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Kreuzung Bochumer Straße, tot
- Uwe Post - Kreuzung Bochumer Straße, Rot
Mark kam von der Lesung eines aufstrebenden Ruhrgebiets-Autors zurück. SF und Kurioses hatte der Titel gelautet, und der Autor war nicht schlecht gewesen, allerdings war sein Pseudonym einfach lächerlich gewählt. Uwe Post. Wer sollte ihm denn diesen Namen glauben? Vermutlich hieß seine Mutter auch noch Christel. Pah. Immerhin hatte er eine Internetseite, auf der er, Mark, recherchieren konnte. Wäre doch gelacht, wenn er nicht durch einen kleinen Umweg an die echte Identität des Autors gelangen könnte.
Die Ampel vor ihm war rot, und er musste schmunzeln, als er erkannte, wo er war. Bochumer Straße. Genau über diese Situation hatte Uwe Post eine Geschichte geschrieben, nur dass der Mann in der Geschichte wahnsinnig und ein Mörder war und die Ampel nicht wieder umsprang. Mark war lediglich erkältet und nutzte die Gelegenheit, um in seinem Handschuhfach nach Taschentüchern zu kramen. Eine Dose Karamellbonbons, inzwischen vermutlich längst versteinert, ein altes Schlüsselbund, dessen Besitzer ihm unbekannt war, und ... er zuckte zurück, als seine Hand den kalten, metallischen Gegenstand berührte. Das gehörte dort eindeutig nicht hin! Er fasste sich ein Herz, griff zu und zog den Gegenstand vorsichtig heraus.
Eine Pistole.
Himmel, wie war die in sein Handschuhfach gekommen? Ehe er lange nachdenken konnte, sprang die Ampel auf Gelb um. Mark legte die Waffe wieder zurück, klappte den Deckel zu und fuhr mit tropfender Nase an. Geräuschvoll zog er hoch und fluchte. Keine Taschentücher, aber eine unerklärliche Waffe im Auto. Hoffentlich geriet er nicht gerade jetzt in eine Polizeikontrolle, das Ding konnte er unmöglich erklären.
Es war weit nach Mitternacht, als er seinen Wagen in die Garage stellte, eine umständliche Angelegenheit, die er sich meistens verkniff, brauchte er den Wagen doch eh so gut wie jeden Tag. Jetzt allerdings wollte er ungestört von neugierigen Nachbarn und einsamen Passanten herausfinden, was er da spazierenfuhr und möglichst gleich auch, woher es kam. Vorsichtig öffnete er das Handschuhfach und fasste hinein. Bonbons, Schlüsselbund und Taschentücher, zwei ausgelaufene Batterien, ein geschmolzener Schokoriegel.
Sonst nichts.
Wo war das Ding hin? Waffen lösten sich allgemeinhin genauso wenig in Luft auf, wie sie sich aus dieser materialisierten. Er suchte gründlicher, nahm alles heraus und beschloss, er könne genausogut mal hier aufräumen, aber es blieb dabei. Keine Waffe. Mark atmete tief durch, schloss die Augen, öffnete sie wieder und lachte dann. Die Lesung hatte ihn doch mehr beschäftigt, als er geglaubt hatte. Und er musste dringend ins Bett, wenn er morgen einen guten Bericht darüber schreiben wollte. Eventuell ließ er sein nächtliches Erlebnis noch als Schmankerl einfließen, die Leser mochten so etwas. Und es war immer gut, die Leser auf seiner Seite zu haben, wenn man es bei einer Lokalzeitung zu etwas bringen wollte.
„Mark, du bist und bleibst ein Phantast! Aber ein genialer, zumindest dieses Mal!“ Ebbe Mommsen, Chefredakteur und gefürchteter Patriarch der kleinen Zeitung, ließ seine Hand auf Marks Schulter krachen.
„Mann Mann Mann, als ich deinen Artikel gelesen habe, dachte ich, du willst uns alle in den Ruin treiben mit der kleinen Geschichte von der mysteriösen Waffe im Handschuhfach, aber die Leser reißen uns das Blatt aus den Händen! Nicht mal die BILD kommt heute gegen uns an, wir haben sogar schon nachdrucken lassen! Vielleicht machen wir eine Serie draus - Ich weiß, was du gestern im Handschuhfach hattest - Ich weiß noch immer, was du im Handschuhfach hast und zum Abschluss dann Haben Sie heute schon ihr Handschuhfach kontrolliert?“ Ebbe schlug sich vergnügt auf die Schenkel und lachte. Er konnte miesepetrig wie das norddeutsche Wetter sein, in dem er groß geworden war, raubeinig wie die See, die ihm sein Wiegenlied gesungen hatte, aber er konnte auch kindlich vergnügt wie ein Rheinländer sein, wenn die Situation es zuließ. Heute ließ sie es mehr als zu.
Mark schaute zufrieden wie eine Katze, die unbemerkt die Sahne weggeschlabbert hatte. Die seltsame Geschichte hatte ihm eine schlafarme Nacht und einen Tag voller Rechtfertigungen beschert, aber er war der Star. Er hatte den Artikel geschrieben, der die Verkaufszahlen in die Höhe trieb und die Auflage gleich dazu, und beides war seit Monaten nicht mehr vorgekommen. Nur das mit der Serie musste er Ebbe noch austreiben, denn er konnte schlecht jede Nacht eine seltsame Geschichte erleben, die er dann unauffällig in seine Artikel einbaute. Natürlich hatte er die zugrundeliegende Tatsache verschwiegen, er war ja nicht blöd, aber genau darum würde es schwer werden, seinen Chef von der fixen Idee abzubringen.
Ein paar Tage später folgte Mark auf dem Weg nach Hause einer Eingebung und machte einen kleinen Umweg durch die Bochumer Straße. Die Ampel war rot, und er hielt an, ein seltsames Gefühl der Beklemmung in der Brust. Was, wenn die Waffe wieder da war? Aber dann lachte er sich selber aus, weil er so ein bekloppter Idiot war und griff ins Handschuhfach.
Kaltes Metall.
Als hätte er sich die Finger verbrannt, zog er die Hand wieder zurück. Das war unmöglich. Es gab keine Waffe in seinem Handschuhfach. vorsichtig öffnete er die Klappe und sah hinein. Da lag sie, unschuldig wie ein neuerschaffener Vampir. Mark starrte sie an.
Hinter ihm hupte jemand ungeduldig. Erschrocken fuhr er hoch, klappte das Handschuhfach zu und fuhr eilig los. Fehlte noch, das ihn jemand fragte, was er denn da so entgeistert betrachtete.
Er kam schweißgebadet zuhause an und wagte kaum den Blick hinter die Klappe. Aber dann schaute er doch nach. Taschentücher. Eine neue Dose Karamellbonbons, die er in der Mittagspause gekauft hatte. Die Parkscheibe, ein Stadtplan. Sonst nichts. Mark atmete tief ein und wieder aus. Das war doch nicht normal!
Entschlossen ging er in seine Wohnung, schob eine Pizza in den Ofen und schaltete den Fernseher an. Er lenkte sich angestrengt ab, aber es half nichts. Im Fernsehen kam ein Krimi - zack, die Pistole tauchte vor seinem inneren Auge auf. In den Nachrichten ein Bericht über einen Brand in Erle - zack, die Geschichte schlüpfte in seinen Kopf, auch dort hatte es in Erle gebrannt. Die dreihundertelfzigste Wiederholung von Der Supercop - rot, rot, rot. Genervt schaltete er wieder ab und ging an seinen Rechner. Sollte doch dieser Uwe Post eine Antwort liefern. Mark schuldete Ebbe eh noch eine Fortsetzung, da konnte er genauso gut über den Autor schreiben.
Die Seite verriet einiges über seltsame Begebenheiten, zeigte eine russische Babuschka mit Zähnen und den Autor auf einem Schienenstück, aber die traurige Wahrheit war, dass Uwe Post einfach Uwe Post hieß. Oder doch nicht? Ließ sich da etwas machen? Mark las alles, schaute sich die Filme des Projektes an, in dem der Autor auch mitmischte - hatte der denn weder Job noch Freundin? Womöglich lebte er in einem Paralleluniversum, in dem die Menschen ohne Schlaf auskamen! - und folgte allen relevanten Links. Verflixt, nichts Auffälliges. Eine Liste all seiner Geschichten, hier und da das Bild einer Inspirationsquelle in Form hübscher Frauen oder Playmobilfiguren, aber sonst - nichts. Mark seufzte und rieb sich die Augen. Mehr Tee.
Schließlich griff er sich Jacke und Autoschlüssel und fuhr wieder zurück, bis er in der Bochumer Straße ankam. Die Ampel war grün, er konnte sie passieren. Aber er kam ja auch aus der falschen Richtung. Nach ein paar hundert Metern drehte er um.
Die Ampel war rot.
Er fasste ins Handschuhfach. Da war sie, kalt und metallisch, schwer und irgendwie gut lag sie in der Hand. Mark zog sie heraus, richtete sie spaßeshalber auf die Ampel, verspürte den Drang, abzudrücken, und legte sie erschrocken zurück. Beretta stand eingeprägt in der Seite. Es war das gleiche Modell wie in der Geschichte.
Die Ampel blieb rot.
Von hinten näherte sich ein Auto. Es war 2:44h und die Anzeige seiner Uhr glomm in schwachem Grün. Mark spürte, wie sich ein Schweißtropfen aus seinem Haaar löste. Er sollte nicht hier sein, es war die Geschichte eines anderen. Das Radio dudelte REM, und das Auto hinter ihm war rot. Das Handschuhfach erschien ihm wie das Maul eines hinterhältig grinsenden Dämonen, und der Drang, die Waffe wieder an sich zu reißen und wild damit herumzuballern, wurde immer stärker. Vera. Wer war Vera? Egal, sie war an allem Schuld. Sie und Uwe Post. Er musste den Autor töten, um aus der Geschichte zu entkommen, nur so hatte er eine Chance. Ob er im Wagen hinter ihm saß? Mark drehte sich um, konnte aber nichts erkennen. Es konnte nicht mehr weit sein bis zu Uwe Posts Wohnung, Mark würde sich jetzt die Waffe schnappen und den Kerl umbringen, damit er wieder in seine eigene Geschichte zurück kam. Er wollte nicht in einer falschen Geschichte stecken und eine Frau umbringen, die er nicht kannte, um mit einer Tochter, die er nicht hatte, das Glück im Wahnsinn zu suchen. Mühevoll riss er sich los, vom Anblick des Wagens, vom Zwang seiner Gedanken, stieß die Tür auf und stolperte auf die Straße.
Die Ampel zeigte grün, und das letzte, was Mark sah, war der Kühergrill eines LKW und das entsetzte Gesicht des Fahrers.
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16. - 19.01.2005