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Larissa kommt
Es ist ein wenig wie Weihnachten, wenn man selbst der Weihnachtsmann wäre. Es ist wie ein Schneefall im August, nur weil man das Laken ausgeschüttelt hat. Es ist, als ob eine ganze Familie am Tisch säße, die Augen vor Verzückung nach oben gedreht, sie atmen Harmonie und Liebe und es ist alles gut, und man steht in der Küche und hat die Schürze noch um. Larissa kommt. Ich weiß nicht, was ich diesmal anders gemacht haben soll. Sie drückt mir die Fersen in die Hüfte und flüstert mit einer irgendwie nichtssagenden Stimme: „Ich komme.“
Da ist kein „Ich glaube“ davor, da ist kein „gleich“, da ist nicht das trügerische Element einer Möglichkeit, es ist kein Orgasmus im Konjunktiv, nichts sich Anbahnendes, kein Versprechen, nein, es ist der tatsächliche Vorgang. Larissa kommt.
Ich hab diesmal wirklich nichts anders gemacht. Keine Duftkerzen, keine romantischen Gespräche, keine Delphingesänge. Auch kein Gerede von Heirat. Ich hab keine besondere Stellung probiert, keine Muscheln gegessen und mit diesen blauen Pillen will ich schon gar nicht am Hut haben. Es ist der ganz normale Mittwochabend-Sex, so wie ein Kegelabend, damit man in Form bleibt. Wobei es all die Monate so war, als bespiele man eine Bahn ohne Kugel oder Kegel, man geht nur die Bewegungen durch, falls man irgendwann in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft mal eine neue Bahn findet, doch jetzt hat eine unsichtbare Hand die Kegel aufgestellt und ich, als durchaus begabter Kegler, der ich immer war: Alle Neune.
Ich hab es mir ja oft vorgestellt. Ich dachte, etwas, das so schwer zu erreichen ist, muss unbedingt gut sein. So wie ein besonders leckeres Müsli, an das man im Supermarkt nie rankommt, weil es ganz oben steht. Wie an eine blaue Mauritius. Wie an etwas, das nur unter der Hand verkauft wird.
Ich hab gedacht: Wenn sie mal kommt, dann gigantisch. In riesigen Ausmaßen, mit Pauken, Trompeten und einer Sinnflut. Ich dachte, sie spült mich weg.
Wobei ich wirklich nichts anders mache. Wenn sie sich jemand anderen vorstellt, dann schmälert das meinen Triumph kein Stück. Das ist ihre Sache, ich weiß von nichts. Hauptsache, es ist erledigt.
Larissa wieder: „Oh mein Gott, ich komme.“ Als hätte der was damit zu tun.
Larissa ist jemand, der der Stellvertreter von jemandem ist. Jemand, der dem in der zweiten Reihe über die Schulter sieht. Jemand, der die Frühlingskollektion neunundneunzig im Herbst zweitausend trägt. Ich mag sie eigentlich echt gerne. Der Name ist ein bisschen blöd, aber dafür kann sie ja nun wirklich nichts.
Larissa: Ich will den Moment in mich aufsaugen. Will es speichern, will meinen Enkeln noch davon erzählen können. Wie sie das Haupt in den Nacken wirft, sich in die Laken krallt, vor Ekstase schreit und wimmert. Seh ich da ein Tränchen?
Ich hab gedacht, wenn sie kommt, dann ist es ein bisschen, wie wenn man als Kind ins Warmwasserbecken pullert, dass man zu Hause ist, dass ein kosmisches Puzzleteil einrastet. Ihre Augen flattern, die Nase rümpft sich eine Winzigkeit nach oben, die Welt hält den Atem an, man kann sehen, wie die Zeit nur auf Zehenspitzen und flüsternd vorbeizieht, der sanfte Hauch eines Orgasmus.
Oder die andere Richtung. Zähnefletschen, strammes Zupacken, Beißen und Kratzen, eine wilde Dankbarkeit. So eine Narbe in der Welt. So ein Tag, den man sich noch, während man ihn erlebt, rot im Kalender anstreicht. Erstbesteigung. Als hätte man ein neues Land entdeckt. Der Mount Larissa kartografiert, erschlossen, abgehakt. Es gibt keine weißen Flecken mehr.
Kolumbus, Armstrong, ich. Fänd ich toll. Müsste natürlich sofort mit ihr Schluss machen. Kolumbus ist ja auch nicht noch mal zurückgekommen.
Und es ist ein leiser Seufzer nur, der die Zukunft zur Gegenwart macht, den Wunsch zur Wirklichkeit. Ein Seufzer nur. Sie hat sich kaum merklich verkrampft, ihre Fersen blieben still, sie hat ihre Hände um meine Arme geschlossen und kurz und kräftig zugepackt, und sie liegt nun unter mir und ist still. Die Augen halb geschlossen, so eine genuine Sympathie in den Gesichtszügen, wie man nett zu einem Friseur ist, der die Haare gut hinbekommen hat.
„Und?“, frage ich. „Bist du?“
„Ach“, sagt sie und ergänzt mit geschlossenen Augen: „Vielleicht in der Hochzeitsnacht.“