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Labyrinth

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11.12.2001
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Labyrinth

Bin noch ganz außer Atem...

Sitze an einer Ecke, die nicht anders aussieht als alle anderen hier...
ein paar grüne Sträucher oder Bäume...grauer Beton...Gestalten, die beschäftigt vorbeieilen...ein kleiner Hund...ein paar Autos...

genug ausgeruht...weiter

Ich stehe auf, renne nach links...dann geradeaus...das nächste Schild...


"Leben: 2mal rechts, geradeaus, links halten, nach dem Stoppschild rechts"


Ich renne um die nächste Ecke...
Mein Gott, hört das denn nie auf?!...ständig diese Schilder...ewig laufe ich dem Leben nur hinter...bin zu langsam...muss schneller laufen...

rechts

stoße mit einem Mann zusammen...seltsam warmer Geruch...erschrockener Blick “Entschuldigung, ist alles okay mit Dir?“...keine Zeit zu antworten...
laufe weiter...

nächste Kreuzung geradeaus

Autohupen...wütender Schrei “Lebensmüde oder was?!“
Idiot, was glaubst Du, wo ich hinwill?!...

Gabelung...links

Dann das Stopschild

Beuge mich hechelnd nach vorn und stütze meine Hände an den Knien ab, immer auf den Weg zum Leben starrend...eine Gruppe Jugendlicher sitzt am Straßenrand, einer grinst mich an „Du musst´s aber eilig haben. Bleib mal hier und hol Luft. Willst Du ´ne Zigarette?“...“Trottel für sowas hab´ ich keine Zeit!“ er zuckt nur mit den Schultern und zündet sich selbst eine an.
Der Weg ist frei...

rechts

Nein!!!...Nicht noch ein Schild!...Verzweifelt sinke ich zu Boden. Tränen. Tränen der Wut...Hab´ es wieder nicht geschafft...war wieder zu langsam...
Keine Zeit zum Selbstmitleid!


"Leben: Links, geradeaus, dann an der Ampel rechts, 2. Gasse links"


Ich raffe mich auf...laufe weiter...links entlang

Nächste Kreuzung

Gottseidank...die Straße ist frei...nur eine Kutsche...trottende Pferde...aber noch zu weit entfernt...keine Zeit sie zu bewundern...

Die Ampel ist rot...bleibe an einem Café stehen...eine fette Frau am Tisch neben mir liest ein Buch...sie schaut auf...runzelt die Stirn...“Sollten sie auch mal lesen“...sehe das Buch an...“Die Kunst gut zu leben“...ich schnappe nach Luft...will ihr etwas entgegenschleudern, aber dann schaltet die Ampel auf Grün...

2. Gasse links

ich renne die Gasse entlang...vielleicht hab´ ich´s gleich geschafft...endlich!...Stehe vor einer Wand...Sackgasse!...Sackgasse?...Aber die Schilder haben sich noch nie geirrt!!!...gehetzt sehe ich mich um. Nein, kein Irrtum, kein Ausweg!...Was jetzt?
Ich renne zurück zum Hauptweg...sehe in jede Richtung, biege rechts auf den Weg ein, dann die nächste Gasse links...

Nichts

Zurück...Hauptweg...1. Gasse gegenüberliegende Seite...Sackgasse!...Panik befällt mich, was, wenn ich den Anschluss völlig verloren habe?...Nein! Gar nicht erst dran denken!...2. Gasse


"Leben: Links, rechts, dann noch 300m bis zum Ziel"

Ich renne nach links...fühle ein Freude, die ich vorher noch nie so empfunden habe...Ja! Ich spüre, wie ich dem Leben näherkomme!!!...Ich hab´s fast geschafft!...irgendwie sieht hier alles viel viel helle, viel schöner aus. Die Menschen hier scheinen so zufrieden zu sein...Feste werden gefeiert...

Rechts

Ich laufe etwas langsamer...


"noch 300m"


Ich lächle...fast geschafft...die Blätter an den Bäumen am Straßenrand sind so bunt, es ist wohl Herbst...hier ist es etwas ruhiger...auf dieser Allee...gemütlicher...


"noch 200m"


Ich gehe...jetzt brauche ich nicht mehr zu rennen...was wird mich wohl auf erwarten?...Wie wird mein Leben, mein Ziel wohl aussehen?...Egal...Ich freue mich drauf!...Es wird wohl gute Dinge für mich bereithalten, nachdem ich so schnell war. Viel schneller als andere! Es wird mich sicher dafür belohnen, dass ich soviel dafür getan hab!...


"noch 100m"


Ein Fremder kommt mir entgegengelaufen, völlig bleich, irgendwas scheint ihn schockiert zu haben...“Geh nicht in diese! Lauf´ weg, bevor es zu spät ist! Kehr´ um, schnell!!“...Verwirrt seh´ ich ihn an...obwohl...“Nur weil Dir Dein Leben nicht gefallen hat, heißt das nicht, dass das bei mir auch so ist! Zu mir wird es gut sein!!“ schreie ich ihm nach...er hört mich nicht mehr.


Ich komme an ein Haus! Es ist riesig, wunderschön verzierte Säulen, spiegelnde Fenster, wer hier nicht dazugehört, kann auch nicht hineinsehen, es ist so hoch, dass ich nicht einmal das Dach sehen kann, der Putz ist mit wunderschönen farbenfrohen Bildern versehen. An der Tür ein Schild...


"Ziel"


Ich habe es also doch noch geschafft...Hier wohnt das Leben!

Ein alter Mann sitzt vor der Tür, er trägt nur noch Lumpen an der Haut, die Haut in Falten, die wenigen Haare, die er noch hat lang und verfilzt, die Augen zucken hin und her...“Geh nicht darein! Lauf weg so schnell du kannst; Du bist noch viel zu jung!“
Gekrängt, wütend starre ich ihn an. Er will mich doch nur am Leben hindern, er gönnt es mir nicht, nur weil ich so jung bin und er, alt und grau, vor der Pforte sitzen muss und nicht mehr hineingelassen wird!

Entschlossen gehe ich an ihm vorbei. Er versucht mich festzuhalten, doch ohne Probleme schüttel ich seine kraftlose Hand ab, trete durch die mittelalterliche Pforte.
Überall hängen rote Vorhänge von der Decke herab, an der Wand ein riesiges, verziertes Schild


"Tod"

 

Hallo Janette,

Labyrinth ist einer anderen Geschichte die hier vor kurzem gepostet wurde thematisch sehr verwandt.
In Warten, von Epikur, geht es um jemanden der sein Leben lang darauf wartet, dass etwas besonderes in seinem Leben geschieht, der aber nie selbst etwas tut, und somit im Endeffekt nicht auf das Leben sondern auf den Tod wartet.
In Deiner Geschichte ist es gerade die Person, die etwas unternimmt (also dem Leben hinterher rennt), die am Ende auf den Tod trifft. Die Menschen denen sie begegnet, die gelassen im Kaffee oder auf der Veranda sitzen, rennen nicht dem Leben hinterher, und leben somit am Ende länger.
Wenn man nach Deiner Geschichte geht, ist es also Sinnlos zu versuchen sein leben zu gestalten oder zu verändern, weil man am Ende doch stirbt. Besser man nimmt alles einfach gelassen. Go with the flow.
Wenn der Tod also dem leben den Sinn raubt, warum wählen wir nicht gleich alle den Tod?
Oder bleibt uns doch noch die Sinnfindung im Tod.
Wer stirbt den schöneren Tod? Doch die, die rennen, und nicht die Wartenden.

 

Hallo 13en,

erst einmal danke für Deine Kritik. Es ist schön zu erfahren, dass sich jemand ernsthaft mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hat.
Zu Deinen Anmerkungen und zur Erklärung von meiner Geschichte möchte ich nur Folgendes sagen:
Es war von mir nicht beabsichtigt, das Leben als etwas wertloses hinzustellen. Natürlich gestalte auch ich mein Leben und renne dem Tod nicht hinterher. Ich finde auch nicht, dass der Tod dem Leben den Sinn raubt.
Meine Geschichte war nur ein Versuch, die Erkenntnisse/philosophische Ansichten Schopenhauers zu verarbeiten, der meinte, dass die Menschen im Leben unbewusst nach dem Tod streben. Heutige Philosophen oder Psychologen haben seine Thesen weitergeführt, indem sie diesen Aspekt mittlerweile als lebensbejahend ansehen (also die Suche/das Streben nach dem Tod stellt nach heutiger psychologischer Ansicht eine Lebensbejahung dar) um mich mit dieser, also sowohl mit Schopenhauers als auch mit der Ansicht heutiger Psychologen auseinanderzusetzen, habe ich versucht, ersteinmal Schopenhauers Sichtweise in eigene für mich verständliche Worte umzuformen.
Dies soll also keineswegs ausdrücken, dass das Leben nicht lebenswert ist oder dass man es nicht gestalten soll oder dass dieses sinnlos wäre.

Gruß
SchanÄtt

 

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