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Lückenbüßer

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12.05.2025
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Lückenbüßer

Es fühlt sich nicht gut an. Ich verschweige meine ausgeübte Berufstätigkeit. Weil es mir peinlich ist. Ich muss diese nur selten nennen. Zum Glück. Offiziell bei Visaanträgen. Oder bei Hotelanmeldungen. Bei Nachbarn und Bekannten nie. Da weiche ich aus. Dabei gehe ich keiner unanständigen Arbeit nach. Im Gegenteil. Ich bin Dienstleister. Und zwar ein spezieller. Berufsbezeichnung :Stopgap. Klingt auf Englisch unverfänglich. Viel bedeutender als der deutsche Begriff: Lückenbüßer. Der ist negativ besetzt. Bringt keine Anerkennung. Ist auch kein gelisteter Lehrberuf. Als Fort- oder Weiterbildungsberuf ebenso wenig bekannt. Und doch kann ich davon leben. Sehr gut sogar. Mittlerweile.

Am Anfang stand eine Beerdigung. Ich war zufällig in der Nähe. Ich wirkte offenbar seriös. Wurde als Ergänzung hinzu gebeten. Anlässlich der Trauerfeier. Mein Typ passte in diese Gesellschaft. Zur Vervollständigung an einem Vierer-Tisch. Beim Leichenschmaus. Eine Lücke war dort zu füllen. Hier kamen meine Stärken zum Tragen. Ich kann gut zuhören. Passende Kurzkommentare abgeben. Plausibel und relevant. Das kam gut an. Ich hatte Erfolg damit. Und das hatte Folgen. Unvorhergesehen.

Meine Fähigkeiten sprachen sich herum. Ich wurde weiterempfohlen. Für verschiedene Anlässe. Häufig als Begleiter. Für Alleinstehende auf Reisen. Bei Theaterbesuchen. Meine Spezialität: Platzhalter in Menschenschlangen. Oft in Zahnarztpraxen. An Konzert- oder Theaterkassen. Anfragen mit erotischem Anliegen lehne ich ab. Aus Prinzip. Gern bin ich dritter Mann beim Skat. Das kann ich gut. Honorar stundenweise. Getränke frei.

Dann der Aufstieg. Interessante Buchung. Für Filmaufnahmen. Ein Part war zu besetzen. Extrem kurzfristig. Als Komparse. Tragende Rolle. Jedoch ohne Text. Änderung des Drehbuchs nicht mehr möglich. Zu kurz vor Drehende. Ich wurde kostümiert. Sehr gekonnt. Wurde perfekt geschminkt. Ein präsenter Auftritt. Als Statist. Bemerkenswert. So hieß es später. Viel Lob aus Fachkreisen. Ich wurde weiterempfohlen. Wieder einmal. Nun bei Film und Fernsehen. Bald war ich dort häufig zu sehen. Als sehr geschätzter Komparse. Kein Lückenbüßer mehr. Eine stumme Prominenz. So die Wertschätzung. Ich war äußerst beliebt. Auch beim Publikum.

Und dann wurde es mir zu viel. Der ewig Schweigende zu sein. Mitunter tagelang. Häufig wechselnde Drehorte. Verbunden mit anstrengenden Reisen. Und es kamen weitere Anfragen. Für Home-Stories. Allein schon! Auch für Interviews. Zum aktuellen Tagesgeschehen. Und Anderes. Ich lehnte ab. Alles dieser Art. Dann stieg ich aus.

Heute bin ich ausschließlich wieder Lückenbüßer. Dies bereitet mir große Freude. Und: es ist einträglich. Außerdem sehr abwechslungsreich. Nur selten kommen noch Fragen zur vorherigen Filmtätigkeit. Meist von Nachbarn. Oder aus dem erweiterten Bekanntenkreis. Die vermissen meine Auftritte. In zahlreichen Filmrollen. Ich verweise dann auf meine eigentliche Tätigkeit: Stopgap. Klingt für mich so vertraut. Übersetzen müssen die es selber. Das Wort Lückenbüßer kommt mir nicht über die Lippen - immer noch nicht.

 

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