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Krieg

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24.09.2005
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Krieg

Krieg (Frühes Mittelalter)

„Wieso?“
„Weil es so sein muss.“
„Wieso?“
„Es ist unsere Bestimmung.“
„Aber wieso?“
„Jetzt frag nicht so viel verdammt. Frag nicht, kämpfe!“
Ich packe das Schwert fester, Rücken an Rücken kämpfen wir uns vorwärts, immer tiefer in die Armee des Gegners hinein. Das Schreien sterbender Menschen dringt an mein Ohr, packt mich, fesselt mich, stumpft mich ab und ich schlage zu, immer wieder, gegen jeden, der sich mir in den Weg stellen will.
„Ich will eine Antwort!“, schreie ich ihm zu.
„Marian, ich habe keine Antwort. Es wird nie eine Antwort geben.“
„Es muss eine Antwort geben. Es gibt für alles einen Grund, wieso sollte es für Krieg keinen Grund geben?“
„Wir können den Grund nicht verstehen.“
„Dann sag mir, wen ich fragen kann.“
„Was weiß ich. Vielleicht den Obersten. Er wird es wissen.“
„Ich will zu ihm.“
„Marian, wir können jetzt nicht...“
„Wir werden. Ich will es wissen.“
Unsere kleine Truppe wechselt die Richtung und schiebt sich weiter nach Westen, dorthin, wo der Oberste seine Männer hatte. Ein Krieger lässt seine Streitaxt in meine Richtung rasen, ich ducke mich und höre, wie das Eisen auf das Kettenhemd meines Hintermannes schlägt und es durchdringt, sein schmerzvolles Aufstöhnen, meine Klinge schnellt vor und der Angreifer sackt zu Boden.
„Wir müssen schneller sein.“
„Es sind zu viele“, flüstert Viktor, so dass nur ich es hören kann. Er hasst seinen Namen. Viktor, der Siegreiche. Wenn es doch bloß so wäre. Vor mir taucht das Bild der Dörfer auf, durch die wir gezogen sind. Dem Feind hinterher, anstatt, dass wir drauf warten, dass er zu uns kommt. Nein, er war schon da, er war zu schnell und es waren zu viele. Es sind zu viele. Es kann nicht gut gehen. Die Dörfer, alle abgebrannt, niemand mehr am Leben. Überall erhängte und schrecklich verstümmelte Männer, geschändete Kinder, entsetzt in den Tod starrende Frauen. Wir kommen an einem Offizier vorbei.
„Warte.“
Ich packe Viktors Arm und unsere Truppe bildet einen Verteidigungsring um mich.
„Wieso?“, frage ich den ermüdeten Mann, der nicht versteht, wo auf einmal so viele Menschen herkommen, die auf seiner Seite stehen.
„Wieso was?“, keucht er.
„Wieso Krieg?“ Er sieht mich erstaunt an, runzelt dann die Stirn.
„Na ja, also, wahrscheinlich...sie haben uns angegriffen.“
„Aber wieso?“
Er zuckt die Schultern.
„Was weiß ich. Frag den Obersten.“
Ich nicke, das hatte ich mir schon gedacht.
„Weiter.“ Meine Männer setzen sich wieder in Bewegung. Der letzte Verzweiflungsakt. Frauen auf dem Schlachtfeld. Früher hätte mein Vater mich ins Kloster schicken lassen wenn ich auch nur mit einer solchen Idee angekommen wäre. Hätte mich für total verrückt erklärt. Ja, das hätte er wohl. Aber unter diesen Umständen. Die Fremden sind überall. Es kommen immer mehr und mehr und jetzt haben wir uns zur entscheidenden Schlacht versammelt. Die Entscheidungsschlacht. Vielleicht unsere letzte. Mein Schwert frisst sich seinen Weg, weiter und weiter, eine Schneise in die hoch gewachsenen Fremden, die so plötzlich in unser Land einfielen. Ich spüre kalten Stahl im linken Arm, sehe wie der Angreifer wieder ausholt, doch da steckt schon Viktors Schwert in seiner Kehle und er taumelt mit weit aufgerissenen Augen zurück. Seine eisgrauen Augen funkeln vergnügt, so was kann einfach nur er. Im Angesicht des Todes vor Vergnügen lächeln. Das ist Viktor. Deswegen liebe ich ihn. Weil er immer fröhlich ist. Und nicht aufgibt. Ich schenke ihm einen dankbaren Blick, nach dem er noch mehr lächelt. Doch der kurze Moment ist vorbei, die Schlacht geht weiter, niemand wird auf uns Rücksicht nehmen. Ich weiß, ich werde den Grund erfahren. Wenn es einen Grund gibt, dann werde ich ihn erfahren. Und es gibt für alles einen Grund. Nur noch ein paar Meter, da steht er. Mit beiden Beinen fest auf der Erde, mutig, entschlossen, kämpferisch, siegreich. Bis jetzt jedenfalls.
„Lady Friesinger, was macht Ihr hier?“, schreit er mich erstaunt an.
„Ich habe eine Frage, Sir.“ Er nickt mir zu.
„Wieso?“
„Wieso was?“
„Wieso Krieg?“
Für einen Moment scheinen die Kämpfenden um mich herum einzufrieren.
„Weil wir müssen.“
„Wieso?“
„Weil wir uns verteidigen müssen.“
„Wieso?“
„Weil sie uns angegriffen haben.“
„Ja, das weiß ich. Ich will wissen, wieso?“
„Keine Ahnung. Geht zu deren Anführer, und fragt ihn.“
Ich nicke, das hatte ich mir schon gedacht.
„Viktor, du musst nicht mitkommen.“
„Ich will aber mitkommen.“
Zwecklos zu widersprechen. Er hat immer seinen Willen durchgesetzt.
„Gottbefohlen“, höre ich den Obersten hinter mir.
Und wieder den Hügel hinunter, vorbei an den kämpfenden und sterbenden Männern. Zurück zur Schlacht um auf die andere Seite des Feldes zu kommen. Ich beiße die Zähne aufeinander. Ich will nur so lange überleben, bis ich eine Antwort weiß. Eine Antwort auf diese quälendste aller Fragen. Diese Frage, die mich beschäftigt seit die erste Mitteilung kam, damals, als ich mit Viktor am Flussufer saß und ein Diener meinen Vaters durch die Felder gerannt kam und immerzu schrie:
„Die Angelsachsen, die Angelsachsen sind eingefallen.“
Viktor sprang auf, ein Feuer in den Augen, die Faust geballt an seiner Seite.
„Ich habe es gewusst“, presste er hervor und klang gar nicht mal so unglücklich dabei. Ich habe ihn wieder zu mir herunter gezogen, er hat sich zu mir umgedreht und mich angelächelt. „Wie kannst du lächeln Viktor?“, fragte ich während ich in die Ferne blickte.
„Jetzt ist Krieg. Und die Angelsachsen werden ihn gewinnen.“
„Was macht dich da so sicher?“, fragte er entrüstet.
„Es sind zu viele“, erklärte ich. „Viel zu viele.“ Aber er glaubte mir nicht. Man hätte sie einfach kommen lassen sollen, ohne zu versuchen sich zu wehren, dann wäre es vielleicht weniger schlimm gewesen. Nicht so ein Gemetzel. Nicht so viele unschuldige Tote. In dieser Nacht schob ich ihn von mir weg, als er zu mir unter die Decke kriechen wollte.
„Was? Wenn du Recht haben solltest, dann ist das hier eine unserer letzten Möglichkeiten.“ „Wenn ich Recht haben sollte dann sterben grade hunderte von Menschen, dort unten im Süden.“
„Was kümmerst uns?“
Ich blickte ihm in die Augen.
„Dass es uns auch bald so gehen wird.“
Er küsste mich und ließ mich in Ruhe. Er hatte verstanden. Und weil er verstanden hat steht er jetzt hier an meiner Seite in diesem aussichtslosen Kampf. Ich höre meine Männer der Reihe nach sterben, hier sind nur noch Feinde, immer mehr und mehr und mehr, von rechts, von links, scheinen sogar von oben oder unten zu kommen, vorne und hinten, eingekreist drängen wir weiter nach vorne. Dann höre ich, wo ich so lange vor Angst hatte, sehe Viktors ausdruckslosen Blick in den sonst so lebendigen Augen, die metallische Spitze, die aus seiner Brust ragt, genau dort, wo das Herz liegt. Ich gehe weiter. Dort vorne steht er.
„Wieso?“, schreie ich.
Graue lieblose Augen mustern mich.
„Weil ich es will“, antwortet er.
„Wieso wollt Ihr?“
„Was geht es dich an, Hure!“
„Ich will nur wissen wieso“, stöhne ich ermüdet. Es ist, als würde meine letzte Kraft mich mit einem Mal verlassen, denn jetzt, jetzt kenne ich die Antwort. Ich kenne sie. Es braucht mir keiner mehr zu sagen. Der Stahl durchbohrt mich von allen Seiten, doch ich spüre keinen Schmerz. Ich sinke auf die Erde, kann durch die Beine der Männer noch einen Blick auf das Schlachtfeld werfen. Ist das nicht Irrsinn?

Es gibt keinen Grund. Keinen Grund für Krieg.

 

Hallo obedience,

das in Klammern an deinen Titel gehängte frühe Mittelalter kommt aus deiner Geschichte selber nicht heraus und für die Aussage ist es im Grunde auch unwichtig.
Bei Frisch hieß es mal: "Im Krieg töten sich Menschen, die sich nicht kennen und nichts gegen einander haben für Menschen, die sich sehr wohl kennen und sehr wohl etwas gegen einandern haben." Das Zitat ist nur ungefähr, da aus dem Gedächtnis. Krieg mag also für einige Leute einen Grund haben, der aber hat nichts mit den Kämpfenden zu tun und auch nichts mit der Frau, die mit der Frage nach dem "Warum" durch die Schlachtreihen zieht.
Hier schwächelt deine Geschichte für mich in mehrerlei Hinsicht, auch wenn die Hektik und Brutalität der Schlacht gut eingefangen wird.
Aber gerade in dieser Hektik scheint es mir unmöglich, dass zwei die Zeit finden, sich fragend durch die Reihen zu schlagen, bis hin zum gegnerischen Befehlshaber, ohne, dass sie jemand aufhält. Das widerspricht meinen Kenntnissen der Militär- und Schlachthierarchie, selbst im Mittelalter.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Obedience,

ich schließe mich Sims Kritik an. Inmitten der Schlacht von einem zum anderen zu gehen, klingt fast wie ein Spaziergang. Und deinen Schlusssatz, dass es keinen Grund für einen Krieg gibt, würde ich so auch nicht unterstützen. Vielleicht gibt es keinen guten Grund, aber irgend einen niederen Grund (Bereicherung, Machterweiterung, Intoleranz, "Beschäftigung" der Offiziere) gibt es ja meistens schon.

Das sei aber nur am Rande gesagt, denn eigentlich finde ich, habe ich hier gerade eine sehr starke Geschichte von dir gelesen. Sie ist zum einen sehr flüssig geschrieben, ohne Längen und ohne Klischees. Und auch die Schlacht stellst du in all ihrer Grausamkeit ungeschönt dar. Man fiebert bis zum Schluss mit der Protagonistin mit. Und dann gefällt mir im Grunde auch das Fazit (abgesehen vom Schlusssatz). Warum Krieg? "Weil ich es so will."

Habe ich gerne gelesen.
Beste Grüße,

Jay

 

erstmal, vielen dank für euer feedback!!

Ich habe selbst ab und zu gedacht, dass es recht unwahrscheinlich ist, dass sie und ihre leute so weit durchkommen. aber für das, was ich sagen wollte, war’s wichtig und da dachte ich, unrealistischer als bei charlies angel kann’s auch nicht sein. na ja.

zum grund: nun, machtgier etc ist für mich kein grund. ich meine, es ist natürlich schon ein grund, aber ... kein vernünftiger. meiner meinung nach ist krieg sowie töten generell einfach unnütz. alles, was anderen menschen schadet, ist unnütz. das ist das, was ich damit meine.

LG
obedience

 

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