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Kraftfeld

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30.07.2009
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Kraftfeld

Ich, mal wieder am Hauptbahnhof, bekomm' die SMS für meinen Glückstagscheck von meiner ehemaligen Freundin: „Ich hab schon jemanden zum Hirn herausvögeln! Das reicht mir!“
Nach neun Wochen Pause dachte ich mir, lässt du mal wieder einen Test über ihren Beziehungsstatus laufen. Ich schreibe das Ergebnis per SMS zurück: „Test nicht bestanden“. Ich bin es leid mich noch irgendwie zu verbiegen, will keine netten Rollen mehr annehmen. Ich stehe also am Bahngleis, lehne mich an die Wand des Überwachungsraums und versuche diesen kleinen Rückschlag gekonnt zu überspielen.

Es gibt da eine kleine Meditationsübung, von der ich gelesen habe. Es geht dabei darum, Situation und Umgebung aufzunehmen und sich davon durchströmen zu lassen. Man studiert genau das Geschehen, fühlt sich hinein und versucht eins damit zu werden. Das Nabelchakra - Leuchtendes Juwel in Sanskrit - spielt dabei eine wichtige Rolle: es konzentriert sich an diesem Punkt, dem Solarplexus und sammelt die einströmende Energie. Soweit so gut. Ich beginne also mit den Beobachtungen:

Da wäre zunächst eine junge Dame. Sie zeigt mir zwar ihre schöne Rückseite, aber sie beachtet mich nicht weiter und zieht es vor, irgendetwas in ihr kleines Handy einzutippen. Es stehen noch einige andere Leute mit mir auf dem Bahnsteig aber einer fällt mir besonders auf:

Ein langhaariger Typ im Anzug stampft in wichtiger Gangart die Abstandsmarkierung am Steig entlang und telefoniert. Als er an mir und der Dame vorbeizieht, ein kurzer Blick: nein, nicht auf mich, auf die Vorsteherin! Danach verschwindet er in der Menge. Er hat einen kantigen Hintern. Nach einer Weile zieht er wieder an uns vorbei, dieses Mal ohne uns anzuschauen. Er stampft in Richtung Sitzbänke und setzt sich, mit ausreichend Aufmerksamkeit von seiner Umgebung. Er setzt einen James-Dean-mäßigen Hundeblick auf, übt ins Leere, setzt sich noch etwas breitbeiniger hin und wendet langsam wieder seinen Blick in meine Richtung - ach nein, in ihre, stimmt ja!

Ich atme ruhig weiter, merke aber, dass jede Faser von mir dieses Gepose ablehnen will. Ich achte nun bewusst auf meine Gesten, lasse die Arme baumeln, später putz' ich mir dann noch unvorteilhaft die Nase. Eine S-Bahn fährt ein.
Das Gedränge an den Zugtüren ist groß, ein Mann rennt die Rolltreppen herunter, um die Bahn noch zu erwischen und stößt dabei einige Passanten, die eigentlich auch nur in die S-Bahn wollen, großzügig um. Sein Blick ist starr und emotionslos. Der Mann erkämpft sich einen Sitzplatz am Fenster und schaut den Menschen vor der S-Bahn zu, die versuchen, noch einigermaßen human in die Bahn zu gelangen. Er verzieht keine Miene. Nur sein glasiger Jägerblick schneidet scharf durch die Menge, wie ich finde. Ich beobachte, nach außen hin sicher noch ruhig, die Situation aber ich muss mir schon auf die Zähne beißen, denn das erinnert mich an die Sache die ich mal in einem Musikladen erlebt habe:

An der Theke, wo man sich die CDs anhören kann, hatte sich eine Schlange gebildet. Ich wartete geduldig circa. 10 Minuten bis ich dran war. Jemand kam von hinten angeprescht (hatte mich fast umgestoßen) und drängte sich vor mich an die Theke. Seinen Kopf schüttelte er heftig bei den Erklärungen, dass er ja schon vorher so lange gewartet und nun keine Zeit mehr habe. Seine Stimme überschlug sich dabei schrill wie bei einem verzogenen Kind. Der Mitarbeiter an der Theke schaute mich erst fragend an, verweigerte aber dann dem Vordrängler die Hörprobe.
Der schrie schrill mit ausholenden Gesten weiter, um sich ungerechterweise Vorteile zu verschaffen:
das war zu viel für mich!
Ich überlegte mir, nur in der Theorie natürlich, ob der Typ auch so schrill schreien würde wenn ich seinen Arm auskugeln, seinen wackelnden Schopf packen und mehrmals beherzt seine Fresse gegen die Theke schmettern würde.

Meine Wut ist sicher nun etwas deutlicher zu erkennen: ich beiß' mir immer heftiger auf die Zähne. Man kann sicher auch schon die Nackenmuskeln erkennen. Ich zerkaue geistig diesen Typen in der Bahn: der so selbstgerecht dasitzt, mit seinen glasigen Augen. Ich kaue auf seinem Knorpel herum, ich knirsche mit den Zähnen. Die Bahn fährt wieder los. Mein armes Chakra, ich höre es klagen: „Ich hasse diese Ellbogengesellschaft! 'survival of the fittest' ist ein Scheißkonzept“.
Vor meinem geistigen Auge wandern meine Ellenbogen in das Chakra. Es wölbt sich, dehnt sich aus und bildet einen Schutzschild, es brüllt: „Da mache ich nicht mit!“. Ich versuche mich wieder zu beruhigen, packe mein Schnitzelbrötchen mit extra viel Ketchup aus und beginne, unvorteilhaft und gründlich kauend, zu essen.

Der Pascha zieht wieder stampfend seine Bahnen. Dieses Mal etwas dichter an uns vorbei, sodass meiner Vorsteherin sich wohl genötigt fühlt, einige Schritte nach hinten zu machen. Ich bemerke Paschas enttäuschten Gesichtszug dabei nur aus dem Augenwinkel, sie steht nun direkt vor mir.
Ich spüre die Wärme von ihrem Hinterteil in der engen Jeans direkt an meinem Oberschenkel - aber berührungslos, induziert sozusagen. Wir stehen eine Weile so da. Sie verlagert in Zeitlupe ihr Körpergewicht und umspielt dabei liebevoll mein Bein, wie es scheint. Ich beobachte alles wie hypnotisiert, spüre, dass mein Blut absackt. Ich schließe die Augen, gehe langsam auf die Knie und drücke mein Gesicht in diesen wohlig, warmen Hintern. Ich packe mit beiden Händen die Hüfte, beiße zärtlich durch den elastischen Jeansstoff in die Arschbacke und fange an, den Hintern leidenschaftlich zu küssen und zu liebkosen. Mein Gesicht vergräbt sich immer mehr zwischen die Arschbacken. Mit den Zähnen spüre ich ihre Haut. Sie tippt weiter in ihr Handy. Nur ab und zu hält sie, scheinbar nachdenklich, inne. Ich lege, heftig atmend, meine Wange an den feuchtwarmen Hintern. Ein paar Momente später stehe ich, mit rot geriebener Nase an der gleichen Stelle wie vorher und tue, als wäre nichts gewesen.

Aber mal im Ernst: Was will der Hintern von mir?
Über dieser Situation schwebt ein eindeutiges Fragezeichen, ein eindeutiges Vielleicht:
Es kann ein Signal sein, es kann aber auch gar nichts sein und ich könnte mich dann einfach zurückziehen, als hätte ich nichts bemerkt. Wenn ich diesen Hintern, der nur eine Geste, ein Fingerzucken weit von meiner Hand entfernt ist, jetzt streicheln würde, was könnte passieren? Wäre das ein annehmbares, akzeptables Verhalten? Oder gilt hier die Regel:
Anschauen aber nicht anfassen?

Langsam beginne ich mich über dieses Spiel zu ärgern und fühle mich von diesem Hintern persönlich beleidigt denn vor uns hat es sich schon längst wieder, personenmäßig, gelichtet und es kommt mir so vor, als ob wir die einzigen sind, weit und breit, die noch so dicht aneinander stehen. „Und was wäre, wenn ich jetzt einfach weggehen würde? Hä?“
Mein Chakra drückt den Hintern langsam weg, unmerklich.
Jemand kommt auf uns zu, der die Hände, die Finger in die Hosentaschen gehängt hat. Ein Typ, der mit seinem dunklen Bart und dem Holzfällerhemd, aussieht wie der eine von Tool Time. Er hat aber solche O-Beine, dass ich das Gefühl hab' er würde, während er auf uns zukommt, ein lustiges, irisches Tänzchen vorführen - wie bei Riverdance: Al O'Beine - ich grins vor mich hin. Er stellt sich neben mich und hält den Kopf auf diese Leinwand mit Bahninfos gerichtet, aber ich merke nach einer Weile, dass er meine Vorsteherin genau beobachtet. Er verdreht dafür seine Augen ganz schön. Er beobachtet aber auch intensiv ihren Hintern, der mir sehr nahe steht. Seine Augen, mit den langen Wimpern, zucken nervös hin und her - ich finds lustig.

Ein älterer Herr im elektrischen Rollstuhl fährt mit wehenden, weißen Haaren den Steg entlang. Er fährt an vielen Gesichtern vorbei, die versuchen bewusst wegzuschauen. Ich versuche bewusst hinzuschauen, ihm mit festem Blick zuzunicken, ihm meinen Respekt zu vermitteln. An meinem Stehplatz angekommen, bremst er etwas ab und schaut mich direkt an: „Was gibt es hier so zu glotzen? Haste noch nie einen Krüppel gesehen?“ Ich bin platt und weiß nicht, was ich sagen soll, aber er gibt schon wieder Gas. Sein Rollstuhl erschüttert etwas wegen der aufgeplatzten Stelle im Betonboden, dabei wackelt sein Kopf unvorteilhaft mit.
Ein Zug fährt wieder ein. Ich denke mir die Antwort auf die Frage: „Ich sehe jeden Tag einen Krüppel, bin doch selbst einer“. Es stimmt ja auch: solange ich hier nur stehe, bekommt aber niemand etwas davon mit. Erst wenn ich mich in Bewegung setze, sieht und bemerkt man mein unvollkommenes Bein. Dann würde der Rolli seine Einsicht haben, Hosentäsch-Mann würde wegschauen können ohne den Kopf zu bewegen, Pascha würde sicher schadenfroh grinsen und der Hintern würde enttäuscht die Backen hängen lassen.

Ein junger Mann rennt den fast leeren, hinteren Steigbereich entlang und versucht die S-Bahn noch zu erwischen. Die Türen sind schon zu. Ich laufe nun auf eine Bahntür zu und versuche sie durch heftiges Drücken auf den Sensor noch aufzubekommen. Der junge Typ ist selbst auch schon an einem Türöffner dran. Wir beobachten uns gegenseitig. Um uns herum hämisches, schadenfrohes Grinsen. Ich spüre die Blicke der Leute auf dem Bahnsteig und der Fahrgäste in der S-Bahn. Ich dehne die Membran von meinem Chakra aus und wehre jedes einzelne davon ab. Plötzlich springt eine Tür auf, seine. Ich nicke zu ihm und richte meinen Blick auf einen sitzenden Fahrgast der, einer der Grinsenden gewesen ist. Ich beobachte ihn genau und will seinem Grinsen beim sterben zuschauen. Er stiert dabei weiter auf die Stelle, wo der junge Mann sich soeben erfolgreich noch Zugang in die Bahn verschafft hat. Der Zug fährt ab.
Mein Zähne zusammenbeißen wird wieder stärker. Ich spüre wie mein Chakra brüllt: „Bei eurem Scheiß will ich nicht mitmachen! Was für eine Scheißgesellschaft! Ihr verdammten Wichser! Scheiße, Scheiße, Scheiße!“
Ich gehe auf den Snackautomaten zu, schleppe meinen Negativpol-kurz-vor-dem-Novaplexus mit mir mit. Unvorteilhaft hinkend, soll jeder Schritt ein slap in the face für all diese hohlen, schadenfrohen Poser mit ihren entsetzlich erfolgreichen Überlebensstrategien sein. Ich fühle mich beobachtet als ich auf den Snackautomaten zugehe: „Ja! Der kleine Herr Friedemann geht sich was zu essen kaufen!“ Mein Chakra brüllt danach nur noch in einer Tour - ich kann kein Wort mehr heraushören. Mein Brustkasten ist der Supraleiter, der nun das Kraftfeld komplett nach außen gedehnt hat.
Ich ziehe mir mit ruhigen Gesten etwas aus dem Snackautomaten.
Als ich meinen Blick wieder dem Steg zuwenden will, bemerke ich dort eine Gleichgültigkeit, die mich dann doch überrascht:
Niemand scheint sich für mich zu interessieren. Dem Hintern war es anscheinend dann doch egal, ob ich nun da bin oder nicht. Es geht sogar so weit, dass der Hosentäsch-Mann zum Hintern aufgerückt ist und nun, an meiner statt, die Intimität genießen kann. Ich gönn' es ihm! Ich spüre wie mein Chakra sich blubbernd über meine Knie ergießt. Ich lächele entspannt, blinzelnd und gedankenvoll vor mich hin. Ein Zug fährt ein. Hosentäsch-Mann bemerkt mich aus dem Augenwinkel und lächelt mir kurz zu. Dabei muss er wohl zufällig an den Hintern gestoßen sein denn plötzlich dreht sich dieser um, macht einen erschrockenen Satz nach vorne und scheint irgendwen zu suchen. Ich lächele blinzelnd, nun bewusst, auch in ihre Richtung. Sie erblickt mich nach einer Weile aber, obwohl ich lächele, bleibt ihr Blick ernst. Ja, man könnte sogar sagen: erschrocken. Ich habe nach einem kurzen Augenblick das Gefühl sie beobachtet nicht mich, sondern jemanden hinter mir.
Jetzt bemerke ich das Stampfen und dann kommt der Aufprall wie auf Metall. Der Pascha zieht mit angespanntem Körper durch mich durch und ich fliege unvorteilhaft gegen den Snackautomaten.
Aus seinem seitlichen Blick lese ich Genugtuung. Er stampft in die S-Bahn. Der Zug fährt ab.

 
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Wer diese Story noch vor dem KC liest: enjoy! So unvollkommen wie der Alltag nun mal ist!

 
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Könnte mir jemand doch noch ein wenig unter die Arme greifen?
Ich sehe im Moment nix mehr. (Aber ich seh' sowieso nie irgendwas)

 

Hab den Text in der Zwischenzeit sexuell aufgepimpt.
Vielleicht erbarmt sich ja jetzt jemand das Zwischenergebnis zu überprüfen? :-)

 

Hi jinc80,

so viele Fehler sind ja gar nicht mehr drin. Ob der Text die sexuelle Aufpimpung nötig hatte, kann ich nicht beurteilen, da ich die alter Version ja nicht kenne. Zum Teil finde ich sie etwas weit hergeholt.
Thematisch finde ich den Text recht interessant, auch, wenn er nur ein Stück Alltag beschreibt und manchmal etwas richtungslos scheint. Sprachlich müsste aber gerade so ein Alltagstext mE literarischer aufgearbeitet werden.
Ich habe dir mal ein Worddokument mit einigen Hinweisen erstellt, wenn du daran Interesse hast, schicke mir deine Mailadresse per PM, dann schicke ich es dir zu.

Liebe Grüße
sim

 
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Zur Info:

@sim: Vielen Dank nochmals für alles.
Richtungslos ist meine Spezialität ;)
PS:

http://de.wikipedia.org/wiki/Chakra
Siehe Manipūra (Leuchtendes Juwel) Nabel- oder Solarplexuschakra; Element: Feuer

 

Hey jinc80,

uff - was für ein Epos über Bahnhofsblicke ... ich glaube die Hälfte der Leser haut ab, weil der Text in etwa so aufregend ist, wie es eben ist, auf dem Bahnsteig zu stehen und auf eine S-Bahn zu warten. Ich rate sehr zu Kürzungen und Verdichtungen. Die ersten beiden Absätze z.B., ich meine, die Exfreundin hat ja gar nix weiter zu melden und taucht nie wieder auf - also wieso hat sie das Privileg die Geschichte zu eröffnen? Wenn man die beiden raus nähme, würde ich in der Geschichte auch gar nix vermissen. Aber wenn Du mich fragst, würde ich Dir die Geschichte auch gut auf die Hälfte zusammenkürzen ... - ich bin da gut drin ;).

Was ich ja gut finde, ist, wie Du die Leute beobachtest und Wesenszüge einfängst. Nur etwas pointierter und ich hätte sehr viel mehr Gefallen gefunden.

Was ich mal richtig gut fand, war diese Szene:

Ich schließe die Augen, gehe langsam auf die Knie und drücke mein Gesicht in diesen wohlig, warmen Hintern. Ich packe mit beiden Händen die Hüfte, beiße zärtlich durch den elastischen Jeansstoff in die Arschbacke und fange an, den Hintern leidenschaftlich zu küssen und zu liebkosen. Mein Gesicht vergräbt sich immer mehr zwischen die Arschbacken. Mit den Zähnen spüre ich ihre Haut. Sie tippt weiter in ihr Handy. Nur ab und zu hält sie, scheinbar nachdenklich, inne. Ich lege, heftig atmend, meine Wange an den feuchtwarmen Hintern. Ein paar Momente später stehe ich, mit rot geriebener Nase an der gleichen Stelle wie vorher und tue, als wäre nichts gewesen.

Also schreiben kannste, nun noch mit ein bisschen Pfeffer drin und das wird!

Beste Grüße Fliege

 
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@Fliege: Reduziers mal. Aber lass die Sache mit dem kantigen Hintern von dem einen
bitte drin.

Jetzt komme ich zum Hauptpunkt:

Das Grundproblem ist ja: Ihr habt zuwenig Interesse an meiner Person

Ich glaube ich muss mal ein gedankenversunkenes Portrait von mir in meine Autoren-ID stellen. Am besten den Hund mit der einen Hand kraulend und in der anderen den Conac-Schwenker am Kaminfeuer. Im Hintergrund spiegelt sich das Kaminfeuer in den Literatur-Auszeichnungen an der Wand.

PS: Alles was ich zum Thema seichtes Sextainment sagen kann steht in
meiner Kurzgeschichte unter der Rubrik "Experimente"->"Der Erpresserbrief"

(Ich glaub' jmd. möchte diesen Kommentar ins KC stellen, stimmts???)

 

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