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Launen der Geschichte
„Schatz, wirfst du bitte mal den Müll raus? Und vergiss nicht, das Paket mit nach vorne zu bringen.“
„Sofort, Liebling.“ Gorglu tat alles für seine Frau, wenn sie nur danach Ruhe gab. Gedankenverloren spielte er mit seinen Fühlern, als er den Müllsack und das Paket aufnahm. Es war wirklich kein Siliziumschlecken, mit so einer Mecker-Frogl vermählt zu sein und dazu noch einen so entsetzlich langweiligen Job zu haben. Ach, wenn ich nur in den Sümpfen von Schuggur geblieben wäre. Jeden Tag im Schleim wälzen und nicht an morgen denken.
Und während er, die zwei Lasten auf den vier Armen, wehmütig vor sich hin seufzte, kam er am Müllschacht vorbei. Rasch entledigte er sich einer Ladung und lief mit der anderen schnurstracks zur Abschussrampe.
„Liebling, ich bin da. Sollen wir die Ladung gleich…“ Da sah er den Müllsack in seinen zwei linken Händen. Seine Frau riss ungläubig alle Augen auf.
„Du… du hast doch nicht etwa…“ Gorglu knickte die Beine ein und rollte sich zusammen. „Liebes“, klang es dumpf durch seine Membranhülle. „Das war wirklich nur ein Versehen. Ich werde es wieder gutmachen, versprochen.“
„Du unfähiger Nichtsnutz. Wie kannst du eine Millionen Dhacits teure Antimateriebombe so einfach in den Müllschacht werfen! Du bist einfach zu nichts zu gebrauchen. Wovon sollen wir jetzt einen neuen Sprengsatz kaufen? Du hast uns in den Ruin getrieben! Ach hätte ich doch auf meine Mutter gehört und nicht so einen verdammten Schlorgkopf geheiratet!“
Sie kreischte und zeterte, dass das ganze Schiff vibrierte. Sie schaffte es sogar, den Annäherungsalarm zu übertönen, der einen Meteoritenschwarm auf Kollisionskurs anzeigte.
Das Planetensprengschiff endete als die hellste Sternschnuppe, die jemals auf der Erde gesichtet wurde.
Kurz darauf ging das Bergbauunternehmen, das nach dem fünften nun auch den dritten Planeten des Sonnensystems hatte sprengen wollen, um leichter an die Rohstoffe heranzukommen, pleite, nachdem ein Pilot den Steuerungsknüppel mit dem Hyperraummotivator verwechselt und die ganze Schürfflotte in ein Schwarzes Loch gelenkt hatte.
Nero saß in seinem Arbeitszimmer und erwartete die Meldung seines Agenten, dass die Vorbereitungen abgeschlossen seien, und rieb sich die Hände. Seine Augen leuchteten. Heute Nacht sollte Rom in einem völlig neuen Licht erstrahlen.
Ein dumpfer Knall ertönte, und ein Beben ging durch den Palast. Putz blätterte von der Decke. Nero sprang auf. Was war das? Ein Erdbeben? Ein Zeichen der Götter? Er rannte aus dem Arbeitszimmer, aus den kaiserlichen Gemächern in die Flure, wo sich die Dienerschaft aufgeregt gegenseitig über den Haufen rannte. Der Knall war aus dem Garten gekommen…
Seinem Mund entrang sich ein entsetzter Aufschrei. Ein gewaltiger rauchender Krater hatte sich mitten zwischen den exotischen Pflanzen aufgetan.
Nero stand da wie versteinert und starrte auf das riesige schwelende Loch. „Die Strafe der Götter!“, wimmerte er bei sich. Sie waren zornig ob seiner Absichten. Sie hatten ihm einen Fluch herabgeschickt! Ihm brach der Angstschweiß aus, und er fing am ganzen Leib an zu zittern. Er wollte gerade heulend auf die Knie fallen und um Gnade winseln, als er aus den Augenwinkeln Bewegung wahrnahm.
Immer mehr Wachen, Diener und Sklaven strömten herbei, und aller Augen waren auf ihn gerichtet. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen. Sonst würde er noch so enden wie er seine Verwandten hatte enden lassen. Er musste jetzt etwas tun, das nach Handeln aussah…
„Man schicke die Arbeitssklaven vor“, brüllte er. Das heißt, er versuchte zu brüllen. Heraus kam ein krächzendes Jaulen wie bei einem Burschen im Stimmbruch. „Sie sollen den Krater untersuchen.“
Die Sklaven tasteten sich geradezu memmenhaft ängstlich vor und schraken zurück, als ihre nackten Füße die heißen Kraterwände berührten. Neros Angst schlug in schäumende Wut um, und er ließ die Feiglinge mit der Peitsche antreiben. Aber schließlich waren sie doch unten, und einer meldete mit zitternder Stimme:
„Herr, wir haben etwas gefunden. Es ist so seltsam eckig, und es sind Funken daran, die wandern.“
Augenblicklich schossen Bilder von geisterhaften Furien durch seinen Kopf, die sich aus dem Brocken im Krater erhoben und ihn durch die Straßen Roms hetzten. Ach, wenn doch nur seine Mutter noch leben würde! Dann hätte sie den Zorn der Götter abbekommen, weil sie ihn zu so einem Scheusal gemacht hatte.
„Man bringe es mir.“ Hoffentlich hatte das jetzt nicht so jämmerlich geklungen, wie er sich fühlte.
Die Sklaven mussten das merkwürdige Ding auf einem nassen Leinentuch nach oben bringen, weil sie sich sonst die Hände verkohlt hätten. Nicht, dass es Nero interessierte, aber schließlich brauchte er ihre Hände noch, um den Garten wieder herzurichten.
Der Anblick dieses rautenförmigen grünen Gebildes zog Nero unwiderstehlich in seinen Bann. Das war die Strafe der Götter? Es war von so einer eigentümlichen, makellosen Schönheit… Ein Künstler wusste, wann er ein perfektes Meisterwerk vor sich hatte. Und er, Nero, war ein wahrer Künstler.
Ein neuer Gedanke keimte in ihm auf: Konnte solch göttliche Kunst überhaupt ein Instrument der Bestrafung sein? War sie vielleicht in Wahrheit ein Zeichen der Götter? Womöglich ein Geschenk des Wohlwollens?
Er winkte einen Sklaven heran. „Berühre die Funken“, befahl er mit fester Stimme. Der Sklave riss entsetzt die Augen auf, aber er gehorchte, als der Vorarbeiter drohend die Peitsche schwang.
Plötzlich schien die Luft in Flammen zu stehen. Nero schlug die Hände vor die Augen und taumelte zurück, wobei er quiekend um sein Leben flehte. Er stolperte, fiel hintüber und spürte, wie der Boden unter den vielen fliehenden Füßen erbebte. Mit gekreuzten Armen über dem Gesicht erwartete er das Ende.
Eine Zeitlang war es still. Nero lugte vorsichtig unter seinem Arm hervor. Die Flammen in der Luft waren immer noch da. Aber etwas war merkwürdig. Sie bewegten sich nicht. Sie standen einfach nur da, unbewegt, einsam, als warteten sie auf etwas.
Dann erkannte er, dass die Flammen eine Form hatten. Schriftzeichen.
Nero vergaß sein Vorhaben, Rom anzuzünden und die Christen auszuradieren, und widmete sich ganz dem seltsamen Geschenk, das die Götter ihm gemacht hatten.
Täglich drückte er von Neuem an den Lichtern herum, und immer leuchtete in der Luft ein Bild voller rätselhafter gelber Symbole auf, die sich bei jedem Druck veränderten. Besessen versuchte er, der Bedeutung dieser Zeichen auf den Grund zu gehen, aber keiner der Schriftgelehrten und Philosophen, die Nero aus aller Welt kommen ließ, war imstande, sie zu entschlüsseln.
Und obwohl nur wenige das Göttergeschenk zu Gesicht bekamen, beschäftigte sich das Volk mit nichts anderem mehr. Alle rätselten um die Wette, was es mit diesem Ding auf sich haben könnte. Unzählige Mythen und Legenden rankten sich um das Artefakt, und schließlich entstand ein religiöser Kult, der sich die Entschlüsselung der Götterbotschaft zur Aufgabe machte.
Und weil plötzlich alle dachten, die Götter hätten es gut mit ihnen gemeint, und nur noch von einer Welt voller Weisheit und Wissen und Glückseligkeit schwärmten, die sie in Zukunft erwarten würde, wenn sie nur diese Botschaft verstünden, hatte die Weltuntergangssekte der Christen auf einmal nichts mehr zu bestellen. Still und unbemerkt verschwand sie aus der Weltgeschichte.
Die Römer indessen waren so mit sich selbst und dem Artefakt beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkten, wie sich im Norden ein Sturm zusammenbraute. Den germanischen und keltischen Stämmen waren die Legenden um die geheimnisvolle Botschaft der Götter zu Ohren gekommen. Bald machte das Wort die Runde, dass der, welcher die Botschaft entschlüsseln könne, zu grenzenloser Macht gelangen würde. Das motivierte die nordischen Völker derart, dass sie sich zu einer riesigen Streitmacht zusammenschlossen. Wenige Jahre später hatten sie das Römische Reich überrannt und das Artefakt an sich gerissen.
„Die Landungsboote stehen bereit, o Feldherr.“
Helfjord hasste es, wenn der Hohepriester sich so anschlich. Um sein Unbehagen zu verbergen, strich er sich über seinen üppigen Rauschebart.
„Hm, gut. Und die Krieger?“
„Ebenfalls. Sie können sofort herunterkommen und Ihre Rede halten.“
Helfjord wandte sich schweren Herzens vom Panoramafenster der Donnergott ab, das den Planeten Thor und den Rest der Flotte in ihrer ganzen strahlenden Pracht zeigte, und folgte dem Göttersmann.
Während sie durch die Korridore gingen, redete der Priester ununterbrochen.
„Also, diese Sekte hat ihre Leute auf unserem Schiff eingeschleust, und jetzt belästigen sie ständig die Mannschaft und die Delegierten. Sie sollten hören, was sie da zusammenfaseln: Wir hätten kein Recht, die Ureinwohner dieser Welt zu versklaven. Wir müssten „Nächstenliebe“ walten lassen. Nächstenliebe! Was soll das schon sein? Dass wir uns jetzt wie wilde Tiere durcheinander paaren? Sogar seine Feinde soll man lieben! Ich sage Ihnen was: Diese Sekte ist gefährlich! Sie verweichtlichen unsere Krieger und untergraben die öffentliche Moral. Wir müssen etwas tun!“
Helfjord hörte ihm nicht zu. Er grübelte immer wieder über einem Problem, das ihn schon beschäftigte, seit er in der Raumflotte war: Die Menschen waren schon lange übereingekommen, dass es sehr viele Götter brauchte, um das ganze Universum zu verwalten. Jede Welt und auch die Asteroiden und das Weltall selbst brauchte eine Unzahl Götter, Geister, Riesen, Dämonen und andere Kreaturen, um die Kräfte der Natur zu regulieren.
Aber was stand hinter den Göttern und anderen unsterblichen Kreaturen? Welche Kraft hielt das große Ganze zusammen?
Da kam ihm eine Erleuchtung: Was, wenn hinter den Göttern ein noch mächtigerer Vatergott stand, eine Kraft, so mächtig, dass sie das ganze Universum umfasste und alles zusammenhielt? Das wäre…
Helfjord stieß mit dem Kopf gegen eine Energiegeneratorkugel, die an einem Kabel herunterhing. Er taumelte zurück.
„Bei Garms faulem Atem, was ist hier los?“
Der Techniker, der im Schacht über ihnen Reparaturen durchführte, murmelte hastig eine Entschuldigung und zog das Kabel blitzschnell nach oben.
Jetzt war er ganz aus dem Konzept gekommen! Er hatte doch gerade einen Einfall gehabt…
„Also, geben Sie mir jetzt die Erlaubnis?“
„Hm?“
„Sie jetzt alle zu verhaften und in die Torpedorohre zu schieben. Als Opfer für die Götter des Alls.“
„Jaja, machen Sie nur.“
Helfjord fasste sich wieder und schritt forsch durch die Luke der Landebucht.
„Krieger, Kriegerinnen, mächtige Abgesandte aller Erdvölker!“ brüllte Helfjord in das Megaphon auf die große Versammlung hinunter.
„Heute ist der große Tag gekommen, den Göttern ihr Geschenk zurückzugeben.
Unzählige Jahrhunderte haben wir damit verbracht, zu entschlüsseln, was die Götter uns mit ihrem Geschenk mitteilen wollten. Unzählige Jahrhunderte haben wir mit den geheimnisvollen Zeichen zugebracht und sind nicht hinter ihren Sinn gekommen. Unzählige Jahrhunderte suchten wir den Himmel ab und suchten nach einem Wink der Götter, aber die Götter ließen uns mit dem Rätsel allein, um unsere Klugheit zu prüfen.“
Helfjord räusperte sich einen Moment und breitete dann die Arme zu einer allumfassenden Geste aus.
„Doch die Suche nach der Lösung trieb unseren Ehrgeiz an. Wir lernten, die Kräfte der Götter für uns nutzbar zu machen, entdeckten die Macht des Feuers, der Elektrizität, des Atoms und schließlich der Hyperkraft.
Wir lernten, durch das All zu reisen, und dabei, endlich, sind wir auf den Ursprung der göttlichen Botschaft gestoßen: Der Planet Thor, ein Paradies mit unendlichen Ressourcen und einer idealen Sklavenrasse. Von ihm stammt das Material, aus dem der Träger der Botschaft gebaut wurde.“
Trommelwirbel ertönte, und das Artefakt wurde in einer gläsernen Sänfte hereingetragen.
„Heute, endlich, geben wir den Göttern ihr Geschenk zurück. Wir werden die orbitalen Waffenplattformen der Sklaven vernichten, ihre Widerspenstigkeit brechen und sie gefügig machen, und bei der Feier unseres Erfolges werden sie für den Boten einen Tempel errichten, wie ihn auf der Erde noch nicht einmal der mächtigste König bekommen hat.“
Tosender Applaus brandete zu ihm empor, während der Hohepriester die Sänfte öffnete und die Knöpfe so berührte, dass die Ziffern in der Luft zu einem wilden Tanz ansetzten.
Eigentlich hätte er jetzt die Gebetsformel sprechen sollen.
Aber plötzlich veränderte sich die Schrift in der Luft. Die Ziffern waberten in einem düsteren Rot.
„Ein Zeichen!“ schrie Helfjord verzückt. Ein ehrfürchtiges, ergriffenes Raunen ging durch die Menge. Dann Stille. Das Rot verstärkte sich, und die Intervalle des Waberns wurden kürzer.
Irgendjemand stimmte das Lied des Götterboten an, das alle Menschen von Kind auf kannten. Immer mehr stimmten in den Gesang ein, auch Helfjord selbst.
Der Gesang pflanzte sich durch den riesigen Schiffskörper und schließlich die ganze Flotte fort, als die frohe Kunde sich über Funk ausbreitete. Immer lauter und feierlicher sangen die Menschen, während das Rot immer tiefer und das Wabern immer mehr zu einem Flimmern wurde. Alle wussten: Jetzt kam endlich der Moment der Offenbarung. Die Götter selbst würden sich zeigen und ihnen sagen, dass sie die Prüfung bestanden hatten.
Über eine Stunde hallte der Gesang von allen Schiffswenden wider und gipfelte endlich in einem lang anhaltenden hohen C. Plötzlich hörten die roten Ziffern auf zu flimmern und standen für Augenblicke in der Luft, stumm und endgültig.
Die Flotte der Menschen endete als die hellste Nova, die jemals auf Schuggur gesichtet wurde.