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Kurzgeschichte

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25.12.2005
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Kurzgeschichte

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Jahre ist es nun her, dass die Erde ihre gewohnte elliptische Bahn um die Sonne verließ und ihrer eigenen Trägheit folgend in den ungeheuren Raum schoss.

Ein Tag im Sommer verlängerte sich so ins Endlose. Als die Sonne im Zenit stand, hörte sie auf, ihren Weg fortzusetzen und verblieb an dem erreichten Platz. In einem Augenblick trat die Nacht ein und erstarrte für immer. Die schwarze Gestalt brach aus der hellen heraus und warf ungeduldig deren Haut ab, anstatt zu warten, bis sie müde den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss. Welche Überraschung über diese Wandlung überall. Niemand hatte damit gerechnet. Wie auch? Niemand kann mit dem Verlust von etwas rechnen, das wahrzunehmen ihm von Natur aus aufgetragen ist. Die Menschen richteten wie immer ihre Augen in den Himmel wie eine berechtigte Erwartung, die lebendig geworden war. Sie wurde enttäuscht.

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Die Sonne verlor ihre wärmende und leuchtende Kraft. Doch die Menschen gewöhnten sich daran. Sie richteten sich ein. Sie zogen sich in die Städte zurück. Die verfügbaren Kräfte wurden darauf konzentriert, Wärme zu gewährleisten. Auf dem Land wurden nur noch die abgestorbenen Bäume geschlagen und herantransportiert, Bergbau betrieben und in gigantischen landwirtschaftlichen Hallen unter künstlichem Licht Pflanzen gezogen. In den Städten selbst wurden die Straßen nicht über das absolut notwendige Maß hinaus beleuchtet. In den Wohnungen war es nur noch gestattet, das Licht über acht Stunden hinweg – den verordneten Tag- in Betrieb zu halten.
3

Ich arbeite in der Lichtkontrolle. Meine Aufgabe ist es, von der Straße aus die Häuser zu beobachten und die unbefugte Nutzung von Energie während der verordneten Nacht zu melden. Ich bin zufrieden mit dieser Arbeit. Natürlich entspricht sie nicht meinen Träumen aus der Zeit vor dem Tag, an dem die Erde ihre Bahn verließ. Unter den Umständen, unter denen wir nunmehr leben müssen, habe ich aber nicht das Recht, mich zu beschweren. Immerhin habe ich etwas zu tun und bin deshalb nicht völlig auf mich zurückgeworfen. Das ist wichtig. Denn die Dunkelheit macht es unmöglich, außerhalb der Arbeit Eindrücke zu sammeln, die die Gedanken tragen. Genau genommen ist die Freizeit heutzutage ebenfalls Arbeit. Sie hat zum Ziel, die Zeit vergehen zu lassen, ohne den Verstand zu verlieren.

3

Der Himmel ist jetzt eine nicht versiegende Quelle des Schnees und des Hagels. Mich wundert immer wieder, dass der weiße gefrorene Niederschlag aus einer so undurchdringlichen Schwärze kommt. Die Sonne scheint in ihr auf wie eine Nadelspitze und ist von den übrigen Sternen nicht mehr zu unterscheiden. Wenn ich zum Himmel aufschaue, fällt es mir oft schwer, sie zu finden. Ich habe mir wie viele andere eine Himmelsschablone gekauft und richte sie, wie es in der Beschreibung steht, an dem gut sichtbaren Sirius aus. Am Fenster stehend fahre ich mit dem Finger die Linien ab, um die Sonne zu finden. Von meinem Fenster aus geht das sehr gut, denn ich wohne in einem Hochhaus im obersten Stock. Alle paar Sekunden wird sie von einer Schneeflocke verdeckt, taucht wieder auf, ist wieder fort. Seltsam, so gebannt einen Stern zu betrachten, der für uns jetzt nicht mehr Bedeutung hat als ein anderer beliebiger und der sich abgesehen von der räumlichen Nähe zur Erde auch nie von einem anderen Stern unterschieden hat.

Nach einiger Zeit lege ich die Schablone weg und betrachte die Stadt. Sie ist nur spärlich beleuchtet. Die Straßen wirken eher wie weißliche Nebelstränge denn wie die bunten Alleen und Avenuen der Vergangenheit. Ein neuer lohnenswerter Anblick sind allerdings die eng aneinander gelagerten Wärmekraftwerke, die rings um die Stadt entstanden sind. Ihr Feuer vertreibt die Schwärze des Himmels, ich denke oft, dass wir von Lagerfeuern umgeben sind, die uns vor der Wildnis schützen. Das ist eine tröstliche Vorstellung. Oft stelle ich mir umgekehrt vor, dass dieser Ring aus Feuer immer näher rückt und uns eines Tages verbrennt. Meine Phantasie wird von meiner Stimmung gelenkt, die nicht mehr so ausschlägt wie früher. Ich bin schon zufrieden, wenn ich bloß nach Sicherheit und Geborgenheit verlange und die Kraftwerke den Eindruck von Schutz vermitteln. Euphorie erwarte ich nicht mehr. Furcht bekämpfe ich, so gut es geht. Meistens ist mir aber alles gleichgültig. Ich kann den Dingen, die ich sehe, keine Bedeutung mehr verleihen, denn sie sind alle dunkel und kalt. Sie unterscheiden sich nicht mehr. Sie bieten nichts mehr an und lassen keine Wahl.


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Mir scheint, als ginge es allen so. Die Menschen, denen ich auf der Straße begegne, geben in ihren Gesichtern keine Stimmung wieder. Die lichtlosen Fenster, die ich kontrolliere, ebenfalls, so dass ich hinter ihnen Bewohner meinesgleichen vermute.

Nur eine Frau unterschied sich. Sie wohnte in meinem Haus. Ich sah sie manchmal im Treppenhaus oder an der Haustür. Sie grüßte nicht und sprach nicht mit mir. Sie unterschied sich in ihrer Art von mir und den anderen nur dadurch, dass sie lächelte. Sie lächelte mich nicht an, sie lächelte in sich hinein. Der Blick war nach innen gekehrt. Er verfehlte die Augenhöhe des Gegenübers, denn er war zu gesenkt; er suchte aber auch nichts auf der Straße, zu den Füßen. Er teilte das Lächeln der Lippen. Er äußerte etwas Verborgenes. Ich war zunehmend gefesselt, ich kann es nicht verhehlen. Ich sprach sie einmal an, aber sie antwortete nicht. Ohne ihr Lächeln aufzugeben, schüttelte sie lautlos den Kopf. Wir gingen unsere getrennten Wege, verletzt fragte ich mich, warum sie nicht geantwortet hatte. Lag es daran, dass es meine Aufgabe war, das Verhalten der Menschen zu kontrollieren? Gerne hätte ich ihr gesagt, dass mich nichts weniger interessierte als die Brenndauer ihrer Lampen. Ich unternahm einen neuen Versuch, mit dem ich ihr genau das verständlich machen wollte. Doch wieder das lautlose lächelnde Schweigen, das leichte Kopfschütteln.

Ich gebe zu: Es versetzte mich in Wut, dass sie ihr Geheimnis nicht mit mir teilen wollte. War ich zu schlecht? Nicht würdig? Ich saß jeden Abend wie immer an meinem Fenster und spielte mit meiner Himmelsschablone, doch die Suche nach der Sonne hatte ihren Reiz verloren. Auch gab ich nichts mehr darauf, ob ich das Feuer der Wärmekraftwerke heute als Lagerfeuer oder als heranrückenden zerstörenden Brand wahrnahm. Ich wollte herausfinden, warum die Frau lächelte.

Dazu begab ich mich auf die Strasse. Ich musste ohnehin hinunter, um meinen Kontrollweg abzuschreiten. Dieses Mal aber blieb ich vor meinem Hochhaus stehen und beobachtete den Eingang. Ich musste die Kälte aushalten, die wegen der mangelnden Bewegung in meinen Beinen hoch kroch, aber ich harrte aus. Tatsächlich erschien sie. Sie tauchte aus der Dunkelheit auf und ging zu meiner Verwunderung am Hauseingang vorbei. Ich folgte ihr in einem Abstand, der mich ihre Gestalt in dem Schneetreiben noch gerade erkennen ließ. Ich fragte mich, ob sie einen besonderen Ort kannte, der sie lächeln ließ, einen Ort, an dem sie heimlich etwas tat oder ob sie andere beobachtete, die etwas Geheimes taten. Ich folgte ihr und musste feststellen, dass sie nichts Besonderes tat. Sie ging einfach um das Haus herum, einmal, ein zweites Mal. Dann ging sie zur Eingangstür und schloss auf, lächelnd, ging hinein, schloss zu. Ich betrachtete ihre Spuren im Schnee und den kondensierenden Atem, den sie zurückgelassen hatte in der Luft draußen vor der Tür. Ich eilte hin und versuchte, dieses weiße Nichts einzuatmen, aber es war schon fort.

In diesem Augenblick spürte ich wieder etwas. Ich wusste nicht, was es war, aber es war der Wille zu etwas. Ja, ich spürte den Willen, ihr das Geheimnis zu entlocken, vielleicht zu entreißen. Sie sprach nicht mit mir? Nun gut, ich würde sie stellen.

5

Wieder folgte ich ihr während einer verordneten Nacht um das Haus herum und beobachtete sie. Als sie ihre zweite Runde begann, drehte ich vor der Haustür um und ging ihr entgegen. Ich wollte ihr auf der rückwärtigen, menschenleeren Seite des Hochhauses entgegentreten und sie zwingen, mit mir zu sprechen. Tatsächlich gelang mir das. Wir näherten uns, sie versuchte, mir auszuweichen und wechselte die Straßenseite, aber ich wechselte sie ebenfalls. Wir näherten uns weiter und sie trat einen Schritt zur Seite, ich ahmte es nach. Schließlich standen wir uns gegenüber, und sie sah mich ängstlich an. Ihr Lächeln war verschwunden. Ich war sehr erregt und hielt meine Stimme kaum im Zaum. Ich musste mich konzentrieren, um mich nicht zu versprechen.
-Warum lächelst Du die ganze Zeit?
Sie sah mich nur verwirrt an.
-Sag es mir. Ich muss es wissen.
Endlich antwortete sie. Sie schien nachdenken zu müssen.
-Ich weiß es nicht.
-Ich beobachte Dich. Du bist der einzige Mensch, der lächelt.
-Das glaube ich nicht.
Ich begriff es nicht. Sie wusste nicht, dass sie als einziger Mensch in dieser Stadt, möglicherweise auf der ganzen Welt, lächelte. War es möglich, dass sie das Verschwinden des Lichtes nicht bemerkt hatte? Unmöglich. Es war unmöglich, dass ihr das entgangen war.
-Wie kannst Du lächeln, obwohl es keinen Tag mehr gibt? Obwohl wir vertröstet und mit dem Nötigsten abgespeist werden?

Wieder blickte sie mich verwirrt an. Ich wurde wütend. War es so, dass sie gar kein Geheimnis hatte, das sie mir mitteilen konnte? Musste ich von ihr ablassen und in meine Wohnung zurückkehren, ohne meinen neu erwachten Willen auf etwas lenken zu können? Sollte ich wieder mit meiner Schablone spielen und die verfluchte Sonne suchen, die ohne uns in ihrem Kreis nutzlos tote Planeten beschien?
- Ich will wissen, was Du weißt. Und sage nicht, Du wüsstest nicht, wovon ich spreche.
Sie erschrak. Sie erkannte meine Entschlossenheit. Sie musste mir antworten. Aber sie konnte es nicht.
-Ich weiß es nicht. Bitte lass mich gehen.
-Nein, antwortete ich. Sie sank auf die Knie. Der fallende Schnee bedeckte mehr und mehr ihren schwarzen Mantel, ihren Schal, ihre Mütze. Ich konnte sehen, wie sich die kleinen Eiskristalle auf dem Stoff sammelten. Eine Weile schwieg ich.
-Du willst es mir nicht sagen. Der einzige Mensch, der ein Geheimnis hat, will es nicht teilen. Nicht mit mir. Was musst Du von mir halten? Du willst mich einsam zurücklassen und mir zu verstehen geben, dass ich des Geheimnisses nicht würdig sei… vielleicht hast Du auch gar kein Geheimnis. Ja, so muss es sein. Du spürst die ungeheure Last nicht, denn Du bist einfach zu dumm.
Ihr Gesicht blieb regungslos. Ich war nicht sicher, weshalb. Die Anflüge von Angst waren gewichen, nicht erkennbar. Ihren Zügen war nichts zu entnehmen. Was hatte das zu bedeuten? Entweder war sie tatsächlich dumm und verstand nicht, was ich sagte. Oder sie ertrug mich einfach, weil die Situation es erforderte. Dann war sie mir überlegen. Wenn es so war, musste ich handeln. Ich musste ihr das Geständnis abzwingen.
-Was hast Du unter dem Mantel? Ein Buch? Schnaps oder einen Brief? Ist es so einfach?
Sie antwortete nicht. Der Schnee sammelte sich weiter auf ihrem Mantel. Sie blickte zu Boden, mit ihrem gleichmütigen Ausdruck. Sie kniete vor mir, und doch schien ich für sie nicht zu existieren. Ich entschloss mich, einen Schritt weiter zu gehen. Ich sammelte meine Wut, ich dachte an die tausenden Abende an meinem Fenster, ich dachte an die ewig gleiche Dunkelheit, an die schneidende Kälte, ich dachte daran, dass sie mir die Erlösung verweigerte. Ich holte zu einem gewaltigen Schlag aus. Er sollte ihre rechte Schläfe treffen, er sollte sie niederstrecken. Kurz bevor meine Faust sie traf, blickte sie auf, und statt der Schläfe traf ich ihre Gurgel. Sie fiel auf den Rücken und fasste sich mit beiden Händen an den Hals. Sie schien schreien zu wollen, aber sie brachte keinen Ton heraus. Ihre Augen traten aus den Höhlen, sie krampfte zusammen. Sie wand sich stimmlos, nur der Schnee knirschte unter ihren ruckartigen Bewegungen. Ich starrte auf sie und unternahm nichts. Sie erstickte und starb.

Ich weiß nicht, ob ich ihren Tod wollte. Heute erscheint es mir so. Ich ahnte, dass sie mir ihr Geheimnis nicht sagen würde, auch nach Schlägen nicht, und ich wusste, dass ich dies nicht ertrug. Dass der erste Schlag tödlich war, verkürzte im Grunde nur die Dauer der Begegnung: Ausgegangen wäre sie ohnehin so. Sie musste so ausgehen.

Ich verließ den Platz.

6

Seitdem führe ich das Leben, dass ich schon immer geführt und dessen Bild in dem Augenblick vor dem Schlag eine solche Welle des Hasses in mir verursacht hatte. Aber es fehlt der ausgemalte Schrecken. Der Wille ist verschwunden, der alte Gleichmut zurück. Der Gleichmut erstickt das schlechte Gewissen, das durchaus von Zeit zu Zeit spricht. Aber wenn alles ohne Bedeutung ist, weil es nichts gibt, das sich unterscheidet, ist auch das Gewissen bedeutungslos. Es erscheint als plapperndes Ding.

Ich habe mich nicht bei der Polizei gemeldet und beabsichtige auch nicht das zu tun. Es wäre sinnlos, mich zu bestrafen. Mein Gewissen würde dadurch nicht stärker. Für mein Gewissen spielt es keine Rolle, ob ich gefangen bin oder in der Freiheit – in der Freiheit, die meine Welt gewährt. Auch glaube ich nicht, dass Menschen um diese Frau trauern und Genugtuung verlangen. Jedenfalls war ich der einzige auf ihrem Begräbnis – sagt das nicht genug? Ebenso besteht nicht die Gefahr, dass sich mein Handeln wiederholt, denn ich glaube nicht, dass es einen weiteren Menschen gibt, der so lächelt wie diese Frau.

 

Hallo Bellarmin,

herzlich Willkommen hier.

Mal als allererstes: denkst du nicht, ein anderer Titel wäre angebracht - allein, um die Geschichte von anderen abzuheben?

Auch wenn einige Fragen und Unklarheiten bleiben, hat mir deine Geschichte gefallen. Du schreibst in einem schönen Stil, sehr geübt, das war sehr angenehm zu lesen.

Auch die Symbolik und die Atmosphäre, die du erzeugst, fand ich gelungen. Wofür steht die Sonne, wofür die Dunkelheit? Da kann sich jeder sein eigenes Bild machen. Für mich hatte beim Lesen der Verlust der Sonne etwas mit Sinnverlust zu tun. Ansprechend fand ich den Gedanke, dass es uns besser geht, wenn wir nicht ständig das "Mehr" vorgehalten bekommen, wie dein Erzähler durch die Frau. Er wird allerdings einen neuen Mensch finden, der ihn auf die Gleichförmigkeit stößt, da bin ich ganz sicher.

Kommen wir zu meiner Irritation. Ob deine Konstruktion physikalisch trägt, weiß ich nicht. Wäre das Leben mit einer sehr entfernten Sonne so, wie du es darstellst? Keine Ahnung. Aber woher weiß der Erzähler, dass die Erde ihre Bahn verließ und z.B. nicht die Sonne?

Details:

Abschnitt 3 folgt später nochmal.
In den Wohnungen war es nur noch gestattet, das Licht über acht Stunden hinweg – den verordneten Tag- in Betrieb zu halten.
Leerzeichen vor dem zweiten Gedankenstrich
Dazu begab ich mich auf die Strasse.
Straße
Sie erstickte und starb.
Ups. Das geht mir etwas zu plötzlich.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hi Bellarmin!

Das nenn ich eine Philo-Geschichte! :) Ich treibe mich nicht oft in dieser Rubrik herum, aber wenn ich die ganze Zeit über wie gebannt auf den Bildschirm starre und mich nur bewege, wenn ich nach unten scrollen muss, dann ist das wohl schwerlich zu übertreffen.

Hin und wieder störten mich einige Logikfehler und Unplausiblitäten, zu denen ich gleich mehr sagen werde. Aber insgesamt hat mich die düstere, hoffnungslose Atmosphäre sofort in ihren Bann gezogen. Meine Interpretation geht in dieselbe Richtung wie die von Juschi, wobei ich die These besonders interessant finde, dass in der Hoffnungslosigkeit auch das Gewissen bedeutungslos wird. Kann nur der Mensch gut sein, dem es seelisch gut geht? Eine beängstigende, aber nicht unplausible Vorstellung.
Ein interessantes Mittel ist auch die Aussparung der Anführungszeichen in der wörtlichen Rede. Es ist erstaunlich, um wie viel leiser, nachdenklicher ein Text dann wird.

Jedenfalls hat mich die Geschichte sehr berührt.

Jetzt zu meinen Kritikpunkten:

Kurzgeschichte

Mann, was ist denn das für ein Titel? Wenn du die Phantasie hast, dir so eine tolle Geschichte auszudenken, wird dich die Wahl der Überschrift wohl kaum überfordern, oder? Nimm nur mal folgende Vorschläge:

1. Die verordnete Nacht

2. Das Lächeln

3. Als wir die Sonne verloren

4. Die große Leere

Etc., etc. pp. Jedenfalls gibt es so viele Möglichkeiten, die Geschichte zu betiteln, ohne dem Leser zu viel von deiner Intention zu verraten ( ich nehme mal an, dass das der Grund für diesen Titel war ), dass deine Wahl die Idee fast entwürdigt.

Jetzt mal die logischen Unstimmigkeiten. Ich weiß, der Text ist metaphorisch gemeint, aber ein wenig stutzig werde ich schon, wenn es heißt:

Ein Tag im Sommer verlängerte sich so ins Endlose. Als die Sonne im Zenit stand, hörte sie auf, ihren Weg fortzusetzen und verblieb an dem erreichten Platz. In einem Augenblick trat die Nacht ein und erstarrte für immer. Die schwarze Gestalt brach aus der hellen heraus und warf ungeduldig deren Haut ab, anstatt zu warten, bis sie müde den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss.

Hier ist die Logik arg strapaziert. Wie soll ich mir das vorstellen? Die Menschen müssen doch den größer werdenden Abstand zur Sonne bemerken. Und wieso wird es dann "plötzlich" Nacht?
Außerdem ist es völlig unmöglich, dass die Erde ihre Eigenrotation verliert, auch wenn sie aus der Umlaufbahn geschleudert wird. So viel weiß ich über Physik, auch wenn ich darin nie der Beste war.

Weiter schreibst du:

Der Himmel ist jetzt eine nicht versiegende Quelle des Schnees und des Hagels. Mich wundert immer wieder, dass der weiße gefrorene Niederschlag aus einer so undurchdringlichen Schwärze kommt.

Er sollte sich wohl eher darüber wundern, warum es überhaupt schneien und hageln kann. Denn die Wärmekraftwerke werden ja wohl kaum genügend Wasser verdunsten lassen, das als Schnee wieder zurück auf die Erde kann. Deshalb sollte entweder eine plausible Erklärung her oder das Bild ersetzt werden, etwa durch die Schwärze des Alls, der man niemals entkommt, die von allen Seiten auf einen eindrückt, so oft man in den Himmel blickt. Wäre das nicht eine Möglichkeit? :)

Das mit den Wärmekraftwerken, die wie Lagerfeuer aussehen - ich weiß nicht, ob das eine unverzichtbare Funktion hat, aber irgendwie wirkt das wie Energieverschwendung. Es wäre doch viel effizienter, die Energie zu speichern, indem man Kuppeln über die Städte baut, oder? Ich meine, dazu dürften die technischen Möglichkeiten da sein.
Und schließlich erklärst du dem Leser ja auch, woher die Menschen ihre Nahrung beziehen.

Die Numerierung der Abschnitte würde ich weglassen. Sie erfüllen keinerlei Funktion. Und wenn du sie beibehalten willst, dann solltest du sie zumindest mit einem Punkt versehen und zum darauffolgenden Abschnitt keine Leerzeile setzen. Also nicht:

3

Der Himmel ist jetzt eine nicht versiegende Quelle des Schnees und des Hagels.


sondern:
3.
Der Himmel ist jetzt eine nicht versiegende Quelle des Schnees und Hagels.

Übrigens: Kann es sein, dass du dich von den kalten Winterabenden hast inspirieren lassen, wo am späten Nachmittag schon die Sonne untergeht? Von dem Gedanken, was wohl wäre, wenn es die ganze Zeit über dunkel bliebe? ;)

Ciao, Megabjörnie

 

Na ja, aber man darf natürlich nicht allzu sehr auf der Logik rumreiten, weil der Text eben sehr metaphorisch ist. Ich meine nur, dass schon eine gewisse Vorstellbarkeit da sein sollte. So könnte man als gegeben voraussetzen, dass die Erde mal eben aus unerfindlichen Gründen die Umlaufbahn verlässt ( wie bei einer Fantasystory, wo es manchmal nur ein phantastisches Element gibt, das der Leser aber aufgrund seiner Erwartung nicht hinterfragt ). Die Frage ist allerdings, ob dann alles metaphorisch gesehen werden muss, wenn der Autor schon mit Erklärungen anfängt oder dann nicht eine gewisse Logik gefragt wäre. So kann ich akzeptieren, dass die Menschen sich rechtzeitig wärmespeichernde Kuppeln bauen können ( müssen ja nicht alle überleben ), und die Wärmekraftwerke verhindern dann eben ein Gefrieren der Atmosphäre. Aber das Schneien wäre wirklich nicht mehr akzeptabel, auch wenn der Text noch so surreal ist.

 

Hallo zusammen,

es freut mich, daß die Botschaft der Geschichte angekommen ist. Es geht um Sinnverlust und die Folgen dieses Verlustes. Das packte ich in die Metapher der verschwindenden Sonne. Ich denke, daß die Botschaft im Grunde sehr deutlich zu Tage getreten ist. Vielleicht sogar zu deutlich.

Was die logischen Schwächen betrifft: Eine solche Geschichte, Parabel enthält zwangsläufig logische Schwächen, denn sie ist nicht real. Die Frage ist, wie weit darf man gehen?

Nehmen wir an, die Erde hat ihre Umlaufbahn verlassen, dann würde das Licht der Sonne recht schnell verblassen. Mir erscheint das schlüssig. Meinetwegen gäbe es in Wirklichkeit keinen Niederschlag mehr - aber ist meine Ungenauigkeit nicht gestattet? Vorstellen kann sich jeder die Welt, die ich mir erdacht habe. Eine genaue physikalische Beschreibung dagegen gehört ins Geo-Heft. Deshalb lasse ich es so.

Die kleinen Fehler werde ich korrigieren. Mir gefällt, daß hier auch darauf geachtet wird. Grammatik und Zeichensetzung werden ja schnell unterschätzt. Wer nimmt schon einen Text voller Fehler ernst?

B.

 

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