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Kranksein nicht erlaubt
„Mama, Du siehst gar nicht gut aus!“ „Mir geht es auch nicht gut.“, schniefe ich meinem achtzehnjährigem Sohn entgegen, der gerade aus der Schule gekommen ist. „Mir tut jeder einzelne Knochen weh.“, „Dann hau dich doch aufs Ohr.“ Wie klug doch meine Kinder immer sind, wollen nur das Beste für ihre Mutter. „ Und wie meinen Herr Professor sollte ich dann unseren Haushalt schmeißen? Wer kümmert sich dann um deine anderen vier Geschwister, oder wolltest du mir deine Hilfe anbieten?“ „Ich würde ja gerne, aber ich habe noch Fußballtraining, außerdem muß ich noch für die Schule lernen.“ Meine Kinder sind einfach Spitze, jahrelang schummeln sie sich, ohne zu lernen, von Klasse zu Klasse (ab und zu wiederholen sie mal eine), aber wenn es darum geht mir zu helfen, können sie stundenlang ihre Bücher anstarren, ohne auch nur einmal umzublättern. Ich bücke mich stöhnend um das Essen aus dem Backofen zu holen. Mein Sohn schaut mir, mit verschränkten Armen, mitleidig dabei zu. Ich knalle die Auflaufform auf den Tisch. „ Wieso gibt es Milchreis, war für heute nicht Schnitzel angesagt?“, bei diesen Worten blickt er angewidert auf das Essen. „ Oh, der Herr entschuldige mich für meine Faulheit, leider fehlte mir die Kraft euch ein Menü zu kochen. Ich bitte untertänigst um Verzeihung daß ich eine Grippe habe.“, blaffe ich ihn an. „Na ja, eigentlich esse ich Milchreis auch recht gerne. Weißt du, dass du tiefe Ränder unter den Augen hast, und deine Nase krebsrot ist?“, seine Stimme klingt, als ob er nahe dran ist ein Bestattungsinstitut anzurufen. Die Küchentürn wird mit Schwung geöffnet. Meine Tochter steht im Türrahmen, mit ihren fünfzehn Jahren, sieht sie aus wie jedes Mädchen in ihrem Alter. Ihre strähnigen blonden Haare sehen aus, wie mein Wischmop, die Klamotten, die wir in den Siebzigern getragen haben (natürlich sahen sie damals viel besser aus), machen aus Saskia einen wandelnden Müllsack und den krönenden Abschluß bildet ein Bullenring in der Nase, der vornehm Piercing genannt wird. Selbstfindung nennt man es im Teenageralter, ich selbst finde es einfach ätzend, leider ist in Modefragen meine Meinung nicht mehr gefragt. „Hey, hier riecht es aber nicht nach Schnitzel.“, nuschelt der Mop, „ Sollte es nicht Fleisch geben?“ „ Sprich nicht mit dem Rücken zu mir.“, sie streicht ihre Haare aus dem Gesicht, und ich kann erkennen, daß es doch ihre Vorderseite war. „ Sagt mal habt ihr eure Ohren lange nicht gewaschen? Ich habe gestern doch gesagt es gibt Reis.“ Meine Lüge geht mir glatt über die Lippen, dass ich es selbst fast glaube. Benni verläßt den Raum, um seine kleinen Geschwister zum Essen zu holen. Mit lautem Gejohle stürzen sie sich, Minuten später, an den Tisch. Mein Ältester erklärt ihnen, daß es mir nicht gut geht, und sie sich leise verhalten sollen. Saskia, die die ganze Zeit still gewesen ist, was ein Wunder ist, denn seit sie mit zwei Jahren angefangen hat zu sprechen, hat ihr Plappermaul noch nie länger als zwei Minuten still gestanden, ergreift das Wort: „ Sag mal Benni, du warst doch gestern dabei, als Mama gesagt hat, es würde Schnitzel geben.“ , deshalb hat sie kein Wort gesagt, sie mußte über meine Lüge nachdenken.
Benni zuckt die Schultern und schaut mich mit einem Was-passiert-jetzt-Blick an Ich kann durch meine inzwischen tränenden Augen erkennen, dass er in Deckung geht. Mit Sicherheit kann er die Explosion schon förmlich hören. Mein Sohn weiß wann man am Besten kein Kommentar mehr abgibt. Meine Tochter kann Situationen nicht abschätzen, und tapst in jedes Fettnäpfchen. Meine angestaute Wut, über die Gleichgültigkeit meiner Kinder, schießt mir in den Kopf, der sowieso schon dröhnt wie eine alte Dampflok. Ich drehe mich so schnell auf einem Bein herum, dass ich hätte Primaballerina werden können, damit ich dieser Schlange ins Gesicht sehen kann. Meine Tochter weicht unwillkürlich einen Schritt zurück. „Entweder du ißt jetzt den Milchreis oder ich haue dir solange die Schnitzel um die Ohren bis sie gar sind.“ „Meine Güte hast du schlechte Laune. Ich wollte sowieso kein Schnitzel. Ich habe beschlossen Vegetarierin zu werden. Rinderwahn und Schweinepest. Die Tiere können einem ja leid tun, werden zusammen gepfercht, überhaupt nicht artgerecht ..“ „ Gut mein Fräulein,“ unterbreche ich ihren Redefluß, „ dann wirst du wohl kochen lernen müssen, denn wir essen weiter Fleisch. Ich denke ernsthaft drüber nach Dir eine Kette an Deinem Nasenring zu befestigen, leide schon an Rinderwahn." „ Mama , daß ist ein ernsthaftes Thema, darüber macht man keine Scherze.“, „ Es war mein vollster Ernst. Könntest Du gleich die Küche aufräumen? Ich muß mich eine Weile hinlegen.“ „Oh Mann immer ich. Benni...“, „ich helfe Dir.“, unterbricht Benni sie, „Ich muß ja erst um vier zum Training und kümmere mich solange um die Zwerge. Chantal und Patric lege ich zum Mittagsschlaf hin und Pascal nehme ich mit auf mein Zimmer.“ „Danke, dafür hast du was gut bei mir.“ „Und ich?“, fragt Saskia. „Du bekommst morgen Grünkernfrikadellen und Fenchelsalat.“, antworte ich, und kann dabei an ihrem angewidertem Blick erkennen, daß sie wieder Fleischesser ist. Ich verlasse die Küche und schleife mich mit letzter Kraft zum Sofa, das schon seit Stunden meinen Namen ruft. Ich habe mich gerade in die Waagerechte begeben als das Telefon klingelt. Benni hebt den Hörer ab, denn um die Mittagszeit ist es grundsätzlich für eines der Kinder. Sie haben sich schließlich nach der Schule von ihren Freunden getrennt und sich eine Stunde lang nicht gesehen, da gibt es viel zu erzählen. Wichtige Dinge; wer was anhatte, wie fürchterlich es aussah, welcher Lehrer bescheuert ist, weil er auch noch von ihnen erwartet, dass sie in der Schule etwas lernen, oder welche Hausaufgaben sie aufhaben, dafür muß man aber erst den Streber anrufen, denn er ist ja so blöd und schreibt es auch noch auf. Doch diesmal ist es mein Mann. Benni bringt mir das Telefon ans Sofa. Er hört sofort an meiner Stimme, daß ich krank bin und gibt mir den tollen Rat doch zum Arzt zu gehen. Ich erkläre ihm, daß Mittwochnachmittag keiner aufhat. Dann solle ich doch zum Notdienst gehen, meint er. Ich gebe ihm zu verstehen, daß es so schlimm nun auch wieder nicht ist und die Notärzte keine Rabattpunkte vergeben. Obwohl ich zugeben muß, unserer Familie müßte eigentlich von ihnen schon einen Urlaub gesponsert bekommen, denn wir werden nie zu normalen Behandlungszeiten krank, sondern am Wochenende, an Feiertagen, Nachts oder eben am Mittwochnachmittag. Mein Mann bedauert nicht da zu sein, aber ich bin ja stark, ich kriege es schon gebacken, sagt er. Wenn bei ihm auch nur ein Schnupfen im Anmarsch ist, er dann auch noch zu Hause ist, liegt er auf dem Sofa, schreit nach seinem Testament, um die letzten Änderungen vorzunehmen, und wer sich zu wenig um ihn kümmert wird enterbt. Sollte ich mal krank sein, sieht sein Pflegeprogramm folgendermaßen aus; bloß nicht hinlegen, immer gegenan kämpfen denn wer seinem Körper erlaubt krank zu sein, steigert sich hinein und kann nicht wieder gesund werden. Er wünscht mir noch gute Besserung, wiederholt sein bedauern nicht anwesend zu sein und legt auf.
Jetzt weiß ich, ich habe zwei Männer geheiratet, einen unnachgiebigen zu Hause und einen einfühlsamen, der nie da ist. Ich schließe die Augen und schlafe sofort ein. Ich träume gerade von einer einsamen kinderlosen Insel, auf der ich mit meinem Mann am Strand liege, da schrecke ich auch schon wieder hoch, weil etwas hartes, schweres auf meinen Körper fällt. Vor Schmerz kann ich die Augen nicht einmal öffnen. Das Gejohle und Gehopse verrät mir allerdings, dass es keine Kokosnuß war, sondern ein dreijähriger Gnom, den ich Sohn nenne. Er hüpft auf meinen ohnehin schon schmerzenden Knochen herum, als ob ich ein Trampolin wäre. Ich nehme meine letzte Kraft zusammen, und halte ihn an seinen Armen fest. „Mama hüpfen.“, kreischt er auch schon los. „ Du Mäuschen Mama geht es nicht gut. Geh doch bitte hoch zu Benni. Mama ist krank.“
Ich kann nur hoffen, dass er es verstanden hat. Anscheinend, denn er rutscht von meinem Körper und blickt mich traurig an. „ Mama kang, Goktor, Kankewagen?“ , ach wie süß, für verständnisvolle Jungs scheine ich ein Händchen zu haben. Plötzlich rennt er los, verschwindet um die Ecke und erscheint freudestrahlend mit seinem Bobbycar im Schlepptau. Er setzt sich drauf, nimmt Anschwung und dreht auf dem Holzfußboden im Wohnzimmer eine Runde nach der anderen, begleitet von einem lautstarkem, „Tatütata, Kankewagen ist da.“ Das ist zu viel für mich, in meinem Schädel dröhnt es wie eine Start- und Landebahn. Auf allen Vieren krieche ich zum Telefon, wähle die Nummer meiner Schwiegermutter und bitte sie mir die Kinder für ein paar Stunden abzunehmen (nur bis sie das 18. Lebensjahr vollendet haben). Sie würde in einer Viertelstunde da sein, es wäre kein Problem. Ich denke, noch nicht, denn sie weiß schließlich nicht, dass ich nicht vorhabe die Kinder jemals wieder zurück zu nehmen. Aber ich muß der Realität ins Auge sehen, jedes Gericht wird schnell feststellen, dass es meine Kinder sind, und durch mein leugnen kann ich höchstens ein paar kinderlose Monate gewinnen. Ich muß mich auf einem Nachmittag ohne Kinder einstellen, leider nicht den Rest meines Lebens. Ein Nachmittag ohne Zwergenaufstand bedeutet: Auf Toilette zu gehen ohne dass einem jemand folgt, eine ganze heiße Tasse Kaffee trinken, die nicht umgekippt wird, das zwei Jahre alte, noch eingepackte Buch lesen, das schon lange nicht mehr auf der Bestsellerliste erscheint. Ich kann mein Glück kaum fassen. Etwas fehlt noch, ach ja, mein Mann, denn schließlich brauche ich jemanden, der mir die Sachen ans Bett bringt.
Copyright 2002/2005 @Manu Kay