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Copywrite Lichter im Staub

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06.10.2017
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Lichter im Staub

Risse zogen sich durch Toms Blickfeld. Er konnte nicht sagen, ob es der aufgebrochene Lehmboden am Rande des Highways war, die gesprungene Windschutzscheibe oder die geplatzten Äderchen im Inneren seiner Augen.
Er hatte Durst. Seine Zunge klebte am Gaumen wie eine Echse an der Trockenmauer.
Die Hände waschen, das Gesicht bespritzen, den Kopf unter fließendes Wasser halten.
Ein eisgekühltes Bier trinken ...
Falls jemals wieder ein Kaff aus diesem Nichts auftauchte, würde Tom dort eine Rast einlegen und seinen Wasservorrat auffrischen. Den letzten Truck Stop hatte er Hals über Kopf verlassen, nachdem ein Streifenwagen auf den Parkplatz eingebogen war. Niemanden ging es etwas an, was Tom zwischen der Ladung verstaut hatte – weder die Jungs in der Spedition, noch seinen Boss, und schon gar keinen verpickelten Provinzcop.

Die Sonne hing über dem Ende der Straße wie ein glühendes Stoppschild.
Seit hunderten Meilen nichts als Sand, Staub, Sand und Staub, plattgefahrene Armadillos, windschiefe Bäume – Nester in den dürren Zweigen wie Knoten in filzigem Haar. Und immer wieder Kakteen, Kakteen, Kakteen – obskure Gewächse, die den Wegesrand säumten wie Marterpfähle.
Tom strich sich die Haare aus der Stirn, sammelte Speichel im Mund, fuhr mit der Zunge über die Zähne; versuchte den Schleim zu entfernen, der sich darauf gebildet hatte. Gebannt starrte er auf die Schweißperlen an seinem Handgelenk, die im Rhythmus der Bodenwellen vibrierten wie die aufsteigenden Perlen in einem frisch gezapften Bud … So würde es sein, wenn er diese Wüstentour hinter sich hatte – genau so würde es danach für immer sein: Tom auf der Veranda, Tom im Schaukelstuhl, Tom mit einem Bier in der Hand und Tom mit einer Frau neben sich, die ihm die nächste Flasche aus dem Kühlschrank holte.

Ein Schwarm Krähen flatterte auf und landete wieder – ölig glänzende Kreaturen, die über den Boden stolzierten wie zerstrittene Trauergäste.
Allmählich häuften sich die Zeichen der Zivilisation.
Ein verbeulter Wegweiser. Umzäuntes Brachland. Eine Werbetafel.
Ein rostzerfressener Chevy, dessen Kühlergrill in den Himmel grinste wie der Schädel eines verwesten Kojoten.
Und schließlich, weit vorne im Staub, die flirrenden Umrisse einer Ortschaft.
Als ob die Sonne versucht, diese Häuser mit ihrer heißen, flachen Hand in den Boden zu pressen, dachte Tom.

Tom drosselte das Tempo. Der Truck rollte entlang der Main Street, vorbei an gedrungenen Lehmbauten mit schiefen Arkaden und vergitterten Türen. Keine Bar, kein Motel, kein Leben. Nur ein mageres Huhn und ein schmalbrüstiger Typ, der mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Blick über die Straße schlurfte.
Was, zur Hölle, dachte Tom, aber dann entdeckte er auf der Veranda des Hauses direkt vor sich eine Silhouette im Abendlicht. Wallendes Haar und üppige Proportionen, die rechte Hand zum Winken leicht erhoben.
Für einen Moment fragte er sich, warum sie ihm bekannt vorkam.
Sie erinnerte ihn an diese Frau im gelben Kleid, die er im Straßengewimmel von Fogarty Bay gesehen hatte – mit ausladenden Hüften und verpixeltem Gesicht. Wie so oft, wenn er keinen Auftrag hatte und alleine in seinem Drecksloch saß, war er mit Google-Street-View durch die Straßen kleiner Küstenstädte gefahren. Orten mit Kinos, Shops und Bars, mit klimatisierten Häusern – Pools hinten im Garten und schattigen Veranden zur Straße hin. Ein behaglicher Schaukelstuhl, ein klackender Ventilator, eine hingebungsvolle Frau – war das zu viel verlangt? Nein, genau das stand auch Tom zu, und genau das würde eines Tages auch sein Leben sein!
Er war um Häuserecken gebogen, hatte die Richtung gewechselt, sich dicht herangezoomt an geöffnete Fenster und die Tore nobler Anwesen; hatte die Tafeln studiert vor Cassidy's Tavern (Oakshire Amber Ale $7.50) und Sharks Seafood Bar (Shrimp Sandwich $8.25), und direkt neben Fargo's Oyster House hatte die Frau im gelben Kleid gestanden und so ausgesehen, als wartete sie dort auf niemand anderen als auf Tom.
„Na, junger Mann, alles in Ordnung bei Ihnen?“, rief ihm die Lady von der Veranda zu, neben der er den Truck inzwischen zum Stehen gebracht hatte.
„Oh, hallo ...!“, sagte Tom, schaltete den Motor ab und strich sich mit beiden Händen die Haare nach hinten. „Ja, danke, alles klar.“
„Dann bin ich ja beruhigt“, sagte die Frau. „Ist nämlich ausgesprochen selten, dass hier mal einer Pause macht. Willkommen im Paradies!“ Ihr Lachen erinnerte Tom an den Klang sanft gezupfter Gitarrensaiten.
„Oh, ja – es ist wirklich sehr … nett hier“, sagte er mit einem breitem und, wie er hoffte, einnehmenden Grinsen. Junger Mann – eine freundliche Untertreibung, die er kommentarlos stehenließ. Die Wärme, die ihn durchströmte, hatte nichts zu tun mit der lähmenden Hitze über dem Land.
„Ich frag' mich, ob ich wohl 'ne Chance habe, hier was zu trinken zu kriegen? Und 'n paar Flaschen Wasser für unterwegs?“
Die Frau lächelte betrübt, blickte hinter sich ins Innere des Hauses und dann hinüber auf die andere Straßenseite. „Schwierig“, sagte sie leise. „Mit Wasser sieht's hier ganz übel aus. Aber der alte Misbeck drüben in seinem Laden, der verkauft manchmal welches.“ Sie verzog den Mund und deutete mit dem Kopf in Richtung eines Gebäudes, das als einziges ein Spitzdach hatte.
„Aber, kommen Sie, was soll's – ein kleines Glas Wasser hätt' ich schon für Sie. Und 'nen Sundowner zum Nachspülen, wenn Sie mögen. Schnaps haben wir hier ja genug!“ Dunkle Locken, Gitarrenlachen, tiefes Dekolleté. Tom sprang aus der Fahrerkabine, eilte die Stufen zur Veranda hinauf, versank in einem knarrenden Schaukelstuhl, ließ kühles Wasser seine Kehle hinunterrinnen und bekam das leere Glas umgehend mit Kaktusschnaps nachgefüllt.
„Kannst mich Sal nennen, junger Mann. Cheers!“
„Cheers! Freut mich, Sal, ich bin Tom.“
Er streckte die Beine aus, schaukelte vor und zurück und lauschte dem melodischen Schwingen der Wörter, die aus Sals Mund perlten. Der Schnaps war gut und Sal schenkte großzügig nach.
Bald war die Sonne nur noch eine verstaubte Fratze am Himmel, die langsam zu Boden trudelte.

Sal erzählte von den Nachbarn im Dorf, von den Kakteenfeldern, auf denen die meisten arbeiteten, und von der Hitze, die alles austrocknete. Von kaputten Autos, einem versiegten Brunnen und vom alten Misbeck – einem elenden Blutsauger, der den Leuten selbst „das Grüne aus den verrotzten Nasen ihrer verblödeten Brut“ nicht gönnte. Sie zerteilte ein Solei in zwei Hälften, lachte trotzig und sagte, so wäre es aber nun mal, und dass das Leben sowieso immer nur so sei, wie es eben sei – und Tom sagte, ja, wie es eben sei –, und er genoss das Schaukeln und den Schnaps und das halbe Ei und die Anwesenheit dieser mütterlichen Frau; den Blick auf ihren mütterlichen Busen und die Vorstellung, dass ..., aber dann stand plötzlich jemand vor Sals Veranda und flüsterte mit rauer Stimme: „He.“ Es war der schmalbrüstige Bursche von vorhin: ein Typ Mitte Zwanzig, mit schiefen Zähnen und unstetem Blick. „He, Sal, hast du vielleicht nochmal 'n bisschen Wasser für mich? Weißt ja, kriegste wieder, irgendwann, nur jetzt grad ... weißt ja ... “ Er hustete, blickte zu Boden und rieb sich die Schienbeine.
„Tut mir leid, Roy.“ Sal schloss die Augen und nippte an ihrem Glas. „Das hast du beim letzten Mal auch schon gesagt. Und davor auch. Und das Mal davor. Und irgendwann ist eben Schluss. Musst du halt sehen. Jedenfalls gibt's hier nichts mehr, Roy, sorry.“
„Hm“, machte der Typ und zog den Schirm seiner Kappe tief ins Gesicht. „Na dann ... Du mich auch, Sal!“ Er spuckte aus, und während er durch den Staub davonschlurfte, streckte er beide Mittelfinger in die Höhe.
Sal schüttelte den Kopf und machte einen Schmollmund. „Na ja, ist schon traurig mit dem armen Roy. Wo jetzt auch noch sein Pa tot ist ... Und wie der alte Misbeck mit dem umspringt, echt mal. Ein dreckiges Blutsaugerschwein ist das, der Alte, dem gehört der faltige Hals umgedreht. Aber, na ja, das Leben ist nun mal so ...“
„… wiesebeniss!“, sagte Tom, wippte nach vorne und versuchte dabei, sein Schnapsglas an die richtige Stelle im Gesicht zu führen. Sals Hand lag auf seinem Oberschenkel, und je mehr er zurück schaukelte, destso höher rutschte sie, und für einen kurzen Moment stellte er sich vor, wie es wäre, wenn er es wäre, der dem Blutsaugerschwein den faltigen Hals ... Tom: King of the Road, ein gnadenloser Rächer, der eigens in dieses Dreckskaff geritten war, um den Tyrannen …, und zur Belohnung würde er hier für den Rest seines Lebens mit dieser schönen Frau auf der Veranda und nachts zwischen den kühlen Laken im Inneren des Hauses ...
Im Inneren des Hauses fing es im gleichen Moment an zu krachen und zu scheppern.
Sal seufzte. Nahm die Hand von Toms Bein, verdrehte die Augen und sagte, verdammter Mist, aber jetzt sei wohl ihr Mann aufgewacht – Herm, dieser „scheißbesoffene Idiot", und dass sie bald keine Möbel mehr hätten, wenn der so weiter machte, so eifersüchtig, wie der immer sei … Und dass es besser wäre, wenn Tom jetzt verschwinden würde.
Tom sprang auf. Schüttelte sich wie ein nasser Hund. Versuchte, die Trägheit, die Geilheit und den Suff aus seinen Gliedern zu vertreiben, und als der Lärm bereits auf der Veranda angelangt war, schwang er sich über die Brüstung hinunter auf die Straße. Holz zersplitterte. Glas zerbrach. Über ihm schleuderten sich Herm und Sal stinkende Flüche entgegen. Der Klang von Sals Stimme – vorher weich und melodisch – jetzt verzerrt zu schrillem Gekreische.

Tom stand auf, klopfte sich den Dreck von Knien und Handflächen und schaute sich um.
Der Himmel war schwarz, der Mond eine scharfe Sichel und kalt das Licht der Sterne.
Jetzt, wo der Schreck ihn ernüchtert hatte, fragte er sich, was zur Hölle mit ihm los gewesen war: Hatte er nicht gesehen, dass Sal in Wirklichkeit eine aufgedunsene, herzlose, versoffene Hure war, die in einem elenden Dreckskaff wohnte, das noch elender war als das Dreckskaff, aus dem er selbst gekrochen kam? Hatte er wirklich nur eine Sekunde lang geglaubt, hier sein persönliches Glück finden zu können?
Das einzige, was er an diesem erbärmlichen Ort jemals zu tun gehabt hatte, war, etwas Wasser zu besorgen. Um dann verdammt nochmal weiterzufahren, den Job zu Ende zu bringen, seinen Anteil einzustreichen und in einer Stadt wie Fogarty Bay ein kleines Haus zu kaufen. Um mit einer zärtlichen Frau – wie der Frau im gelben Kleid – den Rest seines Lebens zu genießen.

Im Haus des alten Misbeck brannte noch Licht. Tom klingelte, wartete, klopfte, wartete.
Noch immer konnte er hören, wie sich Herm und Sal ein paar Häuser weiter ihre Flüche und ihre Möbel um die Ohren schlugen.
Vielleicht schwerhörig, der Alte, oder irgendwo hinten, dachte er, und als er um das Haus herumlief, kam ihm plötzlich eine Gestalt aus der Dunkelheit entgegen. Schon wieder dieser Bursche: Roy.
Puh!, dachte Tom. Was für ein Typ, was für ein armseliges Leben … Dieser Junge könnte beinahe sein Sohn sein. Vielleicht sollte er ihm eine Chance geben, vielleicht sollte er ihm einfach anbieten mitzufahren, dieses Kaff für immer zu verlassen.
„He, du!“, rief Tom. „He, … Roy!“
Aber Roy blieb nicht stehen. Er trottete weiter, bog um die Ecke und verschwand in der Finsternis.
Tom registrierte die eingestürzte Brunnenmauer, die im Hof des Alten herumlag wie das Skelett eines verdursteten Pferdes. Sal hatte ihm davon erzählt. Mörtelstücke knirschten unter seinen Schuhen, als er sich einem der rückwärtigen Fenster näherte. „Hallo!“, rief er, stellte sich auf Zehenspitzen und presste das Gesicht an die Scheibe; nichts zu erkennen, niemand zu sehen. „Hallo!“, rief er erneut und ging zum anderen Fenster. Das Knirschen des Mörtels unter seinen Füßen vermischte sich mit dem Knirschen zertretener Glassplitter. Was, zur Hölle ... Tom trat zwei Schritte zurück; die Scheibe des Fensters vor ihm war zerbrochen. Er stellte sich auf einen der losen Mauersteine, um von dort aus ins Haus zu sehen. Ein Block Fleisch hing neben der Tür, verstaubte Wasserkästen stapelten sich entlang der Wand, auf der Theke lag eine umgestürzte Schüssel mit Soleiern – einige waren heruntergerollt und zwischen Glasscherben und Mörtelstaub aufgeplatzt. Ein großer Stein lag daneben und sah so aus, als hätte er einst zu dem Brunnen gehört.
Als Tom erkannte, was neben dem Stein lag, entschied er sich zu verschwinden.

Er lief schneller.
Für einen kurzen Augenblick lähmte ihn die Vorstellung, dieser Irrsinnige, Herm, könnte ihm vor lauter Eifersucht die Reifen zerstochen haben.
Er kniff die Augen zusammen, blickte die Straße hinunter zu Sals Haus, wo er den Truck abgestellt hatte. Schwierig, in der staubigen Dunkelheit etwas zu erkennen, aber es schien Roy zu sein, den er dort sah.
Aber ...
Er vernahm den dumpfen Klang einer Fahrzeugtür, die ins Schloss fiel. Er griff in die Hosentaschen, klopfte sie ab: die vorderen, die hinteren, die vorderen nochmal. Und dann – ein Sound, der ihm so vertraut war wie das rhythmische Schlagen seines eigenen Herzens – hörte Tom das Dröhnen des startenden Dieselmotors. Sah die Rücklichter des Trucks aufleuchten. Hörte das Knirschen der Reifen auf dem Asphalt.
Sah die Lichter in der Nacht verschwinden – zwei tanzende Sterne auf dem Weg in einen andere Galaxie.

 
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Hej @Raindog , was du hier gemacht hast, ist zum einen richtig clever, nämlich einen neuen Protagonisten zum Muttertext zu ersinnen, der fremd ist im Geschehen und dann doch mit allem verwoben wird und da ist es nur allzu konsequent, ihn am Schluss verblassen - im Sinne von fade away - im Staub verschwimmen zu lassen. Juckt mich auch gar nicht, welcher krumme Job den Kerl in diese Einöde gebracht hat (ich hoffe nur insgeheim, es sind keine flüchtenden Menschen:confused:). Denn die knappe Resource Wasser könnte das nächste Flüchtlingsproblem werden. :sealed: Zum anderen ist es spannend. Ja, ich habe mich während des Lesens gefragt, ob diese wirklich richtig guten, atmosphärischen Beschreibungen, die Bilder und Vergleiche, langen Aufzählungen von allem, was in dieser heruntergekommenen Ödnis zu sehen ist, mich ungeduldig werden lassen, obwohl ich sie brauche, oder ob das gemeinhin spannend wirkt. Dass es am Ende nicht mal aufgelöst wird, sondern Roy der ursprüngliche und eigentliche Hauptprotagonist ist, hat mich doppelt amüsiert, in Form von Heidewitzka, das ist ja mal n Ding! :D
Dass du alle Namen im Ursprungstext verwendet hast, finde ich schön und stimmig. Und obwohl mir deine Geschichte im Vergleich zu @Sisorus Text näher ist, wird diese Kopie zusammen stärker mit dem Original. Auch wenn sie natürlich auch ohne besteht.
Am liebsten mag ich die Figurenzeichnungen, die mit deinen Erzählungen wie von selbst erscheinen, du musst sie nicht explizit beschreiben, es macht mir großen Spaß, sie durch dich selbst zu sehen. Sal zum Beispiel.

Dunkle Locken, Gitarrenlachen, tiefes Dekolleté.

Hatte er nicht gesehen, dass Sal in Wirklichkeit eine aufgedunsene, herzlose, versoffene Hure war, die in einem elenden Dreckskaff wohnte, das noch elender war als das Dreckskaff, aus dem er selbst gekrochen kam?

Sie konnte nur so oder so aussehen, blond oder braun, völlig gleichgültig, denn alles war vertrocknet und verdorrt, ausgezehrt und desillusioniert.

Es sind viele kleine Schätze in deiner Erzählung verborgen:

Die Sonne hing über dem Ende der Straße wie ein glühendes Stoppschild.
Seit hunderten Meilen nichts als Sand, Staub, Sand und Staub, plattgefahrene Armadillos, windschiefe Bäume – Nester in den dürren Zweigen wie verfilzte Knoten in brüchigem Haar.

Obwohl das eine oder andere Adjektiv entbehrlich wäre.

Ein Schwarm Krähen flatterte auf und landete wieder – ölig glänzende Kreaturen, die über den Boden stolzierten wie zerstrittene Trauergäste.

Ich liebe dieses Bild so sehr! Augenblicklich drängen sich neue Bilder wie von selbst auf, Nebengeschichten kündigen sich an ...

und zur Belohnung würde er hier für den Rest seines Lebens mit dieser schönen Frau auf der Veranda und nachts zwischen den kühlen Laken im Inneren des Hauses ...
Im Inneren des Hauses fing es im gleichen Moment an zu krachen und zu scheppern.

Zack! Und weg das schön ersponnene Leben.

Als Tom erkannte, was daneben lag, entschied er sich zu verschwinden.

Hach, ich bin ja der Meinung, es hätte nicht geschadet, wenn es weniger abstrakt beschrieben worden wäre.

Schwierig, in der staubigen Dunkelheit etwas zu erkennen, aber es schien Roy zu sein, den er dort sah.

Auch an dieser Stelle wäre es nach meinem Empfinden okay zu behaupten, es wäre Roy gewesen. An einer bekannten Geste - Reiben an den Schienbeinen oder etwas in der Art.

Und das Erstaunlichste ist, die dürfen allesamt unsympathisch sein, oder mir fremd oder fern, ich muss die nicht mögen oder kennen ... schon damit ich weiter einfach meinen Wasserhahn öffnen und jederzeit davon trinken kann. :(

Danke, dass hast du schön erzählt,

Kanji

 

Hallo (lieber oder liebe?) @kiroly,
jetzt komme ich endlich dazu, dir zu antworten.
Wow, das war ein gehaltvoller Kommentar! Ich danke dir sehr dafür und bin immer noch beeindruckt, dass du teilweise tiefer in die Geschichte vorgedrungen bist, als ich es jemals war.

Ich gehe weniger auf die Figuren, die Handlung, den Plot ein, sondern auf eine andere Frage: Was macht die Wüste mit ihnen?
Ich vermute fast, ich werde nicht in der Lage sein, diese Frage zufriedenstellend zu beantworten. Aber ich habe etwas zum Grübeln bekommen, und das tue ich auf jeden Fall.
Risse zogen sich durch Toms Blickfeld. Er konnte nicht sagen, ob es der aufgebrochene Lehmboden am Rande des Highways war, die gesprungene Windschutzscheibe oder die geplatzten Äderchen im Inneren seiner Augen.
Wahrnehmung. Wo ist das, was Tom sieht? Liegt es in der Umwelt, liegt es am eigenen Körper, ist es irgendeine blöde mentale Repräsentation?
Vor allem diese geplatzten Äderchen wurden schon mehrmals infrage gestellt. Ich möchte trotzdem daran festhalten, weil es für mich Sinn ergibt. Ich kann es nur nicht so richtig erklären ...:bonk: Ich versuche nochmal: Die Risse im Boden und in der Scheibe decken sich, verschwimmen, während Tom apathisch vor sich hinstarrt. Er bemerkt diesen Prozess irgendwann, fokussiert seinen Blick wieder auf die Straße und hat den selbstironischen Gedanken: Würde mich nicht wundern, wenn es am Ende noch die geplatzten Äderchen in meinen verdammten Augen sind, die ich da sehe, haha ...
Scheint nur bedingt zu funktionieren, ich behalte es aber im Auge. (passt ja!).
Und vor allem die große Frage: Was macht eigentlich eine Wüste mit der Wahrnehmung? Was bedeutet es, in einer scheinbar eintönigen Landschaft zu leben?
Ich bin mir sicher, dass mein Text diese Frage nicht beantworten kann, weil ja ich ihn geschrieben habe, die mit dem Leben in der Wüste Null Berührungspunkte hat. Ich habe die Wüste lediglich mit ein paar Beschreibungen als Bühnenbild in den Hintergrund der Geschichte gestellt. Sicher geht da noch mehr.
Für dein Copywrite hast du die Landschafts- und Klimazone nicht gewechselt. All das spielt in der Wüste. Ich habe deinen Text gerne gelesen, nur wunderte mich, wie wenig "Wüste" darin vorkommt. … Im Grunde könnte deine Geschichte problemlos im borealen Nadelwald oder im Ruhrpott spielen. Das meine ich nicht negativ oder "das ist schlecht"; ich kann mir aber vorstellen, dass dein Text an Stärke gewinnt, wenn er die Wüste stärker in Handlung und Wahrnehmung einbaut.
Natürlich hätte es auch (und gerade) beim CW die Möglichkeit gegeben, die Geschichte z.B. im Ruhrpott spielen zu lassen. Aber es war ja auch eine schöne Herausforderung, sich im wahrsten Sinn des Wortes mal auf unbekanntes Terrain zu begeben. Sicher habe ich es mir auch etwas einfach gemacht und die Wüste einfach aus der Originalgeschichte als gegeben angenommen, ohne mich weiter darum zu kümmern. Ich bin mir sicher, dass das noch viel besser geht, nur, ob ich in der Lage sein werde, das aus dem Text herauszukitzeln, wird sich zeigen. Wenn die Copywrite-Season vorüber ist und sich der Staub gelegt hat, schaue ich auf jeden Fall, ob ich es noch wüstiger hinbekommen kann.
Den letzten Truck Stop hatte er Hals über Kopf verlassen, nachdem ein Streifenwagen auf den Parkplatz eingebogen war.
Hals über Kopf, vielleicht lieber ein simples "aus dem Haus geschlichen"?
Hals über Kopf finde ich gar nicht so schrecklich unsimpel, aber ich denke noch weiter drüber nach.
Die Sonne hing über dem Ende der Straße wie ein glühendes Stoppschild.
Seit hunderten Meilen nichts als Sand, Staub, Sand und Staub, plattgefahrene Armadillos, windschiefe Bäume – Nester in den dürren Zweigen wie verfilzte Knoten in brüchigem Haar. Und immer wieder Kakteen, Kakteen, Kakteen – obskure Gewächse, die den Wegesrand säumten wie Marterpfähle.
Mal provokant gefragt: Ist das wirklich so? Klar, für Team Europa sieht die Wüste absolut gleich aus. Aber wird Tom, vielleicht Einwohner dieser Klimate, das auch so empfinden? … Die Sonne reflektiert von Zeit zu Zeit anders, die Straße macht hier und da eine lange Kurve, ich bin mir sicher, dass Tom Variationen in der Wuchsform von Kakteen, dem Schüttmuster von Steinen, den Staubwirbeln, erkennen kann, die unser Auge der gemäßigten Breiten eben nicht gewohnt ist.
Für mich stand immer fest, dass Tom nicht aus dieser Gegend kommt, dass die Wüste also nicht seine Heimatlandschaft ist. Das ist eindeutig mein Fehler, dass das nicht deutlich wird. Ich hatte ihn tatsächlich in meinem Kopf im Nordwesten der USA (im Staat Oregon) beheimatet. Aber das kann natürlich keiner wissen, und vermutlich hat der Klang des Namens Tallamido (Tom‘s Sehnsuchtsort) noch extra geographisch eine falsche Fährte gelegt. Das zumindest habe ich schon mal geändert, im Zusammenhang mit deinem Vorschlag, der weiter unten noch kommt.
Aber nochmal zu Toms Wüstenwahrnehmung. Aus eben diesem Grund, dass das nicht seine Heimat ist (und er vermutlich nicht oft Touren durch diese Gegend fährt), nimmt Tom all diese Details der Wüste, die du oben so super beschreibst, nicht in dem Ausmaß wahr. Sondern für ihn ist es eben genau wie für Team Europa – alles gleich und eintönig.
Sehr gut gelungen finde ich die Metapher. Verschränkung von Mensch und Landschaft, physisch oder psychisch, auch wenn dein Text stärker das Physische betont.
Danke, und ich gebe dir völlig recht, dass ich mich ans Psychische in dieser von dir gedachten Dimension nicht herangewagt habe. Bisher zumindest. (Wenn ich ehrlich bin, für mich als Sehrlangsamschreiberin war es schon genug, innerhalb von drei Wochen eine Geschichte mit einem halbwegs funktionierenden Plot hinzubekommen. ;))
Allmählich häuften sich die Zeichen [der Zivilisation.]
Hier könnte man die Zivilisation streichen, reduzierter.
Mit dem Satz bin ich auch noch nicht ganz fertig, aber wenn er bleibt, brauche ich auch die Zivilisation. Klingt mir sonst zu spirituell.
Ein verbeulter Wegweiser. Umzäuntes Brachland. Eine Werbetafel.
Ein rostzerfressener Chevy, dessen Kühlergrill in den Himmel grinste wie der Schädel eines verwesten Kojoten.
Und schließlich, weit vorne im Staub, die flirrenden Umrisse einer Ortschaft.
Als ob die Sonne versucht, diese Häuser mit ihrer heißen, flachen Hand in den Boden zu pressen, dachte Tom.
Natürlich könnte man jetzt Diskussionen beginnen: Sei reduziert, du Wüstentext! Sei im Präsens! Aber das ist deine Entscheidung; vielleicht wirkt dein Text im Präsens aber absoluter, "mehr da", und "verwüsteter" (Haha!), präsenter, Präsenz durch Präsens! (Haha!). Egal, ich spinne etwas herum, verzeihe mir das.
Ich verzeihe dir alles, was mich weiterbringt! ;) Wenn ich‘s so als Zitat lese, fällt mir ja auch auf, dass es manchmal vor Adjektiven nur so strotzt. Manchmal finde ich aber, haben sie ihre Berechtigung. Was die Wahl der Zeitform angeht – Präsens hätte sicher auch etwas für sich. Bei mir entscheidet immer der Bauch, welche Zeitform er für die jeweilige Geschichte passend findet. Hier war und ist es die Vergangenheit, weil ich auch glaube, den bestimmten Sound dieser Geschichte im Präsens nicht so entstehen lassen zu können.
Ich mag deinen Text, er hat tolle Details, aber, wie gesagt, die Wüste könnte sich mehr in der Sprache selbst und weniger in den Sprachbildern niederschlagen. Trotzdem: Nur ein Vorschlag. So funktioniert der Text auch.
Vielleicht schaffe ich noch einen Kompromiss zwischen reduzierter Sprache und opulenten Sprachbildern. Ein wenig habe ich seit deinem Kommentar auch schon wieder ausgedünnt, sicher passiert da noch mehr.
Wallendes Haar und üppige Proportionen, die rechte Hand zum Winken leicht erhoben. Sofort überfiel ihn ein Déjà-vu:
Auch hier empfehle ich dir, deinen Text zu entschleunigen. Eher ein simples "aufdrängen einer Erinnerung?" Déjà-vu, hm, das wirkt mit seinem Akzentallerlei sehr anthropogen, sehr abstrakt konstruiert im akademischen Raum, zu abstrakt für deine Wüste.
Das Déjà-vu mit seinem Akzentallerlei (diese Formulierung hat mich überzeugt :D) habe ich ersetzt. Das sieht nun so aus:
Für einen Moment fragte er sich, warum sie ihm bekannt vorkam.
Sie erinnerte ihn an diese Frau im gelben Kleid ...

Sie erinnerte ihn an diese Frau im gelben Kleid, die er im Straßengewimmel von Tallamido gesehen hatte – mit ausladenden Hüften und verpixeltem Gesicht. Wie so oft, wenn er keinen Auftrag hatte und alleine in seinem Drecksloch saß, war er mit Google-Street-View durch die Straßen verschiedener Städte gefahren. ... Ein behaglicher Schaukelstuhl, ein klackender Ventilator, eine hingebungsvolle Frau – war das zu viel verlangt? Nein, genau das stand auch Tom zu, und genau das würde eines Tages auch sein Leben sein!
Die Idee finde ich sehr stark. Tom fährt mit Street View durch andere Städte, er schaut sie sich nicht an, er macht kein Sigthseeing, nein, er sucht nach Reizen und verbindet sie mit einer Lebensvorstellung, in der Budweiser das oberste Kühlschrankfach (sofern kein Eisfach) ausfüllt. Vielleicht das "würde" streichen und durch ein "wird" ersetzen? (Ich bin entschlossen!)
Schön, dass du die Street-View-Sache magst! Ich hatte auch Spaß an der Idee. Das „wird“ würde mMn grammatikalisch falsch sein. Das „würde“, so wie es dasteht, bedeutet doch Toms Entschlossenheit. (sonst: würde vielleicht ...)
Und: Warum fährt er nicht durch eine ganz andere Art von Stadt? Keine Bäume? Warum nicht - amerikanische Ostküste? Oder eine Stadt am See? Das könnte den Kontrast zur Wüste stärken. Du arbeitest viel mit kleinen, kleinen Details, da hat Toms Streetview-Ausflug das auch verdient. Bunte Fischbuden in Maine! Indian Summer! :-)
Da hast du absolut recht, weil es tatsächlich auch eine gute Gelegenheit ist, zu zeigen, dass Tom eben nicht aus den Wüstenstaaten stammt. Die Stadt heißt jetzt nicht mehr Tallamido, sondern Fogarty Bay (was beides Fantasienamen sind), sie befindet sich in Oregon (was nicht erwähnt wird, aber es ist so :D), und der Beiname Bay deutet ja eindeutig auf unmittelbare Nähe zum Wasser hin. Des weiteren heißen die Restaurants jetzt auch anders und verkaufen Seafoodgedöns.
Von kaputten Autos, einem versiegten Brunnen und vom alten Misbeck – einem elenden Blutsauger, der den Leuten selbst „das Grüne aus den verrotzten Nasen ihrer verblödeten Brut“ nicht gönnte.
Ist das Wasser alle, saugen wir Blut. Falls beabsichtigt, klasse, falls nicht, auch klasse.
Haha, danke für klasse! :)War zunächst nicht beabsichtigt, aber als es so dastand, fand ich es auch gut!
Tom sprang auf, schüttelte sich wie ein nasser Hund, um die Trägheit, die Geilheit und den Suff aus seinen Gliedern zu vertreiben – und als der Lärm bereits auf der Veranda angelangt war, schwang er sich über die Brüstung und sprang hinunter auf die Straße. Holz zersplitterte, Glas zerbrach. Über ihm schleuderten sich Herm und Sal stinkende Flüche entgegen, und Sals Stimme klang nicht mehr weich und melodisch, sondern schrill und ekelhaft kreischend.
Vielleicht erzielt deine Kampfszene mehr Wirkung, wenn sie ruhiger geschrieben ist. Kurze Sätze, Punkt statt Komma. Hier greife ich wieder auf die Wahrnehmung durch Wüste zurück.
Da habe ich mich inzwischen an etwas gepunkteteren Sätzen versucht.
Schön finde ich den "nassen Hund". Nass, durch welche Flüssigkeit eigentlich? Schweiß?
WASSER! Es ist ein imaginärer nasser Hund in Toms Kopf. Ein Hund aus Fogarty Bay, der gerade eine Runde im Meer schwimmen war.
die Tour zu Ende zu bringen, seinen Anteil einzustreichen und in einer Stadt wie Tallamido ein kleines Haus zu kaufen. Um mit einer zärtlichen Frau – wie der Frau im gelben Kleid – den Rest seines Lebens zu genießen.
Vielleicht statt "die Tour" "den Job"?
Danke, ist jetzt ein Job.
Liebe @Raindog, dein CW habe ich sehr gerne gelesen. Aber trotzdem wage ich die Prognose, dass er mehr kann. Subjektiv finde ich das Setting einer Geschichte, die Landschaft, umso wichtiger für eine Story, je stärker sie den Menschen beeinflussen kann - nichts ist so stark wie Ödnis, Wüste, Sand und Staub. Mehr habe ich nicht. Vielleicht kannst du damit etwas anfangen, ich hoffe, ich klang nicht zu konfus,
Danke fürs gerne gelesen! Und natürlich kann ich enorm viel damit anfangen! Mehr habe ich nicht ist gut! :lol: Du hast mir da ziemliche Hausaufgaben aufgegeben, mit denen ich noch lange nicht fertig bin. Ich danke dir für die ganzen Tipps und dass du dich da so reingekniet hast.
Viele liebe Grüße von Raindog (und bitte grüße mir meine Heimatstadt! :))

 
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Lieber @Carlo Zwei,
ich freue mich, dass du dich auch in meine staubigen Gefilde begibst!

...finde aber erst jetzt wirklich Muße.
Ja, Mann, das CW ist wirklich eine raumgreifende Angelegenheit. Aber wir haben es so gewollt! :rolleyes:
Ich erinnre mich noch an Sisorus Text. Starkes Teil. Gehe da mit Fliege. Du hast dem deine raindogsche Handschrift gegeben. Funktioniert gut für mich.
Schön, dass es so funktioniert. Ich war ebenfalls von @Sisorus Geschichte sehr angetan. Ich habe versucht, mich an seinen Stil anzulehnen, ohne ihn ganz direkt zu kopieren. Deshalb freut es mich natürlich, wenn in meiner eigenen Geschichte trotzdem ein wenig „ich“ durchschimmert.
Mir hat sehr gefallen, wie du Sal und Roy beschrieben hast.
Danke! Es ist ja auch das erst Mal, dass ich am CW-Spiel teilnehme, und es war schon ein seltsames Gefühl, die von jemand anderem ersonnenen Figuren einfach nach eigenem Gutdünken agieren zu lassen.
Ich hatte beim Lesen dieses Gefühl der Geschichten in "Schwarze Musik" von Faulkner. Ganz konkret erinnert mich die Story auch an eine davon. Komme nicht mehr auf den Titel und habe das Buch leider weggegeben.
Schade, das würde ich jetzt natürlich gerne mal lesen, würde mich interessieren, aber vielleicht finde ich es ja in der Bibliothek.
Beim Lesen habe ich mich absurderweise auch an die Handlung in Kafkas Schloss erinnert. Da kommt ja der Landvermesser K. in diese sonderbare Gegend mit ihren ganz eigenen Gesetzen. Hier kennt ihn niemand und er kennt niemanden. Chance und Grund seines Scheiterns. Hier vor allem als sich Tom als "King of the Road" imaginiert.
Wo du‘s sagst, da sind ja tatsächlich Parallelen vorhanden! Genau so geht es Tom.
die geplatzten Äderchen im Inneren seiner Augen.
gäbe es da überhaupt die entfernte Möglichkeit, dass man das sehen könnte?
Nee, kann man nicht sehen. :cool: Ich verteidige diese Äderchen ja schon die ganze Zeit, und vielleicht funktioniert es wirklich nicht so gut. Nur, wenn man weiß, wie Tom tickt – und woher soll man das an dieser Stelle schon wissen. Trotzdem
Ich zitiere mal faulerweise, was ich gestern dazu geschrieben habe:
Die Risse im Boden und in der Scheibe decken sich, verschwimmen, während Tom apathisch vor sich hinstarrt. Er bemerkt diesen Prozess irgendwann, fokussiert seinen Blick wieder auf die Straße und hat den selbstironischen Gedanken: Würde mich nicht wundern, wenn es am Ende noch die geplatzten Äderchen in meinen verdammten Augen sind, die ich da sehe, haha ...
Scheint nur bedingt zu funktionieren, ich behalte es aber im Auge. (passt ja!).
Seine Zunge klebte am Gaumen wie eine Echse an der Trockenmauer
der Vergleich hat mir sehr gefallen. Nur an der Trockenmauer bin ich hängengeblieben. Warum benutzt der so einen Begriff?
Als erstes habe ich den Begriff benutzt wegen des Rhythmus‘. Oft braucht ein Wort bei mir an einer bestimmten Stelle eine bestimmte Anzahl von Silben, so da-damm-da-damm-mäßig, damit es mir gefällt. Hier hätte mir einfach „Mauer“ zu kraftlos geklungen. Und Tom, denke ich mir, kann sich eine Trockenmauer in der Wüste von allen Mauern noch am ehesten vorstellen, weil es ja eine Mauer ist, die ganz natürlich, ohne zusätzliche Materialien erbaut wird - nur geschickt aufeinandergestapelte Steine. Und Steine liegen da in der Gegend rum. Und Echsen gibt es auch. Und Echsen wiederum mögen Trockenmauern besonders, weil sie sich dort in den warmen Mauerritzen sehr wohlfühlen.
Nester in den dürren Zweigen wie verfilzte Knoten in brüchigem Haar
Das Bild entsteht, aber ich bin sprachlich nicht ganz zufrieden damit. Finde das zu umständlich. Außerdem ist "brüchiges" Haar für mich (vielleicht wegen tausender Garnier-Werbungen im Fernsehen) ein abgenutztes Bild, zu dem sich in meinem Kopf kein Bild mehr einstellt. Die verfilzten Knoten hingegen finde ich gut.
Garnier-Werbung, oh je! :lol: Okay, danke dafür. „brüchig“ ist gekillt. Jetzt: Nester in den dürren Zweigen wie Knoten in filzigem Haar.
verpixeltem Gesicht
da dachte ich zuerst, what? – das bekommt jetzt einen eher expressiven Schwung. Aber hat sich ja in den nächsten Sätzen aufgelöst.
Genau so sollte es sein, mal ein kleines Stutzen zwischendurch! :D
Wie so oft, wenn er keinen Auftrag hatte und alleine in seinem Drecksloch saß, war er mit Google-Street-View durch die Straßen der Küstenstädte gefahren. Orten mit Kinos, Shops und Bars, mit klimatisierten Häusern
coole Charakterisierung, finde ich. Ich sehe einen einsamen Mann, der von virtuellen Bildern träumt. Hat etwas Aktuelles.
Ich freue mich sehr, wenn das so ankommt, so war‘s gemeint.
Veranden zur Straße hin ... Ein
Die vielen Auslassungszeichen haben mich etwas gestört. Hier zum Beispiel würde ich die weglassen. Für mich sind Auslassungszeichen Hinweise: über das Geschriebene soll der Leser nachdenken. Es soll nachwirken.
Danke. Hier habe ich sie jetzt entfernt. Es sollte ursprünglich zeigen, wie sich Tom in seinen Gedanken verliert, aber vielleicht ist das ja auch so klar. Und übertreiben will ich‘s ja auch nicht mit den!
„Aber, kommen Sie, was soll's – ein kleines Glas Wasser hätt' ich schon für Sie. Und 'nen Sundowner zum Nachspülen, wenn Sie mögen. Schnaps haben wir hier ja genug!“ …
„Kannst mich Sal nennen, junger Mann. Cheers!“
War mir auf ihre verlotterte Art irgendwie sympathisch. Später dann weniger, das hast du gut gemacht, finde ich. Hier aber fand ich sie einfach herzlich. Vielleicht habe ich da auch das Setting ausgeblendet.
Ich denke, an der Stelle kann man auch noch nicht negativ über Sal denken, denn mehr hat man noch nicht erfahren. @Sisorus hat mir empfohlen, bei ihrem Gitarrenlachen einen kleinen Mis-Ton einzubauen, kaum erkennbar, aber eben doch vorhanden. Die Idee finde ich sehr gut, habe es nur bisher noch nicht geschafft, umzusetzen.
der den Leuten selbst „das Grüne aus den verrotzten Nasen ihrer verblödeten Brut“ nicht gönnte.
Hab ich nicht ganz verstanden
Das ist zunächst (vom Stil her) eine kleine Hommage an das Original, wo es zum Beispiel heißt:
wenn gerade genug Licht war, damit “meine Rotze auf deinem scheißblöden Gesicht noch schimmert”
Ansonsten bedeutet „das Grüne in der Rotze“ einfach noch den absurden Rest irgendeiner Flüssigkeit, der in dem Ort zu finden ist.
Sie zerteilte ein Solei in zwei Hälften
sehr schönes Detail. Soleier sind zwar lecker aber auch ein bisschen berstig. Dann das religiös ritualhafte Teilen im Kontrast zur eher derben Speise. Sie hat das auch mit den Händen geteilt oder? Also auseinandergerissen ... Wasser, vielleicht auch zum Händewaschen Mangelware. Ich sehe das Bild.
Schön, denn genau so soll das rüberkommen. Ja, entweder hat sie die Hände genommen oder dieses versiffte Messer, das dort immer auf der Veranda herumliegt. Auf jeden Fall 'ne Sauerei, und Wasser zum Händewaschen ist nicht wirklich vorhanden!
Wie Roy so bettelt, tat er mir leid. Vor allem, weil es auch um Wasser geht. Da hat, glaube ich, jeder Verständnis, dass jemand in der Weise darum fragt. Am Anfang erschien mir Roy sehr bemitleidenswert, irgendwie auch verhalten und gebrochen, was auch an seiner äußerlichen Beschreibeung gelegen haben mag. Dann als er sie dann beschimpft, ist das Bild bei mir wieder gekippt. Ähnlich wie mein Bild von Sal. Ich fand das gut.
Schön! Roy kann und soll einem ja auch leid tun. Er versucht ja nur, für sich durch diese Geste (wie auch schon ähnlich bei Sisorus an anderer Stelle) seine Würde zu bewahren. Und ja, das Bild soll kippen. Keiner in der Story hat eine weiße Weste. :baddevil:
Vielleicht sollte er ihm eine Chance geben, vielleicht sollte er ihm einfach anbieten mitzufahren, dieses Kaff für immer zu verlassen.
das fand ich auch super. Da steckt schon fast eine eigene Geschichte drin. Die Vorstellung, wie das der initiale Moment im Leben dieses Jungen sein könnte. Andererseits auch die Überheblichkeit Toms, der ihn nicht kennt, der an einen fremden Ort kommt und ihm dann so etwas anbieten will.
Das freut mich besonders, dass du das so spürst mit der Überheblichkeit. Denn ich glaube, es ist Tom selbst gar nicht bewusst. Er denkt tatsächlich, er hat einen edlen Gedanken, aber im Unterbewusstsein ist er eigentlich nur froh, jemanden zu sehen, dem es noch schlechter geht als ihm. Denn er scheint ja eher selbst ein armer Schlucker zu sein.
Ein Block Fleisch hing neben der Tür, verstaubte Wasserkästen stapelten sich entlang der Wand, auf der Theke lag eine umgestürzte Schüssel mit Soleiern – einige waren heruntergerollt und zwischen Glasscherben und Mörtelstaub aufgeplatzt.
Ich finde es hier schwer diesen Block Fleisch zuzuordnen. Wie groß ist der? Hängt da etwas Essbares oder ist das ein Kadaver (der Kadaver des alten Misbecks)? Das gibt dieses Bild nicht Preis.
Ja, den „Block Fleisch“ habe ich aus den Requisiten der Originalgeschichte übernommen. Dort wird allerdings deutlich, dass es etwas Essbares ist, Trockenfleisch – wie groß, keine Ahnung – wahrscheinlich wie ein größerer Schinken. Habe ich wirklich nicht drüber nachgedacht, dass das in meiner Geschichte dann gar nicht klar ist, hm. Das werde ich aber noch tun, drüber nachdenken!
Als Tom erkannte, was daneben lag, entschied er sich zu verschwinden
Die Kursivschreibweise (daneben) braucht es für mich nicht. … Außerdem finde ich es verwirrend, dass es heißt: "Als Tom erkannte, was daneben lag, ..."
Man könnte sich denken: ist es der tote Misbeck? Aber nein. Dann würde es sicher heißen: Tom erkannte, wer daneben lag. Was wird sich doch nicht auf einen Menschen beziehen. Höchstens vielleicht auf ein Körperteil oder einen Kadaver. Aber was kann es sonst sein?
Das Kursive habe ich jetzt anders gelöst, hatte das ursprünglich so gemacht, um zu zeigen, dass das eine daneben sich vom daneben im Satz vorher abhebt. Aber jetzt: „Ein großer Stein lag daneben und sah so aus, als hätte er einst zu dem Brunnen gehört.
Als Tom erkannte, was neben dem Stein lag …“

Was das „was“ betrifft: Tom sieht ja nach und nach verschiedene Gegenstände, die beschrieben werden – das Fleisch, die Wasserkästen, die Soleier, und dann: Oh mein Gott, was ist den das hier jetzt … Ich glaube, Tom denkt da nicht „wer“.
Du zeigst da sehr wenig Reaktion, machst ja eigentlich einen Schnitt an der Stelle, zeigst ihn dann, wie er zum Truck eilt. Ich denke, eine Schippe mehr Panik könnte da schon noch drauf. Gut finde ich, dass er dieses Szenario Zerstochene Reifen im Kopf hat. Sowas meine ich. Davon vielleicht noch eins mehr.
Stimmt, nachdem Tom Wasauchimmer entdeckt hat, kommt dieser krasse Schnitt.
Der hatte diverse Gründe:
1. Ich war müde und wollte ins Bett.
2. Ich habe keinerlei Erfahrung im Beschreiben von blutigen Details.
3. Ich dachte, jeder kann sich das bitteschön selbst ausmalen.
ABER ich sehe, was du meinst, und genau das kam auch schon in anderen Kommentaren. Nämlich, dass ich eben wirklich wenig von Toms Gefühlen an dieser Stelle preisgebe. Da gehe ich definitiv nochmal ran, aber das dauert wohl noch etwas.
Mir hat hier sehr gefallen, wie die Handlung sich zum Ende hin dramatisch zuspitzt. Wirklich wunderbar gemacht.
Juhu, :bounce:welch wunderbares Fazit! Ist, glaube ich, meine erste Geschichte mit so einer wirklichen Zuspitzung, das war auch mal schön!
Sehr starkes Ende, finde ich.
Danke, Carlo, wie schön! Und ich danke dir für deine ganzen Hinweise, die Tipps, die erwähnten gelungenen Stellen und für deine viele Zeit!
Ich hol mir jetzt erstmal ein Wasser.
Das hast du dir in der Tat verdient!
Liebe Grüße und einen schönen Restsonntag wünscht dir Raindog

Liebe @Kanji,
so schön, dass du jetzt wieder hier aktiv bist, vielleicht liest man ja auch bald wieder etwas von dir?
Aber zunächst freue ich mich natürlich wie verrückt über dein wunderbares Fazit:

was du hier gemacht hast, ist zum einen richtig clever, nämlich einen neuen Protagonisten zum Muttertext zu ersinnen, der fremd ist im Geschehen und dann doch mit allem verwoben wird und da ist es nur allzu konsequent, ihn am Schluss verblassen - im Sinne von fade away - im Staub verschwimmen zu lassen.
Danke! Immer klasse, wenn es wie gewünscht funktioniert! :)
Juckt mich auch gar nicht, welcher krumme Job den Kerl in diese Einöde gebracht hat (ich hoffe nur insgeheim, es sind keine flüchtenden Menschen).
Da kann ich dich beruhigen: Was immer Tom zwischen der Ladung versteckt hat – es sind keine Lebewesen!
Zum anderen ist es spannend. Ja, ich habe mich während des Lesens gefragt, ob diese wirklich richtig guten, atmosphärischen Beschreibungen, die Bilder und Vergleiche, langen Aufzählungen von allem, was in dieser heruntergekommenen Ödnis zu sehen ist, mich ungeduldig werden lassen, obwohl ich sie brauche, oder ob das gemeinhin spannend wirkt.
Da bin ich natürlich froh, wenn die Spannung unter den Beschreibungen nicht leidet!
Dass es am Ende nicht mal aufgelöst wird, sondern Roy der ursprüngliche und eigentliche Hauptprotagonist ist, hat mich doppelt amüsiert, in Form von Heidewitzka, das ist ja mal n Ding!
Haha, Heidewitzka ist ja ein lange nicht mehr gelesenes bzw. gehörtes Wort! Ja, sehr schön, dass die Überraschung gelungen ist! :)
Am liebsten mag ich die Figurenzeichnungen, die mit deinen Erzählungen wie von selbst erscheinen, du musst sie nicht explizit beschreiben, es macht mir großen Spaß, sie durch dich selbst zu sehen. Sal zum Beispiel.
Dunkle Locken, Gitarrenlachen, tiefes Dekolleté. …
Hatte er nicht gesehen, dass Sal in Wirklichkeit eine aufgedunsene, herzlose, versoffene Hure war, die in einem elenden Dreckskaff wohnte, das noch elender war als das Dreckskaff, aus dem er selbst gekrochen kam?
Sie konnte nur so oder so aussehen, blond oder braun, völlig gleichgültig, denn alles war vertrocknet und verdorrt, ausgezehrt und desillusioniert.
Obwohl das eine oder andere Adjektiv entbehrlich wäre.
Ich weiß, mit den Adjektiven :rolleyes:. Keine Ahnung, was mich bei dieser Geschichte geritten hat, die so inflationär zu verwenden. Ist sonst nicht unbedingt mein Ding. Aber nun, wo sie einmal dastehen, fällt es mir schwer, mich zu trennen. Da gehe ich aber auf jeden Fall nochmal drüber und werde jedes einzelne ganz kritisch unter die Lupe nehmen. :bib:
Dass die Figurenzeichnung stimmig ist für dich, freut mich riesig!
Ein Schwarm Krähen flatterte auf und landete wieder – ölig glänzende Kreaturen, die über den Boden stolzierten wie zerstrittene Trauergäste.
Ich liebe dieses Bild so sehr! Augenblicklich drängen sich neue Bilder wie von selbst auf, Nebengeschichten kündigen sich an ...
Ich habe jetzt nicht alle Stellen erwähnt, die du als gelungen empfindest, aber mich sehr, sehr, sehr über alle gefreut. Bei den Trauergästen habe ich mir jetzt aber gegönnt, es nochmal zu zitieren, weil ich es auch so mag! :)
Als Tom erkannte, was daneben lag, entschied er sich zu verschwinden.
Hach, ich bin ja der Meinung, es hätte nicht geschadet, wenn es weniger abstrakt beschrieben worden wäre.
Dazu habe ich gerade einen Kommentar weiter oben, bei @Carlo Zwei, einiges gesagt, wenn ich dich bitten dürfte, dort vorbeizuschauen? Mein Plan ist jedenfalls, da nochmal ranzugehen.
Schwierig, in der staubigen Dunkelheit etwas zu erkennen, aber es schien Roy zu sein, den er dort sah.
Auch an dieser Stelle wäre es nach meinem Empfinden okay zu behaupten, es wäre Roy gewesen. An einer bekannten Geste - Reiben an den Schienbeinen oder etwas in der Art.
Das ist auch eine gute Idee. Ich habe das schon ziemlich gerafft zum Schluss. Ich hatte einfach auch keine Ahnung, ob das Ganze überhaupt funktioniert, weil ich so etwas noch nie geschrieben habe. Ich hatte eher befürchtet, dass alle sagen, nee, gähn, das habe ich doch eh die ganze Zeit gewusst … Also, über deinen Vorschlag denke ich intensiv nach.
Danke, dass hast du schön erzählt,
Danke dir, liebe @Kanji, für deinen schönen Kommentar, den ich sehr genossen habe, und für all die Tipps und Hinweise.
Auch dir noch einen schönen Rest vom Sonntag! :)
Liebe Grüße von Raindog

 

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