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Kriegsbilder

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26.10.2001
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Kriegsbilder

Es nieselt.
Fahl flackert grünes und rotes Leuchtkugellicht, steigt empor, wirft gespenstische Schatten in die Baumskelette und flammt im niederfallen noch einmal kurz auf, bevor es erlischt.
Knatterndes Gewehrfeuer ist zu hören.Karabiner und Scharfschützengewehre mit peitschendem Knall.
Das kurze, trockene Bellen der Mörserabschüsse gegenüber auf dem Hügel, die tiefer im Tal mit scharfem Krachen einschlagen, und ihre Donnerwalzen zu mir auf den Hügel schicken.
Es ist kalt.
Mich fröstelt.
An diesem Tag ist es immer kalt. Meistens genau so nass wie heute.
Der Frontbericht lautete auf mehr als 150.000 Tote an fernen Frontabschnitten.
Gelächter klingt hinter mir auf.
Tatsächlich, Gelächter.
Ein Hund schickt sein klagendes Jaulen durch die Nacht.
Eine Stimme ertönt, das Jaulen geht in Winseln über, eine Türe klappt zu und wieder flackert das Licht in diesen seltsam unirdischen Farben über der Kakophonie der Schüsse, Abschüsse und Einschläge.
Es ist Alltag.
Alltag die Sucht nach Frieden.
Alltag die Lust am Verdrängen.
Alltag der Schrecken, der durch seine Monstrosität seinen Schrecken verliert.
Ich kann es mir nicht mehr vorstellen.
Vorstellen kann ich mir nur noch, mich aufzulösen.
Nicht mehr da zu sein, so wie ich mich jetzt wie ein Gast in meinem eigenen Traum fühle.
Ein Traum?
Die Nässe ist real.
Der Schauder auch, der sich meiner bemächtigt als ich mein Wachbewusstsein wieder einschalte.
Was war das ?
Wie komme ich Wohlstandskind nur auf solche Gedanken?
Es ist Silvester.
Nichts sonst.
Nur Silvester.
Sicherlich, auch dieses Jahr schlug das Schicksal unbarmherzig zu.
Viele werden jetzt nicht feiern können.
Der Wunsch nach einem glücklichen neuen Jahr erscheint wie ein ausgebrannter Feuerwerkskörper.
Kalt, feucht und nutzlos.
Ein besseres Jahr wünschen?
Was ist besser?
Leichter? Unbeschwerter? Erfolgreicher?
Das Jahr hinterließ Spuren.
Auf meiner Seele, und sicher auch in meinem Gesicht.
Aber schlecht war es nicht gewesen. Nein, eher...
Reich!
Reich an Erfahrung, an Eindruck an echtem Erleben...
Es hat mich verändert, getrieben, gefordert, ich konnte mich beweisen und habe mich bewiesen.
In erster Linie vor mir selber.
Was also kann ich mir für das nächste Jahr wünschen?
Gesundheit ist gut. Oh ja. Und Gesundheit für meine Lieben.
Ich muss mich darauf einstellen jetzt langsam den Platz des „ Alten“ einzunehmen.
Warum nicht? Auch wenn ich mich oft noch gar nicht so alt fühle.
Hier steh ich im Regen.
Es ist Fünf nach Zwölf.
Ich bin nicht froh, aber das geht vorbei.
„Ich könnte es schlimmer getroffen haben“, denke ich im hineingehen ins warme Zimmer.
Ich könnte wirklich in einem Kriegsgebiet leben müssen.
Der Korken ploppt aus der Flasche, der Wein perlt blutrot in mein Glas.
Die Empfindungen von eben sind schon Vergangenheit.
Prosit Neujahr!

© 03.01.2005 Nick L. Arion/AP

 

Der Überraschungseffekt, Krieg und Silvester bzw. die Flutkatastrophe zu kombinieren, ist dir wirklich gelungen. Die Assoziation der zu Beginn beschriebenen "Kriegsbilder" erinnerte mich doch sehr an die Lektüren zum Thema "Drittes Reich". Von daher finde ich die KG gelungen.
Ich finde die Gedanken danach vom Ansatz her auch gut, allerdings wenig strukturiert. Ich denke, da hättest du mehr raus machen können, vielleicht auch noch eine zweite KG und die erste mit der Überraschung "Es ist Silvester." enden lassen können.

Wünsch dir noch einen schönen Abend, Mayque

 

Hi Lord,

der Silvestereffekt war für mich nicht der Versuch einer Pointe, wenn dem doch so wäre, halte ich sie für nicht gelungen.
Aber zum Text:
Eine Gedankensammlung, aber mit rotem Faden. Der Prot denkt, womit sich schon fast du ganze Handlung erzählen lässt. Aber sprachlich kann mich deine Geschichte überzeugen, so dass die Anhäufung von beobachteten Phänomenen der Umgebung und Gedankenfetzen nicht negativ auffällt, sondern eher in eine nachdenkliche, besonnene Stimmung versetzen kann.
Aber vor allem ist der Text wohl dein persönliches Fazit 2004 :shy:
Dass ich ihn auch literarisch gut finde, steht da wohl auf einem anderen Blatt.

Ach ja: Silvester schreibt sich meines Wissens mit i. Das y ist nur beim Namen üblich...

lieben Gruß,
Anea

 

Sprachlich finde ich die Geschichte auch sehr ueberzeugend. Hat mir sehr gut gefallen. Der Inhalt ist sicherlich auch sehr gut, aber fuer Meinen Geschmack etwas zu pessimistisch. Trotzdem insgesamt :thumbsup:

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo Anea, Tommy & mayque.
Danke zunächst mal fürs lesen, schön auch, dass es euch weitgehend gefiel.
@ Anea
Danke für den Sylvester, der jetzt Silvester heißt...
Stimmt, es war mein persönliches fazit.
Stimmt auch, dass der Plot nicht gewollt war, genau so wenig, wie ich mich fünf nach Zwölf dieseN hier zu lesenden Gedanken entziehen konnte.
da sie immer wieder in mir auftauchten, dachte ich mir, ich schreib sie mal besser auf...
Das tat ich, nun stehen sie hier, und lassen mich in Ruhe...
Prost!
@ mayque
Ich denke, damit ist der zweite Teil deiner Bemerkungen erklärt, oder?
Ich denke aber dennoch über eine Erweiterung nach, (so, wie ich es eh immer tue wenn ich was geschrieben habe.)
Dank also auch dir.
@ Tommy
Dank auch an dich, und deine Anmerkungen.
Pessimistisch find ich das eigentlich gar nicht, viel eher ... realistisch... wir hier haben doch nur Glück, oder?
Erinnerst du dich noch an die Fernsehbilder aus Bagdad?
Das sah echt zum Erschrecken ähnlich aus... finde ich zumindest.
Lieber Gruß an alle
Lord

 

Hi Lord Arion,

deine Gedanken kann ich gut nachvollziehen. Vor allem, wenn ich Luftheuler höre, kömmen sie mir ein ganz ähnlicher Art und Weise. Schön auch, wie du diese Gedanken zum Ende hin fast als sentimental abtust, als Vergangenheit. Wir müssen das Grauen ausblenden, um weiterzuleben, aber wir müssen uns des Provilegs bewusst sein.

Und Gesundheit für meine lieben.
Meine Lieben
Ich muss mich darauf einstellen jetzt langsam den Platz des „ Alten“ ein zu nehmen
einzunehmen

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim
Danke fürs Fehler finden.
Ich bin immer wieder erstaunt, nein, nicht wirklich, wie viele dann doch meine Empfindungen teilen, was Geräusche und Optik der Silvesternacht angeht.
Bei Onkels und Tanten verwundert das nicht weiter, denn die haben das erlebt... sie rücken aber auch nur damit heraus, wenn man sie direkt darauf anspricht... bei uns "jungen" hingegen... ich frag mich manchmal, ob bei der Geburt auch Erinnerungen verpflanzt werden...
Lieber Gruß
Lord

 

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