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Letzter Besuch
Der letzte Besuch
Er stand erneut in ihrer Küche und machte sich einen Kaffee. Er war des Öfteren bei ihr gewesen, weil er sie mochte und weil er das Gefühl hatte sich in sie verliebt zu haben. Er stand dort mit dem Gesäß gelehnt an die Arbeitsplatte der Küche und sah sie an, die ihm gegenüber am Küchentisch saß und irgend etwas auf die Tastatur ihres Notebooks hämmerte. Die ganze Situation war ihm irgendwie unbehaglich. Ihm gingen in dem Moment, in dem sie ihm ansah und ihn fragte was los sei, die letzten Treffen mit ihr durch den Kopf.
Seitdem sie sich von ihrem vorherigen Freund getrennt hatte, war das Interesse des jungen Mannes an ihr gestiegen. Doch jedes Mal, wenn er versuchte, sich körperlich zu nähern, hatte sie ihn zurückgewiesen.
Zunächst erschien ihm die Begründung, dass die Trennung von ihrem vorherigen Freund noch nicht lange genug her sei plausibel. Doch nun, nach einem Monat, begann er zu zweifeln. Er begann nicht nur an ihren Worten, sondern auch an sich selbst zu zweifeln, wenn auch nicht mehr so stark wie in früheren Situationen, denn er hatte gelernt, dass er attraktiv war. Hatte gelernt, sich und seine Einstellungen und Gefühle zu akzeptieren.
Der junge Mann war, im Gegensatz zu vielen anderen Männern, einer der Sorte, die offen über ihre Gefühle sprechen konnten ohne sich dafür zu schämen. Eine Eigenschaft, die der junge Mann zu lieben gelernt hatte, ohne zum Narzisst seiner eigenen Gefühlswelt zu werden.
Auf ihre Zurückweisungen hin hatte er sie direkt angesprochen und gefragt, ob sie überhaupt an ihm interessiert sei und ob sie ein Gefühl zu ihm entwickelt habe. Er fragte sich nachher oft, ob er sie zu früh gefragt hatte aber er betrachtete es als angebracht, sie in eben dieser Situation darauf anzusprechen.
Alles was sie sagte war, dass sie es nicht wüsste. Sie wüsste nicht, ob sie ihn attraktiv fände, sie wüsste nicht, in wie weit da Gefühle für ihn seien und sie konnte ihm seine Komplimente nicht glauben.
Es kränkte ihn sehr, dass sie ihm nicht hatte glauben wollen als er ihr sagte, dass sie ein schönes Wesen sei. Als er ihr sagte, dass dort ein Gefühl für sie sei auf deren Basis sein momentanes Handeln beruht hatte.
Er wusste nicht mit dieser Verletzung umzugehen, doch er wusste von ihrer Not, in der sie sich befunden hatte und befand. Nachdem ihre große Liebe sie verlassen hatte, hatte sich etwas in ihr verändert. Etwas, das schon lange in ihr rumorte, etwas, das sich in ihr Seelenleben wie ein inaktiver Virus eingenistet hatte, brach, nachdem er sie verließ, aus und zwang sie dazu, sich selbst zu bestrafen. Sie war sich nicht im Klaren darüber, ob nur die Trennung von ihm der alleinige Grund für ihr selbstverletzendes Verhalten gewesen war oder nur etwas bereits vorhandenes in Gang gesetzt hatte.
Der junge Mann wusste, dass sie kein gutes Selbstbild hatte. Er hatte sie darauf angesprochen, hatte sie gefragt, ob sie sich selbst mochte, ob sie sich selbst und ihren Körper so akzeptierte wie er war und sie hatte seine Fragen bejaht. Doch er war fest davon überzeugt, dass das was sie sagte nicht mit ihrem eigenen subjektiven Selbstwertgefühl übereinstimmte. Das vielleicht diese unbewussten Dinge sie dazu veranlassten verletzend, abweisend und kalt zu sein.
Diese Gedanken hämmerten ihm in einem Bruchteil von Sekunden durch den Kopf.
Auf ihre Frage, was los sei, schüttelte er nur den Kopf.
Er sah sie weiter an, während sie apathisch auf den Bildschirm ihres Notebooks starrte.
Die Kaffeemaschine gab ein dissonantes Geräusch von sich, welches bestätigte, dass auch der letzte Rest Wasser aus dem Wasserbehälter der Kaffeemaschine hinaus gesogen wurde.
Er drehte sich um und nahm sich eine Tasse.
Goss sich Kaffee ein und suchte in ihrem Kühlschrank, welcher sich in der äußersten Ecke der Küche befand, nach Milch.
Er goss sich Milch in den Kaffee, rührte anschließend den Kaffee mit einem Teelöffel um und lehnte sich erneut an die Arbeitsplatte.
Er wusste, dass es nun mehrere Möglichkeiten, gab zu handeln.
Er war sich nicht mehr so sicher, ob er sie als Beziehungspartner noch wollte. Er fand sie einerseits, weil sie unglaublich kompliziert erschien, sehr interessant. Aber andererseits fiel es ihm schwer ihre verletzende und abweisende Art zu ertragen, denn er selbst war ein sehr sensibles Wesen, das mit verletzenden Kommentaren, selbst wenn sie nachher mit Sarkasmus abgetan wurden, nicht gut umgehen konnte.
Er nahm viele Dinge schnell persönlich.
Er hatte nun die Möglichkeit sich ihr noch einmal zu nähern und anhand ihrer Reaktion einen Entschluss zu fassen. Es gab für ihn nur zwei ersichtliche Auswege. Entweder sie entschied sich dafür, auf ihn einzugehen, was zur Folge hätte, dass der junge Mann sich nun gänzlich seinem Gefühl zu ihr hingeben würde, oder sie würde ihm ein weiteres Mal ausweichen und er würde ihr sagen, dass er mit dieser Art der Distanz und mit ihrem verletzenden Wesen nicht zurecht kommen würde.
Er sah sein weitreichendes Denken und seine daraus resultierenden Schlussfolgerungen als ein Produkt seiner Reife an und sah sich stolz damit.
Erst vor Kurzem ist ihm klar geworden, welchen Zweck ihre abweisende Haltung erfüllte.
Er baute sich das Bild zusammen, dass sie aufgrund ihres mangelnden Selbstwertgefühls viel Aufmerksamkeit brauchte. Sie richtete die Aufmerksamkeit Anderer nur nicht durch ihre Aufrichtigkeit und Offenheit auf sich selbst, sondern dadurch, dass sie Anderen deutlich machte wie wenig sie sich doch selber mochte. Nur so bekam sie von den Anderen zu hören, dass sie ein wundervoller und hübscher Mensch sei.
Aufmerksamkeit durch Selbstdegradierung. So hatte er seine einzig in seinem Kopf enthaltene Theorie getauft.
Er entschied sich dafür es ein weiteres Mal zu versuchen. Er legte den Kopf zu Seite und sprach sie an. „Du?“, fragte er sie fast flüsternd. „Ja?“, ihre fragende Antwort war kaum lauter als seine eigene Frage. „Komm mal rüber“, forderte er sie leise auf. Sie stand auf und bewegte sich auf ihn zu.
Einen halben Meter vor ihm blieb sie stehen und sah ihn fragend an. „Ich möchte dich gern in den Arm nehmen“, sagte er, während er ihr tief in die Augen sah. Er trat auf sie zu und nahm sie zärtlich in den Arm. Sie reagierte kaum und blieb steif. Als er sich, da er ihre Reaktion durchaus bemerkte, wieder von ihr löste sah er ihr in die Augen und fragte: „Darf ich dich küssen? - Aber einen richtigen Kuss meine ich. Nicht so einen, den ich dir auf die Wange gebe, wenn ich mich von dir verabschiede.“
Sie guckte ihn an und zögerte. Es verstrichen einige Sekunden bis sie ihm antwortete. „Nein, es geht nicht und ich weiß auch nicht warum“, sagte sie ihm.
In dem Moment war dem jungen Mann alles klar. Würde er es weiter bei ihr versuchen, würde er sich an ihr fest beißen und wüsste zum Schluss ja doch nicht, ob es einen Sinn machen würde, es weiterhin bei ihr zu versuchen. „Dann ist es jetzt Zeit für mich zu gehen“, sagte er ihr. Auf diese Aussage hin sah sie ihn verdutzt fragend an. „Weißt du ich habe jetzt auch etwas Zeit gehabt um nachzudenken. Ich habe mir vor Augen geführt, wie schön es sein könnte zu dir eine tiefe emotionale Bindung aufzubauen. Wie schön es wohl sein würde, wenn du mir vertraust. Aber ich habe mir auch vor Augen geführt, was dein Misstrauen und deine abweisende Art in mir auslösen. Es ist natürlich schön, wenn man einen anderen Menschen bestätigen kann, was ich ja bei dir durchaus versucht habe. Aber wenn man einfach keinerlei Rückmeldungen, sein es positive oder negative bekommt ist das einfach sehr verletzend“, er machte eine kleine Pause. Sie unterbrach ihn plötzlich. „Ich weiß, dass hast du mir alles schon gesagt! Aber was soll ich machen, wenn ich nicht weiß, was ich will. Wenn ich nicht weiß, ob aus uns was werden kann?!“.
Er sah ihr erneut in die Augen und nahm ihre Hand. „ Ich weiß nicht was du tun sollst oder kannst. Das alles liegt in deiner Hand. Aber ich weiß, was ich tun kann, um mich selbst zu schützen. Um nicht noch mehr verletzt zu werden. Um nicht wie ein Idiot auf mich selbst zu wirken. Ich kann jetzt einfach gehen und ich glaube das wäre jetzt auch das Beste was ich tun kann. Ich kann dir sagen, dass ich mich nicht mehr bei dir melden werde, auch wenn da ein Gefühl ist, welches mir seit Wochen in meinem Kopf pocht und mich nicht richtig schlafen lässt. Es geht nur um dich im Moment und ich weiß nicht, was du damit bezweckst. Ich weiß nicht, ob du, wenn auch vielleicht nicht bewusst versuchst Selbstbestätigung zu bekommen. Ich weiß wirklich nicht ob du das weißt und ob dem so ist. Aber ich halte es für die einzig reife Handlung, wenn ich jetzt gehe. Ich bin mir meiner Gefühle im klaren und möchte nicht noch mehr verletzt werden“, sagte er ihr mit sanfter Stimme. Sie stand nur da und sah ihn an, während er sich durch ihren Flur bewegte.
Der junge Mann zog sich seine Schuhe und seine Jacke an.
Sie stand in ihrer Tür und sah ihn an.
Ein letztes Mal küsste er sie auf ihre Wange und flüsterte ihr leise ins Ohr. „Wenn ich jetzt gehe, dann gehe ich vorerst für immer. Wenn ich jetzt gehe werde ich anfangen mich mit den Gefühlen zu dir ein letztes Mal auseinander zu setzen und mit diesen abzuschließen. Wenn ich jetzt gehe, dann gehen alle Gedanken und Gefühle mit mir. Wenn ich jetzt gehe behalte ich dich in meinem Herzen.“
Er ging die Treppe hinunter und öffnete die Tür.
Die kalte Februarluft drang in seine Nase und wehte ihm die Haare durchs Gesicht.
Als er die Straße an ihrem Haus entlang ging sah er voller Hoffnungen ein letztes Mal durch ihr Fenster. Doch sie stand nicht dort. Und sie folgte ihm auch nicht.