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Lauwarm bis zum Ende
»Lisa, mir reicht's. Ich mach' Schluss«, begann er.
Norbert stemmte die Arme in die Hüfte und musterte sie neugierig. Ihre Antwort folgte prompt: »Wieso das denn? Wenn, dann müsste ich mit dir Schluss machen. Im Gegensatz zu dir hab' ich wenigstens Gründe.«
»Ach so! Und was sollen das für welche sein? Kommst du jetzt wieder mit deinem idiotischen Emanzengelaber?«
»Na und? Du bist ja ein richtiger Sexist geworden. Dauernd kommst du mit Sprüchen wie ›Nimm ab, Lisa, mit dir kann man sich ja nicht sehen lassen‹ oder ›Verdien' nicht soviel Geld, sonst werd' ich noch neidisch‹ Und deine bescheuerten Freunde habe ich auch satt. Warum haben die nur Fußball und saufen im Kopf ...?«
»Du machst es dir ja so einfach, Prinzessin!«
›Einfach‹.
Anfangs war die Beziehung unkomplizierter gewesen. Sie hatten sich Hals über Kopf ineinander verliebt und schwebten monatelang auf Wolke sieben. Sie studierten an der selben Uni und trafen sich so oft wie möglich. Zuletzt zogen sie zusammen.
»›Prinzessin‹? Wie oft habe ich dir gesagt, dass du dir diese Tour für 'ne andere aufsparen kannst?«
Norbert verdrehte entnervt die Augen.
»Jetzt mach' mal halblang. Immer hast du das letzte Wort. Und alles passt dir irgendwie nicht. Schatz, machst du noch? Schatz, wirst du bald mal? Schatz hier, Schatz da, ...«
»Ist das ein Wunder? Du gibst dir kein bisschen Mühe!«
»Klar geb ich mir Mühe! Bei dir hat das bloß keinen Sinn mehr.«
»Keinen Sinn also ...«
Lisa schluckte.
Nach einem halben Jahr in der gemeinsamen Wohnung brach Norbert sein Studium ab, sprach aber nicht über seine Gründe dafür. Lisa hingegen beendete ihr Studium, machte Karriere. Norbert blieb antriebslos zuhause und konnte sich für nichts begeistern. Lisas Bemühungen, Norbert zu helfen, verschlechterten die Situation, anstatt sie zu verbessern. Manchmal sprach Norbert vom schlechten Einfluss, den ihr Erfolg auf seine Motivation hatte, aber er wurde nie konkret. Stattdessen ließ er sich gehen.
Lisa fand ihre Sprache wieder: »Wie findest du das denn: Zwei Wochen beachtest du mich nicht, Sparflamme, und dann, nach irgendeiner Sauftour, ist dir nach, wie nennst du das: ... ›Romantik‹. ›Sei doch ein bisschen zärtlich‹ kommt dann von dir. Und wenn ich mich dann ›anstelle‹ bist du kurz davor, mich zu verprügeln. Nennst du das Liebe? Wo ist da der aufmerksame, freundliche Norbert von früher? Was hast du für Probleme? Sag's mir! Deine Probleme machen mich krank!«
Norbert lief rot an. Er starrte sie mit einem durchbohrendem Blick an.
»Was weißt du schon von meinen Problemen!«, rief er übertrieben laut, »In Wirklichkeit bin ich dir doch völlig egal.« Norbert zitterte vor Wut. Lisa sagte nichts.
»Du hast ja alles so richtig gemacht. Dir kann keiner was vorwerfen. Erst Abitur, dann Studium, jetzt Ingenieurin. Und du bist so eloquent. Da fühlt man sich als Mann richtig minderwertig.«
Er hielt inne, seine Augen blitzten kurz, dann schlug er Lisa unvermittelt ins Gesicht. Obwohl er schon manches Mal kurz davor war, sie zu verprügeln, war dieser Schlag der erste. Lisa verlor das Gleichgewicht und ihre blonden Haare flogen durch die Luft. Völlige Überraschtheit und Ungläubigkeit waren in ihrem Gesicht abzulesen.
Lisa schlug hart auf, war kurz benebelt. In der Zwischenzeit drehte Norbert sich um und ging. Als Lisa sich ächzend erhoben hatte, hatte Norbert bereits die Wohnung verlassen.
»Du kannst mich auch mal!«, rief sie ihm kraftlos hinterher.