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Kriegstagebuch
Ich weiß nicht mehr, wie lange der Krieg schon dauert. Das ist ja das Schlimme mit Kriegen, wer weiß schon, wann sie wirklich beginnen. Sie fangen nicht an mit der Kriegserklärung, oder harschen diplomatischen Noten. Auch nie mit flammenden Reden in Parlamenten. Als ich dem Gegner den Krieg erklärte, waren die Feindseligkeiten längst eröffnet. Bereit muß man sein. Daß man losmarschieren kann. Man hat Vorbereitungen zu treffen. Waffen, Verpflegung und Munition sind zu bunkern, Verbündete zu suchen, Allianzen zu schmieden für den unvermeidlichen Krieg. Nie darf man sich in Sicherheit wiegen.
Es begann im Winter, mit einem rüden Vorpreschen der Weißen. Nur eine kleine Provokation, nicht die Erste, weiß Gott. Habe ich die Zeichen nicht gesehen? Aber was war denn schon passiert? Kleine Grenzüberschreitungen hatte die Aufklärung gemeldet, Frechheiten bestenfalls; man war auf kleine Patroullien gestoßen, focht kurze Scharmützel aus. Ein erstes Kräftemessen lediglich, betrachtet man das große Ganze. Der Gegner erprobte meine Entschlossenheit. Doch meine Divisionen standen stolz und schön, in ihren braunen Uniformen, ein starkes, dunkles Bollwerk. Sollten sie nur kommen! Wieviele Jahre mag das her sein?
Eine neue Depesche erreicht mich in meinem Quartier: der Kopf meiner Armeen, zwei arg dezimierte Divisionen an der nördlichsten Grenze des Reiches, an den Flanken schon böse zerzaust, nach entschlossenem Widerstand dann aufgerieben unter dem neuen, mächtigen Ansturm des Feindes. Meine tapferen Soldaten! Nur für mich kämpfen sie diese aussichtslosen Schlachten! Ich liebe jeden einzelnen wie einen Sohn, den Tod eines jeden betrauere ich klagend!
Armee um Armee wirft der Feind mir entgegen, selbst in der Mitte des Reiches ist er schon aufgetaucht. Schon bilden Luftlandetruppen einen Brückenkopf, selbst meine drahtige Elitedivision wird überrannt, und der Feind macht keine Gefangenen. Zusammengewürfelte Kampfgruppen muß ich gegen die vorrückenden weißen Horden werfen, gerade noch kann ich Frontverläufe begradigen, hier und da einen Vorstoß unternehmen, kleinste Geländegewinne erzielen, mit rein kosmetischer Wirkung.
Es ist ein Abnutzungskrieg, geprägt von hohen Verlusten. Über die Opfer des Feindes weiß ich nichts, manchmal will es mir scheinen, als werde er immer stärker. Für jeden Mann, den ich verliere, stehen plötzlich zwei Gegner im Felde. Die Kampfmoral sinkt. Deserteure sind zu erschießen! Vor Jahren schon erging mein Befehl, dies Übel an der Wurzel auszurotten. Aber schon dazu fehlt meinen Generälen die Kraft. Sie müssten so viele erschießen, daß sie bald keine Kämpfer mehr hätten. Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Ein letztes Mal werde ich zu ihm gehen.
Niemand kennt ihn, meinen geheimen Berater, niemand weiß um seine Macht. Nie wird man ihn in meiner Nähe sehen. Er ist mein treuer Rasputin, mein Wolsey, mein Richelieu! Wie oft schon hat er alles noch wenden können, in aussichtsloser Lage. Mit seinen magischen Kräften wird er mir wieder helfen, einen Aufschub der Katastrophe erwirken, vielleicht. Seine Worte allein sind Balsam für meine geschundene Seele. So spricht er mir oft von heldenhaften Schlachten, die er zu gewinnen half, in seiner Heimat am Bosporus, vor hunderten von Jahren, mein treuer Berater hatte schon viele Leben. Große Herrscher haben auf sein Wort vertraut. Ja, zu ihm will ich heute gehen!
Was rätst Du mir da, getreuer Freund? Zum letzten aller Mittel soll ich greifen, die äußerste Grausamkeit begehen, die Männer Männern antun können? Die Büchse der Pandora heißt Du mich öffnen, mit chemischen Giften soll ich den Feind bezwingen? Nein, tausendmal nein! Ich kenne dieses Arsenal des Grauens, ich weiß, wie elend einfach alles wäre. Ich sehe die Schlachtfelder vor mir. Kläglich verrecken die Armeen des Feindes, röchelnd ringen sie nach Luft, ihre Leben aushauchend, hunderttausendfach, alle auf einen einzigen, grausamen Streich. Nein! Welch hohler Triumph! So nicht! Ehrloser Hund, dein Rat, geschätzt bis zuletzt, ist übler Rat, ist Hochverrat! Hast Du nichts aus der Geschichte meines Volkes gelernt? Der letzte der Herrscher, der sich dieser Waffen bediente, fand ein unrühmliches Ende! Noch heute verachten sie ihn dafür! Lieber ehrenhaft kapitulieren will ich, und dann sterben!
Das Licht in meinem Gefechtsstand ist gelb und grell und ich spüre, das Ende ist nah. Ich gebe lustlos Befehle, leite mit brennenden Augen einen letzten verzweifelten Kampf, einen weiteren Stoßtrupp des Feindes gilt es zurückzuschlagen. Woher nimmt er die unbändige Kraft, woher die tausend Divisionen? Ach, es will mir alles sinnlos erscheinen.
Da, es öffnet sich plötzlich leise die Tür, und alle Sorge fällt von mir ab! Da ich sie sehe! Wer hat sie nur vorgelassen? Meine geliebte Gefährtin! Über all die Jahre des Krieges treu an meiner Seite, bei all diesen Schlachten! Half Niederlagen zu verwinden; genoß mit mir den flüchtigen Rausch des Sieges! Ach, alles ist vertan, nur ihre Schönheit bleibt mir noch zum Troste. Sie sei mein letzter Halt, an ihrer Schulter will ich weinen, bevor auch ich den Weg des tapferen Soldaten gehe. So nimmt sie meine Hände; die Rechte zunächst, die vor Sekunden noch die gift'ge Pille tastend suchte; die Linke dann, in der noch kalt die stählerne Pinzette blinkt, und spricht, mit gläsern klarer Stimme: „Sachma, wenn du nicht langsam mal aufhörst, dir jedes einzelne weiße Haar auszureißen, hast du bald überhaupt keine mehr.“
Na gut.