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Lückenfüller
Wir mögen es schnell und wechselhaft.
Huschende Schatten in einer selbst geschaffenen Unterwelt, nur bestehend aus dem eigenen Ego.
Die Dinge gewinnen erst dann an Bedeutung, wenn wir sie nebenher und termingerecht verzehren können, wie einen Cheeseburger auf dem Weg durch die Innenstadt, vorbei an Geschäften, für die man sich doch nicht interessiert.
Vermutlich war es aus Mitleid.
Die alte Frau saß jeden Tag und jede Nacht dort vor dem Supermarkt.
Ich wollte ihr helfen, schüttelte sie an den Schultern, roch Erbrochenes.
Sie war längst tot gewesen, als ich sie fand, sagte man mir später, und wieder war ich allein.
Die Nacht ist voller abartiger Wunder; ist in Wahrheit unzählige schlaftrunkene Facetten, die sich über die von Diskotheken und Bars in den Stunden nach Mitternacht ausgespiehenen Gestalten definieren.
Es ist nicht wichtig, welche Gruppe an welcher Ampel am lautesten gröhlt, oder wer über verregneten Asphalt torkelt.
Denn die Nacht ist in Wahrheit bloß voller abartiger Wunder.
Als die Türen der S-Bahn sich endlich öffneten - denn der Hauptbahnhof war erreicht - stritten sich einige Jugendliche an den Treppen. Ein kurzer, im vorbeigehen aufgesaugter Sinneseindruck in meinem schwammigen Hirn.
Morgen um diese Zeit sollten sie an dieser Stelle längst vergessen sein.
Die Lokalitäten blieben gleich, wurden nur von anderen besucht, und so war es mal so; dann wieder ganz anders.
Der Regen nahm zu. Kurz bemerkte ich das Flackern einer Laterne, gleich vor dem Kaufhof. Zwei Silhouetten verschwanden in einer Seitenstraße.
Dann erst sah ich die Müllsäcke vor dem Gebäude. Einer von ihnen war die alte Frau, aber ich war mir nicht sicher. Zusammengesunken waren sie alle.
Der nächste Morgen kommt nicht schleichend. Plötzlich strömen Menschen aus den Häusern; fahren Autos zu dem Parkplatz ihrer Arbeitsstelle. Mit einemmal sind die Lokalitäten wieder bevölkert.
Dann weißt du: Die Nacht ist vorüber.
Leute besuchen Supermärkte, während Müllsäcke entsorgt werden, und man fragt sich bloß: War da nicht noch etwas ... etwas zwischen dem Müll.
Doch die nächste Nacht macht solche Überlegungen vergessen, und ein jeder ist bloß Besucher, Stammgast vielleicht. Es sind bloß Punkte auf der Landkarte, die man besucht.
"Sie sind müde. Sie sollten ins Bett. Es wird bald hell. Vielen Dank, dass Sie uns angerufen haben."
Man hat sie in einen Leichensack gelegt. Einer der Sanitäter will versehentlich erst einen aufgerissenen Sack leerer Konservendosen in den eingetroffenen Wagen wuchten, bis ihm sein Irrtum auffällt.
Dann fahren sie schließlich.
Nur die Orte, die bleiben.
Solange, bis sie irgendwann jemand abreißt.
Denn dann ist da nichts mehr.