Was ist neu

Lenz 2006

Seniors
Beitritt
12.04.2007
Beiträge
6.547
Zuletzt bearbeitet:

Lenz 2006

Lenz 2006


Den 15. November fährt Lenz in aller Früh mit dem Fahrrad übern Kiesberg.

Vom fernen Christ König schlägt’s sieben und es ist dunkel und kalt an diesem Mittwoch, doch immerhin trocken. Das Wetter aber lässt Lenz diesen Herbst als einen nicht enden wollenden April erscheinen.

Lenz nimmt seinen beschwerlichen Weg vom Beginn der Göttinger Straße an, die er in östlicher Richtung befährt. An der Cloppenburger Straße schlägt er einen linken Haken und wird beinah von einem polternden Müllwagen umgenietet. Nun nimmt er den Weg am westlichen Rand des Darmer Waldes entlang bis er die Kiesbergstraße erreicht. Lenz schlägt einen rechten Haken und erklimmt den Hügel, der sich als ein Berg gebärdet, nach Osten hin. Rechter Hand auf sandigem Boden der graue Nadelwald, vorbei an Friedensschule, Tennisplätzen und einer Wohnanlage des Christopherus Werkes geht es über die Anhöhe in einem weitausholenden linken Bogen wie im Rausch den Kiesberg hinab Richtung NNO. Da kaum Verkehr ist, kann Lenz sich 40 km/h leisten und auf der Straße fahren, denn der Fahrradweg ist in schlechtem Zustand und ab & an von Abfalltonnen versperrt. Lenz hat kein Auge für die Landschaft, aber auch nicht für das bisschen Straßenverkehr, allein für die verbliebenen Pfützen der vergangenen Regentage interessiert er sich, um sie mit leichten Schlenkern zu umfahren, denn Lenz ist für seine Verhältnisse fein gekleidet und die Hosenbeine sollen keinen Spritzer abbekommen: Nicht am ersten Tag! Es gilt, um 7.30 Uhr an der neuen Arbeitsstelle am alten Flugplatz zu sein.

Genau vier Wochen und elf Stunden später wird Lenz die andere Straßenseite befahren. Ein starker Wind wird ihm entgegenblasen, um die Heimfahrt zu erschweren. Ihm wird sein als führ’ er auf dem Kopf und es purzelten schlimme Gedanken aus dem Schädel und der reichliche autoimmobile Verkehr linker Hand, - der ihm anmutete wie der Verkehr in einem der vielen Ballungsgebiete dieser Welt, - wälzte die Gedanken platt. Der Kopf wird schließlich leer sein und Lenz wird doppelt so lange für den Rückweg brauchen als in den Wochen zuvor.

Doch noch ist der 15. November und nicht Mittwoch, der 13. Dezember 2006. Abwärts führt die sausende Fahrt. Selbst als die Kiesbergstraße abflacht fährt er einen guten Lauf. Wo die Frerener Straße seinen Weg kreuzt nimmt Lenz den Kreisverkehr mit hohem Tempo, doch nach einem kurzen Stück Josefstraße wird der Lauf durch eine rote Ampel abgebremst. Lenz fährt nahezu im Stand an die Ampel heran und muss doch anhalten und den rechten Fuß aufs Pflaster setzen.

Lenz wird bald meinen & behaupten, dass diese Ampelanlage geschaltet sei zugunsten der Verkehrsteilnehmer auf der Lengericher Straße, obwohl sich vom Kreisverkehr bis weit hinter der Ampelanlage der Verkehr auf der Josefstraße staut, wenn er in den Feierabend fahren will. Was uns hier nur am Rande interessieren muss.

Eine Woche bevor er das erste Mal im Angesicht St. Josephs auf ein grünes Zeichen warten muss, fand sich eine Stellenanzeige der Ltd. Co. KG, - offensichtlich ein Unternehmen der Metallbranche, - in der Tagespost, auf die Lenz sich ohne Zögern per Fax bewarb. Für solche Fälle hatte Lenz ein Paket Bewerbungsunterlagen bereitliegen, - sowohl virtuell als auch real, - dass er nur noch ein Anschreiben verfassen musste, in welchem er auf die Anzeige einging, und das er eigenhändig unterschrieb. Am Tag darauf wurde bereits ein Vorstellungstermin vereinbart für den folgenden Montagmorgen, den 13. November, 9.00 Uhr.

An diesem Montagmorgen verhandelte Lenz mit Frau & Herrn Ltd, beide wohl an die 60 und mehr Jahre alt und, wie der Name verriet, Eigentümer des Unternehmens. Nach der Vorstellung und dem Austausch von Floskeln und Höflichkeiten, - Lenz sollte bald erfahren, dass es wirklich Höflichkeiten waren, die ausgetauscht wurden, - und ersten Informationen deuteten die Eheleute an, dass sie Lenz sofort bräuchten, eher noch Gestern als Morgen. Lenz hatte also trotz seiner 56 Jahre die Stelle gewonnen, doch wurde vorher seine Gehaltsvorstellung um ein Viertel heruntergeschraubt, mit der Aussicht, dass ein Drittel wieder drauf käm’, sobald er eingearbeitet wär. Denn das Unternehmen befand sich in einer Betriebsprüfung und der vormalige Buchhalter, der zugleich Prokurist der Firma gewesen war, ein Herr Uriah Heep, dieser Mensch also war der Geschäftsführung unterdes durch fristlose Kündigung abhanden gekommen. Man einigte sich auf den Mittwoch, also Übermorgen als Dienstbeginn.

Die Ampel springt auf grün und wie besessen tritt Lenz in die Pedale, um in die Gänge zu kommen und wieder anständig an Fahrt zu gewinnen. An der Josefstraße nutzt er nun den Fahrradweg, der schlecht gepflastert ist und holprig, was dem Gesäß nicht gut tut. Auf der geruhsameren Fahrt zwei Tage zuvor hat er sich gemerkt, dass er an einem Hinweisschild „Zur Bowlingbahn“ rechts abbiegen muss.

Nach dem Vorstellungsgespräch an diesem Montag war Lenz mit seiner Lebensgefährtin chinesisch essen gegangen. Zufällig trafen sie hier Wolfram, einen ehemaligen Wirtschaftsprüfer, der Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts seinen mehr als gut bezahlten Dienst bei der Treuhand quittierte, da die Verhökerung ostdeutschen Vermögens an die westdeutsche Konkurrenz gegen weniger als einen symbolischen Wert seinem Sinn für Gerechtigkeit zuwiderlief. Die drei kamen ins Gespräch und Wolfram freute sich mit dem Paar über die gefundene Anstellung. Wolfram warnte aber auch: an dem Stellenangebot musste etwas faul sein, denn ungewöhnlich sei, dass ein Bewerber vom einen auf den andern Tag mit der Arbeit beginnen könne, kaum dass er noch notwendige Angelegenheiten wie zum Beispiel Besorgung und Abänderung der Lohnsteuerkarte regeln könnte. Lenz war bisher nur aufgefallen, dass seinem Vorgänger von einem Tag zum andern die Arbeitsstelle und der Titel aufgekündigt worden war und zwar genau an dem Donnerstag, an dem der Vorstellungstermin vereinbart wurde. Diese Tatsache löste in Lenz ein Unbehagen aus, dass er das Essen schon als Henkersmahlzeit ansehen wollte. Denn wie sollte ein Ahnungsloser das Unternehmen durch die Betriebsprüfung lotsen?

Da sieht Lenz den Hinweis „Zur Bowlingbahn“ und biegt rechts ab. Es ist noch ein ganzes Stück durch brachliegende Ackerflächen zu fahren, dann unter der Umgehungsstraße hindurch ins Gewerbegebiet am Funkturm. Bei Sauwetter wird’s auf diesem letzten Stück schweinisch werden, denkt Lenz.

In einer halben Stunde wird Lenz manches über den Betrieb erfahren. Frau Ltd obliegt die Geschäftsführung und sie heiße nicht Ltd, wie die Firma vorgaukele, vielmehr sei sie eine geborene Gräfin Marizza und sie lege Wert auf eine korrekte Anrede. Dem Bewerber und Unwissenden von Vorgestern sehe man diesen Mangel der inkorrekten Anrede großmütig nach. So sei denn auch ihr Gatte, Herr Ltd nur in diesen bürgerlichen Namen hineingeboren und durch die Heirat durchaus zum Grafen aufgestiegen. Zudem wird Lenz erfahren, dass der Graf, der sich als Sabbeltasche und Dummschwätzer herausstellen wird, ein begnadeter Hubertusjünger ist und jeder Rock von ihm erlegt würde, der nicht bei drei auf dem Baume sei!

Bald wird Lenz durch den Betrieb geführt werden. Er wird Gesichter sehen, Namen hören, die er erst einmal wieder vergessen wird. Lenz wird erfahren, dass der Produktionsbetrieb dreischichtig fahre und zugleich zweigleisig: in der Metallverarbeitung wie auch am Bau. Man sei keinem Arbeitgeberverband angeschlossen und somit an kein Tarifrecht gebunden. Die gesetzlichen Vorgaben knechteten den Unternehmer eh schon genug.

Die Verwaltung arbeite in der 39,5-Stunden-Woche von Montag bis Freitag ab ½ 8 bis 17 Uhr. Wie er sich leicht ausrechnen könne bedeute das 90 Minuten Pause, die er sich einteilen mag, wie er wolle. Das will Lenz freilich vorkommen wie ein geteilter Dienst, den er nur aus dem Gesundheitswesen und dem Einzelhandel kennt. Sechs Leute bilden die Verwaltung: das Unternehmerehepaar, ein gerade fertig gewordener Auszubildender der Ltd. Co. KG und zwei Auszubildende. Schon bei der Vorstellung im Produktionsbetrieb ist Lenz aufgefallen, dass es hier keine Auszubildenden gibt. Er wird denken, dass ein Azubi nur den Ausbilder von der eigentlichen Arbeit, eben der Produktion abhalte. Nicht dagegen die beiden kaufmännischen Auszubildenden, bei denen die Geschäftsführung bedauert, dass sie durch zwei Berufsschultage in der Woche der produktiven Arbeit und der Mehrung des Volksvermögens, insbesondere aber der Mehrung des Vermögens der Familie von Marizza ausfielen, denn die kaufmännischen Azubis können bereits nach kurzer Einarbeitung so weit als möglich vollwertig eingesetzt werden, da die Tätigkeiten weitestgehend automatisiert sind.

Von Anfang an wird die Automatisierung ein besonderes Problem darstellen, durch das es auch einen ersten Reibungspunkt zwischen Lenz und der Geschäftsführung gibt: in der Verwaltung wird überwiegend mit einer Software gearbeitet, in der Lenz sich gut auskennt und mit der er wie im Schlaf umzugehen weiß. Leider hatte Herr Heep, der gewesene Prokurist, für seinen Bereich eine andere Software ausgewählt, mit der kein anderer im Betrieb Beschäftigter umzugehen weiß und deren Bezeichnung Lenz zum ersten Mal hört. Nun gut, er wird damit umzugehen lernen, aber auf seine Anfrage hin, ob und wann er denn ein Seminar in der Software besuchen könne, - und sei’s nur ein Crash-Kurs, - da wird ihm beschieden, dass er sich darum selber zu kümmern habe, denn er komme dem Hause Marizza eh teuer genug. Seine Aufgabe sei auch weniger das eDV-System als zunächst herauszufinden, welchen Schaden Uriah Heep angerichtet habe. Dazu habe Lenz innerhalb des Betriebes freie Hand!

Nach Einsicht erster Bücher wird Lenz auffallen, dass das Rechnungswesen seit Jahren nicht ordnungsgemäß geführt wurde, dass ihm für seine Zukunft zunächst fürchterliches schwant. Transaktionen können oft nicht nachvollzogen werden. Periodische Endbestände stimmen nicht überein mit den Anfangsbeständen der nachfolgenden Periode.

Neugierig wird Lenz nun auf das Ergebnis der Betriebsprüfung.

Vierzehn Arbeitstage lang wird Lenz nachmittags vom Grafen genervt, der konkrete Ergebnisse wissen will und von seiner Jagdleidenschaft plappert und was für ein toller Hecht er sei. Nach drei Wochen, 30 und mehr Ordnern mit Kassenbelegen, Bankauszügen, Aus- und Eingangsrechnungen, Beleg über Belegen, hunderten von Buchungsjournalen und einem Wust von Lenz’ eigenen Notizen wird der Schaden sich beziffern lassen. Doch nun wird Lenz durch die Steuerfahndung geschockt werden: drei Pkws fahren auf den Betriebshof und spucken jeweils zwei junge dynamische Burschen aus, die den Betrieb für einen halben Tag blockieren und auf den Kopf stellen. Lenz wird keine Auskunft geben (können) und kommt über die Arbeitsstelle stark ins Grübeln.

Am nächsten Tag wird Lenz der Geschäftsführung erste konkrete Ergebnisse seiner Forschung geben. Als er dann nach der Mittagspause vom Stuhlgang zurückkommt liegt ein Arbeitsvertrag in doppelter Ausfertigung auf seinem Schreibtisch: ein Zeitvertrag. Langsam hätt’ er wissen müssen, dass jede Neueinstellung der Ltd. Co. KG nur auf Zeit erfolgt und er mit Sicherheit keine Ausnahme dieser Regel bildet. Dennoch wird Lenz schlucken: erst vor Enttäuschung, dann den Vertrag. Rasch wird die Geschäftsführung das Thema wechseln und Verstärkung durch den Gatten bekommen, denn beide sind aufgeregt und nervös und es klagen beide, dass sie für diesen Freitag vors Arbeitsgericht geladen seien. Was ihnen noch nie passiert sei! Also meint Lenz locker, dass Herr Heep, der gewesene Prokurist, eine Abfindung erzwingen will, und verrät denen von Marizza, wie man sich beim Gütetermin tunlichst verhalten sollte und dass man selber am Verhalten des Arbeitsrichters erkennen könnte, zu welcher Partei der neige.

Lenzens Engagement wird noch fünf Arbeitstage andauern und nach genau vier Wochen bei der Ltd. Co. KG wird die Geschäftsführung Lenz verraten, dass man ihn nicht mehr bräuchte. Was sie nicht verrät ist, dass die Kündigung des gewesenen Prokuristen von formalen Fehlern strotzte und der Gekündigte am besten wieder einzustellen sei, - am besten sofort. Andernfalls drohe eine hohe Abfindung

Den 15. November fährt Lenz um ¼ nach 7 Uhr auf den Hof und stellt sein Fahrrad vor die Werkshalle der Ltd. Co. KG. Der Anbau zur Rechten mit der Verwaltung ist noch dunkel, die Tür geschlossen und wird erst Punkt ½ 8 Uhr vom Hausherrn aufgeschlossen werden. Der Bungalow links von der Werkshalle ist hell erleuchtet. Hier leben die Ltd relativ bescheiden und in der Nähe Schwerins leben die von Marizza wie die Fürsten.

Was Lenz hier in den nächsten vier Wochen wirklich erleben wird, lässt sich nicht in einer 1/4 Stunde erzählen und ist eine andere Geschichte.

 

Hallo Friedrichard!

"Lenz 2006" => Also, bei dem Titel denke ich an den Frühling und nicht an November.

"lässt Lenz diesen Herbst als einen nicht enden wollenden April erscheinen." => Wieso? Hat es keinen Sommer gegeben? Ansonsten gilt doch auch der November als nass, regnerisch, wechselhaft.

"Weg vom Beginn der Göttinger Straße an, die er in östlicher Richtung befährt. An der Cloppenburger Straße" => Sind die ganzen Straßennamen für den Leser wichtig? Ich denke nicht, denn ich weiß ja nicht mal, in welcher Stadt sich dein Protagonist befindet (die Berge sagen mir auch nichts - das klingt ohnehin sehr nach Reisebericht).

"wird beinah von einem polternden Müllwagen umgenietet. Nun nimmt er den Weg" => Er wird beinahe umgenietet und es interessiert ihn nicht. Stattdessen wird weiterhin der Weg beschrieben. Damit kannst du nicht gerade auf Leserfang gehen.

"ab & an von Abfalltonnen" => Bitte! Bist du zu faul, drei Buchstaben zu tippen? Auch die anderen Abkürzungen solltest du dir in einem literarischen Text sparen.

"Lenz ist für seine Verhältnisse fein gekleidet und die Hosenbeine sollen keinen Spritzer abbekommen: Nicht am ersten Tag!" => Dann habe ich die Hoffnung, dass doch noch eine Geschichte folgt. Alles, was vor dieser Stelle kam, könntest du auf etwa zwei Sätze kürzen.

"Genau vier Wochen und elf Stunden später wird Lenz die andere Straßenseite befahren." => Und gleich im folgenden Satz nimmst du die Spannung wieder raus? Was soll dieser Vorausblick?

"Ihm wird sein als führ' er auf dem Kopf und es purzelten schlimme Gedanken aus dem Schädel und der reichliche autoimmobile Verkehr linker Hand, - der ihm anmutete wie der Verkehr in einem der vielen Ballungsgebiete dieser Welt" => Dieser Stil passt nun überhaupt nicht zu dem, den du bisher benutzt hast.

"fährt er einen guten Lauf." => merkwürdige Formulierung

"Wo die Frerener Straße" => Hörst du mit deines stadtplanhaften Beschreibung irgendwann auf, bitte?

"Was uns hier nur am Rande interessieren muss." => Warum schreibst du es denn? Du langweilst deine Leser (zumindest mich) beinahe zu Tode!

"Nach dem Vorstellungsgespräch an diesem Montag war Lenz mit seiner Lebensgefährtin chinesisch essen gegangen" => Nee, sorry, aber wo ist die Geschichte? Alles was ich da lese, sind stinklangweilige Nebensächlichkeiten.

"an dem Stellenangebot musste etwas faul sein" => Die paar Brocken, die deinen Text interessant machen könnten, versteckst du leider im einem nicht-enden-wollenden Wortschwall.

"der sich als Sabbeltasche und Dummschwätzer herausstellen wird" => Ich verkneife mich zu fragen: Wer wohl noch? (Ups.)

"Bald wird Lenz durch den Betrieb geführt werden." => Warum schreibst du nicht was ist? Was sein wird (oder auch nicht) ist doch uninteressant.

"Was Lenz hier in den nächsten vier Wochen wirklich erleben wird, lässt sich nicht in einer 1/4 Stunde erzählen und ist eine andere Geschichte." => Vermutlich soll der Leser jetzt lachen. Ich tue es nicht. Ich frage mich, warum du den Text geschrieben hast und warum du vom Leser erwartest, dass er daran Interesse finden sollte.

Sorry, damit kann ich nun absolut überhaupt nichts anfangen.

Grüße
Chris

 

Grüß Dich, Chris,

nach exakt elf Wochen und einem Tag wagt sich jemand an den Lenz. Hätt ich nie gedacht, dass es so lange dauern kann, bis überhaupt eine schriftliche Reaktion erfolgt bei einem Text, der sich jeder Zweideutigkeit enthält!

Schon allein dafür gebührt Dir Dank!

Im einzelnen zu Deinen Anmerkungen:

1) „"Lenz 2006" => Also, bei dem Titel denke ich an den Frühling und nicht an November.“
Nun also, Dein zweiter Satz zeigt, dass Du nicht bei diesem Gedanken erlegen bist (siehe 2)). Gleichwohl: Der Titel klingt an Büchners fragmentarischen „Lenz“ an, der bekanntlich am 20. durchs Gebirg ging. Und Lenz ist ein Hausname wie Müller, Maier oder auch Sommer und Winter oder „Hartung“ (kämst Du da auf den Gedanken, der Januar könnte gemeint sein?)

2) „"lässt Lenz diesen Herbst als einen nicht enden wollenden April erscheinen." => Wieso? Hat es keinen Sommer gegeben? Ansonsten gilt doch auch der November als nass, regnerisch, wechselhaft.“
Soweit richtig. Allein der November 2006 wusst nicht, was er will, und glich deshalb dem April. Zu warm (nicht ein Frosttag hierzuland'!), ständiger Wechsel zwischen Sonne, Wolken, Regen. Oft gleichzeitig eine stechende Sonne und Schauerwetter. Halt wie ein April.

3) „"Weg vom Beginn der Göttinger Straße an, die er in östlicher Richtung befährt. An der Cloppenburger Straße" => Sind die ganzen Straßennamen für den Leser wichtig? Ich denke nicht, denn ich weiß ja nicht mal, in welcher Stadt sich dein Protagonist befindet (die Berge sagen mir auch nichts - das klingt ohnehin sehr nach Reisebericht).“
Für Lenz war der Weg zur Arbeit allemal wichtig und, Treffer, Chris, es ist ja auch eine viertelstündige Reise und die Reise ist auch die Zeit des Lesers. Wenn Du mit Lenz um 7.00 Uhr morgens auf den Weg kommst, bistu um 7.15 am Werktor. Die Namen tun nichts zur Sache, folglich auch nicht der Ortsname. Der bleibt verschwiegen, um Lenz keinen Ärger zu bereiten. (Vgl. auch Pkt. 10))

4) „"wird beinah von einem polternden Müllwagen umgenietet. Nun nimmt er den Weg" => Er wird beinahe umgenietet und es interessiert ihn nicht. Stattdessen wird weiterhin der Weg beschrieben. Damit kannst du nicht gerade auf Leserfang gehen.“
Logisch, dass Lenz nichts unternimmt, denn er will auf keinen Fall zu spät zur Arbeit kommen.

5) „"ab & an von Abfalltonnen" => Bitte! Bist du zu faul, drei Buchstaben zu tippen? Auch die anderen Abkürzungen solltest du dir in einem literarischen Text sparen.“
Ertappt! Ich bin faul in den Augen kleinbürgerlicher Mentalität und ich mach am liebsten nur das, woran ich Spaß find.

6) „"Lenz ist für seine Verhältnisse fein gekleidet und die Hosenbeine sollen keinen Spritzer abbekommen: Nicht am ersten Tag!" => Dann habe ich die Hoffnung, dass doch noch eine Geschichte folgt. Alles, was vor dieser Stelle kam, könntest du auf etwa zwei Sätze kürzen.“
Man könnte viel, z. B. die Geschichte bis zur gänzlichen Unkenntlichkeit verdichten und dann anschließend eine Interpretation schreiben. Dann wär aber Form und Inhalt dieser Geschichte im A…! Die erste Fahrt dauert exakt 15 Minuten. Wenn Du die Geschichte einem anderen laut vorliest, dauert sie exakt … Na, Du könntest unterwegs vom Fahrrad fallen oder den Müllwerkern drohen. Also bei mir dauert das laut Vorlesen ¼ Stunde, wie auch die Strecke von A (Wohnung) nach B (Arbeitsstelle).

7) „"Genau vier Wochen und elf Stunden später wird Lenz die andere Straßenseite befahren." => Und gleich im folgenden Satz nimmst du die Spannung wieder raus? Was soll dieser Vorausblick?“
Genau den Unterschied darstellen zwischen der Rahmenhandlung, der ersten Hinfahrt zur und der letzten Rückfahrt von der Arbeitsstelle. Hin – so schnell wie möglich, zurück so langsam wie möglich.

8) „"Ihm wird sein als führ' er auf dem Kopf und es purzelten schlimme Gedanken aus dem Schädel und der reichliche autoimmobile Verkehr linker Hand, - der ihm anmutete wie der Verkehr in einem der vielen Ballungsgebiete dieser Welt" => Dieser Stil passt nun überhaupt nicht zu dem, den du bisher benutzt hast.“
Ich benutz üblicherweise gar keinen Stil. Ich bin stillos, wahrscheinlich ein ungehobelter Klotz & (!) Banause. –
Aber im Ernst: Ich versuche alle Zeitformen, wo’s nötig ist, anzuwenden. Wofür haben wir sie, um sie dann nicht zu verwenden?

9) „"fährt er einen guten Lauf." => merkwürdige Formulierung“
Denkwürdiges Problem!

10) „"Wo die Frerener Straße" => Hörst du mit deines stadtplanhaften Beschreibung irgendwann auf, bitte?“
Deine Bitte sei erhört: Wenn Lenz ankommt. Selbst Büchners Lenz kommt an. Aber über diese „stadtplanhafte“ Nennungen von Straßennamen könnte der Ortsname, zumindest die Region, in der der Lenz 2006 anzusiedeln ist, identifiziert werden. Dieser Satz hätte mit Pkt. 3) bereits gestellt werden können und wär somit schon erledigt.

11) „"Was uns hier nur am Rande interessieren muss." => Warum schreibst du es denn? Du langweilst deine Leser (zumindest mich) beinahe zu Tode!“
Was mir Leid täte, dann müsst’ ich immer noch aufs erste Statement zum Lenz 2006 warten.
Scherz beiseite: Das Arbeitsleben ist selten sonderlich spannend, wenn’s in Routine versinkt. Und, - ich klassifizier da mal selber, was ich vielleicht nicht sollte, - das Stück ist Literatur der Arbeitswelt.

12) „"Nach dem Vorstellungsgespräch an diesem Montag war Lenz mit seiner Lebensgefährtin chinesisch essen gegangen" => Nee, sorry, aber wo ist die Geschichte? Alles was ich da lese, sind stinklangweilige Nebensächlichkeiten.“ So ist das Leben, Chris. Keine herausragenden Ereignisse. I. d. R. plätschert es vor sich hin. Und das ist gut so. Die meisten Menschen sind zu einem abenteuerliches Leben gar nicht fähig. Wollen sie auch gar nicht. Es ist dem Normalbürger Abenteuer genug, wenn die Bank das vom sauer ersparten Geld angedachte eigene Häuschen übernimmt und somit beides weg ist: Häuschen & Geld. Das geraubte Vermögen des sog. kleinen Mannes ist dann wieder Grundlage der Bank, Hegefonds Kredite zu spendieren... um dann den kleinen Mann freizusetzen.

13) „"an dem Stellenangebot musste etwas faul sein" => Die paar Brocken, die deinen Text interessant machen könnten, versteckst du leider im einem nicht-enden-wollenden Wortschwall.“
Von der Stelle aus dauert es keine ¼ Stunde mehr, da sind vier Wochen aberzählt! Wo ist da der Wortschwall?

14) „"der sich als Sabbeltasche und Dummschwätzer herausstellen wird" => Ich verkneife mich zu fragen: Wer wohl noch? (Ups.)“
Lass mich raten… Nee, tu ich dann doch nich'! (Ich werd' trotzig! Gleich stampf ich mit den Füßen auf!)

15) „"Bald wird Lenz durch den Betrieb geführt werden." => Warum schreibst du nicht was ist? Was sein wird (oder auch nicht) ist doch uninteressant.“
Du scheinst die Funktion der Zeitformen in der Geschichte nicht zu verstehen. Oder?

16) „"Was Lenz hier in den nächsten vier Wochen wirklich erleben wird, lässt sich nicht in einer 1/4 Stunde erzählen und ist eine andere Geschichte." => Vermutlich soll der Leser jetzt lachen. Ich tue es nicht. Ich frage mich, warum du den Text geschrieben hast und warum du vom Leser erwartest, dass er daran Interesse finden sollte.“
Lenz ist nach 28 Tagen auch nicht zum Lachen!
Womit wir beim grundlegenden Problem sind: der durchschnittliche Leser erwartet, dass der Stückeschreiber (ich greif bewusst zu der Bezeichnung, obwohl sie patentiert ist) sein Motiv, die Intention und die Interpretation gleich mit dem Text mitliefert. Der gute Text gibt das aber nicht her, lässt sogar zu, dass mehrere Interpratationen möglich werden bzw. sind und auch diese und jene Intention dahinter stehen könnte. Ein guter Text verlässt das eindimensionale Denken, will oft mehr, als dort steht, vor allem aber, dass der Leser mitdenkt. Das verlangt ja manchmal sogar die Literatur der Gartenlaube oder , kurz, eine triviale Schnulze vom Konsumenten. Oder sollte der Stückeschreiber das Publikum für denkfaul halten oder gar blöd?

Dass Du 17) mit dem Lenz "absolut überhaupt nichts" anfangen kannst, kommt halt vor. Dass der eine mit dem andern nix anzufangen weiß, das ist doch legitim, weil auch natürlich. Da brauchstu Dich nicht entschuldigen. Oder glaubstu, ich wär Dir böse? Oder nachtragend? Wenn mir was nicht passt, sag ich’s i. d. R. auch – oder es ist mir einfach egal (was auch vorkommt).

Gruß

FRD

 

Hallo Friedrichard,

der Text ist sauber genug runtergeschrieben, dass er es allemal wert ist, kommentiert zu werden.

Aber du machst es deinen Lesern nicht leicht. Nehmen wir zum Beispiel diese musikalischen Anspielungen, die das Werk durchziehen. Gräfin Marizza kennt nicht jeder und bei Lenz habe ich Wagners Meistersinger in Verdacht, dann haben wir einen potentiellen Wolfram von Eschenbach, den man irgendwo im Tannhäuser ansiedeln könnte ... Hab ich etwas übersehen? Ach ja, Uriah Heep natürlich.

Ansonsten ist der Text über weite Strecken schwer verdaulich. Die Straßennamen einer entfernten Stadt, die Beschreibung einer Fahrt, die du als Rahmen verwendet hast, die eigentliche Geschichte aufzuspannen, ziehen sich (wenngleich sicherlich beabsichtigt) über Absätze. Ferner ist das Werk gespickt mit Zahlenwerten und Daten, die zwar zum Umfang, aber nicht zum Inhalt beitragen.

Die eigentliche Geschichte dreht sich irgendwo um ein Detailbild des Geschäftslebens, schwankt zwischen Gesellschaftskritik, sehr moderater Satire und Erzählung. Dabei bleibst du irgendwie sprachlich distanziert, trocken, was der Thematik angemessen ist. Alles zieht irgendwo emotionslos vorbei, wie die Umgebung beim Radfahren, alles fließt, oder "ja mei", würde man bei uns in Bayern sagen.

Nach dem Verhallen bleibt zumindest bei mir nur ein leichtes Schulterzucken zurück. Und nun? Die präzise Art deine Worte zu setzten hatte mich mehr erhoffen lassen.

Liebe Grüße,

AE

 

Danke für den Kommentar

und grüß Gott, AE!

Recht hastu, es wird in einer Weise erzählt, dass es dem Publikum nicht einfach gemacht wird. Ob er schwer verdaulich ist, muss jeder Leser für sich beurteilen.

Zu Deiner Kritik im Einzelnen:

Dass Lenz, Marizza etc. nicht die realen Namen sind und die realen Personen des Geschehens dadurch geschützt werden sollen, sei vorweg erwähnt. Reiner Zufall ist aber, dass Du musikalische Anspielungen findest, mit einer Ausnahme: Marizza. In globalisierten Zeiten muss es operettenhaft anmuten, wenn Unternehmer auf Adelstitel einer abgehalfterten Zeit wert legen. Für ihren Namen kann die Frau nix, aber wie sie mit umgeht zeigt einen gewissen Standesdünkel und das erstaunliche ist, dass Herr Ltd (Abk. für Limited, Vorbild in diesem Fall eine engl. Unternehmensform) sich als Aufsteiger in den Adel sieht. Das findet man sonst nur in Klatschspalten, selten im knallharten Wirtschaftsleben. Andere Namen haben nix mit Wagner zu tun. Lenz ist der Dichter des Hoffmeisters und der Soldaten, dem der große Goethe den bescheidenen Erfolg neidete und dem durch Georg Büchner ein literarisches Denkmal gesetzt wurde. Wolfram hätte auch Walther genannt werden können, und wär doch ein heutiger Zeitgenosse (siehe beruflicher Steckbrief) und nicht der von der Vogelweide, wie Wolfram nicht der des Parzivals ist. Ganz besonders amüsiert Uriah Heep. Die Schlichtrocker haben ihren Namen von eben der literarischen Figur übernommen, die ich auch verwendet hab, nämlich die Figur Charles Dickens aus David Copperfield. Da der Name mit einer Figur der Weltliteratur korrespondiert erspart er eine aufwändige Beschreibung des Heep’schen Charakters.

Die Geschichte ist nüchtern und – korrekt beschrieben von Dir – emotionslos, weil distanziert erzählt und deckt einen Zeitraum von fünf Wochen ab: von der Anzeige bis zur Entlassung. Dem nüchternen Stil entspricht die nüchterne Geschäfts- bzw. Arbeitswelt heutzutage, die von Zahlen beherrscht wird. Dem ¼ stündigen Lesen entspricht die Hinfahrt am ersten Arbeitstag im Präsens. Denn die Zeit, die dargestellt wird, ist zugleich die des Lesers. Von der Anzeige bis zur Fahrt (Bewerbung, Vorstellung, Chinese) regiert das Präteritum, was in den vier Wochen nach der Fahrt geschieht, steht im Futur.

Dass bei Dir „nur ein leichtes Schulterzucken zurück(bleibt)“ bedaure ich sehr, fürcht’ aber aufgrund der langen „Wartezeit“, dass Du nicht der einzige sein wirst. Aber derzeit wüsst’ ich nicht, wie anders das Lenz’sche Schicksal dargestellt werden könnte.

Ich dank Dir nochmals,

FRD

 

Hallo Friedrichard,

noch ein letzter Nachtrag, bevor ich noch weitere nicht intendierte Punkte in diese Geschichte hineineinterpretiere:

Dass Lenz, Marizza etc. nicht die realen Namen sind und die realen Personen des Geschehens dadurch geschützt werden sollen, sei vorweg erwähnt.
Aber derzeit wüsst’ ich nicht, wie anders das Lenz’sche Schicksal dargestellt werden könnte.

Vielleicht ist das der Punkt. Deine Intention scheint die Beschreibung eines realen Schicksals zu sein. Dass soetwas in der heutigen Zeit nur Schulterzucken hinterlassen kann, ist vor diesem Hintergrund logisch und nicht unbedingt abwertend. Ein Einzelschicksal, vergleichbar vielen anderen ... und weiter geht's.

Liebe Grüße vom Anderen Ich.

 

Hallo, AE,

grüß Dich Rosta,

tut gut, von Euch zu lesen!

Der Lenz erzählt wie Büchners „Lenz“ tatsächlich von einem realen Schicksal, darum wurd' auch der Titel & der Name gewählt. Dass die Einzelschicksale derzeit nur ein Schulterzucken auslösen, ist bedauerlich, weil es auch eher den oberen Zehntausend statt den unteren ca. 8o Millionen nützt.

Aber welche Darstellungsweise soll man wählen, um die Arbeitswelt darzustellen?

Wallraff ist wieder da.

Er liefert den Standard und prägt eine Form, „Arbeitswelt“ darzustellen. Aber erst mal für ZEIT-Leser, für ein intellektuelles Publikum, dass wahrscheinlich niemals in einem Call-Center arbeiten muss. Da löst er auch nur Achselzucken aus. Denn selbst die ZEIT hat ihre sozial-liberale Haltung zur Wirtschaft unter globalisierten Bedingungen geändert. Auch sie lebt von der Auflage und der „rheinische Kapitalismus“ geht derweil den Bach ’runter.

Das klingt jetzt ein wenig, als hätt’ ich resigniert. Ist aber nicht.

Denn während des Schreibens ist mir die Idee gekommen, mich á la Wallraff in ein „Schneeballsystem“ einschleusen zu lassen, die meines Wissens selbst von der Arbeitsagentur geschützt werden, da die ja ein Problem los ist, sofern sich dort einer bewirbt. Aus den Foren im Internet ist zu ersehen, dass z. B. „Finanzdienstleister“ zu einem solchen Job geeignet sind. Wenns klappen sollte, werd ich unter Kg.de, - aber emotionslos bis zum geht nicht mehr, - berichten! Denn es nützt niemand, die Sau rauszulassen, außer dem, der die Sau raus lässt.

Denn der Satz, jedes Volk habe die Regierung, die es verdient, lässt sich auch auf den gemeinen Arbeitnehmer ummünzen: Nur die dümmsten Kälber suchen ihre Schlächter selber.

Jetzt ist aber genug geschrieben!

Ich wünsch Euch noch einen angenehmen Abend,

FRD

 

Hallo Are,

ein guter Hinweis, dem ich gerade gefolgt bin. Dafür dank ich Dir, aber ebenso für den kurzen und treffenden Kommentar.

Gruß

Friedel

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom