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Korpalopus
Korpalopus stieg den selbst angelegten Berg empor. Schritt für Schritt kletterte er über die mehr oder weniger verwesten Leichen. Stolz schwellte in seiner Brust, Stolz auf sein den Wolken nahes Werk. Er nannte es das Lebenselixier.
Der oberste aller Schädel, der Vizekaiser von Korpalopus‘ Reich, stand auf dem Gipfel und wartete. Sein Name war Gregork, der Name eines Dieners erster Ordnung. Sein schrumpeliges Herz schlug für den Herrn und fühlte dessen Nähe, die herannahenden Schritte, das Knirschen der durch Metallnägel unterstützten Gelenke, den alles umfassenden Gestank seines Atems. Er kannte die Gewohnheiten des Herrn, er liebte und hasste sie zugleich.
Als Korpalopus den Gipfel erreichte, schimmerte in seinen feurigen Augen die himmlische Weite einer endlosen Landschaft, das Panorama der teuflischen Grabanlage, seine Vision. Unter den durchwurmten Füßen lag Gregork und entfernte das Ungeziefer im fauligen Fleisch des Kaisers. Die dünne, borstige Zunge war lang und bestens geeignet dazu, was sein krankes Herz beglückte.
Korpalopus trat den dienenden Schädel zur Seite. Gregork rollte den Hang hinunter und landete an einem Vorsprung aus Nasenbeinen. Ein Schrei entwich aus seiner mickrigen Gestalt, und ließ die noch lebenden Opfer aus dem Delirium des Todes erwachen. Hass erfüllte ihn, doch Hass auf den Herrn war verboten. Verboten, verboten, verboten.
Aus Gregorks Ohren schlängelten dürre Ärmchen und zogen ihn empor, zu Fuße seines geliebten Herrn, dem Kaiser des allmächtigen Reiches – Korpalopus.
Zwanzig blasse Kinder saßen in einem grauen Klassenzimmer. Der gut gelaunte Lehrer stolzierte herein und begrüßte seine Schüler.
"Na Kinder, wer ist unser größtes Vorbild im Lande?", fragte er mit schriller Stimme.
"Korpalopus, Korpalopus, Korpalopus!", schrien die Kinder im Chor.
Korpalopus, auf dem Gipfel seines paradiesischen Berges, überblickte sein Werk mit Stolz. In der Ferne näherten sich drei riesige, qualmende Fahrzeuge.
"Eine neue Lieferung!", jubelte er wie ein Kind und rannte den Berg hinunter.
Aus den Fahrzeugen strömten neue Opfer und versammelten sich. Knochige Gestalten mit tauben Gesichtern, Frauen mit Kindern – ausgemergelt und nackt. Korpalopus zückte sein langes Schwert und metzelte sie alle nieder. Alle! Keiner durfte übrig bleiben. Keiner, keiner, keiner! Die Opferkanonen wurden herangefahren, und mit den toten Körpern beladen. Es knallte, die Erde bebte, und alle landeten auf dem Gipfel des Berges. Alle!
Eine uniformierte Gestalt stieß in das Klassenzimmer und zerrte ein kleines Mädchen hinaus.
"Ah, sehr lobenswert, Soldat!", schwärmte der Lehrer und blickte in sein Publikum. "Seht ihr, Kinder? Unser Kaiser sorgt für Recht und Ordnung."
Die Soldatengestalt huschte die Treppen hinunter, das Mädchen fest im Griff. Er eilte auf den Hof und schmiss das Kind auf die Ladefläche eines riesigen, qualmenden Fahrzeuges.
Das Fahrzeug fuhr mit ratterndem Getöse fort.
"Na Kinder", dröhnte eine Stimme aus dem Klassenzimmer. "Wer ist unser größtes Vorbild im Land?"
Die Antwort schallte klar und deutlich über den Hof.