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Liebe verlangt Opfer
,,Ich liebe dich”, flüsterte er, während er Haarsträhnen zur Seite strich, die sich über ihr Gesicht gelegt hatten. Ihr Kopf lag auf seinem Oberschenkel - die Augen waren geschlossen. Sanft fuhren seine Finger die Konturen ihres Gesichtes nach, dann die blasse Haut ihres Halses entlang.
,,Warum müssen wir nur immer streiten?”, fragte er und lächelte, bereits wieder versöhnt. Sie antwortete nicht, aber das hatte er auch nicht erwartet. Immer noch streichelte er sie liebevoll.
,,Ich kann einfach meine Hände nicht von Dir lassen”, flüsterte er und dachte: ,,… wie all die anderen auch.”
Gerade verebbt, wallte die Wut schon wieder in ihm auf. Es quälte ihn, wenn er an die Männer dachte, die ihr tagtäglich begegneten. Was wusste er denn, was sie wirklich mit ihnen tat? Wer neben ihr saß, wenn sie mit ihm telefonierte, mucksmäuschenstill, abwartete bis sie sich verabschiedeten. Hatte sie sich vielleicht deswegen gestern nicht mit ich liebe dich, sondern mit bis gleich verabschiedet? Wie gleichgültig dieses bis gleich klang. Jetzt, im Nachhinein.
Unwillkürlich fasste er sie härter an, doch sie erwachte nicht.
,,Wie unschuldig Du jetzt aussiehst”, zischte er ihr zu, ,,aber ich bin nicht blöd. Mich verarscht keine!” Tränen stiegen ihm in die Augen. Er fühlte sich verletzt und das brachte ihn erst so richtig auf. Mit unterdrücktem Zorn hob er ihren Kopf an, zog sein Bein unter ihr hervor und ließ sie auf den Boden sinken. Vorsichtig, denn er wollte nicht, dass sie jetzt erwachte. Er wollte weg sein, wenn sie die Augen aufschlug.
Diese verlogenen Augen. Wie verletzt sie ausgesehen hatten, als er ihr von der Schlampe erzählte. Niemals hätte er sie, die er so liebte, mit solch einer Tussi betrogen, hätte er nicht gedacht, sie betröge ihn ebenfalls. Es ging ihm doch gar nicht um diese andere Fotze. Um sie ging es. Es geht immer um sie! Und dann machte sie ein Theater … Gott, führte sie sich bei diesem Gespräch auf. Hätte sie sich so aufgeführt, wenn sie ihn, wie sie bis zum Ende behauptete, tatsächlich nicht betrogen hatte? Er warf ihr einen Blick zu und lächelte bitter. Wie unschuldig sie jetzt aussah. Man konnte sich gar nicht vorstellen, dass sie toben konnte, wie eine Verrückte. Geschrien hatte sie, geweint, gekratzt. Er gab ihr vorsichtig einen Kuss auf die geschlossenen Lider.
,,Du wirst schon sehen”, murmelte er, ,,du wirst die Mutter meiner Kinder. Wenn Du es erst verstanden hast …”
Entschlossen verließ er das Wohnzimmer, nahm ihre Autoschlüssel, dachte kurz an den Stress, als er sich das letzte Mal ihr Auto geliehen hatte, und verließ die Wohnung. Er schüttelte den Kopf. In ein paar Wochen hatte er seinen Führerschein wieder. Er konnte Autofahren. Wieso sie sich deswegen nur so aufregen musste. Schließlich war es nicht seine Schuld gewesen, dass die Scheißbullen ihm seinen Schein abgenommen hatten. In dieser Woche - sogar in den zwei Wochen zuvor - hatte er nichts genommen. Auch das war ein Streitpunkt zwischen ihnen gewesen, dabei nahm er schon fast nichts mehr; Nur wenn sie gestritten hatten. Seine letztes ,,schnelles Wochenende” war sicher schon einen Monat her und sie war Schuld, dass er etwas brauchte, um mit seinen Kumpels trotz ihres Gezickes Spaß zu haben.
Über alles regte sie sich auf. Kein Wunder, dass er sie immer belügen musste. Es machte ihr Zusammensein leichter. Er log nur ihr zuliebe - nur ihrer beider Beziehung zuliebe. Er liebte sie und er wusste, dass man für die Liebe Opfer bringen musste.
Inzwischen war er am Auto angelangt. Beim Einsteigen warf er einen Blick zu den Fenstern ihrer Wohnung zurück. War sie aufgewacht, als er die Wohnung verließ? Hatte sie ihm nachgesehen? Beim Einsteigen nahm er sein Handy aus der Gesäßtasche und warf einen Blick darauf. Angerufen hatte sie nicht. Vielleicht schlief sie doch noch. Er startete den Motor, fuhr aus der Parklücke und gab Gas. Immer wieder sah er zum Fenster. Wenn sie wach war und hinaus gesehen hatte, hatte sie sich vom Fenster zurückgezogen, damit er sie nicht sehen konnte. Er stellte sich vor, wie sie neben dem Fenster an der Wand lehnte. Warum tat sie so etwas? Wieder rumorte es in seinem Inneren.
Er beschleunigte. Mit zunehmender Geschwindigkeit nahm die Wut ab. Je weiter er sich entfernte, je schneller er die Straße entlang jagte, desto befreiter fühlte er sich. Er drehte den CD Spieler auf, kurbelte das Fenster runter und ließ den Bass und den Wind die dunklen Gedanken aus seinem Kopf vertreiben. Er musste sich diese ewigen Vorwürfe nicht anhören. Er wusste was Liebe ist. Und Ihr würde er das auch noch beibringen. Er schloss die Augen und atmete tief seine Freiheit ein, während sein Fuß das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrückte.
30. März 2001, Bei einem Verkehrsunfall kam am Morgen ein 23jähriger Mann ums Leben. Der PKW streifte aus bisher ungeklärter Ursache einen entgegenkommenden Kleinbus und fuhr daraufhin gegen einen Brückenpfeiler. Der Fahrer des Kleinbusses wurde mit lebensbedrohlichen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Der Unfallverursacher starb noch vor Ort.
01. April 2001, In einer Mietswohnung im dritten Stock eines Wohnhauses wurde die Leiche einer 21jährigen Frau gefunden. Die Nachbarn hatten schon am 30. März wegen Lärmbelästigung die Polizei gerufen, doch als diese eintraf, schien sich niemand mehr dort aufzuhalten. Zwei Tage später fand die Mutter ihre Tochter am Wohnzimmerboden liegend. Der Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen.
Nach Aussage der Nachbarn stritt sich die Mieterin des Öfteren heftig mit einer männlichen Person, vermutlich dem Freund der Toten. Ob der Tod durch Unfall oder Fremdverschulden eintrat, muss noch geklärt werden. Die Identität der männlichen Person wurde noch nicht ermittelt.