Der spärliche Inhalt trommelt gegen seinen Kehlkopfdeckel und hinterlässt Spuren aus saurem Feuer.
Schnell weg hier.
Da ist ja Nöthen. Das macht es nicht gerade viel besser.
„Schön, dass sie so schnell kommen konnten.“
Ach leck mich doch am Arsch.
„Ja, man tut was man kann.“
Das Grinsen misslingt und wird zur schiefen Grimasse. Auch egal. Ist ja nur Nöthen.
„Kommen sie doch bitte mit.“
„Willst du mir nicht endlich sagen was los ist?“
„Kommen sie, nur die Treppe hier. So was gab's noch nie. Jedenfalls nicht hier. Unglaublich. Der Hammer.“
Der Hammer? Du sensationsgeiles Arschloch. Steck dir deinen Hammer doch sonstwo hin.

„Hier, bitte sehr.“
Nöthen gibt Frei eine braune Papiertüte.
Eine Kotztüte.
Scheiße. Ertappt. Nöthens Mundwinkel zucken unter seinem spärlichen Schnauzbärtchen.
Wahrscheinlich wird er wochenlang auf diesen Moment abspritzen.
Jetzte schiebt er Frei durch eine Wohnungstür.
Überall die Spurensicherung. In ihren weißen Ganzkörperkondomen. Sie haben es mal wieder enorm wichtig.
Irgendwo quasselt ein Fernseher. Ein Radio quengelt. Die Funkgeräte quieken, rascheln und grunzen unverständliches Zeug.
„Schluss mit der Geheimnistuerei. Was haben wir, verdammt?“
„Kommen sie. Bitte hier durch die Tür, Herr Frei.“
Ein rotbrauner Dampfhammer aus Gestank bricht durch die Tür, legt sich um seine Eingeweide und drückt zu.
Ein Glück das er die Tüte dabei hat.
In Sekundenbruchteilen ist sie randvoll. Mehr geht beim besten Willen nicht.
Nicht nach gestern Abend.
„Herr Frei...“
Fassung wahren. Welche Fassung denn? Auf jeden Fall aber die Nase hochziehen. Es brennt. Frei kotzt fast wieder. Wenn denn noch was da wäre.
„Herr Frei, geht's wieder?“
Husten, Räuspern, Schlucken. Geht's wieder? Nein, wahrscheinlich nie wieder.
Danke der Nachfrage.
„Ja, ich glaube schon. Also...was haben wir?“
Luft anhalten. Zähne aufeinander pressen.
„Also...“
Das Tuch wird zurückgezogen. Fast ein bisschen stolz. Zuerst nur Blut und Gestank.
Dann nur die Frau – ohne Kopf.
Thor's Hammer prügelt auf seinen Magen ein.
Seine Hoden verwandeln sich in flirrende Kolibris.
Nöthen sitzt als kleiner Mann in seinem Ohr und ist doch ganz weit weg. Er kann nicht anders. Er muss ihm zuhören.
„Also, gefunden wurde sie vom Nachbarn vor rund drei Stunden. Die Tür stand offen. Das hat ihn stutzig gemacht. Todeszeitpunkt – schätzungsweise fünf Uhr heute morgen. Todesursache ist nicht das, was man auf den ersten Blick vermuten könnte. Sie wurde mit über zwanzig Messerstichen bearbeitet, ehe sie den Kopf verlor. Abgetrennt mit einem elektrischen Küchenmesser. Wo sich ihre Rübe befindet wissen wir aber noch nicht. Hauptverdächtiger ist ihr Mann, derzeit flüchtig.“

Hauptkommissar Frei weiß nicht mehr, wie er aus dem Haus gekommen ist, warum er jetzt im Wagen sitzt, wie oft er gekotzt hat. Nöthen sitzt neben ihm und trinkt Kaffee.
Sie reden nicht. Kein Wort. Wie denn auch?
Ein grauhaariger kommt. Redet auf Nöthen ein. Unverständliches Zeug. Seine Stimme geht unter im babylonischen Pulsieren aus Radio, Funk und dem hektischen Geschrei der Kollegen.
Plötzlich gibt Nöthen Gas, rast davon. Mit Blaulicht, Sirene und Hauptkommissar Frei auf dem Beifahrersitz.
Sie kommen an eine Tankstelle. Wieder Blaulichtgewitter.
Autos, Menschen, Sirenen, die Schlampe aus dem Radio. Alle wollen sie in seinen Kopf. Viel zu wenig Platz.
Irgenwie schafft er es aus dem Auto zu kriechen. Heftet sich an Nöthen. Der weiß wie das geht.
Er fragt nach. Was ist denn nun?
Ein Kollege mit dickem Bauch steht Rede und Antwort.
„Wir haben ihn. Es war der Ehemann. Er hat den Kopf seiner Frau in einer Plastiktüte herumgetragen. Und dem Tankwart gezeigt. Der steht unter Schock jetzt.
Der Täter behauptet er hätte nur einen Auftrag ausgeführt. Versteckte Botschaften in den Medien hätten ihm die Tat befohlen. Armer Kerl. Ein Fall für die Psychiatrie schätze ich.“
Irgendwer brüllt, der dicke Bauch wippt schnell weg.
Da kommt er. Sie bringen ihn. Das also ist der Schlächter. So böse sieht der gar nicht aus. Die Polizei hat ihn fest im Griff. Leicht gebückt schleicht er vor den Kollegen her. Das Haar hängt strähnig in sein Gesicht. Dann blickt er auf.
Direkt herüber zu Frei. Die Bestie schaut ihm direkt in die Augen.
Irgendetwas zerbricht in ihm. Er hatte bis gerade eben nicht einmal gewusst dass es da war. Jetzt wird er es für immer vermissen.

Kommissar Frei sitzt zuhause. Auf dem Sofa. Vor dem Fernseher. Ob es ein harter Tag gewesen war hatte seine Frau ihn gefragt.
Jetzt steht sie in der Küche.
Macht das Essen.
Als ob es nichts wichtigeres gebe.
Kommissar Frei schaut zu ihr.
Dann auf den Fernseher.
Der Nachrichtensprecher erzählt bizarre Geschichten von geköpften Frauen.
Als ob es so was gebe.
Frei schaut wieder zu seiner Frau.
Dann auf den Fernseher.
Der Nachrichtensprecher blickt konzentriert auf sein Blatt.
Dann hebt er den Kopf.
Dreht ihn nach rechts.
Blickt zu Kommissar Frei's Frau.
Dann schaut er dem Kommissar direkt in die Augen.
„Töte sie“ sagt er langsam aber bestimmt.

 

Moin Don!

„Tut mir schrecklich Leid, dass sich sie stören muss an ihrem freien Tag, aber...“

"... ich Sie stören muss ..."

Ein grauhaariger kommt.

Grauhaariger

Zum Text selbst: Hundertprozentig bin ich mir nicht im Klaren darüber, was ich von deiner Kg halten soll. :hmm:

Einerseits finde ich den Abschluss recht gelungen und sogar fast schon gruselig (was extrem selten vorkommt), andererseits ist deine Charakterstudie eines zynischen Bullen nicht gerade überzeugend. Du versuchst auf Teufel komm raus den Hauptkommissar Frei als cool und witzig darzustellen, was den Kollegen sehr unsympathisch wirken lässt. Das wäre an sich auch in Ordnung, nur ist seine Verhaltensänderung dadurch absolut nicht nachvollziehbar.

Bei der Leiche habe ich z.B. sonst was vermutet, ein abgetrennter Kopf ist heutzutage aber nicht mehr sooo dermaßen schockierend, dass ein abgeklärter Bulle wie Frei damit nicht umgehen können müsste. Der Fall an sich beruht ja auf "wahren Ereignissen", wie es neudeutsch so schön heißt. Diesen Realitätsbezug hättest du vielleicht mehr betonen können. Stilistisch fand ich den Text gelungen, vor allem Metaphern wie

Der Schnaps von gestern Abend schwappt von einer Gehirnhälfte in die andere und brandet schmerzhaft an die Schädeldecke.

machen das Ganze trotz Stirnrunzeln (Schnaps gelangt wohl kaum "direkt" ins Hirn) anschaulich. Nur gegen Ende wolltest du wohl schnell fertig werden und reihst nur noch Hauptsatz an Hauptsatz, was nicht den beabsichtigten Effekt der atemlosen Spannung erzeugt sondern im Gegenteil nur Langeweile. :sleep:

Wie gesagt, die Pointe und den Realitätsbezug fand ich gelungen, insgesamt hat mich deine Horror-Kg aber leider nicht überzeugt.

Ciao, Marvin

 

Hi Marvin,

Hundertprozentig bin ich mir nicht im Klaren darüber, was ich von deiner Kg halten soll.

Vielleicht wird's mit einigen Anmerkungen meinerseits klarer.

Einerseits finde ich den Abschluss recht gelungen und sogar fast schon gruselig (was extrem selten vorkommt),

Danke erstmal.

andererseits ist deine Charakterstudie eines zynischen Bullen nicht gerade überzeugend.

Im Prinzip soll es keine Charakterstudie sein, dazu ist eine Kurzgeschichte, vor allem in dieser Länge, auch gar nicht geeignet. Vielmehr ist es eine Momentaufnahme - die Zustandsbeschreibung des Prots in eben jenen Augenblicken, in denen der Leser ihn begleitet.

Du versuchst auf Teufel komm raus den Hauptkommissar Frei als cool und witzig darzustellen...

Eigentlich nicht, ich habe versucht darzustellen, wie total am Ende er nach einer (aus welchen Gründen auch immer) durchzechten Nacht ist. Seine "coolen und witzigen" Kommentare sind anfänglich nur ein Versuch aus seiner Not eine Tugend zu machen. Wenn er könnte, würde er so reagieren. Er tut es aber nur in seiner Phantasie und ergibt sich quasi wehrlos seinem Schicksal, da er einfach nicht mehr stark genug ist.

...was den Kollegen sehr unsympathisch wirken lässt. Das wäre an sich auch in Ordnung, nur ist seine Verhaltensänderung dadurch absolut nicht nachvollziehbar.

Hier hab ich leider nicht ganz vertanden, was Du mir damit sagen wolltest.

...dass ein abgeklärter Bulle wie Frei damit nicht umgehen können müsste.

Frei ist nicht abgeklärt, sondern total am Ende.

Der Fall an sich beruht ja auf "wahren Ereignissen", wie es neudeutsch so schön heißt. Diesen Realitätsbezug hättest du vielleicht mehr betonen können.

Da hast du recht, den Fall hab ich aus der Zeitung - aber genauso wie Du werden sicher auch viele andere erkennen, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht. Ich fand es in der Beziehung überflüssig, wie in einem Kinotrailer zu handeln und dem Leser achtzehnmal unter die Nase zu reiben, dass es wirklich einen ähnlichen Fall gegeben hat.

Stilistisch fand ich den Text gelungen, vor allem Metaphern wie


Zitat:
Der Schnaps von gestern Abend schwappt von einer Gehirnhälfte in die andere und brandet schmerzhaft an die Schädeldecke.


Vielen Dank.

machen das Ganze trotz Stirnrunzeln (Schnaps gelangt wohl kaum "direkt" ins Hirn) anschaulich

Wie Du schon sagst, es ist eine Metapher. Da kann Schnaps auch mal direkt im Gehirn sein - oder ein Presslufthammer oder Hummeln im Hintern:D

Nur gegen Ende wolltest du wohl schnell fertig werden und reihst nur noch Hauptsatz an Hauptsatz, was nicht den beabsichtigten Effekt der atemlosen Spannung erzeugt sondern im Gegenteil nur Langeweile.

Der stetige Wandel zu immer kürzeren und fragmentarischeren Sätzen soll vor allem den zunehmenden geistigen Verfall von Frei stilistisch wiederspiegeln.

Wie gesagt, die Pointe und den Realitätsbezug fand ich gelungen,

Juhuuuuuuuu:lol:

insgesamt hat mich deine Horror-Kg aber leider nicht überzeugt.

So'n schxxxx. Aber lies die Geschichte doch nochmal, nachdem du dir meine Anmerkungen zu deinen Kritikpunkten angesehen hast. Ich glaube Du hast einige Dinge missinterpretiert. Kann aber auch sein, dass ich sie so geschrieben habe, dass sie keine andere Interpretation zulassen. Dann müsste ich mich der Geschichte nochmal widmen.

Gruß Don

 

Hi Don,

mir hat deine Geschichte leider überhaupt nicht gefallen. Schon das Erwachen des Kommisars und der Anruf von seinem neuen Kollegen sind viel zu klischeehaft, um ernst genommen zu werden. Dazu passt auch, dass dein Kommissar mürrisch ist und gerade aus einer durhc gezechten Nacht erwacht ist. Außerdem stimmt es, dass du dem Prot. die ganze Zeit gequält witzige Kommentare in den Mund legst. Das wirkt übertrieben.

Im übrigen ist der ganze Plot ziemlich dürftig, ob es jetzt auf einen wahren Fall beruht oder nicht. Ein etwas bizarrwer Leichenfund, wenig später das - wieder bizarre - aufgreifen des Täters. Das ist mir irgendwie zu dürftig. Spannung jedenfalls kann nicht aufkommen.
Die Beschreibung des Tatorts dürfte auf jedenfall etwas ausführlicher sein. Da kann man mehr Einzelheiten rein bringen, die dann etwas Atmosphäre schaffen. Überhaupt wirkt die Geschichte gehetzt nieder geschrieben.

Und den letzten abschnitt würde ich weglassen. Den erwartet man förmlich, nachdem man die Erklärung für den Mord gelesen hat.

 

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