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Kreis

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19.10.2003
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Kreis

Kreis - Dogma


Blut. Roter Fluss aus Mund und Nase.
Keuche. Keuche. Luftschnappen. Versuch zu atmen. Dann: Kopf gegen Mülltonne.
Rauer Asphalt. Irgendwas Klebriges. Von mir? Galliger Geschmack. Explosion in rechter Niere. Schrei. Mein Schrei? Hagel auf Bauch und Brustkorb. Lachen. Bleibe liegen und zucke nicht mehr. Weg?

Eine Minute später.
Eine zitternde Hand kramt in der Hosentasche einer dunkelblauen Jeans. Findet eine zerdrückte Zigarettenschachtel. Camel. Rauchen kann die Spermatozoen schädigen und führt zur Impotenz.
Eine verbogene Zigarette wird zwischen Lippen geklemmt. Bartstoppel. Die Unterlippe ist aufgeplatzt. Blut.
Ein Pärchen ist zu sehen. Er: Schicker Anzug, Gelockerte Krawatte, Oranges Hemd, bleich im Gesicht, sieht zur Seite. Sie: Kurzes Abendkleid, weiße Strümpfe, klappernde Absätze, die Augen weiten sich beim Blick auf den Mann am Boden. Er: zieht sie schnell weiter bevor sie den Mut aufbringt den Verletzten anzusprechen. Rückansicht des Paars. Männliche Stimme: “Nur so ein Penner.” Aus den Augen aus dem Sinn.

Fuck. Schmerzen. Rippen gebrochen? Schaffe es die Zigarette anzuzünden. Inhaliere tief. Kippe fällt fast aus dem Mund beim stechenden Schmerz in der Brust. Aufraffen. Taumle in Seitenstraße. Herzrasen. Glücksgefühle fürs Überleben mischen sich mit ätzender Frustration über die eigene Hilflosigkeit und Wut! Wut über die Feigheit anderer Leute.

Sie: “Na Süßer, was ist denn mit dir passiert.”
Er: Sagt nichts. Sieht zur Seite.
Sie: “Siehst aus als bräuchtest jemanden, der sich kümmert.”
Er: Sagt immer noch nichts.
Sie: “Komm schon.” Sie lächelt anzüglich. Fasst ihn am Arm. “Kriegst einen Sonderpreis.”
Er: Sieht der Frau ins Gesicht. Sie ist älter als er zunächst vermutet hat. Außerdem sehr dünn, fast mager. Schwächer als er. Frustration und Wut kochen wieder hoch. Er sieht die Frau erschrecken; sein Blick aus poliertem Hass. Sie zuckt zurück. Zu Spät. Seine Faust kracht in ihr Gesicht.

Die Frau kauert in der dunkelsten Ecke eines Hinterhofes. Das rechte Auge schaut stumpf ins Nichts, das andere ist zugeschwollen. Ihr Gesicht eine blaugrüne Ruine, zwei Zähne fehlen jetzt. Ihr Unterleib schmerzt und sie fühlt sich schmutzig. Sie kratzt an ihrer Haut will den Geruch loswerden. Kratzkratzkratz. Reißt mit abgebrochenen Fingernägeln am eigenen Fleisch.
Schmerz. Mehr Schmerz. Aber rein. Gräbt sich in die Haut. Blut. Tränen. Rotz läuft in ihren Mund. Die verbliebenen Zähne - wie tapfere Soldaten - graben sich in den Unterarm - als müssten sie Schützengräben ausheben.

Will nicht mehr.
Will das nicht mehr. Nichts. Mehr. Alles. Schwarz.

Ein später Hausbewohner eilt durch den Hof, sein Blick streift, desinteressiert, gelangweilt, das Bündel Fleisch in der Ecke. Scheiß Penner. Schläft den Schlaf des Gerechten.

 

Dies stellt meinen ersten Gehversuch in Horror überhaupt und im Horror-Dogma im besonderen dar.

so long, and thanks for all the reading

 

Moin Moonwalk!

Der Teufelskreis aus Schmerz und Gewalt in der anonymen Masse der Großstadt, ein fast schon sozialkritischer Plot.
Deine Geschichten lässt mich trotzdem ein wenig zwiegespalten zurück. Die Idee gefällt mir, keine Frage, doch die Umsetzung ist mir ein wenig zu dürftig. Dürftig in dem Sinne, dass der Gewaltakt für mich als Leser zu motivationslos ausgeübt wird.

Schwächer als er. Frustration und Wut kochen wieder hoch. Er sieht die Frau erschrecken; sein Blick aus poliertem Hass. Sie zuckt zurück. Zu Spät. Seine Faust kracht in ihr Gesicht.
Er gibt seinen Schmerz, seine Scham und Frustration an die schwächere Prostituierte weiter, doch leider berührt mich dies als Leser in der momentanen Darstellung nicht wirklich. Vielleicht war dies auch gerade deine Intention (es würde zumindest zum Desinteresse des Pärchens passen), dann bitte ich darum, diesen Absatz zu überlesen.

Unter dogmatischen Gesichtspunkten betrachten liefert deine Geschichte leider kaum stilistische Innovationen. Einzig zu nennen wären die verkürzten Sätze und die zwischenzeitliche Beschreibung der Handlung durch die Augen des Mannes (warum verlässt du diese Perspektive eigentlich?). Die stark verkürzten, teilweise nur aus einem Wort bestehenden Sätze hinterlassen einen etwas faden Beigeschmack. Ich denke, dass sie ihre Wirkung nicht entfalten können, weil sich die Sprache nicht der Form anpasst. Das Weglassen von Adjektiven und dergleichen passt, meiner Meinung nach, zum Straßenjargon. Allerdings wirken dann manche andere Passagen ein wenig fehl am Platz.

Herzrasen. Glücksgefühle fürs Überleben mischen sich mit ätzender Frustration über die eigene Hilflosigkeit und Wut! Wut über die Feigheit anderer Leute.

Also, die Idee ist gut, doch es hapert ein wenig an ihrer Umsetzung. Das ist natürlich eine stark subjektive Beurteilung.

Ach ja, deine Geschichte birgt noch ein echtes Juwel:

Die verbliebenen Zähne - wie tapfere Soldaten - graben sich in den Unterarm - als müssten sie Schützengräben ausheben.
Ein Klassebild! Wirklich :thumbsup:

Jorgo

 

Erstmal vielen Dank für die Antwort.

So. Die gesichtslose Kälte ist für diese Geschichte ein wichtiger Aspekt, wenn der Eindruck aber nur fad ist hab ich das Ziel verfehlt. Ich wollte, dass der Leser unberührt bleibt, um anschließend über seine Teilnahmslosigkeit zu erschrecken.
Also: Plan fürs erste untererfüllt.
Dann ab damit zum Überarbeiten.

Der Wechsel der Perspektive bezweckt, dass der Leser sich eben nicht mit dem Protagonist identifiziert. :cool:

so long

 

Ich hab's mir fast gedacht.

Ich wollte, dass der Leser unberührt bleibt, um anschließend über seine Teilnahmslosigkeit zu erschrecken.

Durch diese Intention sind die meisten meiner Kritikpunkte hinfällig. Ich glaube, ich habe deine Geschichte ein wenig zu einseitig betrachtet.

Also: Plan fürs erste untererfüllt.
Dann ab damit zum Überarbeiten.

Warte erstmal ab, was die anderen meinen. Ganz ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass deine Geschichten bei mir funktioniert könnte, auch nicht in einer anderen Form (nenn mich ruhig gefühlskalt).

Jorgo

 

Jo... mal abwarten, wollte eigentlich auch gerade was schreiben, was ohne Gewalt auskommt und trotzdem fürchterlich ist.

so long, and thanks for all the reading

 

Hallo moonwalk,

so, habs dann mal gelesen und bin halb begeistert - halb deshalb (was für eine seltsame Wortstellung ;)), weil mir Idee und Einsatz der Protagonisten gut gefallen, allerdings die Aussage in einer kaum nachzuvollziehenden Gewaltexplosion (gerade die Selbstverstümmelung der Frau, das macht man nicht eben so, auch als kaputte Hure nicht) untergeht. Besser wäre es gewesen, die Horroraspekte unterschwelliger einzusetzen, eben nur wenig Gewalt, dafür aber mit aller Härte. Der Teufelskreis kommt sauber, aber es wäre gut, als Leser die Protagonisten "als Menschen" kennenzulernen, bevor die Hasslawine losgetreten wird - vielleicht durch ein vorangestelltes Gespräch oder so ...

Yo!

Liebe Grüße

Dante

 

Hmm... nachdenkenswert.
Na immerhin, zweimal halb begeistert. Darauf läßt sich aufbauen.
Danke für die konstruktiven Kritiken.

so long

 

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