- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Kurze Begegnung
Der staubige Boden der weiten, gleichförmigen Wüste ist seit seiner Entstehung vor etlichen Jahrmillionen zahlreichen Änderungen unterworfen. Seismische Aktivitäten aus dem Inneren des Planeten und zahlreiche staubkornkleine oder gigantische Steine, die, ebenso ziellos wie der Himmelskörper für ewige Zeiten durch die Leere driftend, letztendlich das unwahrscheinliche Schicksal ereilt hatte, sich mit eben diesem Planeten zu vereinigen, bloß um auf diese Weise ihre vorherige Existenz fortzusetzen, haben das äußere Erscheinungsbild der Felskugel geprägt. Eine kalte Wüste ist es; der Stern, den der Planet im Jahrhunderttakt umkreist, erscheint bloß als etwas größerer Lichtfleck unter vielen. Allein der Lage im Zentrum der Galaxis ist es zu verdanken, dass zumindest das fahle Dämmerlicht anderer Sterne schemenhafte Umrisse erahnen lässt. Es ist eine Welt ohne Tag und ohne Nacht, sie befindet sich in ewiger Stille und ewiger Kälte. Heute jedoch, 6011.655.960, geschieht etwas außergewöhnliches. Ein verirrtes Lebewesen erreicht das Sonnensystem. Es reist durch die schwarze Einsamkeit, ab und an innehaltend, forschend, auch nach Jahrtausenden unverändert neugierig. Doch das Wesen ist rastlos, es sucht. Es sucht nach Antworten, es sucht nach einer Bestimmung; es sucht nach Artgenossen. Natürlich weiß es, dass es sie hier nicht finden wird. Aber es hat Zeit.
Der Augenblick ist gekommen. Ein lächerlich kurzer Augenblick im Leben des Planeten, aber ein Höhepunkt, zweifelsohne. Die winzige Kapsel gibt eine kleine Öffnung frei und das Wesen tritt nach außen. Kleine Staubwolken schweben unendlich langsam nach oben, als die Pfoten sanft auf den flachen Grund auftreten. Das Wesen schaut sich um, erklettert einen kleinen Hügel, setzt sich hin. Das düstere Licht ist angenehm und beruhigend. Wenn es die Augen schließt, vergisst es die ohnehin sehr niedrige Schwerkraft fast und kommt sich vor wie im Traum. Dann öffnet es sie wieder und sieht einen weiten Teppich aus weißen Punkten. Es ist erstaunlich, aber obwohl es diesen Anblick schon tausende Male gesehen haben muss, füllt er das Wesen abermals mit Lebenslust. Es lässt sich den sanften Hügel wieder hinunterkullern - es dauert lange, eine Minute, zwei - läuft so schnell es kann auf den gigantischen Krater am Horizont zu. Es erreicht den Rand, setzt zum Sprung an und überquert den mit Dunkelheit gefüllten Talkessel in einem Satz. Mit einem Felsen, fast so groß wie es selbst, spielt es wie auf seiner Heimatwelt mit einem Ball. Es lässt sich alle Zeit der Welt - nur ein Augenblick für den einsamen Ort - bis es erschöpft ist. Dann kehrt es zu seiner Landekapsel zurück. Diese steigt auf und hinterlässt einen kleinen, kreisförmigen Abdruck auf der Oberfläche des Planeten. Der Abdruck bleibt einige Jahrhunderte unverändert. Dann schlägt ein paar Meter entfernt ein Felsbrocken ein und gestaltet den Fleck neu, in Details einzigartig, im Gesamtbild gleichförmig. Zu diesem Zeitpunkt trennen das Wesen und den Planeten bereits tausende Lichtjahre.