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Last der Angst

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29.01.2010
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Last der Angst

Aus dem Fenster war nichts zu erkennen, höchstens mal ein weit entfernter Lichtschimmer, der vorbeizog, es herrschte Dunkelheit. Der Nachtzug war kaum besetzt, einzelne Abteile sogar leer. Die Räder ratterten, Metall schlug hart auf Metall, eintönig und dennoch nicht disharmonisch.

Herr Kleewein stand auf um sich die Beine zu vertreten, als er einen heftigen Druck verspürte. Sein Körper wurde in die Polsterung zurückgeworfen, Eingeweide an das Rückenmark gepresst, der Kopf gegen die Kante am Kopfteil geschlagen. Blockierte Räder quietschten in schrillen Tönen. Ein erschreckter Aufschrei zwischen dem Poltern von herunterfallendem Gepäck. Kleewein befürchtete panisch, diese Geräusche kündeten Schlimmes an.

Das Kreischen der Räder änderte langsam seinen Klang, um synchron mit der Bewegung abrupt zu enden. Bedrückende Stille kam auf, kein Laut, ja nicht mal ein Seufzer der Erleichterung. Die diffusen Ängste, welche Kleewein seit etwa zwei Jahren zeitweise quälten, waren manifest. Ein befreiendes Lachen undenkbar. Sein Kopf begann zu schmerzen, nicht heftig pochend, sondern mit taubem Gefühl, als ob ein betäubendes Anästhetikum sich ausbreite. Im Genick war eine Spannung, die Wirbel hatten wohl nicht vermocht, die heftige Bewegung nachzuvollziehen.

Der Versuch aufzustehen, um ein Fenster zu öffnen und nachzusehen, was los ist, misslang. Er fühlte sich kraftlos, vereinnahmt von einem Gefühl der Hilflosigkeit. Erinnerungen an magische Ängste in seiner Kindheit belebten sich. Mitten in diese Regression setzte Bewegung ein, der Zug fuhr wieder. Erst langsam ruckend, wie unter gewaltiger Kraftanstrengung, dann gleichmässiger und an Bewegungsausgewogenheit gewinnend. Das Rattern der Räder, das Schlagen auf Metall war wieder gegenwärtig, als ob nichts gewesen sei.

Bei einer neuerlichen Bahnfahrt kamen ihm die Empfindungen der letzten Reise hoch. Erst nur ein Unbehagen, zunehmend aber eine Beklemmung in der Brust, die ihm Furcht bereitete. An der nächsten Station, noch einiges von seinem Ziel entfernt, stieg er aus.

Erst einige Wochen später musste er wieder einen Zug benutzen, diesmal eine kurze Reise. Das Unwohlsein bei der letzten Fahrt war ihm nicht mehr gegenwärtig, war dies doch an der frischen Luft damals ziemlich schnell verflogen. Der Zug rollte, als eine Frau den Gang daherkam. Sie ging in hochhackigen Pumps mit dünnen Absätzen, bei jedem Schritt mit dem auftretenden Fuss ein wenig wippend. Als sie auf seiner Höhe war, spürte er ein rucken der Waggons. Eine Vollbremsung war sein entsetzter Gedanke, sie würde stürzen. Ihm waren die fürchterlichen Empfindungen der damaligen Nachtfahrt, welche wie weggewischt waren, in panischer Intensität gegenwärtig. Mit schnellem Griff packte er zu und hielt sie fest. Es dauerte einen Moment, dann schrie sie lauthals auf. Andere Passagiere schreckten hoch, reckten ihre Köpfe über die Abteillehnen oder traten in den Gang. Zwei kamen herbei geeilt. Er versuchte die Frau und die andern Passagiere zu beruhigen, es sei ja nichts passiert, da er sie festgehalten habe. Sie wurde still und wirkte verdutzt. Verunsichert äusserte sie, sie sei ja nicht gestolpert.

Als die Frau wieder zurückkam, und möglichst schnell an seinem Platz vorbeigehen wollte, sprach er sie an. Sie müsse achtgeben, dass sie sich künftig festhalte. Etwas irritiert schaute sie ihn an, nickte aber. Es bestärkte ihn, dass sie seine Angst verstand, weshalb er ihr erklärte, wie gefährlich es sei sich während der Fahrt frei zu bewegen. Die andern Passagiere, welche wieder aufmerksam geworden waren, hörten mit. Plötzlich meinte einer, das sei ein Irrer. Ein anderer mutmasste, es könnte auch ein fauler Trick sein, um Frauen anzugrapschen. Die Leute erregten sich zunehmend, sodass er froh war, als der Zug in seinen Zielbahnhof einfuhr und er sich den Mitreisenden entziehen konnte.

Das Unverständnis, mit dem die Umwelt seinen Bedenken begegnete, verletzten Kleewein. Er war sich sicher, dass seine Befürchtung berechtigt war. Er begann sich mit Berichten von Gefahren zu beschäftigen, um Bestätigung für seine Empfindungen zu finden. Durch einen ausführlicheren Medienkommentar gewann er die Einsicht, dass es nicht einzig Bahnfahrten waren, welche Gefahren beinhalten, vielmehr das Tempo an sich. Der Mensch ist von Natur aus nicht dafür vorgesehen sich in Geschwindigkeiten zu bewegen, welche die technische Mobilität ihm ermöglicht. Diese Erkenntnis nahm immer mehr von ihm Besitz, sodass er die öffentlichen Verkehrsmittel künftig mied und auch sein Auto nicht mehr benutzte. Selbst dem Fahrrad gegenüber stellte sich eine Skepsis ein, welche ihn mehr und mehr zum Fussgänger machte.

Es war beim Joggen, als er in einem Waldstück mit einem Biker zusammenstiess. Der Schreck war gross, die Hautabschürfungen und Prellungen, welche er davontrug, schmerzhaft, sodass er den Heimweg humpelnd antrat. Der Fahrer hatte sich wohl halbherzig entschuldigt, doch ihn vorwurfsvoll angesehen, als ob es verkehrt sei, im Wald zu laufen.

Die Schmerzen waren längst verklungen, die Verwundungen verheilt, aber seine Gedanken drehten sich wiederkehrend um den Unfall. Je länger er sich damit auseinandersetzte, verdichtete sich seine Meinung, dass schon die Körperkraft den Menschen an die Grenzen einer gefahrvollen Mobilität bringen konnte. Er erinnerte sich an einen Zeitschriftenartikel zum Sport, den er mal las. Der Kommentator belegte, dass Sport vorsätzliche Körperverletzung ist, wenn der normale körperliche Bewegungsablauf massiv überfordert, und die Grenzen physischer oder psychischer Integrität missachtet wird. Damals erkannte er die Bedeutung nicht, doch jetzt, da er selbst eine entsprechende Erfahrung machte, verstand er erst den tiefen Sinn dahinter.

Bei seinen Nachforschungen, die inzwischen auch wissenschaftliche Fachzeitschriften umfasste, war Kleewein auf einen neuropsychologischen Artikel gestossen, welcher ihm neue Impulse vermittelte. Daraus entnahm er, dass das implizite Gedächtnis, welches die Motorik des Körpers beinhaltet, länger erhalten bleibt, als das explizite Gedächtnis, welches Aufzeichnungen und Fakten der Erinnerung umfasst. Er hatte die komplexe Materie zwar nicht durchgehend verstanden, aber diese These schien ihm begreiflich. Daraus zog er den Rückschluss, dass selbst wenn er sein Erinnerungsvermögen verlieren würde, die Ausführung seiner antrainierten Bewegungsabläufe erhalten blieben. Beim Gehen bemühte er sich fortan, sorgsam zu schreiten, immer bewusst einen Fuss vor den andern setzend. Nur wenn dies in seinem motorischen Ablauf fest verankert wäre, könnte er sicher sein, dies stets so auszuführen.

Inzwischen war ein Jahr vergangen, sein Leben als Fussgänger war für ihn zu einer stark eingeschränkten Normalität geworden. Die Bequemlichkeit technischer Mobilität ignorierte er. Bei Überquerung von Strassen nahm er die Fahrzeuge als artfremde Objekte wahr. Seine diffusen Ängste verminderten sich nicht, doch stand nun die die Mobilität primär im Fokus. Er verweigerte neuerdings auch einen Lift zu benutzen, vertraute einzig seiner natürlichen Gehart.

Da sein fast neuwertiges Auto ihm nutzlos war, beschloss er es dem Autohändler, von dem er es seinerzeit erwarb, anzubieten. Zu Fuss machte er sich auf den Weg. Die Schaufensterfront bot Einblick in einen weitläufigen Schauraum, in dem Neuwagen ausgestellt waren. Ein heftiges Bremsgeräusch auf der Strasse liess ihn zusammenfahren. Ein Fussgänger, wahrscheinlich plötzlich auf die Strasse tretend, hatte einen Automobilisten zur abrupten Bremsung veranlasst. Er wusste es ja, die Autos waren eine höllische Gefahr, seine Bedenken waren nicht grundlos. In Gedanken versunken trat er auf den Eingang zu. Mit voller Wucht schlug sein Gesicht gegen die blank polierte Glastür, da er diese nicht wahrnahm, und stürzte. In seinem Kopf herrschte Verwirrung, als sei alles durcheinandergeraten. Intensiv auftretend verspürte er Schmerzen, seine Nase war seitlich abgedreht. Als er das Blut bemerkte, welches in Rinnsalen über seinen Mund und Kinn lief, wurde ihm übel.

Im Krankenwagen dröhnte während der Fahrt sein Kopf, wie Puzzleteile suchten seine Gedanken sich neue Passungen. Erinnerungen traten ihm vor die Augen, das Erleben der nächtlichen Bahnfahrt war wieder gegenwärtig. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, seine Bedenken vor der Mobilität waren falsche Interpretationen, ein kafkaeskes Konstrukt seiner Ängste.

Kleewein fühlte sich befreit – einzig das Dach über sich nahm er als bedrohlich nah wahr. Zunehmend bekam er das Gefühl, die Decke und die Wände des Krankenwagens kämen langsam auf ihn zu und würden ihn erdrücken, wenn er nicht bald raus könnte. Sein Atem ging immer schwerer, er spürte eine Beklemmung in seiner Brust. Warum nur, fuhr der Wagen nicht schneller?

 

Hallo,

Die Räder ratterten, Metall schlug hart auf Metall, eine Monotonie, nicht melodiös. Disharmonisch war es trotzdem nicht.
Die Interpunktion ruft hier einen Widerspruch hervor. Denn das „nicht melodiös“ gehört nicht zu dem Gedankengang des Satzes, in dem es nun steht. Wer würde bei ratternden Rädern und monotonen Geräuschen an „melodiös“ denken.
Die Räder ratterten, Metall schlug hart auf Metall, eine Monotonie: Nicht melodiös, disharmonisch war es trotzdem nicht. Das ginge. Die beiden letzten Teile dieser fünf Glieder bilden auf jeden Fall einen Sinnzusammenhang und gehören zusammen, viel eher als dass das vierte Glied zu den ersten dreien gehört.

Es waren solche metallischen Geräusche und das Rollen welche den amerikanischen Komponisten George Gershwin einst zu »Rhapsody in Blue« inspirierten.
Das klingt so belehrend, nach „ich weiß was.“ Es würde schon reichem, wenn man hier schrieb: „Es mussten solche Klänge gewesen sein, die Gershwin einst zur „Rhapsody in Blue“ inspirierten. Denn das Gershwin ein Komponist ist und noch dazu ein amerikanischer und mit Vornamen George hieß, sind drei Informationen, die irgendwie zur erweiterten Allgemeinbildung gehören, der Leser braucht hier für diesen Text diese Informationen sicher nicht – und ob sie so vermittelt gehören, na ja. Ich hatte diese drei Informationen zu Gershwin vorher, wer sie nicht hat, wird sie aus diesem Satz kaum mitnehmen.

Eben war er aufgestanden um sich die Beine zu vertreten
Wer? Gershwin legt die Grammatik nahe. Komma vor „um“, da wird ein Finalsatz eingeleitet, ist einer der Fälle in der das Komma bei „zu“ weitergesetzt wird (um … zu; ohne … zu)

die das bisherige metallische Schlagen akustisch weit übertraf.
In welcher Weise sollte es das Schlagen sonst übertreffen als in akustischer? Und ob „Gewalttätigkeit“ hier das passende Wort ist, weiß ich auch nicht. Ob Gewalttätigkeit akustisch etwas anderes übertreffen kann, sauber ist das in meinen Ohren nicht formuliert.

Es war ein Szenario, das etwas Schlimmes ankünden musste.
Ist ein seltsamer Satz. Was will er sagen? Es scheint ein Zug zu entgleiten, das ist das Szenario. Was soll das dann Schlimmes ankündigen?
Diese Geräusche ließen Schlimmes vermuten, wäre ein Satz, der zumindest klar ist – wenn auch überflüssig.

ob das Geschehen sich nicht doch noch mit Klagelauten verbinden würde.
Hier findet sich eine Partikelflut im Mittelteil: sich nicht doch noch mit; das liest sich nicht sehr schön.

Die Ungewissheit des Ereignisses wurde durch die Bewegungslosigkeit
Da entsteht kein Bild. Bewegungslosigkeit ist ein vielsilbiges, dennoch schwaches Wort. Die substantivierte Negation.

Transpiration setzte ein
Was möchte der Text denn? Ist das ein Mittel zur Entfremdung? Was verlöre der Text, schriebe man: Man schwitze. Es ist sehr trocken und umständlich formuliert, dazu oft mit zu vielen Worten. Diese ganzen Adverben braucht es in meinen Augen nicht.
Hier zum Beispiel:
Einzelne Organe schienen den gewonnenen Freiraum platzergreifend zu nutzen
Was leisten die Worte „einzelne, gewonnen und platzergreifend“ in diesem Satz außer ihn auf eine majestätische Länge zu bringen, die an der Unklarheit des Satzes trotzdem nichts ändern. Irgendwelche Organe verschieben sich irgendwie in irgendeinem Körper. Und das Bild, das erzeugt werden soll, ist doch: Die Leute erleben eine außergewöhnliche, körperliche Empfindung. Denen geht es dreckig. Da sich der Text aber angestrengt darum bemüht, nur ja keine Person einzuführen, ist das alles im luftleeren Raum. Gesichtslose Personen agieren in einem nicht näher beschriebenen Raum auf ein Zugunglück.

Seine Selbstsicherheit, wie er als ihr Beschützer auftrat, verunsicherte sie jedoch sichtlich.
Der Satz fällt aus dem Erzählstil „wie er als ihr Beschützer auftrat“ ist eine umgangssprachliche Wendung.

Über einen ausführlicheren Medienkommentar gewann er die Einsicht, dass es nicht einzig Bahnfahrten waren, welche Gefahren beinhalten, vielmehr die Geschwindigkeit an sich. Der Mensch ist von Natur aus nicht dafür vorgesehen sich in Geschwindigkeiten zu bewegen, welche die technische Mobilität ermöglichte.
Er muss also erst in einer Zeitung nachlesen, um zu erfahren, dass Autos und Flugzeuge und sogar Schiffe auch verunglücken können? Und das ist eine „Einsicht“.

an der durch die Schneemenge bedingt diese angezeigt wären.
Die Wendung ist mir nicht geläufig. Sagt man das so in der Schweiz?

Also nach der Hälfte ist der Text dann deutlich besser, die Idee, ein Zugunglück ohne Personen zu beschreiben, aus der Perspektive eines emotionsverkrüppelten Sonderlings … na ja. Also der Text wartete nicht ohne Grund seit einigen Tagen auf einen Kommentar. Danach wird die Geschichte leichter lesbar und interessanter, weil endlich eine Figur eingeführt wird. Da erleben wir dann eine Karriere der Angst, die aber flach verläuft. Es wird ein bisschen absurd und verläuft dann im Nichts. Es fehlen mir im Text die Einfälle, die Ideen. Der Text verlässt sich zu sehr auf die Wirkung der Sprache durch die die Geisteshaltung des Protagonisten wiedergegeben werden soll. Die Geschichte selbst, so erzählt, würde bei jedem eigentlich nur ein Schulterzucken hervorrufen. Da ist einer, der nach einem Zugunglück, nur noch läuft, weil er Angst, vor der Bewegung hat. Dann rennt er gegen eine Glasscheibe und erkennt, dass ihm sogar dann noch was passieren kann, wenn er ganz langsam geht, und hat jetzt keine Angst mehr vor der Geschwindigkeit, sondern vorm Arzt. Es fehlen Einfälle.


Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn

Über sprachliche Intentionen kann man mit Recht unterschiedlicher Meinung sein. Dasselbe gilt für den Gehalt einer Geschichte. Ein Diskurs darüber kann befruchten, oder aber auch in Nutzlosigkeit ausufern. Deshalb reagiere ich in der Regel nur beschränkt auf solche Interventionen. Nicht dass ich mich der Kritik phobisch entziehe, ich lese sie durchaus und mache mir meine Gedanken dazu, vielleicht nicht immer sofort.

Deine Kenntnis des schöpferischen Hintergrunds der Rhapsodie spricht für Dich, muss aber nicht für jeden andern Leser vorausgesetzt werden. Für manchen kann es eine neue Information bilden. In der Geschichte hat dieser Umstand einen direkten Bezug.

Die paradoxe Erzählung zeigt, wie Angstentwicklung sich schnell mal ad absurdum führen kann.

Gruss
Anakreon

 

Hallo Anakreon,

deine Geschichte hat mir durchaus gefallen. Inhaltlich finde ich eine nüchtern-ironische, ja lakonische Auseinandersetzung mit der Angst in der zivilisierten Gesellschaft, und wie einsam sie manchmal macht, borniert und wirklichkeitsverzerrend, ja noch nicht mal wirklich wirksam in Anbetracht einer Glastür. Nun möchte man fast meinen, es sei diese übertriebene Angst, wie sie die Medien gerne propagieren, etwa nach Terroranschlägen. Aber hier ist es ganz privat. Allerdings vermisse ich ein kleines bisschen Authentizität, ich meine so ganz glaubwürdig erscheint mir die Räson, wegen einer harten Zugbremsung gleich die eigene Mobilität auf das Zu-Fuß-Gehen zu beschränken nicht. Hier könntest du dich um mehr Tiefe bemühen.

Und: Willkommen auf KG.de!


-- floritiv.

 

Hallo floritiv

Die Absurdität der Ursache ist durchaus richtig und als Auslöser einer Phobie mehr als nur höchst unwahrscheinlich. Die Idee, das Geräusch und die Bewegung des fahrenden Zuges in eine Erzählung einzubinden, kam mir vor Längerem einmal bei einer solchen Fahrt. Die Konzentration auf die beiden Elemente ergab eine Wahrnehmung, die eine sprachliche Umsetzung anregte. Aufgrund dieser Erinnerung kam mir der Gedanke, es mit dem Phänomen der Angst zu verbinden. Angst wiederum ist etwas, dass ungern persönlich und assoziativ wahrgenommen wird. Der Versuch, diese auf einer absurden Ebene, vielleicht etwas kafkaesk, erfahrbar zu machen, wurde dann zu diesem Gang auf Glatteis.

Eigentlich hatte ich zu dieser Erzählung eher keine Resonanz erwartet, oder vielleicht ein Kopfschütteln. Dass sie trotz der mangelnden Tiefe Deinen Gefallen fand, und Dich auch zu vergleichenden Überlegungen anregte, freut mich.

Gruss
Anakreon

 

Hallo Anakreon,

so richtig gelungen finde ich deine Geschichte nicht. Sie braucht mir zuviele Worte, um die phobischen Verhältnisse deines Protagonisten darzustellen. Dennoch, insoweit mein Lob, gelingt es dir, mir deutlich zu machen, dass er erhebliche psychische Probleme hat und immer tiefer hinein gerät.

Aber und das ist etwas, was ich mir selbst in einigen meiner Geschichten vorwerfe: es fehlt deiner Geschichte der Spannungsbogen.

Am Ende, wenn man wenigstens mit einer Art überraschendem Schluss belohnt werden möchte, zersägst du die Geschichte und aus einem Protagonisten, der nun mit dem Krankenwagen abtransportiert wird, was ihm ja höchste Qualen bereiten müsste, es aber nicht tut, wird dann einer, der sich nun mit dem Thema Ärzte befasst? Fand ich nicht gelungen, könnte aber recht schnell geändert werden.

Scheinbar bist du ein Gershwinfan, oder? ;)

welche den amerikanischen Komponisten George Gershwin einst zu »Rhapsody in Blue« inspirierten.
Obwohl ich das auch bin (frag mich nicht wieviele Versionen der Rhapsody in blue ich habe) finde ich die Art, wie du ihn in die Geschichte reinbringst, völlig unprofessionell. Ich würde einfach nur schreiben: welche Gershwin einst zur "Rhapsody in Blue" inspirierten.
Das klingt nicht so aufgesetzt.


Das wäre so als wolltest du an dieser Stelle deiner Geschichte schreiben:

Die freigesetzten Hormonschübe überschritten Grenzwerte
, denn nach den wissenschaftlichen Untersuchungen des Herrn Prof. Dr.Dr. Sauerbein, der damals 1887 in Frankfurt, in der Domgasse 13 B, 3. Stock links darüber Forschungen betrieb, geht der menschliche Körper ab 75% Hormonkonzentration in den Zustand der Ohnmacht über.

Solche Info benötigt der Leser nicht. Eine Geschichte sollte nicht zur Lehrstunde mutieren.
Ich gehe davon aus, dass du für den Leser schreibst, nicht wahr?
Du hast doch den Leser als Zielgruppe vor Augen, wenn du schreibst?

Ein Grund, weshalb manche Leser sich von Geschichten abwenden ist, dass sie das Gefühl haben, da nimmt sie jemand nicht ernst, da will sie jemand ungefragt belehren, ihnen was beibringen, was sie entweder schon wissen oder was sie nicht interessiert. Wenn ich jemandem etwas ungefragt erklären oder beibringen möchte, dann gehe ich davon aus, dass mein Gegenüber unwissend ist. Das kann ganz schön schief gehen, denn im Grunde genommen, bin ich doch dann die arrogante Überhebliche. (btw: jetzt auch, da ich dir was erkläre :D )

Fazit: die Idee, Wahnvorstellungen dem Leser näher zu bringen, finde ich ansich gut und bin mir sicher, dass man sowas auch hochspannend darstellen kann. Ein Weg wäre, du lässt den Leser mit dem Werdegang des Protagonisten mitfiebern. Lässt ihn hoffen, dass er den Weg zurück zur Gesundung findet. Dann kann solch eine psychische Erkrankung durchaus fesselnd sein. Dazu muss man deinen Herrn aber erstmal ein wenig lieb gewinnen, vielleicht, weil man seine Hoffnungen kennengelernt hat und deswegen mit ihm mitfühlen kann auf seinem dornigen Weg raus aus der Misere.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo lakita

Ich gestehe, die Geschichte ist zwanghaft konstruiert, dabei müsste ich es besser wissen. Zwang und Angst sind nach meiner Einschätzung mit Abstand die verbreitetsten der leidigen Begleiter der Menschen soweit sie sich davon beherrschen lassen. In einer ersten Fassung, die ich skizzierte, war es lediglich eine kurze Abstraktion, welche ich dann (endlos) füllte. Die Idee entsprang einer irritierenden Wahrnehmung bei einer Fahrt in einem alten Bahnwagen, der Boden vibrierte, dazu die Geräusche. Die Vorstellung, dass solches jemandem Angst erzeugen könnte inspirierten mich zu einer Aufzeichnung, die ich lange beiseite legte. Gershwin kam mir in Erinnerung, als ich meinte, diese Abstraktion in eine Geschichte zwängen zu müssen. Ein eigentlicher Gershwin-Fan bin ich nicht, doch mochte ich seine Musik seit jeher, so dass er einer der steten Begleiter blieb.

In mich gehend nahm ich Deine Frage auf, für wen ich schreibe. Die Antwort fiel mir nicht leicht. Nach eingehender Läuterung gebe ich Dir vollumfänglich recht, es ist vorab der Leser, sonst gäbe es mir keinen Sinn.

Dass Du Dir die Mühe nahmst, es zu lesen und zu analysieren, bedanke ich mich. Den Gedanken, welche ich schon länger hegte, es der Vernichtung anheimfallen zu lassen, schiebe ich nochmals beiseite, um über eine erspriesslichere Fassung nachzudenken. Deine Anregungen sind mir dazu wertvoll.

Gruss

Anakreon

 

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