Leilas nächtliches Drama
Ja du hast ja Recht… Ja er ist ein Schwein… Ich weiß Süße, aber du findest doch was Besseres… Nein, du bist nicht hässlich… Süße ich weiß, dass er ein Arschloch ist, aber es schon vier Uhr früh… Nein ich will dich nicht loswerden… Ja ich hör dir zu… Ich verstehe dich ja, aber mittlerweile ist es fünf… Ich weiß doch, hör zu, ich muss morgen früh raus, ich ruf dich nach der Arbeit an okay? Machs gut Süße!“
Fabienne hatte mir seit einer halben Ewigkeit, die in diesem Fall gnadenlose fünf Stunden betrug, beide Ohren abgekaut und mir die Ohren voll geheult, was ihr frischgebackener Ex doch für ein Arschloch war. Ich hab sie ja lieb, aber wenn man um halb sieben Uhr aufstehen muss, ist fünf Uhr ein angemessener Zeitpunkt zum auflegen.
Ich schleifte meinen müden Hintern ins Badezimmer, schlüpfte in meinen Pyjama und machte mich auf den Weg ins Schlafzimmer. Sie Tür stand offen. Ich war gerade in Begriff in das Zimmer einzubiegen und in die Kissen zu fallen, als ein aggressives Zischeln aus meinem Zimmer kam. Ich blieb erschrocken stehen und horchte, ja es kam aus meinem Schlafzimmer. Mein Herz pochte mir bis zum Hals und weiter.
Ein rational denkender Mensch hätte sich nicht weiter aufgeregt und hätte erstmal das Licht angemacht. Ich übermüdete, allein lebende und ängstliche Frau schlich mit immer noch rasendem Herzen zurück ins Bad und griff zur erstbesten Waffe die ich fand. Mit elektrischer Zahnbürste bewaffnet stürmte ich in mein Schlafzimmer, haute auf den Lichtschalter und zückte meine mörderische Waffe.
Da war es wieder, das aggressive Zischeln, allerdings erkannte ich jetzt die Quelle dieses Geräuschs: Draußen vor meinem offenen Fenster saß ein nervtötender Vogel auf dem Baum und schrie sich die Seele (sofern Vögel so etwas haben) aus dem Leib.
„Ja scheiß doch die Wand an!“ Mein angestauten Aggressionen, die sich hinter dem Mitgefühl und der Geduld gegenüber meiner Freundin anstellen mussten brachen voll aus und entluden sich, indem ich meine Zahnbürste gekonnt aus dem Fenster schleuderte. Schade, dass Vögel so ein gutes Reaktionsvermögen haben.
Mit immer noch pochendem Herzen (sei es von dem Schock oder der Wut) liege ich im Bett und halte krampfhaft die Augen geschlossen. Das ist ja lächerlich, ich lasse mir das letzte bisschen Schlaf doch nicht von einem vermutlich epileptischen Vogel nehmen. Verflucht, wie spät ist es eigentlich? Dreiviertel sechs, na Wahnsinn.
Ich will mich gerade in die Kissen zurückfallen lassen, da höre ich ein lautes Brummen im Zimmer. Ich knipse das Licht an und suche nach der Quelle. Tja, das hätte ich lieber nicht tun sollen, denn die Quelle des Brummens war ein dicker, fetter Falter, der vermutlich durch das offene Fenster gekommen war. Ein rational denkender Mensch hätte vermutlich einfach das Licht ausgemacht und wäre eingeschlafen. Ich als panisch von Insekten verängstigtes Mädchen reagiert jedoch anders. Ich schnappe mir meinen Wecker und ergriff die Flucht, knallte die Tür hinter mir zu und tippelte ins Wohnzimmer.
Ich überlegte, wie ich den Falter beseitigen könnte. Normalerweise sauge ich solche Viecher immer weg, aber um sechs Uhr früh in einer Mietwohnung meinen Powersound-Staubsauger zu benutzen schien mir keine allzu gute Idee, zumal meine Nachbarin von der Wohnung untendrunter sowieso schon sauer auf mich war, weil ich angeblich ständig zu laute Musik höre.
Ich überlege kurz ob ich Musik laut aufdrehen und meine Nachbarin heraufkommen lassen sollte, ich würde die Schuld auf den Falter schieben und meine Nachbarin könnte ihn für mich umbringen. Wahrscheinlich würde der Falter bei ihrem Anblick im Nachthemd freiwillig implodieren, aber dann müsste ich es ihm gleichtun.
Blöder Plan also.
Ich packe mich auf die Couch und versuche einzuschlafen, doch jetzt verfolgt mich das Bild meiner Nachbarin im Nachthemd, welch Schauder.
Nur noch eine knappe Stunde zum Schlafen, aber nur wenn ich jetzt sofort einschlafe, ich kneife die Augen zu und denke an Schafe.
Da das auch nicht hilft, gehe ich in Gedanken noch mal den vergangenen Tag durch, dann fällt mir normalerweise immer auf, wie unspannend der doch war und ich schlafe aus Langeweile ein. Heute hilft nicht mal das.
Ich kneife die Augen zu, hoffe, dass ich einschlafe, aber irgendwie komme ich einfach nicht zur Ruhe.
Ich fühle mich verfolgt, verfolgt von meinen Gedanken, sie steuern mich, sie steuern sogar die ganze Welt, denn scheinbar schaffe ich es Kraft meiner Gedanken sogar, meine Nachbarin tatsächlich in meine Wohnung zu locken. Sie steht in einem geblümten Nachhemd in meinem Wohnzimmer und redet ständig über Fabienne, dass sie mich dringend brauche.
Na toll, diese Schnepfe horcht also sogar die Telefonleitung ab und fängt meine Anrufe ab, ich möchte gar nicht wissen, wie sie das macht. Ich schnappe mir meinen Wecker und renne aus dem Haus. Zum Glück steht gerade ein Taxi vor der Tür, ich steige ein und der Fahrer saust los.
Warum zur Hölle sind nur alle Fenster in diesem Auto offen? Ich zittere wie Espenlaub, doch als ich den Fahrer frage, ob er sie schließen kann, erzählt der mir nur etwas vom „Ohne dich ist alles doof“-Schaf. Wir führen eine angeregte Diskussion über das Schaf und stellen schließlich fest, dass das Schaf bestimmt auch ein prima Nachbar und Musiker wäre. Die offenen Fenster stören mich trotzdem, denn am Beifahrersitz hängt ein ziemlich großer. Diese Viecher sind auch wirklich überall.
Bei Fabienne angekommen, springe ich aus dem Taxi und renne zu ihr in die Wohnung. Zum Glück weiß ich wo sie ihren Schlüssel versteckt.
Die Wohnung sieht aus wie immer, doch ich habe ei ungutes Gefühl, es ist verdächtig still. Doch warum sollte Fabienne in Schwierigkeiten sein und es nicht auf meinem Handy probieren?! Die ganze Sache stinkt bis zum Himmel und ich befürchte, dass nicht Fabienne in Schwierigkeiten steckt, sondern ich.
Trotzdem gehe ich weiter und als ich die Tür zu Fabiennes Schlafzimmer öffne, steht plötzlich meine Nachbarin wieder vor mir. Sie streckt mir meinen Wecker ins Gesicht und sagt mit einem fiesen Grinsen: „Deine Zeit ist gekommen!“ Sie zieht ihre andere Hand hinter dem Rücken hervor und hält eine riesige Waffe in der Hand, die aussieht wie ein Vogelschnabel. Sie holt aus und ich, unfähig mich zu bewegen, kneife die Augen zu und versuche zu schreien so laut ich nur kann.
„Leila!“
Ich öffne die Augen, meine Nachbarin ist weg, stattdessen steht Fabienne vor mir und schaut mich verwirrt an: „Was zur Hölle machst du hier?“
„Meine Nachbarin, sie hat gesagt, ich soll herkommen und…“
„Leila, Süße, atme mal tief durch. Was ist los?“
„Da war meine Nachbarin und der Taxifahrer, wir haben über das „Ohne dich ist alles doof“-Schaf geredet und da war dieser Falter. Und wusstest du, dass meine Nachbarin ein ganz furchtbares Nachhemd trägt?!“
„Kann es sein, dass du wieder geschlafwandelt bist?“
„Was?“
Ich werde langsam wach und überlege. Großer Gott, das ist wahr. Seit ich dieses komische Medikament nehme schlafwandle ich wirklich von Zeit zu Zeit. Darf das denn wahr sein?!
Fabienne sieht mich immer noch verständnislos an, während in mir langsam die Panik hochsteigt: „Fabienne, wie viel Uhr ist es?“
„Viertel nach acht, wieso?“
„Scheiße!“