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Lichtblicke
Ich saß mit einem spannenden Buch eines Abends auf der Couch. Meine Familie würde erst in ein paar Stunden zurückkommen. Es war kurz vor 20 Uhr und schon dunkel.
Einen Krimi hatte ich angefangen. Schon nach den ersten Seiten gruselte es mich. “... quietschend ging die Tür auf und ...”, hieß es, so dass es mich augenblicklich fröstelte. Das Geräusch, das ich nach diesen Worten vernahm, war sicherlich nur eingebildet. Wieder vertiefte ich mich in meinen Schmöker. Die Leselampe über mir in der Ecke flackerte ein wenig, so dass ich zwischen den Zeilen verrutschte. Ich kniff die Augen zusammen, suchend, um mich wieder ins Geschehen einzufinden. Das Flackern wurde nun intensiver, bis es ganz verlöschte. Ich schaute kurz nach oben und stand auf.
Im Dunkeln vor mich hinschimpfend, tastete ich mich mit ausgestreckten Armen vorwärts. Die Schrankwand war nicht weit entfernt. In der dortigen Schublade - gleich vorne - war eine Kerze, das wußte ich. Meine Augen gewöhnten sich schwer an die Finsternis. Da durchfuhr mich plötzlich ein starker Schmerz. “Autsch!”, schrie ich und zog meinen rechten Fuß hoch. Die große Zeh tat höllisch weh, weshalb ich die nächsten Schritte humpelte.
Bisher war ich noch nie in der Wüste gewesen. Dennoch spürte ich Sand, sehr viel Sand, der mir den Weg versperrte. Stapfend versuchte ich vorwärts zu kommen, aber es ging schwer. Ein starker Wind blies mir ins Gesicht. Meine Umgebung war mir fremd. Weit konnte ich in die Ferne schauen, aber es gab keinen Horizont; nur eine ausgedehnte Sandfläche, kein Baum, kein Strauch, keine Pflanze. Lange, kilometerlange Wanderungen musste ich hinter mich bringen, als ich endlich die Schrankwand erreichte. Meine Füße schmerzten, die Augen brannten und die Ohren dröhnten. Mit beiden Händen umhertastend, suchte ich die Schublade, die ich vorsichtig öffnete. Allerlei Krimskrams befand sich darin, weshalb das Suchens immens schwierig wurde. In einer Schachtel, so fiel es mir ein, müsste sie sein.
“Streichhölzer waren doch auch da ...”, brabbelte ich vor mich hin, und “Ach, da sind sie ja ...”, griff gefühlsmäßig nach einem Gegenstand, den ich für eine Kerze hielt. Da bemerkte ich, dass ich die falsche Schachtel erwischt hatte. "Mist!", murmelte ich und warf sie zurück.
Hektischer darin herumwühlend, fand ich endlich das Gesuchte. In der rechten Hand hielt ich nun die Kerze, die linke suchte weiter in der Schublade, um eine Streichholzschachtel zu finden. Als ich sie nach einer Weile fand und das Hölzchen an die Streichfläche ansetzen wollte, loderte wie von Geisterhand eine Flamme vor mir auf. Vor lauter Schreck zog ich an der Schublade, worauf sich der gesamte Inhalt krachend auf dem Boden verteilte.
Erschrocken tappte ich ein paar Schritte zurück, um nicht noch einmal in etwas hineinzutreten - da fasste mich jemand an. Erschrocken, eine Hand auf den Mund gepresst, drehte ich mich um. Die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos warfen bizarre Bilder auf den Boden, die mich zusätzlich erschreckten. Derweil die Feuerszungen an Höhe gewannen. Sie schlängelten sich hoch bis zur Decke. Der Raum war nun hell erleuchtet, doch es gab keinen Rauch, nur grelle Spitzen, die wie Blitze wirkten. Es wurde auch nicht heiß.
Panik ergriff mich und wich noch mehr zurück, drückte mich in die Ecke des Zimmers, jedoch das Feuer folgte mir. Zusammengekauert presste ich mich an die Wand. Von der Helligkeit geblendet, schloss ich für einen Augenblick die Augen. Als ich sie wieder öffnete, stand ein Mensch vor mir, ein Mann. Erschrocken schaute ich ihn an. Wie ein Monster erschien er mir - ein Unwesen aus dem Feuer entstiegen. Er sprach mit mir. Mit noch immer aufgerissenen Augen und offenem Mund starrte ich ihn an, unfähig ein Wort hervorzubringen.
Er wunderte sich, dass ich im Dunkeln stand, und meinte: “Warum machst Du denn kein Licht an, man sieht ja gar nichts?”, ging zum Lichtschalter an der Zimmertür und knipste es an. Ich schaute mich um, keine meterhohen Flammen waren weder zu sehen noch zu spüren. Die Schublade lag auch nicht auf dem Boden, sondern steckte ordentlich in dem dafür vorgesehenen Fach in der Schrankwand. Mein Buch lag in der Sofaecke, auch die Leselampe war intakt. Ein schwacher Lichtstrahl fiel herunter.
Der Mann hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit jemanden, den ich sehr gut kannte. Wie sein Bruder sah er aus, wobei ich wusste, dass er gar keinen solchen hatte. Wie ein Film zog das gerade Erlebte vor meinem inneren Auge vorüber. Mein lädierter Zeh fiel mir ein. Ich schaute hinunter, bewegte ihn, aber er tat nicht weh. Nun sprach dieser Mann erneut mit mir: "... geht's gut, oder was ist?" Wie aus einem Alptraum aufgewacht, erkannte ich ihn. Mit großer Erleichterung und Tränen in den Augen umarmte ich ihn - es war mein Mann.