Was ist neu

Kriegstagebuch

Mitglied
Beitritt
06.09.2006
Beiträge
22
Zuletzt bearbeitet:

Kriegstagebuch

Ich weiß nicht mehr, wie lange der Krieg schon dauert. Das ist ja das Schlimme mit Kriegen, wer weiß schon, wann sie wirklich beginnen. Sie fangen nicht an mit der Kriegserklärung, oder harschen diplomatischen Noten. Auch nie mit flammenden Reden in Parlamenten. Als ich dem Gegner den Krieg erklärte, waren die Feindseligkeiten längst eröffnet. Bereit muß man sein. Daß man losmarschieren kann. Man hat Vorbereitungen zu treffen. Waffen, Verpflegung und Munition sind zu bunkern, Verbündete zu suchen, Allianzen zu schmieden für den unvermeidlichen Krieg. Nie darf man sich in Sicherheit wiegen.

Es begann im Winter, mit einem rüden Vorpreschen der Weißen. Nur eine kleine Provokation, nicht die Erste, weiß Gott. Habe ich die Zeichen nicht gesehen? Aber was war denn schon passiert? Kleine Grenzüberschreitungen hatte die Aufklärung gemeldet, Frechheiten bestenfalls; man war auf kleine Patroullien gestoßen, focht kurze Scharmützel aus. Ein erstes Kräftemessen lediglich, betrachtet man das große Ganze. Der Gegner erprobte meine Entschlossenheit. Doch meine Divisionen standen stolz und schön, in ihren braunen Uniformen, ein starkes, dunkles Bollwerk. Sollten sie nur kommen! Wieviele Jahre mag das her sein?

Eine neue Depesche erreicht mich in meinem Quartier: der Kopf meiner Armeen, zwei arg dezimierte Divisionen an der nördlichsten Grenze des Reiches, an den Flanken schon böse zerzaust, nach entschlossenem Widerstand dann aufgerieben unter dem neuen, mächtigen Ansturm des Feindes. Meine tapferen Soldaten! Nur für mich kämpfen sie diese aussichtslosen Schlachten! Ich liebe jeden einzelnen wie einen Sohn, den Tod eines jeden betrauere ich klagend!

Armee um Armee wirft der Feind mir entgegen, selbst in der Mitte des Reiches ist er schon aufgetaucht. Schon bilden Luftlandetruppen einen Brückenkopf, selbst meine drahtige Elitedivision wird überrannt, und der Feind macht keine Gefangenen. Zusammengewürfelte Kampfgruppen muß ich gegen die vorrückenden weißen Horden werfen, gerade noch kann ich Frontverläufe begradigen, hier und da einen Vorstoß unternehmen, kleinste Geländegewinne erzielen, mit rein kosmetischer Wirkung.

Es ist ein Abnutzungskrieg, geprägt von hohen Verlusten. Über die Opfer des Feindes weiß ich nichts, manchmal will es mir scheinen, als werde er immer stärker. Für jeden Mann, den ich verliere, stehen plötzlich zwei Gegner im Felde. Die Kampfmoral sinkt. Deserteure sind zu erschießen! Vor Jahren schon erging mein Befehl, dies Übel an der Wurzel auszurotten. Aber schon dazu fehlt meinen Generälen die Kraft. Sie müssten so viele erschießen, daß sie bald keine Kämpfer mehr hätten. Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Ein letztes Mal werde ich zu ihm gehen.

Niemand kennt ihn, meinen geheimen Berater, niemand weiß um seine Macht. Nie wird man ihn in meiner Nähe sehen. Er ist mein treuer Rasputin, mein Wolsey, mein Richelieu! Wie oft schon hat er alles noch wenden können, in aussichtsloser Lage. Mit seinen magischen Kräften wird er mir wieder helfen, einen Aufschub der Katastrophe erwirken, vielleicht. Seine Worte allein sind Balsam für meine geschundene Seele. So spricht er mir oft von heldenhaften Schlachten, die er zu gewinnen half, in seiner Heimat am Bosporus, vor hunderten von Jahren, mein treuer Berater hatte schon viele Leben. Große Herrscher haben auf sein Wort vertraut. Ja, zu ihm will ich heute gehen!

Was rätst Du mir da, getreuer Freund? Zum letzten aller Mittel soll ich greifen, die äußerste Grausamkeit begehen, die Männer Männern antun können? Die Büchse der Pandora heißt Du mich öffnen, mit chemischen Giften soll ich den Feind bezwingen? Nein, tausendmal nein! Ich kenne dieses Arsenal des Grauens, ich weiß, wie elend einfach alles wäre. Ich sehe die Schlachtfelder vor mir. Kläglich verrecken die Armeen des Feindes, röchelnd ringen sie nach Luft, ihre Leben aushauchend, hunderttausendfach, alle auf einen einzigen, grausamen Streich. Nein! Welch hohler Triumph! So nicht! Ehrloser Hund, dein Rat, geschätzt bis zuletzt, ist übler Rat, ist Hochverrat! Hast Du nichts aus der Geschichte meines Volkes gelernt? Der letzte der Herrscher, der sich dieser Waffen bediente, fand ein unrühmliches Ende! Noch heute verachten sie ihn dafür! Lieber ehrenhaft kapitulieren will ich, und dann sterben!

Das Licht in meinem Gefechtsstand ist gelb und grell und ich spüre, das Ende ist nah. Ich gebe lustlos Befehle, leite mit brennenden Augen einen letzten verzweifelten Kampf, einen weiteren Stoßtrupp des Feindes gilt es zurückzuschlagen. Woher nimmt er die unbändige Kraft, woher die tausend Divisionen? Ach, es will mir alles sinnlos erscheinen.

Da, es öffnet sich plötzlich leise die Tür, und alle Sorge fällt von mir ab! Da ich sie sehe! Wer hat sie nur vorgelassen? Meine geliebte Gefährtin! Über all die Jahre des Krieges treu an meiner Seite, bei all diesen Schlachten! Half Niederlagen zu verwinden; genoß mit mir den flüchtigen Rausch des Sieges! Ach, alles ist vertan, nur ihre Schönheit bleibt mir noch zum Troste. Sie sei mein letzter Halt, an ihrer Schulter will ich weinen, bevor auch ich den Weg des tapferen Soldaten gehe. So nimmt sie meine Hände; die Rechte zunächst, die vor Sekunden noch die gift'ge Pille tastend suchte; die Linke dann, in der noch kalt die stählerne Pinzette blinkt, und spricht, mit gläsern klarer Stimme: „Sachma, wenn du nicht langsam mal aufhörst, dir jedes einzelne weiße Haar auszureißen, hast du bald überhaupt keine mehr.“
Na gut.

 

Hm. Wenn es nicht bereits - auch auf dieser Seite! - viele Geschichten gäbe, deren Pointe darin besteht, dass ein Plot rund um ein Schachspiel entwickelt wird, würde ich sagen: Nett. Leider habe ich schon mehrere Geschichten mit dieser Pointe gelesen, weshalb ich eher wenig begeistert davon bin.
Immerhin: Der schwülstige Stil gefällt mir ganz gut. Flüssig und fehlerfrei geschrieben - ergibt auch einen Pluspunkt bei Professor Rainer.
Somit: Note 3. Gut geschrieben, alte Pointe. Immerhin schön kurz, sodass man sich am Schluss nicht ärgern muss.

 

Hallo Sundance.
Eins muss ich schon sagen. Dein Stil ist wirklich ausgereift, lässt sich flüssig lesen und du machst keine gramattikalischen Fehler.
Vor allem im Vergleich zu deiner anderen Geschichte ("in Rückenlage"), die ich gelesen habe, schaffst du es gut, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dadurch bleibt es knackig und wird nicht langweilig. Im Gegensatz zu Rainer habe ich noch nicht so viele Geschichten mit ähnlichem Plot gelesen, in sofern find ich auch den ganz gelungen.
Das einzige was ich auszusätzen habe sind kleine Unstimmigkeiten bei der Charakterisierung der Protagonisten.
Du führst ihn ein als recht scharfsinnigen Menschen, der den Krieg kennt und sich keine Illusionen über ihn macht. Und dann kommt plötzlich das:

Meine tapferen Soldaten! Nur für mich kämpfen sie diese aussichtslosen Schlachten! Ich liebe jeden einzelnen wie einen Sohn, den Tod eines jeden betrauere ich klagend!

Ich empfand diesen Gedanken als sehr ungewöhnlich für einen Kriegsherrn und Strategen, von dem ich den Eindruck hatte, dass er den Krieg nur auf Karten und in Statistiken erlebt. Im Nächsten Moment ist er dann wieder ganz Prakmat:
Vor Jahren schon erging mein Befehl, dies Übel an der Wurzel auszurotten. Aber schon dazu fehlt meinen Generälen die Kraft. Sie müssten so viele erschießen, daß sie bald keine Kämpfer mehr hätten.

Hier erscheint er mir wider so wie ich ihn vor Augen hatte und nichts mehr ist zu spüren von der Trauer um jeden Soldaten. Ich glaube im übrigen nicht, dass "an der Wurzel ausrotten" bedeutet einfach alle zu erschießen. Soweit ich weis statuiert man Exempel um es gar nicht soweit kommen zu lassen.

Am Ende ist er dann wider ganz der "nette" Kriegsherr.

Der letzte der Herrscher, der sich dieser Waffen bediente, fand ein unrühmliches Ende! Noch heute verachten sie ihn dafür! Lieber ehrenhaft kapitulieren will ich, und dann sterben!

Ehrenhaft kapitulieren? Das ein Krieger bzw. Soldat das sagt finde ich sehr ungewöhnlich.
Ich denke, den Zwiespalt im Protagonisten wolltest du bestimmt zeigen, für meinen Geschmack schwankt er aber zwischen zwei, zu weit von einander entfernten, Extremen.

Gruß, Skalde.

 

danke für eure kritik.
eigentlich hätte ich ein ungenügend verdient, wenn der leser nicht erkennen kann, daß es sich um den inneren monolg eines herrn in sehr mittleren jahren handeln soll, der sich vor dem badezimmerspiegel über seine grauen haare ärgert.
thema verfehlt, sundance, setzen, sechs.

 

Hallo Sundance

Hoppla, darum gings also? hätte ich jetzt echt nicht erwartet: Obwohl mich der letzte Satz schon ziemlich gewundert hatte, und auch die Rubrik Alltag. Ich hatte aber nach dem ganzen Text den Eindruck, das der Schlussatz, na ja, eher metaphorisch zu sehen ist.
Um das klarer zu machen fehlen im Zentrum einfach mehr Indizien, damit der Leser schon früher in Zweifel gerät, ob hier auch etwas banales geschildert werden könnte. Oder mach einfach ein echtes Kriegstagebuch draus: Dann werden wenigstens meine Anmerkungen sinnvoll :)

 

Erhebt Euch wieder, sundace!
Keinesfalls Thema verfehlt. Mich hat die Geschichte grandios an der Nase herumgeführt und ich finde die Pointe überaus gelungen - und auch verständlich.
Großartige Sprache, starke Bilder, geniale Auflösung. Für mich sind da auch genug Indizien drinnen, die die Pointe letztlich rechtfertigen.
Gerade an diesem Satz recht zu Beginn zu belegen:

Es begann im Winter, mit einem rüden Vorpreschen der Weißen. Nur eine kleine Provokation, nicht die Erste, weiß Gott. Habe ich die Zeichen nicht gesehen? Aber was war denn schon passiert? Kleine Grenzüberschreitungen

Mich hat diese Kg überzeugt.
Sehr gerne gelesen.

Grüßlichst
weltenläufer

 

danke, weltenläufer.
ich glaube, man muß sie, im lichte der pointe, ein zweites mal lesen, damit sich die bilder erschließen. aber is ja auch nur ein kurzes stück.

 

aber is ja auch nur ein kurzes stück.
Was soll das denn heißen? :confused:
Es ist eine Kurgeschichte. Ein Buch kannst du daraus sicherlich nicht machen. Und genau deswegen finde ich die Kg ja auch so gelungen. Es passt alles und ich vermisse nichts dabei. Oft ist es so, dass Geschichten, die im Prinzip einen Roman füllen könnten, in den Rahmen einer Kurzgeschichte gepresst werden - und das liest sich dann auch so. Und das ist eben hier nicht der Fall. Dies ist in meinen Augen eine wirklich klassische (und gute) Kurzgeschichte! :)

grüßlichst
weltenläufer

 

huch, neenee, was ich meine:
weil es ein kurzes stück ist, kann man es ohne viel zeitaufwand schnell ein zweites mal lesen, wenn einen die pointe dazu animiert.
und nochmals danke für dein lob!

 

Hi Sundance,

Während wir Frauen unser Leid in den Wechseljahren öffentlich machen und Ärzte, Pharmaindustrie und jede Menge Frauenratgeber bestens dran verdienen, lob ich mir solch geheimes Kriegstagebuch! Nur die Trauer, ob augehende Haare oder ausbleibende Menstruation, ist wahrscheinlich die Gleiche;)
Da sag`ich nur: "Das Leben ist ein Kampf, drum siege!"

Also schöne Schmunzelgeschichte, gute Pointe, hat mir gefallen. Etwas kürzer hätte ich es mir vllt. gewünscht.

LG
Katinka

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom