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Leila
Anno 2140
Die meisten Rohstoffe der Erde sind verbraucht. Elementarenergie ist wichtiger als je zuvor. Allerdings wurde die Technologie durch das Schwinden der natürlichen Rohstoffe schwer gebremst. Große Konzerne lieferten sich Jahrzehntelange Machtkämpfe um neue Alternativenergien zu etablieren. Schließlich gelang der Orcon Inc. eine sensationelle neue Entdeckung. Auf dem Mond wurde ein neuer Rohstoff gewonnen, der als Energieträger geradezu revolutionär gut geeignet war.
Um einen profitablen Abbau zu garantieren, wurden Jahre später die ersten Mondmenschen gezüchtet. Genau wie Menschen, mit dem einzigen Unterschied, das diese Kinder auf dem Mond geboren wurden und diesen nie verlassen könnten. Angepasst an die Dort herrschende Atmosphäre würden sie niemals einen Fuß auf den Planeten Erde setzen können. Millionenschwere Protestmärsche Ethnischer Organisationen konnten daran auch nichts ändern. Die Orcon Inc. entwickelte sich zum absoluten Marktführer was Forschung und Technik anbelangte. Selbst die Politik unterstützte den umstrittenen Konzern mit einer Milliardenschweren Fusion. Und so ging die Menschheit einer neuen Bestimmung entgegen, als Jahre später der erste Übermensch geschaffen wurde. Anfangs noch von erheblichen Misserfolgen begleitet, wurde nach der ersten Testreihe das erhoffte Ziel erreicht.
Adam hieß das erste Kind der neuen Generation. Sein IQ lag weit über dem eines normalen Kindes. Mit zunehmendem Alter verstärkten sich die Fähigkeiten des Jungen. Seine körperlichen Fähigkeiten waren mit denen eines Hochleistungssportlers gleichzusetzen. Seine Sehkraft war tadellos und sein Immunsystem geradezu unangreifbar. Nicht eine kleine Erkältung hatte der Junge bis zu seiner Volljährigkeit erlitten.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit bildeten der US Präsident und die leitende Kraft bei Orcon eine Allianz. Das komplette Militär Amerikas bestand Jahrzehnte nach dem Zusammenschluss der beiden Parteien fast ausschließlich aus Menschen wie Adam. Eine Armee aus Hochleistungssoldaten, der kein anderes Land gewachsen war.
Nun, zehn Jahre später stehen US-Militär und Polizei einem nie da gewesenen Feind gegenüber. Glory heisst die neuste Schöpfung von Orcon. Ein Mädchen, einsam und isoliert. Mit der Gabe geboren, das Leid anderer Menschen zu spüren startet sie einen Blitzkrieg gegen die gesamte westliche Welt...
Grand Central Terminal, New York, 15 Dezember 2201, 10:00 PM
Die junge Frau saß auf einer Bank und schaute Gedankenverloren auf den steinernen Boden. Um sie herum ein Chaos aus Bewegung und Lärm. Der breite Bahnsteig war überflutet mit Menschen. Einige liefen aufgeregt hin und her, andere standen zusammen mit ihren Familien. Eine ältere Frau, die einen teuren Nerzmantel und einen extravaganten Hut trug, stand bei ihren Koffern und hielt mit rollenden Augen nach potenziellen Dieben Ausschau. Unzählige Polizeibeamte versuchten das Chaos ein wenig zu regeln. Von weit her hörte man das dumpfe Geräusch einer Sirene.
Die Frau kramte in ihrer Manteltasche herum und brachte ein einzelnes Foto zum Vorschein. Der junge Mann auf dem Bild trug eine rote Uniform und lächelte ihr herzlich entgegen. Eine Träne löste sich und fiel auf das Bild. Dann noch eine...
Die Frau strich sich ihre blonden Strähnen aus dem Gesicht und presste sich den linken Arm vor die Augen. Um sie herum ein Stimmengewitter. Direkt über ihr peitschte der Regen auf die große Glaskuppel. Sie lehnte sich zurück und schaute hinauf zum Sternenhimmel, der von riesigen Nimbuswolken belagert wurde. Der blasse Mond warf einen milchigen Schimmer. Irgendwie hatte sie das Gefühl, das gerade in diesem Augenblick auch jemand auf sie herunterschaute.
Dann plötzlich spürte sie eine Hand auf ihren Schultern. Sie blickte sich um und da stand ein großgewachsener Mann vor ihr. Er versuchte unbefangen zu lächeln und setzte sich im nächsten Moment zu ihr auf die Bank.
„Warten sie auf den Zug, der sie aus New York herausbringt?“
Die junge Frau schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht genau...“, fügt sie beiläufig hinzu.
Einige Sekunden sagten beide nichts mehr. Jeder beobachtete das rege Treiben um ihn herum.
Die ältere Frau hatte sich aus ihrer Wächterposition gelöst und saß nun nachdenklich auf ihrem größten Koffer. Ein kleines Chinesenmädchen saß auf den Schultern ihres Vaters und blickte unruhig über die Köpfe der anderen Leute. Unter ihren Arm hatte sie eine kleine Puppe geklemmt, die einen weißen Kimono trug.
Die junge Frau schaute sich ihren Sitznachbarn etwas genauer an. Er schien Mitte dreißig zu sein, hatte ein markantes Gesicht und kurze braune Haare. Gepäck trug er nicht bei sich.
„Und wo wollen sie hingehen, so ganz ohne Gepäck?“
Die junge Frau wischte sich die letzten Tränen weg und schaute ihrem Gegenüber in die Augen.
„Ich muss zu meiner Familie nach Manhattan. Sie kommen nicht weg von dort.“
Der Mann schaute wie hypnotisiert auf den Boden.
„Man sagte mir, dass von hier aus noch ein Zug dorthin fährt.“
Er fuhr sich nervös durch seine kurzen Haare.
„Warum bringen sie sich nicht zuerst selbst in Sicherheit?
Der Mann schüttelte hastig den Kopf.
„Meine Frau ist dort ganz alleine mit unserem Sohn“
Die Augen des Mannes füllten sich mit Tränen und seine Stimme brach mitten im Satz zusammen.
„Er ist doch erst drei Jahre alt...“
Die Frau schaute bestürzt auf den Boden. In ihrer rechten Hand hielt sie das Foto fest umschlossen.
Der Mann warf einen flüchtigen Blick auf das Bild.
„Ist das ihr Mann, Fräulein?“
Die junge Frau schaute Gedankenverloren geradeaus.
„Es tut mir leid, ich wollte nicht indiskret sein.“
„Nein, ist schon gut“, antwortete sie kaum merklich.
„Ja, das ist mein Freund. Er ist beim Militär und wurde nach dem Zwischenfall bei Orcon sofort in die Hauptstadt geschickt.
Die junge Frau brach wieder in Tränen aus.
„Hören Sie Fräulein. Die Spezialeinheit vom Militär ist doch Knochenhart. Die werden schon mit diesem Mädchen fertig.“
Er rückte ein wenig näher an die Frau heran und nahm sie bei der Hand.
„Glauben sie mir, es wird alles wieder gut....Fräulein....“
Die junge Frau schaute ihn schockiert an. Ihre Hände zitterten.
„Was ist los? Geht es ihnen nicht gut?“
Immer noch ein wenig zittrig schüttelte die Frau mit dem Kopf.
„Es geht schon, das war nur ein kurzes Schwindelgefühl...nicht weiter schlimm. Mein Name ist übrigens Leila...“
„Ich bin Marco, freut mich sie kennen zu lernen Leila.“
Marco versuchte ruhig und gelassen zu wirken, aber seine Stimme bebte. Seine Gedanken kreisten einzig und alleine um seine kleine Familie.
„Geht’s wirklich wieder?“
Die junge Frau nickt kurz mit dem Kopf.
„Ich frage mich wirklich, warum ganz New York evakuiert wird. Das Militär hat die Leute regelrecht in die Bahnhöfe und U-Bahn Stationen hineingetrieben. Wie um Gottes Willen kann ein kleines Mädchen so ein Chaos verursachen?“
Leila schaute wieder hoch zur Glaskuppel. Der Mond war voller geworden und sein Licht durchdrang selbst die tiefschwarzen Nimbuswolken.
„Sie ist das neuste Modell Marco. Mit einer wahnsinnigen Macht geboren, so das sie ihr ganzes bisheriges Leben isoliert von der Außenwelt, in den Geschäftsräumen von Orcon verbringen musste.“
Marco schaute die junge Frau misstrauisch an.
„Woher wollen sie das wissen Leila?“
„Sie wurde eingesperrt mit der einzigen Absicht, das diese völlige Isolation ihre Gefühlsbildung beeinträchtigen würde. Ohne eigene Meinung würde sie ihre Kräfte niemals gegen ihre Schöpfer einsetzen. So würde sie eine kontrollierbare Waffe bleiben.“
„Woher zum Teufel wissen sie das?“
Marco war neugierig und misstrauisch zugleich.
„Aber was niemand ahnen konnte....“
Über Leilas Wange kullerte eine Träne.
„Das Mädchen war mit einer zusätzlichen, verborgenen Kraft ausgestattet worden. Ein Genetischer Fehler sozusagen. Sie konnte telepatischen Kontakt zu anderen Menschen aufnehmen. Sie konnte spüren, was andere Menschen fühlten und dachten.“
Leilas Stimme bebte. Ihr Blick schien keinen bestimmten Punkt anzuvisieren.
„Allerdings konnte sie nur die negativen Gefühle sehen. Hass, Verzweiflung, Trauer, Wut.... Alles andere bleibt ihr verborgen.“
Marco war jetzt irritiert und beunruhigt. Er wusste nicht was er sagen sollte.
„Das müssen sie sich vorstellen Marco! Dieses Kind kennt weder Liebe noch Hoffnung.“
Leila schaute wie hypnotisiert auf den Boden.
„In meinem Kopf war sie auch schon...“
Marco presste sich die Hand vor den Mund.
„Was meinen sie damit?“
„Das ist unwichtig. Sie wird nicht aufhören, bis alles Leid auf dieser Welt verschwunden ist.“
„Oh mein Gott, Leila wer sind sie und woher wissen sie all diese Dinge?
Marco schaute sich nervös um.
„Das Mädchen wird verlieren. So oder so. Aber bis dahin wird sie wahrscheinlich ganz New York zerstört haben. Wir alle hier sollen aus der Stadt entfernt werden, um die telepatische Leitung zwischen Glory und den Menschen zu trennen.“
Marco griff nach dem Arm der jungen Frau und drehte sie in seine Richtung.
„Jetzt sag mir Leila, sie sind auch eine Kreation von Orcon nicht wahr?“
Die junge Frau blickte dem beunruhigten Marco in die Augen und nickte mit dem Kopf.
„Das kann doch nicht wahr sein. Was ist ihre Aufgabe. Sind sie auch so ein Übermensch wie ihr Freund?“
Jetzt fing die junge Frau an zu lachen. In ihren Augen glänzten die Tränen.
„Ich bin alles andere als ein Übermensch Marco. Und mein Freund....“
Marco schaute der jungen Frau fordernd in die Augen.
„Was ist mit ihrem Freund?“
Leila stand auf und machte ein paar Schritte nach vorne. Dann drehte sie sich zu dem völlig aufgelösten Marco. Ihre Augen schwammen vor Tränen.
„Mein Freund ist tot!... Glory hat ihn und Dutzende andere Soldaten getötet.“
Leila schüttelte den Kopf und ein seltsames Grinsen zauberte sich plötzlich auf ihr Gesicht.
„Du willst wirklich wissen was meine angeborene Gabe ist?
Marco sagte nichts mehr. Sein Mund war geöffnet und er starrte ausdruckslos nach oben in das Gesicht der jungen Frau.
„Sofort bei Körperkontakt zu einem anderen Menschen erkenne ich seine genaue Todeszeit.
Ich wusste seit genau drei Jahren, das mein Freund heute sterben würde!
Marcos Mund war geöffnet. Seine Augen geweitet und sein Blick starr vor Angst.
Leila drehte sich um und lief den langen Bahngleis hinunter. Sie schob sich an den Menschenmassen vorbei und ließ Marco zurück.
Dieser saß auf der Bank und schaute der jungen Frau fassungslos hinterher. Dann sprang er auf und stellte sich auf die Bank, um die junge Frau nicht aus den Augen zu verlieren.
„Was ist mit mir und meiner Familie?! Werde ich das alles hier überleben?“
Marco schrie aus voller Kehle, doch die junge Frau drehte sich nicht mehr zu ihm um.
Dann kam plötzlich ein Zug neben ihm zum stehen.
Die laute Stimme des Bahnhofsvorstehers dröhnte aus den Lautsprechern.
„Am Gleis D fährt gleich der letzte Zug nach Manhattan ab. Wir bitten die wenigen Fahrgäste umgehend einzusteigen.“
Der Familienvater zögerte kurz und hielt noch einmal Ausschau nach Leila.
Doch von der jungen Frau war weit und breit nichts mehr zu sehen.
Dann stieg er in den Zug....