Labyrinth
Bin noch ganz außer Atem...
Sitze an einer Ecke, die nicht anders aussieht als alle anderen hier...
ein paar grüne Sträucher oder Bäume...grauer Beton...Gestalten, die beschäftigt vorbeieilen...ein kleiner Hund...ein paar Autos...
genug ausgeruht...weiter
Ich stehe auf, renne nach links...dann geradeaus...das nächste Schild...
"Leben: 2mal rechts, geradeaus, links halten, nach dem Stoppschild rechts"
Ich renne um die nächste Ecke...
Mein Gott, hört das denn nie auf?!...ständig diese Schilder...ewig laufe ich dem Leben nur hinter...bin zu langsam...muss schneller laufen...
rechts
stoße mit einem Mann zusammen...seltsam warmer Geruch...erschrockener Blick “Entschuldigung, ist alles okay mit Dir?“...keine Zeit zu antworten...
laufe weiter...
nächste Kreuzung geradeaus
Autohupen...wütender Schrei “Lebensmüde oder was?!“
Idiot, was glaubst Du, wo ich hinwill?!...
Gabelung...links
Dann das Stopschild
Beuge mich hechelnd nach vorn und stütze meine Hände an den Knien ab, immer auf den Weg zum Leben starrend...eine Gruppe Jugendlicher sitzt am Straßenrand, einer grinst mich an „Du musst´s aber eilig haben. Bleib mal hier und hol Luft. Willst Du ´ne Zigarette?“...“Trottel für sowas hab´ ich keine Zeit!“ er zuckt nur mit den Schultern und zündet sich selbst eine an.
Der Weg ist frei...
rechts
Nein!!!...Nicht noch ein Schild!...Verzweifelt sinke ich zu Boden. Tränen. Tränen der Wut...Hab´ es wieder nicht geschafft...war wieder zu langsam...
Keine Zeit zum Selbstmitleid!
"Leben: Links, geradeaus, dann an der Ampel rechts, 2. Gasse links"
Ich raffe mich auf...laufe weiter...links entlang
Nächste Kreuzung
Gottseidank...die Straße ist frei...nur eine Kutsche...trottende Pferde...aber noch zu weit entfernt...keine Zeit sie zu bewundern...
Die Ampel ist rot...bleibe an einem Café stehen...eine fette Frau am Tisch neben mir liest ein Buch...sie schaut auf...runzelt die Stirn...“Sollten sie auch mal lesen“...sehe das Buch an...“Die Kunst gut zu leben“...ich schnappe nach Luft...will ihr etwas entgegenschleudern, aber dann schaltet die Ampel auf Grün...
2. Gasse links
ich renne die Gasse entlang...vielleicht hab´ ich´s gleich geschafft...endlich!...Stehe vor einer Wand...Sackgasse!...Sackgasse?...Aber die Schilder haben sich noch nie geirrt!!!...gehetzt sehe ich mich um. Nein, kein Irrtum, kein Ausweg!...Was jetzt?
Ich renne zurück zum Hauptweg...sehe in jede Richtung, biege rechts auf den Weg ein, dann die nächste Gasse links...
Nichts
Zurück...Hauptweg...1. Gasse gegenüberliegende Seite...Sackgasse!...Panik befällt mich, was, wenn ich den Anschluss völlig verloren habe?...Nein! Gar nicht erst dran denken!...2. Gasse
"Leben: Links, rechts, dann noch 300m bis zum Ziel"
Ich renne nach links...fühle ein Freude, die ich vorher noch nie so empfunden habe...Ja! Ich spüre, wie ich dem Leben näherkomme!!!...Ich hab´s fast geschafft!...irgendwie sieht hier alles viel viel helle, viel schöner aus. Die Menschen hier scheinen so zufrieden zu sein...Feste werden gefeiert...
Rechts
Ich laufe etwas langsamer...
"noch 300m"
Ich lächle...fast geschafft...die Blätter an den Bäumen am Straßenrand sind so bunt, es ist wohl Herbst...hier ist es etwas ruhiger...auf dieser Allee...gemütlicher...
"noch 200m"
Ich gehe...jetzt brauche ich nicht mehr zu rennen...was wird mich wohl auf erwarten?...Wie wird mein Leben, mein Ziel wohl aussehen?...Egal...Ich freue mich drauf!...Es wird wohl gute Dinge für mich bereithalten, nachdem ich so schnell war. Viel schneller als andere! Es wird mich sicher dafür belohnen, dass ich soviel dafür getan hab!...
"noch 100m"
Ein Fremder kommt mir entgegengelaufen, völlig bleich, irgendwas scheint ihn schockiert zu haben...“Geh nicht in diese! Lauf´ weg, bevor es zu spät ist! Kehr´ um, schnell!!“...Verwirrt seh´ ich ihn an...obwohl...“Nur weil Dir Dein Leben nicht gefallen hat, heißt das nicht, dass das bei mir auch so ist! Zu mir wird es gut sein!!“ schreie ich ihm nach...er hört mich nicht mehr.
Ich komme an ein Haus! Es ist riesig, wunderschön verzierte Säulen, spiegelnde Fenster, wer hier nicht dazugehört, kann auch nicht hineinsehen, es ist so hoch, dass ich nicht einmal das Dach sehen kann, der Putz ist mit wunderschönen farbenfrohen Bildern versehen. An der Tür ein Schild...
"Ziel"
Ich habe es also doch noch geschafft...Hier wohnt das Leben!
Ein alter Mann sitzt vor der Tür, er trägt nur noch Lumpen an der Haut, die Haut in Falten, die wenigen Haare, die er noch hat lang und verfilzt, die Augen zucken hin und her...“Geh nicht darein! Lauf weg so schnell du kannst; Du bist noch viel zu jung!“
Gekrängt, wütend starre ich ihn an. Er will mich doch nur am Leben hindern, er gönnt es mir nicht, nur weil ich so jung bin und er, alt und grau, vor der Pforte sitzen muss und nicht mehr hineingelassen wird!
Entschlossen gehe ich an ihm vorbei. Er versucht mich festzuhalten, doch ohne Probleme schüttel ich seine kraftlose Hand ab, trete durch die mittelalterliche Pforte.
Überall hängen rote Vorhänge von der Decke herab, an der Wand ein riesiges, verziertes Schild
"Tod"