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Leilonda

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16.06.2002
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Leilonda

Leilonda ist so schön. Jeder erwähnt ihren Namen voller Ehrfurcht, so schön ist sie. Rotblondes Haar, schlanke Hüften, der Körper zur Gänze enthaart, aus weißem Wachs die Haut. Ihre grünen Augen suchen und finden fast jede Samstagsnacht im Rumbaklub. Wählerisch ist sie, die schöne Leilonda. Mustert, betrachtet, hört zu und entscheidet. Sie verführt mit roten Krallen und überschminkten Lippen. Farbe über die Fältchen im Gesicht gepinselt.

Die Garderobe aus Mailand, vom feinsten. Leilonda knatscht Kaugummi mit Wildkirschengeschmack, ohne Zucker. Selbst der Kaugummi ist teuer, aus der Apotheke. Vitamine sind ihm zugesetzt. Sie tänzelt sich durch den Rumbaklub, fängt Blicke, mal hier mal da. Gonz lächelt schüchtern. Er hat einen Bauch, der sich ganz sanft über den Gürtel seiner Hose wölbt. Gonz besucht den Klub Leilondas wegen. Jeden Samstag steht er bei einem einzigen Getränk stundenlang an der Bar und wartet auf Leilondas Erscheinen. Gonz hat nur wenig Geld, er kann sich nicht durchsetzen. Er ist eben nicht für die Neue Zeit geboren worden. So humpelt er durchs Leben. Die Miete geht sich aus, Nahrung und ein Getränk jeden Samstag im Rumbaklub. Auf Gonz pflegt man herumzutrampeln, er ist so weich. Weiche Haut, weiches Herz, da trampelt es sich leicht. Im Betrieb, manchmal auch im Rumbaklub. Freunde hat er keine. Er tröstet sich, indem er von Leilonda schwärmt. Leilonda, Leilonda, oh schöne Leilonda! Ach hätte er doch den Mut, sie einmal anzusprechen. Gonz kann es nicht, so ist er weiterhin am Träumen.

Leilonda liebt die Neue Zeit. Erfolgreich ist sie, kann Ränke schmieden, ist überall zu Hause und auch nirgends. Ihr Konto kann sich sehen lassen. Im Rumbaklub bestellt sie Campari, oder andere Feinheiten, die viel kosten. Es spielt ja keine Rolle. Das Getränk braucht nicht mal zu schmecken. Man schmeckt nicht mehr in der Neuen Zeit. Leilondas Herren müssen makellos sein, selbst für die paar Stunden Lust. Mehr braucht Leilonda nicht, auch den Herren ist das nur Recht. Makellos hat der Wuchs zu sein, die Kleidung, das Konto, auch das Gemächt. So ist Leilonda eben. Anspruchsvoll. Sie kann es sich leisten.

Ramp besucht den Rumbaklub regelmäßig. Ein wahrer Kerl in florentiner Tuch. Dreitagebart nach neuester Mode geschnitten. Keinen Millimeter weicht ein Barthaar vom anderen ab. Das schwarze Haar mit Gel verglänzt. Am Körper auch Dreitagebärte, überall, eine neue Dienstleistung der Neuen Zeit. Wenn Ramp erscheint, wird’s still im Rumbaklub. Ramp hat so breite Schultern, so schönen Wuchs. In teuren Turnstudios auf Maschinen gewachsen. Gänsehaut rieselt über die Rücken der Damen, auch so mancher Herren. Bewundernde Blicke himmeln zu Ramp. Erfolg hat er mit Rechnerprogrammen. Kungeln kann er der Ramp. Ränke schmieden, Krieg führen, unerbittlich, so setzt er sich durch. Schnell muss es gehen, immer schneller. Auch mit der Lust. Ramp mochte Leilonda eine Zeit lang, ist sie doch wie er.

Endlich! Leilonda hat den Klub betreten. Kalte Küsschen auf Ramps Wangen, wächsernes Lächeln. Gonz’ Herz pocht heftig. Immer stärker hämmert das weiche Herz gegen die weiche Brust. Nicht eines Blickes würdigt sie ihn. All seinen Mut nimmt er zusammen, geht auf sie zu. Leilondas knallige Wachslippen heucheln ein Lächeln. Eisig kalt berühren ihre Hände seinen Unterarm.

„Kennen wir uns?", flüstert sie gleichgültig. Gonz schüttelt zaghaft den Kopf. Schlanke Finger mit roten Krallen betasten den Bauch, fahren durch die Knopfleiste zur behaarten Haut. Leilonda wendet sich ab. Zu dick sei er, meint sie und auch Herren sollten die Behaarung zeitgemäß bearbeiten lassen. Angewidert von Gonz’ haariger Weichheit, seiner Scheu, stolziert sie fort, um Ramp zu umgarnen. Doch Ramp ist Leilondas mittlerweile überdrüssig. Derzeit bevorzugt er die quirlige Tutu, die jeden Samstag aus einem anderen Land stammt und nur Englisch spricht, wie es sich eben gehört. Tutu ist jünger als Leilonda und so wundervoll exotisch. Tanzen kann sie. Wild schwingt sie ihre Hüften zu Allerweltsmusik. Künstliches Knallen und Tutus Hüften, das Leben ist wunderbar. Tutu ist sehr beliebt im Rumbaklub.

Gonz sperrt sich auf dem Klo ein und weint. Geekelt hat ihr vor ihm, vor seiner Sanftmut, seiner Scheu, seinen Haaren, seinem Bauch. Man hatte ihm beigebracht, dass Weinen verboten sei. Auf dem Klo denkt er, könne ihn ja keiner sehen.
„Weg hier", schreit es in ihm. „Nur weg hier!"
An der Tür zur Bar begegnet ihm Tutu in einem Nebel aus Schweiß und Parfum.
„Hallo Putzi", quiekt sie mit anglophonem Akzent, „na amüsierst du dich? Ganz rote Augen. Zu viel Ramtatam reingezogen wie!"
„Ja!" Gonz schluckt, sein Hals hat einen Knoten vom Heulen.
„Zu viel Ramtatam!"

Gonz verlässt den Rumbaklub, für immer. Leilonda kocht vor Wut. Der stählern schöne Ramp hat sie zurückgewiesen. Ein Mischgetränk verlangt sie, stürzt das Kaltflüssige die Kehle hinunter. „Noch eines", giert sie die Kellnerin an, „aber flott! Ja!"
Tutu ist erschöpft. Sie bläst die Luft aus geblähten Backen, betritt den Raum auf dessen Türe „Privat" in Messinglettern prangt. Der Leiter des Klubs ist zufrieden.
„Wie viel krieg ich jetzt?", fragt Tutu in einheimischem Dialekt.
„Nun gut, sagen wir hundert Sesterzen!", brummt der Schneidige hinter dem Eichenholztisch.
Enttäuscht nimmt Tutu die Banknote. So viele Stunden Tanzen, Schaustellen und nur hundert Sesterzen. Sie faltet den Geldschein, steckt ihn in den Ausschnitt des Arbeitskleides. Ramp der stählerne Krieger. Seine Lust wird nun zur Bezahlung der Studiengebühren beitragen. Tutu muss eben noch ein paar Stunden so tun als ob.

Betrunken wankt Leilonda aus dem Lokal. Kreischt und winkt ein Taxi herbei. Enttäuscht ist sie und zornig. Ramp, der schöne Krieger, hat sie zurückgewiesen. Der Lenker erweckt in ihr Verlangen. Leilonda giert nach Mann. Jung ist er, riecht nach Seife aus dem Großmarkt.
„Macht ja nichts", lallen die Gedanken.
„Auch wenn er ein..."
Größer wird ihre Gier, wächst an, überwältigt sie.

Ob er für vierhundert Sesterzen noch mit ihr ginge. Der Lenker zögert. Vierhundert Sesterzen. Kinderkleidung, eine Kleinigkeit für seine Frau. Das Geld reicht ohnehin hinten und vorne nicht. Einmal die Miete pünktlich bezahlen können. Beider Arbeit reicht kaum zum Leben. Er willigt ein. Leilonda riecht und spürt Mann. Im Geiste einen erfolgreichen Edelmenschen vor sich habend, kann sie sich in wildem Entzücken erfreuen. Seufzend nimmt der Lenker die Banknoten. Kinderkleidung, eine Kleinigkeit für die Frau.

 

Guten Morgen Echnaton,
gute Geschichte. Das Unechte von Leilonda, Ramp und Tutu (Namen sind sehr passend zum Charakter) kommt gut raus, oder eben insgesamt die Suche nach Liebe, die sich längst auf die Suche nach Sex oder wenigstens ein bisschen Anerkennung, Bewunderung, Blicke, degradiert hat. Es gibt keine wirklichen Gefühle mehr, ausser dem Weinen im Klo. Springt er nachher von einer Brücke oder beschliesst er, auch ohne Leilonda leben zu können?
Die Sprache passt gut, der leicht ironische auktoriale Erzähler formuliert kurze Sätze, sehr gut ist die Umstellung des Satzbaus (objekt/adjektiv, verb, sub) an manchen Stellen, wirkt so "näher dran" am Geschehen.

Grüße,
lanka

 

Servus Lanka,

danke fürs Lesen und Dein Kommentar. Was mit Gonz im Endeffekt geschieht, überlasse ich der Phantasie des Lesers.

Grüße

Echna

 

Hallo Echnaton!

Deine Geschichte hat mir ausgezeichnet gefallen. Die Charaktere, die Du bescrheibst, kommen alle sehr klar bei mir an. Leilonda in ihrem verletzten Stolz, sehr gut gemacht. Auch Tutu, eigentlich so das Gegenteil von ihr, Ramp... sehr gut geworden, keiner der Charactere bleibt blass.
Am besten gefallen mir die Stellen mit Gonz, der so verschieden ist. Und dennoch, Leilonda und Tutu leiden auf andere Art auch...ebenso wie der Taxifahrer.
Eigentlich hast Du hier nur ein Bild von unglücklichen Menschen gezeichnet, die sich gegenseitig kaufen und verletzen.
Eins ist mir aufgefallen: Sesterzen? Erinnert mich ans alte Rom, passt aber ncith recht zu den restlichen Beschreibungen, finde ich.

liebe Grüße
Anne

 

Servus Maus,

danke wieder mal fürs Lesen. Freut mich, daß es Dir gefallen hat, daß die Charaktere rübergekommen sind, sowie die verinnerlichte "Vermarktung" der Menschen.

Die Sesterzen bleiben aber. Unsere Währung hat einen zu sterilen Namen, als daß sie für literarische Texte tauglich wäre, deshalb eben Sesterzen. Hätte ich Kronen, Gulden, Mark, Schilling genommen, wär's zu stark ortsgebunden, ich wollt halt die "Neue Zeit" beschreiben, mit einem leichten Anstrich von Irrealem, ich nenn den Euro persönlich oft scherzhaft Sesterze im Gespräch...

liebe Grüße

Echna

 

so ist er weiterhin am Träumen.
da fällt mir nur ein: Die Kuh am Schwanz am raus am Ziehen... :lol: sagt man das heute noch so?

Ansonsten fand ich es sehr gut, wie die Charaktere ausgearbeitet wurden, und wie sich all ihre Schicksale im Rumbaklub treffen und doch nur einander kurz "berühren".
Ein toller melancholischer Tanz der Charaktere...

 

Hallo Yva,

danke fürs Lesen. Diese Form ist durchaus gebräuchlich

siehe Duden Grammatik, Punkt 124:

am, beim und im bilden in Verbindung mit sein und einem substantivierten Infinitiv die Verlaufsfom, die den gesamten Vorgang oder Zustand ohne zeitliche Begrnezung erscheinen läßt. Die Verwendung von am ist landschaftlich (v.a. Rheinland, Westfalen), die von beim und im auch standardsprachlich. ...

Bei uns in Österreich schreibt man auch "am", somit hat es doch weitreichende Gültigkeit.

Freut mich, daß Dir die Geschichte gefallen hat.

danke nochmals und liebe Grüße

Echna

Servus Carlotta,

danke fürs Lesen auch Dir. Die Charaktere waren eigentlich unecht und deshalb bleibt nicht viel hängen, vermut ich mal. Unechte Charaktere, die sich nebelhaft verstellen und verbergen bleiben nicht so leicht haften... Der Vordergrund war das Zusammentreffen der Menschen in der Neuen Zeit, das stimmt schon.

Kungeln: abwertend etw. in geheimer Absprache entscheiden, abschließen z.B.: um Posten kungeln

eigentlich intrigieren, Ränke schmieden

sicher nicht sehr geläufig, aber ich laß es trotzdem, weil's mir gefällt.

Danke nochmals fürs Lesen und für Dein Kommentar

liebe Grüße

Echnaton

 

Hallo Echnaton,

eingängig beschreibst Du die abgehobene Stimmung in dem Club. Die Stolze wird von der neuen, jüngeren Frau in den Schatten gestellt, die Abweisende wird abgewiesen, alles wirkt dekadent und vergänglich, ohne bleibende Werte.
„Das Getränk braucht nicht einmal zu schmecken“ - dies erinnert mich an ein Cartoon über ein Yuppie- Pärchen im Nobelrestaurant: `Herr Ober, wir haben zwar keinen Hunger, aber es darf ruhig etwas kosten´.
„Ihre grünen Augen ... suchen“ - hier fehlt die Erwähnung `von was´.
„Sie tänzelt sich“ - weiß nicht, ob das ein Stilmittel sein soll, normalerweise sagt man `sie tänzelt´.
„verschwitzt parfümierte“ - klingt, als ob sie sich mit Schweiß, oder während des Schwitzens parfümiert.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

danke fürs Lesen. Das mit verschwitzt parfümiert hab ich jetzt geändert, das andere laß ich, das war Absicht. Danke auch fürs Kommentar.

liebe Grüße

Echna

 

Hallo Echnaton,

ich finde auch nicht, dass du irgendwas an dieser Geschichte ändern solltest. Auch wenn ich mich in der Realität ja weigere, die Kälte der neuen Welt anzuerkennen, hast du sie in ihrer Oberflächlichkeit treffend beschrieben. Nichts kann die Leere in deinen Protagonisten füllen, egal wie sie es versuchen. Sie suchen in den Gläsern der Drinks, in den Leibern der Menschen, in ihrem Perfum, dem Aussehen, nur nicht in ihrer Seele.
So schauen sie immer an ihrer Erfüllung vorbei, ganz Opfer und Täter ihrer Zeit. Das liest sich sehr deprimierend, und es ist ein Glück, dass man sich ja auch anders entscheiden kann.
Dabei hilft einem deine gute Geschichte.

Lieben Gruß, sim

 

Servus Sim,

danke auch Dir fürs Lesen. Freut mich, daß die Geschichte Anklang findet. Mit dem Schweiß und dem Parfum hab ich doch etwas geändert, da es vielleicht beim Leser etwas zu verwirrend wirkt, das andere hab ich ohnehin gelassen, da es volle Absicht war.

Unsere Zeit ist deprimierend. Ihc empfinde es so. Der Arbeit, dem Job (wie man so schön auf Neu-Denglisch sagt) alles zu opfern, um nicht unterzugehen un diese entsetzliche daraus entstehende Leere. Dieses Trampeln, Sich-selbst-oben-halten-müssen, koste es was es wolle, ohne Rücksicht auf Verluste. Immer bereit sein müssen, alles opfern. Seele? Wer braucht das schon!

Man kann sich anders entscheiden, doch schwierig ist dieser Weg. Für die Gonz' gibt's nix mehr...

Ich verweigere dieser Neuen Welt ebenfalls die Anerkennung und betrachte sie als Fellini-Film, so als ob ich vor der Leinwand säße und mich das ganze eigentlich nichts anginge...

Danke für Dein Kommentar, hab mich sehr gefreut drüber

liebe Grüße

Echnaton (Urwiener, unflexibel, undynamisch, raunzert und skeptisch-pessimistisch, vollkommen altmodisch und vergangenheitsorientiert, ein Urwiener eben)

 

Hallo Echnaton,
eine sehr schöne Geschichte, die ich gerne gelesen habe. Du beschreibst vier Charaktäre, wie sie unterschiedlicher gar nicht sein könnten, und doch haben sie alle etwas gemeinsam, nämlich die Suche nach etwas Liebe und Anerkennung in der Anonymität der Neuen Welt.
Das Wort "kungeln" kannte ich übrigens auch nicht, ist das ein typisch österreichisches Wort?

LG
Blanca

 

Hallo Blanca,

danke fürs lesen und Dein kommentar. Freut mich, daß Dir die Geschichte gefallen hat.

bez. kungeln:

laut Duden nicht spezifisch österreichisch. Schwaches verb, wird sogar als umgangssprachlich bezeichnet. Es ist glaub ich ein sehr selten verwendeter Ausdruck.

danke nochmals

lg

Echna

 

Hallo Echnaton,

immer wieder lese ich Deine Geschichten gern - so auch diesmal. Ich konnte wirklich in die Welt eintauchen, die Du da beschrieben hast. Du hast die Charaktere wirklich gut gezeichnet, da kann man nicht meckern.
Leilondas Oberflächlichkeit kommt voll zur Geltung.

Grüßle,
stephy

 

Liebe Stephy, lieber Lanbanc

danke Euch fürs Lesen, freut mich, daß sie Anklang gefunden hat.

. Klingt österreichisch,

Tja, ein Urwiener schreibt eben so. Du kennst das Havanna?

liebe Grüße

Echna

 

Servus Echnaton.
gefiel mir gut, dein Streifzug durch die Nacht.
bei Sesterzen musste ich innerlich grinsen, wie im alten Rom, Brot und Spiele... darum ging es ja auch hier...
Lord

 

Lieber Lord,

danke fürs Lesen. Freut mich, daß Dir die Geschichte gefallen hat. Wie ich schon vorhin erwähnt habe, ist mir Euro einfach zu steril, deshalb Sesterze

liebe Grüße

Echna

 

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