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Kriegsbilder
Kriegsbilder
Es nieselt.
Fahl flackert grünes und rotes Leuchtkugellicht, steigt empor, wirft gespenstische Schatten in die Baumskelette und flammt im niederfallen noch einmal kurz auf, bevor es erlischt.
Knatterndes Gewehrfeuer ist zu hören.Karabiner und Scharfschützengewehre mit peitschendem Knall.
Das kurze, trockene Bellen der Mörserabschüsse gegenüber auf dem Hügel, die tiefer im Tal mit scharfem Krachen einschlagen, und ihre Donnerwalzen zu mir auf den Hügel schicken.
Es ist kalt.
Mich fröstelt.
An diesem Tag ist es immer kalt. Meistens genau so nass wie heute.
Der Frontbericht lautete auf mehr als 150.000 Tote an fernen Frontabschnitten.
Gelächter klingt hinter mir auf.
Tatsächlich, Gelächter.
Ein Hund schickt sein klagendes Jaulen durch die Nacht.
Eine Stimme ertönt, das Jaulen geht in Winseln über, eine Türe klappt zu und wieder flackert das Licht in diesen seltsam unirdischen Farben über der Kakophonie der Schüsse, Abschüsse und Einschläge.
Es ist Alltag.
Alltag die Sucht nach Frieden.
Alltag die Lust am Verdrängen.
Alltag der Schrecken, der durch seine Monstrosität seinen Schrecken verliert.
Ich kann es mir nicht mehr vorstellen.
Vorstellen kann ich mir nur noch, mich aufzulösen.
Nicht mehr da zu sein, so wie ich mich jetzt wie ein Gast in meinem eigenen Traum fühle.
Ein Traum?
Die Nässe ist real.
Der Schauder auch, der sich meiner bemächtigt als ich mein Wachbewusstsein wieder einschalte.
Was war das ?
Wie komme ich Wohlstandskind nur auf solche Gedanken?
Es ist Silvester.
Nichts sonst.
Nur Silvester.
Sicherlich, auch dieses Jahr schlug das Schicksal unbarmherzig zu.
Viele werden jetzt nicht feiern können.
Der Wunsch nach einem glücklichen neuen Jahr erscheint wie ein ausgebrannter Feuerwerkskörper.
Kalt, feucht und nutzlos.
Ein besseres Jahr wünschen?
Was ist besser?
Leichter? Unbeschwerter? Erfolgreicher?
Das Jahr hinterließ Spuren.
Auf meiner Seele, und sicher auch in meinem Gesicht.
Aber schlecht war es nicht gewesen. Nein, eher...
Reich!
Reich an Erfahrung, an Eindruck an echtem Erleben...
Es hat mich verändert, getrieben, gefordert, ich konnte mich beweisen und habe mich bewiesen.
In erster Linie vor mir selber.
Was also kann ich mir für das nächste Jahr wünschen?
Gesundheit ist gut. Oh ja. Und Gesundheit für meine Lieben.
Ich muss mich darauf einstellen jetzt langsam den Platz des „ Alten“ einzunehmen.
Warum nicht? Auch wenn ich mich oft noch gar nicht so alt fühle.
Hier steh ich im Regen.
Es ist Fünf nach Zwölf.
Ich bin nicht froh, aber das geht vorbei.
„Ich könnte es schlimmer getroffen haben“, denke ich im hineingehen ins warme Zimmer.
Ich könnte wirklich in einem Kriegsgebiet leben müssen.
Der Korken ploppt aus der Flasche, der Wein perlt blutrot in mein Glas.
Die Empfindungen von eben sind schon Vergangenheit.
Prosit Neujahr!
© 03.01.2005 Nick L. Arion/AP